Roger Letsch / 11.10.2022 / 06:15 / Foto: Pixabay / 109 / Seite ausdrucken

Die Physik wurde abgewählt

Für Niedersachsen bedeutet der Wahlausgang eine stärkere Gängelung der Landwirtschaft und noch mehr Windrädchen. Die prekäre Energiepolitik wird weiter fortgesetzt. Was soll man davon halten?

Nichts liegt mir ferner, als jemanden davon abzuhalten, zur Wahl zu gehen. Doch weigere ich mich aus Prinzip, Wahlempfehlungen abzugeben, und diesbezügliche Nachfragen von Freunden beantworte ich meist ausweichend. Irgendwie muss ich aber einen schlechten Einfluss auf meine Umgebung haben, denn jeder ist eifrig bemüht, mir zu versichern, dass man selbstredend niemals die Grünen wählen werde! Und weil meine Nachfrage, welche der vielen grünen Parteien gemeint sei, nur Verwirrung stiftet, lasse ich es meist gleich bleiben mit der Ironie. Mach, was du willst, Freund, es ändert ohnehin nichts. Ich bin, meine Leser wissen es, mit der Gesamtsituation unzufrieden.

Dass sich die Grünen mit ihren 14,5 Prozent in Niedersachsen gerade als Wahlsieger gerieren, sieht auf den ersten Blick nach Größenwahn aus, ist auf den zweiten Blick jedoch völlig korrekt. Denn die politische Agenda wird in den nächsten fünf Jahren von eben dieser Partei gesetzt werden. Für das Kernkraftwerk Emsland etwa sieht es jetzt noch düsterer aus als vor der Wahl ohnehin schon. Noch grundsätzlicher dürfte für die neue Landesregierung jedoch das Beharren auf dem „Nein“ zur Gasförderung in Niedersachsen ausfallen.

Ich würde einen Batzen Zentralbankgeld darauf wetten, dass auf der Angebotsseite der Energieversorgung Entspannung nicht mal mehr denkbar ist, weil kein Befehl Habecks die Ablehnung des Landes zum Fracking überstimmen könnte. Ganz abgesehen davon, dass kein Unternehmen so selbstmörderisch sein wird, unter dem Damoklesschwert grüner Dekarbonisierungspläne Investitionen in Bereichen zu tätigen, die zum baldigen Abschuss freigegeben sind. Kohle, Gas und Atom sind in Niedersachsen seit Sonntag zum Tode verurteilt, denn weitere fünf Jahre auf diesem Pfad sind nun gewiss. Wobei schon in wenigen Wochen oder Monaten die Klippen erreicht sein könnten.

Deutschland und die absolute Idee

Von Friedrich Sieburg, dem man seine zeitweilig geistige Nähe zum NS-Regime nicht verzeihen muss, um ihn dennoch für einen der letzten großen Stilisten der deutschen Sprache zu halten, stammt folgender schaurige Satz: „Ein Volk muss von Zeit zu Zeit der Absolutheit einer Idee unterworfen werden.“ Er schrieb dies 1935 in seinem Buch „Robespierre“ und hatte dabei neben dem Terror der Jakobiner sicher im Sinn, dass Deutschland sich zu dieser Zeit selbst gerade mal wieder im Würgegriff einer solchen „absoluten Idee“ befand. Bedenkt man den Ausgang der Französischen Revolution und den des Dritten Reiches, besteht kein Zweifel an der Gefahr jeder solcher absoluten Ideen. Ebenso daran, dass sich Deutschland – das wohl besonders anfällig zu sein scheint für den Absolutismus – längst wieder einer solchen Idee unterworfen hat. Nach der braunen und roten Idee folgt dieses Land nun der grünen und wird dies bis in den nächsten Untergang weiter tun.

Führen ohne Machtergreifung

Verblüfft wird festgestellt, dass die „Abstrafung“ der Berliner Ampel zwar in Niedersachsen die SPD reduziert und die FDP halbiert hat, die Grünen, die ja auch Teil der Ampel sind, jedoch Zugewinne verzeichnen konnten. Und dies, obwohl es die grüne Energiepolitik ist, deren Folgen dieses Land gerade in Form von Deindustrialisierung und Energiemangel an den Rand des Abgrundes treibt. Und doch halten die Wahl-Lemminge offenbar an der Vorstellung fest, dass es nicht die Grünen sind, die die Politik maßgeblich gestalten. Stellt nicht die SPD den Kanzler wie auch den Ministerpräsidenten von Niedersachen? Ist nicht die SPD die Partei der kleinen Leute, der Arbeit und des sozialen Ausgleichs? Die durchgrünte Politik der Genossen ist jedoch Gift für alles, wofür die SPD einst stand, und selbst die gerade anrollende massenweise Vernichtung von Arbeitsplätzen weckt die alten Reflexe nicht mehr. Müde wie die Gewerkschaften sehen die Genossen dem grünen Treiben tatenlos zu und nicken eifrig ab, was in grünen Oberstübchen ausgebrütet wird. Die Hellgrünen exekutieren die Politik der Dunkelgrünen, und wenn es schief geht, waren die Hellgrünen eben nicht grün genug.

Unterdessen arbeitet sich ein anderer Grüner, der Oppositionsführer und Vorsitzende der noch etwas hellgrüneren CDU, an der Restopposition ab. Dabei geht die von ihm richtig prognostizierte Destabilisierung der Demokratie nicht von den Schwefelbuben aus, die auch mit 10 oder 20 Prozent noch politisch bedeutungs- und einflusslos bleiben werden, sondern von den Grünen und ihrem Kampf gegen die Physik.

Unfähigkeit zur überlebenswichtigen politischen Kurskorrektur

Für Niedersachsen bedeutet der Wahlausgang eine stärkere Gängelung der Landwirtschaft und noch mehr Windrädchen. Für Deutschland die vielleicht letzte Chance verpasst zu haben, das Ruder in Sachen Energiesicherheit noch einmal herumzureißen. Und für die Demokratie ganz allgemein? Churchill wird die Aussage zugesprochen, dass die Demokratie die schlechteste aller Regierungsformen sei – mit Ausnahme aller anderen, die noch schlechter seien. Die offensichtliche Unfähigkeit, in diesem Land mittels demokratischer Wahlen vor der Klippe halt zu machen und überlebenswichtige politische Kurskorrekturen zu vollziehen, lässt mich jedoch vermuten, dass sich Deutschland bereits in einer Art Spätphase der Demokratie und im Übergang zu etwas anderem befindet. Hier einige Merkmale, die ich vorsichtig als Thesen bezeichnen möchte.

1) Statt das Mittel zur Herstellung von Repräsentation zu sein, dient Demokratie in ihrer aktuellen Ausprägung dazu, der Exekutive einen Blankoscheck der Rechtfertigung und dem Wähler ein Blankoverbot prinzipieller Kritik zu verschaffen.

2) Deshalb ist eine Wahl auch nicht der Anfang einer Legislative, sondern das vorweggenommene Ende derselben.

3) Das Ergebnis von Wahlen ist somit keine Legislative im eigentlichen Sinne, sondern die Sicherstellung der Legitimität von Machtausübung.

4) Das „gewählt worden sein“ in dieser… nennen wir es „späten Demokratie“ entbindet von jeder Haftung und Verantwortung und ähnelt somit eher dem „auserwählt sein“ monarchischer Tradition.

5) Dies korreliert auffallend mit dem Wegfall jedes meritokratischen Prinzips, das durch ideologische „Abstammung“, also durch Gesinnung und Treue zur absolutistischen Idee, ersetzt wird.

6) Wo zur Herstellung von Legitimität die Gesinnung nicht genügt, wird – ähnlich wie in der Monarchie – eine der Masse nicht zugängliche Instanz bemüht. Die Monarchie bezog sich hierzu auf Gott, die „späte Demokratie“ bezieht sich auf „die Wissenschaft“.

Ich kann weder sagen, dass mir gefällt, was sich da entwickelt, noch weiß ich, ob meine Thesen das Problem überhaupt richtig erfassen. Es sind meine Beobachtungen, Andere mögen zu anderen kommen. Doch finde ich es auffallend, dass es der deutschen Politik nie an Legitimierung mangelt. Die lässt sich durch Wahlen immer noch mühelos herstellen – wenn man mal von Berlin absieht. Jedoch kommt durch Wahlen offenbar keine Kompetenz mehr zustande, die Probleme des Landes zu lösen, und weil in der Politik nichts ohne einen Zweck geschieht, muss dieser ein verborgener sein, der im Grundgesetz jedenfalls nicht zu finden ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Heiko Stadler / 11.10.2022

Ich kenne ein Rentnerehepaar (Frührentner), das aufgrund der gestiegenen Gas- und Lebensmittelpreise vor dem finanziellen Ruin steht. Was wählen sie? Natürlich die Grünen, weil sie hoffen, dass die Grünen den wenigen Leuten, die noch einer ehrlichen Arbeit nachgehen, den Krieg erklären und ihnen den letzten Cent aus der Tasche ziehen, um die Beute großzügig an Faulenzer, Drückeberger und Frührentner zu verteilen.

Dr. Joachim Lucas / 11.10.2022

Ich kann Ihnen auch nicht sagen, was mit den Deutschen los ist. Und das alles, nach so vielen totalitären Erfahrungen. Es ist der Absolutheitsglaube einer Idee, nur schwarz oder weiß, alles oder nichts, das Pachten von Wahrheit.  Keine Kompromisse, wenn man die Wahrheit besitzt. Das Hochjazzen sämtlicher Alltagsthemen zur Glaubensfrage. Das zieht sich durch ALLE Themen der Linksgrünen. Und über allem der typisch deutsche Endzeitmythos und das retten müssen der Welt. Im übrigen hat Sieburg Robbespierre eine unfranzösiche Erscheinung genannt, da lateinische Länder in der Regel für solche Totalitarismen nicht anfällig sind. Diese absurde religiöse Glaubenslehre der “Energiewende” bricht Deutschland das Genick auf viele, viele Jahre. Am Ende will es keiner gewesen sein, konnte man ja nicht wissen, ham wir nicht gewollt, man hat uns doch versichert, dass….

Frank Mora / 11.10.2022

Niedersachsen kann nichts passieren! Wie sagte doch Herr Weil im Wahklampf: “Wir in Niedersachsen sehen einer Energieknappheit gelassen entgegen. Schließlich kommen die Erdgasleitungen aus Norwegen und Holland in Niedersachsen an.” Kann man eigentlich nicht fehlinterpretieren. Ob es für den Rest von D reicht? Für uns schon! Populismus ist das beim Minusdreikommafünfprozentmann natürlich nicht.

Armin Reichert / 11.10.2022

Was man davon halten soll? Nun, dass 90% der Wähler linientreue Trottel sind.

S. Andersson / 11.10.2022

Hab ich wieder mal etwas verpasst?—->die Grünen mit ihren 14,5 Prozent von 100% der Wahlberechtigten oder von den 60% die zur Wahl gegangen sind. Egal, es gibt schon lange keine Partei mehr die es in meinen Augen geschafft hat durch eine Wahl BEAUFTRAGT zu sein dem D Volk Schaden zu zu fügen. Mir ist es, wie so vielen anderen sicher auch, total egal welcher Vorturner in der Politk an oberster Stelle steht. Das EINZIGE was interessant ist, das zum WOHLE DES VOLKES gearbeitet wird. Dieses WOHL suche ich seit Jahren, gefunden hab ich das bis heute nicht. Das einzige was die Polit-Genossen gut können sind Gesetze und Verordnungen noch und noch zu generieren um aus dem Urnenpöbel noch mehr Steuern und Abgaben zu erzwingen. Das ist ganz klar nicht zum WOHLE des Volkes. Ich bin mir auch nicht sicher ob Michel & Micheline wissen das die geschätzten 18 Mio das Geld erwirtschaften müssen was die Politgenossen da raus hauen. Das das nicht funktionieren kann und die nächsten Generationen damit belastet werden ist auch nicht zum WOHLE des Volkes. Stellt sich wieder die Frage—-> was ist es was die zum Wohle des Volkes bisher auf die Reihe bekommen haben??

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Roger Letsch / 02.05.2024 / 06:10 / 64

USA: Ein Trump-Attentat-Förderungsgesetz

In ihrem Furor gegen den amerikanischen Ex- und möglicherweise Zukunfts-Präsidenten Donald Trump ziehen seine politischen Gegner mittlerweile sämtliche Register – bis dahin, seine körperliche Unversehrtheit…/ mehr

Roger Letsch / 24.04.2024 / 12:00 / 58

Meuterer auf der Energiewende-Bounty

Es wird viel über den Rückbau der Gasnetze diskutiert. Bei den Kostenbetrachtungen wird aber meist vergessen: Wenn die eine Infrastruktur rückgebaut wird, muss eine andere her,…/ mehr

Roger Letsch / 01.04.2024 / 12:00 / 58

Der große Lastenfahrrad-Test

Der Versuch einer Jugendgruppe, die nachhaltige Kaffeeversorgung der Kreisstadt Eberswalde per Lastenfahrrad-Ferntransport sicherzustellen, führte zu aufschlussreichen Erkenntnissen. Wir leben in aufregenden Zeiten, denn dank unserer…/ mehr

Roger Letsch / 27.03.2024 / 06:00 / 81

Die „Young Leaders“ werden vom Himmel geholt

In den letzten Jahren brillierten im Westen junge, aktivistische Politiker mit woker Superkraft. Nun disqualifiziert sich einer nach dem anderen selbst. In vielen westlichen Staaten…/ mehr

Roger Letsch / 11.03.2024 / 06:00 / 89

Das Phänomen Trump und die deutsche Angst

Er ist wieder da! Und in Deutschland zittern die Medienschaffenden beim Gedanken an Donald Trumps Rückkehr an die Macht. Das Grinsen von Heusgen und Maas bei der…/ mehr

Roger Letsch / 07.03.2024 / 06:00 / 55

Wer die Demokratie wirklich rettet

Demokraten-Darsteller versuchen, die Demokratie mit undemokratischen Mitteln zu retten. Doch Gerichte und Institutionen wachen langsam auf – vom Supreme Court in USA bis zum Wissenschaftlichen Dienst des…/ mehr

Roger Letsch / 05.03.2024 / 16:00 / 7

Die schiefe Verachtung nach unten

Alexander Wendt analysiert in seinem neuen Buch die Entwicklung des Kulturkampfes und zeigt auf, wie man sich dagegen wehren kann. Das macht fast ein bisschen optimistisch.…/ mehr

Roger Letsch / 20.02.2024 / 14:00 / 33

Die Risiken und Nebenwirkungen des Trump-Urteils

In New York ist Donald Trump zu einer bemerkenswert hohen Strafzahlung verurteilt worden. In dem Eifer, Trump zu schaden, riskieren die Akteure eine verhängnisvolle Entwicklung.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com