Von Manfred Haferburg
Ich habe einen finnischen Freund, der hat mir einen tiefsinnigen finnischen Witz erzählt:
„Was unterscheidet einen extrovertierten Finnen von einem introvertierten Finnen? Na - der extrovertierte Finne schaut während er mit dir spricht, auf DEINE Schuhspitzen“.
Okay, der Freund ist Psychologe von Beruf. Und er arbeitet für TVO, die Firma, die in Olkiluoto die beiden effizientesten Siedewasserreaktoren der Welt mit einer Verfügbarkeit von 96 Prozent betreibt. Ein weiterer Reaktor ist in der heftig verzögerten Inbetriebnahmephase (so eine Art finnischer BER) und ein Vierter in der Planung. Auch im finnischen Loviisa wird ein neuer Reaktor zu dem bestehenden Alten dazu gebaut.
Und noch eine schlechte Nachricht für alle erbitterten Kernenergie-Gegner: die Finnen freuen sich über ihr Atommüll-Endlager in Olkiluoto, das erste Atommüll-Endlager der Welt.
In dem finnischen Dorf Olkiluoto wird es das Endlager für Brennstäbe geben. Doch entgegen allen Erwartungen sorgt sich dort kaum jemand. Im Gegenteil: Statt von tödlicher Strahlung reden die Finnen lieber von Arbeitsplätzen, Wohlstand und warmen Häusern.
Die Finnen betreiben das neue Endlager so, dass der radioaktive „Abfall“ bei Bedarf wieder geborgen werden kann. Immerhin ist das ein wertvoller Rohstoff, dessen energetischer Inhalt erst zu weniger als 10 Prozent verbraucht ist. Sollte es tatsächlich einmal wichtig werden, mehr Kohlendioxid-freie Energie zu erzeugen, kann dieser Wertstoff in einen geschlossenen Kernenergiekreislauf zurückgeführt werden, der die Menschheit für die nächsten paar hundert Jahre mit CO²-freier Elektroenergie versorgt.
Ein unterirdisches Lager für niedrig- und mittelradioaktiven Abfall gibt es bereits seit vielen Jahren in den Granitformationen unter Olkiluoto. Seine Errichtung hat seinerzeit 27 Millionen Euro gekostet - ungefähr so viel, wie eine einzige der dutzenden Studien in Deutschland, die beweisen, dass solche Endlager gar nicht möglich sind.
In Deutschland, wo der Strom ja bekanntlich aus der Steckdose kommt, steht es um ein Endlager denkbar schlecht. Seit 1977 streiten sich die Deutschen um einen Endlagerstandort. Nachdem die Politik entschieden hat, dass das geplante Endlager im Salzstock Gorleben nicht fertiggestellt wird, arbeitet eine weitestgehend grüne Kommission seit 2014 erneut daran, ein Auswahlverfahren für mögliche Endlagerstandorte zu definieren. Da sind BER und Elbphilharmonie eine Petitesse dagegen.
Zwar ist im Standortauswahlgesetz das Jahr 2031 als Meilenstein zur Benennung eines endgültigen Endlagerstandorts benannt, also 54 Jahre nach Streitbeginn. Jedoch ist aufgrund der bisher gemachten Erfahrungen wohl von einer deutlich längeren Verfahrensdauer auszugehen. Die Verwaltungskosten, welche dadurch entstehen, dass man in Deutschland von jetzt an weitere 20 Jahre benötigen will, um sich auf ein Verfahren zur Standortauswahl zu einigen – wenn eine solche, von den Grünen in der Kommission nicht gewollte Einigung überhaupt denkbar ist - werden die Baukosten von Endlagern in anderen Ländern bei Weitem übersteigen, ohne dass man überhaupt erst angefangen hat, ein Endlager zu bauen. Zu solcher Geldverschwendung sagte meine weise Oma immer: „Wer hat, der kann“.
Ohne Endlager sind die Kosten für den Rückbau ihrer abgeschalteten Reaktoren für die deutschen Energieversorger völlig unkalkulierbar geworden, zumal die mehr als 30 laufenden Prozesse gegen die Zwangsabschaltung und Quasi-Enteignung mittels Energiepirouette der Kanzlerin im Jahre 2011 einen zügigen Abriss nicht erlauben.
Würden die zwangsabgeschalteten Meiler heute abgerissen, könnten die Gerichte morgen nämlich die Gegenstandslosigkeit der Entschädigungsklagen feststellen und die enteigneten Stromkonzerne guckten in die Röhre. Sie sind in einem Dilemma. Mit Stromerzeugung ist in dem EEG-Subventionsgestrüpp kein Geld mehr zu verdienen. Solange noch Brennstoff in den AKW-Anlagen ist, muss das Betriebspersonal arbeiten und bezahlt werden, das kostet so eine halbe Million pro Tag.
EON, RWE und ENBW haben die Wahl zwischen Pest und Cholera: zügiger Rückbau der Meiler bedeutet Verlust jeglicher Entschädigung. Verzögerter Rückbau heißt kostenträchtiges Ausbluten. Also begehen sie Konzern-Harakiri - sie zerschlagen sich selbst, um mit hohem Risiko zu ergrünen. Und müssen sich dabei noch die heuchlerischen Beschuldigungen der politischen Verursacher der Misere gefallen lassen.
Diese Politik ist ein schönes Beispiel, wie die Ideologisierung das Rückgrat der Energieversorgung eines Landes brechen kann. Eine günstige Energieversorgung ist leider nun mal die Basis jeder Industrie, deshalb fracken sich andere Länder in eine energetische Neuzeit. Oder sie bauen neue AKW, mehr als 50 Projekte sind unterwegs. Auch Kohle und Gas werden auf Teufel komm raus verheizt. Die Pariser Klimaversprechen? Man wird sich doch mal versprechen dürfen…
Bei uns haben sich die Stromkosten für die Verbraucher seit der Energiewende verdoppelt, der CO²-Ausstoss ist dramatisch angestiegen, alle Versprechungen der Klimakanzlerin von Kyoto gebrochen. Die energieintensive Industrie flüchtet leise weinend und lautlos. Leider ist die Deindustrialisierung ein schleichender Prozess, der erst sichtbar wird, wenn es zu spät ist.
Die deutschen Energieversorger sind inzwischen wirtschaftlich so wackelig, dass sie leichte Beute ausländischer Investoren werden könnten. Ihre Aktien haben noch ein Zehntel des Wertes von vor der Energiewende. Vielleicht wird es ja den Deutschen ergehen, wie einst den Briten. Deren „linke“ Regierung hatte im Jahr 2000 den Energiemarkt dereguliert und die Strompreise reguliert, um die bösen Stromkonzerne zu entmachten. Mit Stromerzeugung war da kein Geld mehr zu verdienen. Zwei Jahre später war British-Energy pleite. Heute gehört die britische Energieversorgung - das einst so stolze Rückgrat der königlich-britischen Industrienation - dem französischen Erbfeind EdF.
In Deutschland tippe ich da eher auf Russland oder China.
Das sind schlechte Nachrichten, zugegeben. Sollten sich einige Leser nun verunsichert fühlen, was durchaus verständlich ist, hier zur Erbauung ein weiterer tiefsinniger Witz meines finnischen Psychologenfreundes:
„Wie heißt die finnische Übersetzung des deutschen Wortes Besserwisser? Na - Besserwisser“.
In diesem Sinne: Onnellista Uutta Vuotta (Frohes neues Jahr)
Autor Manfred Haferburg reist als Experte für Kernkraftsicherheit um die Welt und kennt so viele Atomkraftwerke wie kaum ein anderer Mensch. Bis 1989 gehörte er zur Leitung des größten AKW der DDR (Greifswald) – geriet in Ungnade, wurde von der Partei zum Staatsfeind erklärt und inhaftiert.