Cora Stephan / 04.11.2013 / 12:34 / 3 / Seite ausdrucken

Die Provinz leuchtet

Was sich geändert hat? Es riecht jetzt anders. Und es klingt anders, dort, wo ich lebe, in der oberhessischen Provinz, am Rande des Vulkans.
Am Anfang war der Schrei: ein langgezogenes „Aaaa-uf!“, mit dem die Nachbarin ihre Milchkühe angetrieben hat, begleitet vom Klatschen des dicken Stocks aus Buchenholz auf den Hintern der trödelnden Tiere. Dazu das Geräusch, das Kuhfladen machen, wenn sie auf Asphalt treffen: so ein kurzer, saftiger Platsch, wie ein zerberstender Apfel. Morgens und abends das gleiche Schauspiel, früh auf die Weide, später zurück zum Melken in den Stall. Das ordnete meinen Tag, wie die Kirchenglocken im Nachbarort.

Den meiner Nachbarin auch: Eine Kuh macht Muh, viele Kühe machen Mühe. Irgendwann trennte sie sich schweren Herzens vom Milchvieh. Statt dessen zogen Schweine in den Stall, der Duft nach Milch und verdautem Gras wich dem scharfen, strengen Gestank von Ammoniak. Und anstelle des satten Rülpsers einer zufrieden mampfenden Milchkuh hört man seither nebenan das empörte Schreien eingesperrter Fleischreserven.
Ja, das Dorf klingt anders, auch, weil Hermann fehlt. Der Hahn, der jeden Morgen bereits um vier verschnupft losgurgelte, ist tot. Ich vermisse ihn. Mehr noch die geschäftigen Hennen, hübsche Zwergwyandotten und prächtige Legehühner, die beste Eier gaben. Erst hat der Nachbar die Kaninchenzucht aufgegeben, danach wurden die Hühner abgeschafft. Und nun mussten auch noch die jubilierenden Kanarienvögel weichen – Hubert hat’s am Knie und ist sowieso nicht mehr der Jüngste.

Frei lebende Singvögel machen sich hier schon lange rar, das verdanken wir den hässlich schnarrenden Elstern. Wenigstens die Greifvögel von der nahen Flussaue rufen noch ab und an kreisend über dem Dorf. Kein Trost sind nächtliche Katergefechte.

Ja, es wird leiser im Dorf. Wenn man die Rasenmäher nicht zählt. Ebenfalls verzichtbar ist das Theater beim frühmorgendliche Abtransport der Schlachtschweine, ein schreckliches Schreien und Trommeln, das den Vegetarier in mir weckt. Doch auch das ist bald vorbei. Dann hört man morgens wahrscheinlich nur noch ein Flugzeug, das Warteschleife fliegt, weil der Frankfurter Flughafen überlastet ist. Oder den Bäckerwagen, der sein Kommen durch lautes Hupen ankündigt, was immer noch erträglicher ist als das fröhliche „Hier kommt der Eiermann“, das erschallt, wenn der Mann mit Wurst und Käse heranbraust. Aber ihm sei verziehen: die Nachbarin, um die neunzig, die jeden Tag wie um die siebzig mit dem Hund durch die Flussaue läuft, kauft lieber bei ihm als im Supermarkt, der ist zwei Dörfer entfernt. Überhaupt, die Alten, von denen es in meinem Dorf übrigens weniger gibt als Kinder: sie werden steinalt hier. Woran das liegt?

Bald hat es hier mehr Pferde als Rinder. Die Gemüsegärten mit den bunten Blumen und Stauden werden weniger. Die Maisfelder nehmen zu. Und nachts sind die Sterne ferner gerückt, seit sie am Horizont wie Weihnachtsbäume stehen und leuchten und leuchten: Windkrafträder, die Feinde der dunklen Nächte. Und des roten Milans und der Zugvögel. Sie sind so bekömmlich für die Natur und die karge Schönheit des Vogelsbergs wie die Monokulturen der Maisfelder.

Und dann ist auch noch Herbst. Äpfel fallen, Nebel wallen. Zeit fürs Kaminfeuer und eine gute Dosis Melancholie mit Hilfe von Schnaps und Statistik: Lasst uns leben hinterm Mond, solange das noch geht. Das Dorf stirbt. Der Untergang ist nah. Aber wir können sagen, wir sind dabei gewesen.

Die Provinz leuchtet nicht, sie lichtet sich, sagen die Zahlen. Erst starben die Dorfkneipen, dann die Tante-Emma-Läden, jetzt sind die erst ein paar Jahrzehnte alten Kläranlagen zu groß für die kleiner werdenden Haushalte, in denen Menschen leben, denen man das Wassersparen beigebracht hat. Das war in unserer Region immer schon unnötig, mittlerweile zerstört es die Kanalisation. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, die alte Hausgrube aufzugeben, um statt dessen die Fäkalien und Abwässer in den Kanal zu leiten? Doch wir mussten, die Ideologie der „Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen“ wollte es so – gleiche Standards für alle, egal, wie unterschiedlich die Lebenslagen sind. Kläranlagen aber verursachen den Kommunen die höchsten Energiekosten.

Ja, die Situation ist da, besonders spürbar in den „neuen“ Bundesländern: die Infrastruktur ist zu groß für die schwindende Bevölkerung; die Kosten bleiben gleich, verteilen sich jedoch auf weniger Nutzer. Das Leben in der Provinz wird teuer. Häuser stehen leer und verfallen, die noch bewohnt sind, verlieren an Wert. Erst recht die in der Nähe von Wind“parks“ und Starkstromleitungen. Wir Letzten vom Land leben in einer Abwärtsspirale. Abreißen oder Umziehen, empfehlen Studien für die besonders betroffenen Regionen.

Also weg mit den Dörfern und dem Landleben? Der freien Wildbahn eine Chance? Irrtum: Die Tierwelt macht es den Menschen nach und zieht in die Stadt. In Berlin stromern Füchse durch die Schrebergärten, in den Parkanlagen von Frankfurt am Main fühlen sich Singvögel wohler als in den agrarischen Monokulturen, die Kaninchen wissen das schon längst und vermehren sich entsprechend.

Die Provinz aber soll zur Stellfläche für Windräder und Biogasanlagen werden, meinen manche, weil das ja gut für die Natur sei, wenn auch nun nicht gerade für jene Schrumpfnatur, die sie umgibt. Der Bauer als Verpächter seiner sauren Wiesen hat es prima damit, von der Pacht lässt sich gut leben und das Schweinefleisch kommt eh billiger aus Dänemark. Das Land überlebt in den nach ihm benannten Zeitschriften, die man vor allem in der Stadt liest, wo viele statt Wetter nur noch klimageregelte Zonen kennen.

Wie in den Science Fiction-Romanen der 70er Jahre wird sich die Provinz irgendwann zum feindlichen Draußen wandeln, zur hässlichen Versorgungswüste für den Energiebedarf der Städte. Aber ganz wie im Roman werden auch sie irgendwann kommen, die Unpassenden, die Freaks, die Stadtflüchtlinge, die sich in den Nischen der Zivilisation ihr eigenes Paradies suchen. Es hat sie immer gegeben.

Kein Trend ist unumkehrbar. Immer wieder gab es Gegenbewegungen zum Zug in die Metropolen, suchen Städter Ruhe und geräumige Fachwerkscheunen und entdecken die Kunst des Gartenbaus neu. Stets wird irgendwann der Wert des Alten wiederentdeckt, weil es Charakter hat und beständiger ist als die Wegwerfarchitektur der Lebensabschnittshülsen in den Wohnstädten.
Wir werden ja sehen. Wir Letzten.

Siehe auch bLogisch

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Dr. Gerd Brosowski / 05.11.2013

Der Statistik nach bin ich ein typischer Vorstädter: In 17 km Entfernung liegt mitten in der Großstadt meine frühere Arbeitstelle, an der ich 40 Jahre lang tätig war. Dem gängigen Vorurteil nach war ich einer von Millionen Pendler, Landschaftszersiedler, Luft-mit-Abgasen-Verpester, Feierabenddörfler. Wenn da nicht mein Bauerngarten außerhalb der Siedlung wäre, den ich seit Jahrzehnten pflege. Mit Spaten, Hacke, Gießkanne, das Wasser aus einem vorbeifließenden Bach schöpfend, die den Garten umgebende Wiese nach alter Väter Sitte mit der Hand mähend.  Wenn da nicht die Pferdkoppel wäre, die an mein Gartengrundstück grenzt; die drei Pferde sind dankbare Abnehmer des von mir gemähten Grases, ich kann ihren Mist verwerten. Und alle zusammen erhalten wir ein Stück Kulturlandschaft, das ohne uns längst verkommen und verwildert oder eben vermaist wäre. Warum ich das tue? Ein paar Motive: Die Gartenarbeit ist ein herrlicher Sport; warum soll ich im Fitness-Studio einen Haufen Eisen unnötigerweise in die Luft heben, wenn ich statt dessen Kartoffeln ausbuddeln kann? Und ist der Bewegungsablauf beim Mähen nicht viel eleganter als die Verrenkungen, die beim Golfspielen zu sehen sind? Schließlich: Kartoffeln diskutieren nicht. Inzwischen bin ich Rentner und sammle im Herbst die Äpfel und Nüsse von den Bäumen ein, die ich als junger Mann gepflanzt habe. Die Bäume sind noch im vollen Jugendalter, mit mir geht es bergab. Jedes Lebewesen hat seine eigene Zeit: Auch das sollte man erleben, nicht nur lesen. Und so weiter… Sie haben ja so recht, Frau Dr. Stephan: Zu jedem Trend gibt es eine Gegenbewegung. Nur nicht verzagen!

Heike Müller / 04.11.2013

Natürlich hat sich das Landleben verändert, so wie sich alles ständig ändert. Das Land schrumpft, seit immer weniger Kinder geboren werden und in den Dörfern keine Arbeit mehr ist. Denn wo sind sie hin, die Stellmacher, Tischler, Schneider, Weber, Schlosser? Es sind nicht nur die Landwirte, die weniger werden und dafür größere Höfe bewirtschaften. Man kann dies beklagen, aber es wird nicht helfen. Letzten Endes ist jegliche Produktion der Effizienz unterworfen und muss der Entwicklung der Produktivkräfte folgen. Oder schreiben Sie heute noch mit dem Federhalter und schicken Ihre Artikel per reitenden Boten in die Redaktion? Auch wir Bauern bedienen uns der Hightec und wollen nicht mehr so leben wie Ihre Nachbarin mit den Kühen oder unsere eigenen Eltern vor 40 Jahren. Also wachsen unsere Höfe, damit sich der Einsatz von moderner Technik rechnet. Gleichzeitig sinkt dadurch der Einsatz von Ressourcen, kann effizienter gedüngt oder Pflanzenschutzmittel gespritzt werden. Viele von uns, gerade von uns Frauen, bewirtschaften noch unsere großen Bauerngärten und sorgen damit für Artenvielfalt. Das ist unser Luxus und wir genießen das. Aber wir müssen davon nicht leben. Übrigens wird die LandLust durchaus auch von Bäuerinnen gelesen :-). Aber wir wissen, dass die dort dargestellte heile Welt nur einen winzigen Teil der Realität abbildet :-)

Franz Roth / 04.11.2013

Na, Frau Stephan, auch der Mär von der Elster als Singvogelkiller aufgesessen? Ist nicht so, gesunden Singvogelpopulation machen die paar Eier oder Jungvögel, die der Allesfresser Elster klaut, rein garnix aus. Schädlicher sind die Monokulturen und beseitigten Feldgehölze als Brutplätze. Und die Gärtner, die es gerne “ordentlich” haben und garnicht genug Hecken trimmen können.

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