Zwei Ergänzungen - George Floyd ist nicht bei der Festnahme gestorben, sondern danach im Krankenhaus. Und er wurde nicht von “weißen Polizisten” festgenommen, sondern von einem Schwarzen, einem Asiaten und zwei Weißen - die Männer heißen Derek Chauvin, Loa Thou, Thomas Lane und J. Alexander Kueng. Der eine der weißen Polizisten gab in seiner Freizeit übrigens Nachilfestunden für somalische Schüler, der andere war mit einer Asiatin verheiratet.
Der Ethnokult macht Sinn, weil er, wie früher im Feudal-, Klassen- und Ständesystem oder im Kastensystem den Identitäten Privilegien aufgrund unveränderbarer fester Merkmale und nicht aufgrund veränderbarer, variabler Leistung verspricht. Die Verlierer der Leistungsgesellschaft wollen so eine “Partizipation” an der Gesellschaft, weil sie “sind” und nicht, weil sie “können”, erreichen. Der Ethnokult ist ein Derivat des altbekannten Marxismus, dessen Leistungsfeindlichkeit (und der daraus folgende Egalitätswunsch) der eigentliche Nukleus derartiger Ideologien ist.
Meines Erachtens ist die Identitätspolitik eine Reaktion auf die knallharte Wettbewerbsgesellschaft der USA. Wer nicht durch Leistung (oder Erbe) zu den Gewinnern zählt, versucht eben, via Opferstatus zu reüssieren. Sei es durch Angehörigkeit zu irgendeiner besonderen Gruppe, sei es durch absurde Schadenersatzklagen. Ist es nicht interessant, dass diese unselige Tendenz auch hier seit der nicht minder unseligen Neoliberalisierung unserer Gesellschaft zunimmt (Ökonomisierung von öffentlicher Verwaltung und Gesundheitswesen, Shareholder-Value, Überbezahlung von Vorständen, Zurschaustellung obszönen Reichtums im Privatfernsehen etc.)? —- Ebenfalls dürfte die in den USA grassierende Opiod-Abhängigkeit ihre Ursache in der zutiefst individualisierten Wettbewerbsgesellschaft finden, in der es quasi kein soziales Netz gibt. The winner takes it all, the loser has to fall ...
Ich sehe auch ein Problem darin, dass die Fokussierung auf Hautfarben oder Herkunft in der politischen Debatte zu Verwerfungen führt. Das demokratische System hat - zumindest dem Anspruch nach - letztlich die Funktion, persönliche Interessen zu kanalisieren, durch Wahlen zu komprimieren und schließlich in Entscheidungsprozessen zu Recht werden zu lassen oder die Leitlinien für die Ermessensausübung durch die Verwaltung zu konstituieren. Am Anfang steht also das Interesse, keine “Haltung”, keine Hautfarbe und so weiter. Mir ist klar, dass das Modell mit der Wirklichkeit in Konkurrenz steht, aber dennoch ist es - aus der bürgerlich-freiheitlichen Sicht - das einzig vernünftige Modell, um Individualinteressen und Gemeinschaftswohl zu synchronisieren, soweit dies möglich ist. Führe ich aber den Parameter “schwarze Hautfarbe” in dieses Modell ein, funktioniert es nicht mehr: Welche gemeinsamen Interessen sollen ein “schwarzer” General der US-Army, ein “schwarzer” Zahnarzt”, ein “schwarzer” Gemüsehändler, ein “schwarzer” Fabrikarbeiter, ein “schwarzer” Drogendealer oder eine “schwarze” Alleinerziehende haben? Allenfalls, nicht als “schwarz” bezeichnet zu werden, wenn sie das als verletzend ansehen, dann dürften aber die Gemeinsamkeiten aufgebraucht sein (wenn überhaupt welche bestehen). Damit wird aber das System, das einen Interessensausgleich zwischen arm und reich, schlau und dumm, fleißig und eher faul, jung und alt und so weiter bezweckt zum Wohle letzter aller, funktionsunfähig. Darauf weist Trump übrigens in seinen Reden immer wieder hin (was geflissentlich bei uns nie erwähnt wird) und genau aus dem Grund, hat er den “antirassistischen” Impetus der Unruhen und Plünderungen nicht angesprochen. Auch Martin Luther-King träumte nicht von einer Hegemonie der Schwarzen über die Weißen oder von Rache für erlittenes Ungemach. In seinem Traum gibt es gar keine Schwarzen und Weißen mehr. Es ist der amerikanische Traum schlechthin und es sieht so aus, als sei er ausgeträumt.
Noch ein Hinweis zum Arteprogramm: Es gibt einen Film über die Geschichte des KuKluxClan. Der wurde nach dem Bürgerkrieg 186x gegründet. Die max Mitliederzahl hatte er in 1920ern (ca 4Mio), war damals aber nicht gewalttätig. In den 1960er war das dann völlig anders. Am Ende des Films hat man wohl ein Stück eingefügt um aktueller zu wirken. Das wirkt so als hätten die gewalttätigen Rassisten unter Trump wieder Oberwasser und man impliziert im Grunde das er selber einer ist. PS Ich werde mir jetzt noch die Beiträge zur Black-Panther-Bewegung ansehen. Die hatten u.a. die Idee Gruppenweise mit Waffen aufzutreten um zB Polizeieinsätze genauer zu beobachten. In einem Bundesstaat in dem das offene Tragen von Waffen erlaubt war. In einer Gruppe wirkt das nur völlig anders besonders dann wenn man den Einsatzkräften relativ nahe kommt.
Bei Arte findet man zZt eine Serie über den Bürgerkrieg in den USA um 1860. Ein Detail dabei: Die Wehrpflicht wurde eingeführt und im Verlauf modifiziert. Wenn man 300$ zahlte oder einen Ersatzmann stellte konnte man befreit werden. Das führte bei jungen ärmeren irischen Einwanderern in New York zu einem Aufstand bei dem auch ein schwarzer gelyncht wurde. Die Männer hatten kein Interesse daran für die Freiheit der Sklaven im Süden zu kämpfen mit denen sie dann zB in New York um die schlechten bezahlten Jobs im Hafen konkurrierten. Die Spaltung ist m.E. schon etwas älter.
Wenn Öffentlichkeit Verschiedenheit und Meinungsvielfalt in Demokratien zu Spaltungen umdeuten, dann ist das entweder gewollte Verblödungserziehung mit Hang zur dikatorischen Homogenität oder schlichtweg Demokratieverständnisdefizit. Hier muss nachgeschult werden, was ich bei derzeitigem Bildungsnotstand eher für einen Jahrhundertauftrag halte.
Bei jedem Thema das heute wichtig ist, sei es Klima, Rassismus, Sexismus usw. ist gleiche Muster zu sehen: Bereitschaft zu sprechen begrenzt auf Beschimpfung, dazu Missbrauch der Sprache und Verdrehung der Fakten, Fokus auf meist extreme Gefühle hilft jede Diskussion zu kippen. Man muss sich zwar mit den Leuten unterhalten damit sie spüren dass nicht jeder den ganzen Unsinn schluckt aber auf Erfolg sollte man nicht hoffen. Wie lange man eine Gesellschaft so zusammenhalten kann, wird sich zeigen.
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