Cora Stephan / 04.03.2021 / 06:12 / Foto: Pixabay / 57 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Nix woke. Was tun! Mit den Händen.

Was tun? Was tun! Das ist die Lingua Franca auf dem Land. Respekt verdient, wer etwas tut – mit den Händen. Nicht, wer etwas meint oder behauptet, dies oder jenes zu sein. Es ist das Tun, das verbindet.

Und das gilt auch für Zäune. Auch Zäune verbinden. So jedenfalls war das bei uns, als R. 1993 unser Grundstück umzäunte, das seit Jahren keine klar ersichtliche Kontur hatte. Es war lange sozusagen vogelfrei gewesen, von jedem begeh- oder befahrbar. Und mit einem Mal ein Zaun? Welch Affront gegen die Bewegungsfreiheit!

Denkste. Den Nachbarn im Dorf gefiel der neue Zaun, standen um R. herum, gaben Ratschläge. Nicht, weil es sich um einen Jägerzaun gehandelt hätte, um mal wieder mit dem Klischee zu wedeln. Oder weil sich das so gehörte. Sondern – ja, warum eigentlich? Ich behaupte mal: nicht, weil wir damit Besitzansprüche angemeldet hätten, die waren ja eh (mittlerweile) geklärt. Sondern weil wir mit dem definierten Drinnen das Draußen anerkannt haben. Und weil wir eine Verpflichtung sichtbar gemacht haben: Das hier ist etwas, um das wir uns kümmern. Wir haben Haus und Grundstück adoptiert. Liebevoll.

Dreifamilienhaus ebenfalls selbst gebaut, das macht man hier so

Naja, das nachbarliche Wohlwollen kann natürlich auch einen ganz anderen Grund haben. Bei uns ist der wichtigste Grund, der Anerkennung schafft: Was tun. Etwas schaffen, das man sehen kann. In den Anfangsjahren scholl uns noch ein aufmunterndes „Na, reißt ihr endlich ab?“ entgegen, wenn wir Haus und Grund Schritt für Schritt eroberten. Doch wer arbeitet, macht etwas richtig. Das versteht jeder, da kann man ruhig so schlecht Deutsch sprechen wie der von allen geliebte H., denn der kann anpacken. Wer das nicht kann, ist auf dem Land verloren. Oder sagen wir mal: dann wird die Chose teuer.

Ich bewundere meine Nachbarn unendlich. Es gibt kaum etwas, was sie nicht können, und für alles andere hat es den Installateur, den Elektriker, den Dachdecker und den Zimmermann ein paar Orte weiter. K. hat seiner Tochter ein Haus gebaut. Genau: mit den eigenen Händen und mit der Hilfe von Nachbarn und Freunden. Die B.s haben ihr Dreifamilienhaus ebenfalls selbst gebaut, das macht man hier so. Die F.s haben das Haus ihrer Großeltern in ein Schmuckstück verwandelt. Die Tapferkeitsmedaille bekommen R. und M., die seit zwei Jahren das Haus gegenüber restaurieren – nicht „modernisieren“. Hier werden keine Rigipsplatten verbaut, man will doch aus einem Altbau keinen Neubau machen. Und Lehmstrich dämmt ebenfalls.

Nachbarn helfen dabei. Leute wie ich schauen zu und applaudieren. Doch auch wir haben jahrelang auf einer Baustelle gewohnt und erst seit ein paar Jahren das Schlimmste hinter uns – obwohl: naja. Es gibt immer etwas zu tun. Man will sich ja nicht langweilen. Und so gern ich schreibe – wenig macht glücklicher als das, was man mit seinen eigenen Händen getan hat.

Der geneigte Leser dieser Kolumne weiß das natürlich. Aber weiß man das auch anderswo, dort, wo die neuesten sinnfreien Moden entstehen, in den woken chemie- und genfreien gendersensiblen Klima- und Waldfreunden in den Großstädten? Oder gar bei den Maßnahmespezialisten, die, wenn mal wieder ein neues Katastrophenszenario entdeckt wird, an der Lebenswirklichkeit der Bevölkerung vorbei agieren, Hauptsache, repressiv?

Ein akademischer Grad gilt mehr als Kompetenz dank Erfahrung

In der Krise macht sich bemerkbar, was Mensch wirklich zum Leben braucht, und das ist weder die Antifa noch die Sprachpolizei oder antirassistischer Rassismus im Kampf gegen „Weißheit“, toxische Männer und unwoke Frauen. Das unterscheidet die Somewheres von den Anywheres: sie leben nicht im Reich der Ideen und Ideologien.

David Goodhart hat in seinem Buch „The Road to Somewhere” jedem, der es wissen will, plausibel erklärt, warum sich eine knappe Mehrheit in Großbritannien für den Brexit entschieden hat und wieso noch immer fast die Hälfte aller Wähler in den USA den hemdsärmeligen Maverick Donald Trump jederzeit den Identitätspolitikern von den Democrats vorziehen würden. Trumps Wähler sind eben nicht die „Abgehängten“, die „Deplorables“, der trostlose Bodensatz frustrierter Männer und reaktionärer Frauen, auf die es ja nicht so richtig ankomme, oder? Es sind vielmehr all die, ohne die der Laden nicht läuft, die sich jedoch seit Jahren abgewertet fühlen, seit ein akademischer Grad mehr gilt als Kompetenz dank Erfahrung.

Goodharts neues Buch „Kopf, Hand, Herz. Das neue Ringen um Status. Warum Handwerks- und Pflegeberufe mehr Gewicht brauchen“) ist ein leidenschaftliches Plädoyer für Technik, Handwerk, Pflege – und eine ebenso leidenschaftliche Kritik an der explodierenden Akademisierung des Berufslebens. (Dass er hofft, dass seine Kinder einmal eines seiner Bücher lesen, lässt darauf schließen, dass die einen anständigen Beruf ausüben und nicht nur am Schreibtisch sitzen.)

Warum sollte ein arbeitsloser Absolvent eines geisteswissenschaftlichen Studiums mehr gelten als ein Mensch, der seinen Kopf dazu benutzt, etwas mit seinen Händen zu machen? Der weiß, dass zwei und zwei immer noch vier sind – und sich davon auch von den neuesten Erkenntnissen in akademischen Zirkeln nicht abbringen lässt? „Ethnomathematik“, der neuste Schrei aus den USA, erklärt Mathematik für ein bloß kulturelles Phänomen weißer Vorherrschaft und will künftig für jede Aufgabe mindestens zwei Ergebnisse sehen. Fein!

Wir hier in der Provinz lachen uns darob 'nen Ast. Wir wissen nämlich, wie die Serie ausgeht: Houston, wir haben ein Problem! Wir haben uns verrechnet.

Foto: Pixabay

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Fritz kolb / 04.03.2021

Wahre Worte, Frau Stephan. Lebe mit meiner Frau auch auf dem Land, auch wenn sich die Gegend mittlerweile Metropolregion nennt. Meine absolute Verachtung für die politischen Akteure teilen in Gesprächen mit Nachbarn viele genau so wie ich. Als Baumensch habe ich sowieso allergrößten Respekt vor Handwerkern, erlebe ich doch allzu oft, wie sie geschickte Lösungen für künstlich ideologiegetriebene behördenseitige Verordnungen finden. Auch ist hier der heilige Zorn über CO2-getriebene Erhöhungen der Preise für fossile Energieträger zu spüren, die Verachtung für Politiker, die uns die höchsten Energiepreise der Welt beschert haben, für Pandemieregeln, die zwar Supermärkte für jede Menge Menschen öffnen, aber Einzelhändlern mit viel weniger Publikum verbieten zu öffnen. Die Aufzählung liesse sich unendlich fortführen. Wenn ich gelegentlich in München bin, dann sehe ich sehr bedrückende, teilweise an Sciencefiction-Filme erinnernde düstere Strassenszenen. Und darin Menschen, die geduckt und maskiert wie Zombies herumlaufen. Danach bin ich immer wieder sehr froh, in meinem Dorf anzukommen.

j. - f. grauvogel / 04.03.2021

Klasse artikel. genauso läuft es auch hier bei uns. und das gibt einem wenigstens ein bisschen hoffnung in diesem irrenhaus hier. machen wir uns nichts vor: das ganze rum gelabere und die endlosen diskutieren über gendersternchen, quere (oder wie das heisst) usw. usf. juckt hier niemanden. mag doch jeder nach seiner fasson glücklich werden und anderen damit nicht penetrant auf den geist gehen - und jut is. ich wüsste wirklich niemanden, der sich von diesem ganzen ideologisch verbrämten mist hier die lust am leben nehmen lässt.und ja, auch die lust am selbst arbeiten. es liegt in der natur der sache, dass eine frau , sofern man etwas für sie empfindet, dazu verdonnert wird, 40 kubikmeter baugrube von hand auszuheben…nur mal als beispiel. gemacht werden muss es trotzdem, soll der zukünftige anbau auch auf soliden füssen stehen. naja, und die untere baubehörde und architekt gibt ja auch SINNVOLLE vorgaben dazu. nicht, dass noch jemand auf die idee kommt, gendergerecht bauen zu wollen und somit die tragfähigkeit unabhängig von der statik gendergerecht neu zu definieren (gott sei dank, heisst es “das” fundament… schon mal ein schwachsinniges hindernis aus der welt.)nein, ich habe nicht getrunken oder so…es kam mir nur so in den sinn, da ja mathematik neu definiert werden soll. heilge einfalt. welche anstalt/in hat eigentlich grad ausgang???damit solls genug sein..ach ja, ein akademisch einwandfrei erworbenes diplom, noch aus zeiten, zu denen es sinnbefreite bachelor/innen usw. noch nicht gab, tut der schöpferischen tätigkeit, die fassbar und wirklich nur ohne dummquatscherei zu schaffen ist, und der damit verbundenen anerkennung durch die dorfgemeinschaft keinen abbruch.

Wolf-Dietrich Staebe / 04.03.2021

Die Blödheit in diesem Land ist kaum noch zu fassen. 50, 60, 70-Jährige lassen sich ihre Hänge-Titten und -Schwänze mit gräßlichen Tattoos verunstalten, haben irgendwelches Billigmetall im Gesicht, in den Ohren und sonstwo, nur um zu den “Woken”  zu gehören. Mensch ist ja gefühlt erst so um die zwanzig (vom Verstand her allerdings noch nicht einmal in der Buddelkiste angekommen - völlig würdelos).  Körperlich arbeiten? Das erledigen Andere, am besten Sklaven aus dem ehemaligen Ostblock, die sieht man auch nicht so. Die machen kein Geräusch und schmutzen nicht, während sie Spargel stechen, Erdbeeren pflücken usw. Solche Tötigkeiten kann man unseren Landsleuten und den zugereisten Goldstücken einfach nicht zumuten, das gibt ja Schweiß auf der Stirn! Allerdings gehört Fahrradfahren mit dem Bollerwagenrad - isch ersetze ein Auto - zu den Guten. Elektro-Mobilität ist toll, scheiß auf die Umweltschäden und die Kinderarbeit in den Herkunftsländern für die Zutaten der Akkus. Landschaft in Blödland wird auch völlig überbewertet. Wer braucht schon eine Aussicht ohne Mittelaltertechnik am Horizont? Hierzulande fahren angeblich Erwachsene mit Kinderspielzeug durch die “woke community”. Aber wir sind ja sooooo Klimaretter, tolerant (außer gegenüber anderen Meinungen) und überhaupt tomatisiert. Kotz, würg!

Helfried Richter / 04.03.2021

Oops, she did it again: “Lehmstrich” - nach Vorder- und Hinterlader geht es munter weiter. Gut möglich, daß Frau Stephan diese erheiternden Begriffe zur Auflockerung absichtlich einstreut. Vermutlich wird der Lehmstrich von einer ökologisch korrekten Dorf-Domina beschickt, die in der Stadt ihren Bordstein hochklappen mußte:)

Carsten Bertram / 04.03.2021

Guten Tag Frau Stephan.  Ich lebe hier absolut in der Pampa wie man so schön sagt und würde mich wirklich freuen, wenn es hier so wäre wie Sie schildern. Dem ist aber leider nicht so. Die woken abgebrochenen Soziologiestudenten gibt es hier auch. Auch hier sind es die Lautesten. Statt Nachbarschaftshilfe gibt es hier Neid und Missgunst. Früher musste man das größte Auto in der Garage haben, jetzt muß es ein zeitgemäßes Statussymbol sein. Wenn Sie eine Gegend in Deutschland kennen wo es anders ist, nennen Sie sie mir bitte. Ich habe einen abgeschlossenen Beruf, bin handwerklich sehr geschickt, frei von Neid und respektiere Grenzen. Eigentlich will ich nur meine Ruhe haben.

beat schaller / 04.03.2021

Sehr schön geschrieben Frau Stephan. Ich schlage vor, dass jeder” Akkathemicker ” ein Praktikum machen muss und auf dem Land selber ein Haus zu renovieren hat. Der Nicht Akkathemicker wird dann die Abnahme machen und bewerten. Ich wette auf eine - Nummer. b.schaller

Herbert Priess / 04.03.2021

Ich habe schon in meiner Kindheit gelehrt bekommen, daß jede Arbeit denjenigen ehrt der sie ausführt.  Selbst die geringste Tätigkeit, die gewissenhaft und mit Herz ausgeführt wird, muß Anerkennung finden und der tätige Mensch mit Würde bedacht und betrachtet werden. Hochnäsige Menschen, denen es bei Regen in die Nase regnet, blicken oft auf andere herab ohne sich bewußt zu sein, daß sie ohne die auch nicht arbeiten könnten. Auf dem Land noch viel mehr als in der Stadt denn dort wird sichtbar was jemand kann und sich als soziales Wesen in die Gemeinschaft einbringt.

Horst Brackholz / 04.03.2021

Ich leb auf dem Land und mach mein Zeug selbst. Aus einem Grund: bald hat man mitbekommen, dass es unter den Handwerkern und Anpackern ebensoviele Pfeifen und Abzocker gibt wie bei den Kreidekratzern. Diesen Kitsch von den einen, die darben, aber “den Laden am Laufen halten” und den anderen, die kassieren und “alles zerreden” mach ich nicht mit. Nach der Elektrikerrechnung verliert der Stromschlag an Schrecken.

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