Cora Stephan / 20.07.2023 / 11:00 / Foto: Pixabay / 17 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Was der Boden freigibt

Kriege fordern zwangsläufig Opfer. Der Umgang mit namenlosen Toten ist nicht immer einfach, vor allem wenn es jene des Feindes sind. Frankreich beweist rückwirkend Courtoisie gegenüber gefallenen Deutschen.

Der Résistance-Kämpfer Edmond Réveil, nom de guerre Papillon, also Schmetterling, hat sich vor zwei Monaten öffentlich zu etwas bekannt, das er ein Kriegsverbrechen nennt. Im französischen Corrèze, nordöstlich von Tulle, hätten Partisanen im besetzten Frankreich am 12. Juni 1944 nach einer Attacke auf die Wehrmachtsgarnison in Tulle 46 gefangene deutsche Soldaten und eine Französin, die der Kollaboration beschuldigt wurde, exekutiert, nachdem diese ihre Gräber selbst ausgehoben hatten. Nach der Haager Landkriegsordnung unzweifelhaft ein Verbrechen. „Wir waren zu wenige, um sie zu bewachen, wir konnten sie nicht ernähren“, so der heute 98 Jahre alte Réveil. Hätte man sie entwaffnen und freilassen können? Die Frage stellte sich womöglich nicht, der Befehl zur Exekution kam womöglich „von oben“. Nun sollen die Toten, deren Überreste im Waldboden liegen, „ihren Namen zurückbekommen“, wofür der Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge sorgen will.

Das ist gewiss wichtig für die Familien der Erschossenen. Doch es ist vor allem gute alte Sitte: Von den Spartanern wird berichtet, sie hätten sich kleine Holztafeln mit ihren Namen um das Handgelenk gebunden, damit man im Falle ihres Todes wusste, wer sie waren. Denn die Namen der im Krieg Gefallenen sollten niemals in Vergessenheit geraten, weshalb sie in Stelen, steinerne Säulen oder andere Denkmäler eingraviert wurden.

Mit den deutschen Kriegstoten des Ersten Weltkriegs wurde in Frankreich vorbildlich umgegangen. Gewiss, die Grabfelder für die britischen Soldaten sind die schöneren – sie sind wie ein englischer Bauerngarten angelegt – während die deutschen Gräber schmucklos sind. Doch wenn irgend möglich, haben auch die deutschen Soldaten ihren Namen zurückbekommen.

Mit den eigenen Toten schlecht umgehen

Dass beinahe 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs am Mythos der Résistance gekratzt wird, ist für Frankreich ungewöhnlich. Partisanen und Guerilleros wurden auch in der studentenbewegten deutschen Linken als Freiheitskämpfer heroisiert, die dunkle Seite nahm man selten wahr. Partisanen kämpfen verdeckt, agieren aus dem Hinterhalt, verstecken sich in der Zivilbevölkerung und gefährden sie damit zugleich. Ohne diese Seite der Medaille ist das Bild des heldenhaft für die Freiheit kämpfenden Partisanen oder Guerillero unvollständig.

Ganz in der Nähe des Dorfes in Frankreich, wo ich mich derzeit befinde, ist ähnliches wie bei Tulle geschehen. Im Château de Logères bei Joannas liquidierten Mitglieder der Résistance etwa dreißig Menschen, deutsche Kriegsgefangene und französische Kollaborateure, darunter eine elsässische Krankenschwester. Die Toten wurden im Juni 1944 in einen ehemaligen Minenschacht bei Fons geworfen.

Ende der Fünfziger Jahre wurden immerhin zwölf Opfer identifiziert. Als Geste der Versöhnung wurde die Stelle versiegelt und mit einem Kreuz und einer Grabplatte versehen – in Gedenken an die Opfer des Hasses. Kurze Zeit später wurde die Grabplatte zerschmettert. So etwas passte noch nicht in die Zeit. Wenn Papillon dem ehemaligen Feind mit Ehrlichkeit und Courtoisie begegnen kann – warum gelingt das vielen in Deutschland nicht mit den eigenen Toten?

Im vergangenen September trat im Landkreis Düren (NRW) eine neue Friedhofsordnung in Kraft, die „Kränze oder Blumen, Vasen oder andere Zeichen der Trauerbekundungen“ auf den Soldatenfriedhöfen in Hürtgenwald und Vossenack verbietet. Wer „vorsätzlich oder fahrlässig“ gegen dieses Verbot verstößt, begeht demnach eine Ordnungswidrigkeit, die mit Bußgeld in nicht genannter Höhe sanktioniert werden kann. Man fragt sich manchmal, was man von einem Land halten soll, das um die eigenen Toten nicht zu trauern vermag. Wir müssen das offenbar anderen überlassen.

 

Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin, wohnt im hessischen Vogelsberg und in Südfrankreich. Ihr bislang letztes Sachbuch heißt „Lob des Normalen“ (2021). Aktuell ist von ihr der Roman „Über alle Gräben hinweg“ erschienen. Hier bestellbar.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Mathias Rudek / 20.07.2023

Die verwahrloste Linke hat in Deutschland viel zu viel Deutungshoheit gewonnen. Das ist zersetzend und krank. Ich hoffe, daß diese Entwicklung endgültig ihren Zenit überschritten hat.

Johannes Schuster / 20.07.2023

@ Else Schrammen , Reiner Gerlach: Einige Dinge wollte ich mit meinem Kommentar unter Beweis stellen: 1: Die alten Helden werden verteidigt, ihr Tun höchstens vordergründig reflektiert; 2: Es gibt die These aus der Johanna Haarer - Frage: Die Deutschen die Mutter und den Staat, was immer beide tun. 3: Die Schulpflicht und die Wehrpflicht sind gekoppelte Begriffe und der Lehrer ist der erste Ausbilder des künftigen Soldaten. Und die wichtigste These ist die:4. DIE ARMEE IST DEN DEUTSCHEN nach wie vor heilig. Folgeerkenntnis: Das Apriori der Reaktion kennt kein Mitleid für die Gegner und kein Mitleid für die Schule als Vorbedingung von Gehorsam und Uniform, sprich, der Gegner bleibt der Gegner, der Soldat trägt die Ehre und die Uniformierung des Geistes wird als gottgegebenes Gesetz betrachtet. So bekommt man aus den Deutschen die Metadaten ihres Unterbewußtseins. Danke für diese Deutschstunde.

Olaf Nitzsche / 20.07.2023

Zur Frage, wer im Kreis Düren regiert: die CDU mit den Grünen. Noch Fragen?

Sabine Drewes / 20.07.2023

Liebe Frau Stephan, vom Goethepreisträger Raymond Aaron sollen folgende Worte stammen: „Der Charakter und die Selbstachtung einer Nation zeigen sich darin, wie sie mit ihren Opfern der Kriege und mit ihren Toten umgeht.“ Daran möchte man die Verantwortlichen der neuen Friedhofsordnung in Düren erinnern.

Albert Pflüger / 20.07.2023

Nein! Doch! Ooohh! Kann es sein, daß im Krieg auch spätere Sieger Verbrechen begehen? Daß die Untaten deutscher Soldaten im WKII ihre Entsprechung auf der anderen Seite haben? Man muß immer bedenken, daß die Soldaten, die da umgebracht wurden, junge Männer waren, die weder die Regierung gewählt hatten, noch freiwillig Soldat geworden waren.  Es gibt Kriegsverbrechen, ja. Aber sie sind unwichtig. Der Krieg selbst ist ein ungleich monströseres Verbrechen als einzelne Exekutionen, so abscheulich und widerwärtig sie auch sein mögen.

Reiner Gerlach / 20.07.2023

@ Johannes Schuster Ganz schön vermessen, Herr Schuster. Ich kenne diese tollen Aussagen, die immer anfangen mit “wir hatte da mal Einen”. Ihnen geht es anscheinend da ähnlich. Sie machen ihr ganzes Verständnis der Vergangenheit an einem einzigen Lehrer fest und schlussfolgern messerscharf auf all die Ihnen unbekannten Soldaten. Auch ich kenne mehr als einen Lehrer oder einen Menschen aus dem Berufsleben, dem ich heute noch Schwindsucht und Krätze an den Hals wünsche. Irgendein Arschloch gibt es immer. Trotzdem sollte man nicht aus einer Laune heraus verallgemeinern. Schauen Sie mal rüber ins Elsass, da werden noch Helden verehrt aus Kriegen, die wir nicht mal aus dem Geschichtsbuch kennen. Und bei uns werden Gedenksteine abgeräumt oder in die hinterste Friedhofsecke verbannt. Und wenn ich mir dann die ganzen deutschen frisierten Geschichtsbücher anschaue, wird mir ganz übel. Ich empfehle Ihnen mal Gerd Schultze-Rhonhof oder die Doku “Die Soviet-Story” ...

Wilfried Düring / 20.07.2023

Liebe Cora Stephan. Wie können Sie das nur wagen! Sie beschuldigen ehrenwerte ‘Freiheitskämpfer’ des Verstoßes gegen die ‘Haager Landkriegsordnung’ und erinnern an deren Opfer! Sie öffnen damit eines der dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte. Hinter den Masken von ‘Partisanen’ und angeblichen Freiheitskämpfern gilt es die Täter zu entdecken: Marodeure, Vergewaltiger, (Feme-) Mörder. Deren politisch betriebene falsche Heroisierung geht einher mit der politisch gewollten Dämonisierung und Verhöhnung der Opfer. Dazwischen ganz viel Schweigen, Vergessen, Verrat. Heute denken wir an die Männer des 20. Juli und deren Familien. Sie kämpften für die Wiederherstellung der ‘Majestät des Rechts’. Und dieses ‘RECHT’ wurde von vielen ‘Partisanen’ und ‘Revolutionären’ leider ebenso bekämpft, wie von deren Feinden. Wahrheit ist: Manche Partisanen waren in ihren METHODEN von Nazis kaum zu unterschieden! Die Morde von Corrèze waren KEINE Ausnahme - sie waren die REGEL, die sich als blutige Spur durch die gesamte Geschichte des links-gewirkten Partisanentums zieht! Als Beispiel steuere ich bei: Die Ermorderung der schwangeren italienischen Schauspielerin Luisa Ferida am 30. April 1945 in Mailand. Ferida war der Kollaboration mit dem Mussolini-Regime beschuldigt worden und wurde vor ein ‘wildes (Partisanen-) Gericht’ gestellt und nach einem ‘Schnellverfahren’ liquidiert. Interessierte können Einzelheiten sogar in der deutschen und italienischen BolscheWiki-Pedia nachlesen. Nach dem Krieg schoben sich die Täter gegenseitig die Verantwortung zu. Einer von ihnen, der Partisanen-Führer Sandro Pertini - ein ‘guter Demokrat’ - wurde im hohen Alter Staatspräsident. Es ist eine grausige Vorstellung, daß Baerbock&Genossen;, die für die Opfer niemals eine Geste des Bedauerns übrig hatten, genau diese ‘Werte’ heute in der Ukraine ‘verteidigen’. Das Schicksal Luisa Feridas ist heute bekannt (Film: Wild Blood-Sanguepazzo; Monica Belucci). Millionen andere - Namenslose - sind vergessen!

Else Schrammen / 20.07.2023

@Johannes Schuster: Mein Gott, was sind Sie nur für ein Mensch! Wie alt sind Sie? Haben Sie schon mal einen Krieg erlebt? Wissen Sie, was eine Generalmobilmachung ist? Wissen Sie, was mit Deserteuren - in allen Armeen nicht nur im Kriegsfall - geschieht? Sind Sie dumm und arrogant, oder sind Sie nur ungebildet und ahnungslos? Mein Schwiegersohn hat sich bzw. mich gefragt, warum es im 3. Reich zu Kriegsbeginn so wenig Widerstand gegeben hätte. Ich habe es ihm klargemacht was passiert wäre: “Du wärest eingezogen worden, Du wärest desertiert. Man hätte dich am nächsten Baum aufgeknüpft mit einem Schild um den Hals “Verräter”. Deine Kinder wären von den Nazis einkassiert worden zwecks besserer Erziehung. Deine Frau wäre sehr wahrscheinlich im Knast gelandet wegen Beihilfe zur Wehrkraftzersetzung. Was glaubst Du, wieviele Männner lieber geschwiegen und statt dessen geschossen haben?” Ich habe noch ein Bild meines Vaters in Wehrmachtsuniform. Als meine Enkelkinder das sahen, gab es gemeisames Hyperventilieren und den Aufschrei: Dein Vater war ja ein NAZI! Ja, habe ich gesagt, ein toller Nazi, der ist mit Hurra-Geschrei an die Front gerannt, allerdings nur als Gefreiter. Er ist Anfang 1945 gefallen, immer noch als Gefreiter. Als guter Nazi hätte er mindestens General sein müssen. Wer hat Euch Kindern beigebracht, in jedem Mensch, der vor 1945 geboren wurde, einen Nazi zu sehen? Ihr seid einfach nur dumm, ungebildet und ahnungslos! Versucht mal selbst zu denken. Bin ich zu einem kriegswütigen Nazi erzogen worden? Nein. Und ich wäre froh, lieber Herr Schuster, wenn ich wüsste, wo mein Vater verscharrt wurde, und ob im heutigen Polen eine Polin oder ein Pole Blumen auf sein Grab legen würde, so es denn eins gäbe. :

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