„Wie die Geier stürzen sich viele auf die reißerischen Schlagzeilen der Boulevardpresse, um sich dann über die schamlosen Übertreibungen und Verleumdungen zu entrüsten“, urteilt die Sozialpädagogin Helga Schäferling. Da sitzen sie nun und warten, dass etwas passiert. Tag für Tag. Nein, ich meine nicht die Zeitungsleser, die auch, aber die kommen später. Ich meine die Journalisten. Und wenn etwas passiert, dann stürzen sie sich darauf und zerreißen es. In beidem – im Warten und im Zerreißen – Geiern und Hyänen nicht unähnlich. Ab und zu erlegen sie auch selber etwas, darin nur mit der Tüpfelhyäne verwandt. Das nennen sie dann mit sichtlicher Befriedigung investigativen Journalismus. Alle übrigen sind Aasfresser. Leben von dem, was andere zur Strecke gebracht haben.
Was erlaube ich mir, so über die „vierte Gewalt“ zu reden, über die Angehörigen der verfassungsrechtlich geschützten Presse? Über das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das diese Bezeichnung wie eine Monstranz vor sich her trägt. Ausgerechnet ein ehemaliger Beamter, der sich in gesicherter Position jahrzehntelang den Arsch platt gesessen hat und jetzt von einer üppigen Pension zehrt. Eine Unverschämtheit.
Zugegeben. Doch Unverschämtheiten kann man nur mit gleicher Münze heimzahlen. Und auch das ist noch schwer genug. Denn sie ist mächtig, die Journaille. Und deshalb hat sie auch mächtige Paten. Mit Politikern lebt sie in einer Art Symbiose: Versorgst du mich mit Informationen, berichte ich auch über dich. Natürlich nicht immer positiv. Das würde auffallen. Aber jeder weiß ja: Eine schlechte Presse ist besser als gar keine. Wenn die Presse einen totschweigt, ist man politisch so gut wie tot. Das halten nur wenige aus.
Oswald Spengler (1880-1936, „Der Untergang des Abendlandes“) hat es auf den Punkt gebracht:
„Es ist jedem erlaubt, zu sagen, was er will; aber es steht der Presse frei, davon Kenntnis zu nehmen oder nicht. Sie kann jede Wahrheit zum Tode verurteilen, indem sie ihre Vermittlung an die Welt nicht übernimmt. Es ist die furchtbare Zensur des Schweigens, die umso allmächtiger ist, als die Sklavenmasse der Zeitungsleser ihr Vorhandensein gar nicht bemerkt.... An die Stelle der Scheiterhaufen tritt das große Schweigen. Hier erfahren die Leserscharen nur noch, was sie wissen sollen. Das ist das Ende der Demokratie.“
Ergänzend dazu erfährt man von Ernst Probst , deutscher Schriftsteller und Verleger, jemandem also, der es wissen muss: „Demokratie ist in vielen Redaktionen ein Fremdwort“. Und Marie von Ebner-Eschenbach (1830 - 1916) hat erkannt: „Ihr jubelt über die Macht der Presse – graut euch nie vor ihrer Tyrannei?“ Und so geht es immer weiter. Die Zahl der Aussagen über die Presse wird allenfalls noch von denen über die Liebe übertroffen. Na, wenigstens etwas.
"Der natürliche Feind der Sprache ist der Journalist"
Schauen wir uns doch mal eine kleine Auswahl von Zitaten an (aus Gründen der Lesbarkeit verzichte ich auf Anführungszeichen und Fundstellen):
In früheren Zeiten bediente man sich der Folter. Heutzutage bedient man sich der Presse. Das ist gewiss ein Fortschritt. Aber es ist auch ein großes Übel; es schädigt und demoralisiert uns (Oscar Wilde 1854-1900).
Besonders abfällig hat Friedrich Nietzsche (1844-1900) sich über die Presse geäußert:
Mit Zeitungen, selbst den wohlgemeintesten, kann und darf ich mich nicht einlassen: - ein Attentat auf das gesamte moderne Pressewesen liegt im Bereiche meiner zukünftigen Aufgaben. „Schweinedeutsch - Verzeihung, Zeitungsdeutsch“, giftete er.
Besonders das Feuilleton tut sich da auch heute noch hervor, wenn dort jemand „schwurbelt“, aus einer „abgefuckten“ Gegend kommt oder „fluffig“ ist.
Wie sagt doch der Satiriker Wiglaf Droste so treffend: Der natürliche Feind der Sprache ist der Journalist.
Tja, das Feuilleton, was ist das eigentlich? Der Schweizer Dramatiker Wilhelm Lichtenberg (1892-1960) weiß die Antwort: Feuilleton ist das, worin man in sechs Zeitungsspalten sagt, was man mit einem einzigen Satz für sich behalten sollte.
Und dann gibt es noch, wie schon angedeutet, die Leser, die sich ebenfalls wie die Geier auf jede Sensation stürzen. Wenn sie sich schon nicht als Gaffer vor Ort betätigen können, denn wenigstens am Frühstückstisch, wie bereits Wilhelm Busch (1832-1908) spöttelte:
Ach, die sittenlose Presse!
Tut sie nicht in früher Stund
all die sündlichen Exzesse
schon den Bürgersleuten kund?!
Was den Wiener Musiker und Feuilletonist Otto Weiss (1849-1915) zu der Frage veranlasst: Wer ist tadelnswerter: der Herausgeber eines Skandalblattes – oder die Leser eines Skandalblattes?
In der Tat: Wenn niemand das Blatt läse, existierte es auch nicht, wie ich während einer Zugfahrt einer Dame darlegte, die sich über die vielen Sexgeschichten in der Regenbogenpresse echauffierte. Sie war danach ziemlich verstimmt. Ich verzichtete deshalb darauf, ihr auch noch die kleine Anekdote von Denis Diderot (1713-1784) zu erzählen, der auf die Bemerkung einer Dame, dass in seiner „Encyclopédie“ auch etliche Artikel anzüglichen Inhalts stünden, mit verständnisvollem Lächeln sagte: „Sie haben danach gesucht, Madame?“
Woher kommt eigentlich diese Abneigung?
Doch wenden wir uns wieder der ernsteren Seite dieses ernsten Problems zu. Woher kommt eigentlich diese Abneigung, ja geradezu der Hass gegen Presse und Journalisten, die ja schon sehr alt ist? Christian Morgenstern (1871-1914) antwortet:
Die Zeitungen hass' ich allermeist:
Sie schwächen, sie verfaden den Geist.
Es ist, als ob man täglich speise
gemischten Salat "auf polnische Weise"
oder - was noch schlimmer als dies –
man hörte täglich Potpourris.
Der einz'ge Trost, dass wir nicht sehn,
wie diese Hochgenüsse entstehn.
Und vor ihm kritisierte schon der katholischer Bischof von Mainz Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler (1811-1877), übrigens ein Gegner der Unfehlbarkeitserklärung des 1. Vatikanischen Konzils:
"Der Einfluss der Presse auf die Entwicklung aller Verhältnisse der Gegenwart, auf die Denkweise und Gesinnung der Menschen ist unermesslich und fortwährend im Wachsen. Ihr Lob ist vielfach für Volksvertreter und Staatsmänner der höchste Lohn, ihr Tadel das größte Unglück".
Im Verhältnis von Journalist und Politiker spielt das Interview eine besondere Rolle, das Ambrose Bierce (1842-1914, „Des Teufels Wörterbuch“) so definiert hat: "im Zeitungswesen eine Beichte, bei der abgefeimte Unverschämtheit törichter Eitelkeit und Ruhmsucht das Ohr leiht".
Bei Wissenschaftlern läuft oder besser gesagt lief das etwas anders, wie Albert Einstein (1879-1955) uns verrät: "Die Reporter stellten ausgesucht blöde Fragen, die ich mit billigen Scherzen beantwortete, die mit Begeisterung aufgenommen wurden".
Ein besonderes Ärgernis ist der häufig zweifelhafte Wahrheitsgehalt von Zeitungsmeldungen. Schon Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) witzelte:
"Ich habe mir die Zeitungen vom vorigen Jahr binden lassen. Es ist unbeschreiblich, was für eine Lektüre das ist: 50 Teile falsche Hoffnungen, 47 Teile falsche Prophezeiungen und 3 Teile Wahrheit. Diese Lektüre hat bei mir die Zeitungen von diesem Jahr herabgesetzt; denn ich denke: Was diese sind, das waren jene auch".
Und der „deutsche Gebrauchsphilosoph und Abreißkalenderverleger“ Klaus Klages (*1938) legt nach: "Wenn eine Zeitung jede Falschmeldung berichtigen müsste, wäre kein Platz mehr für Anzeigen".
Warum funktioniert das alles trotzdem? Ganz einfach: Zeitungsleser sind Menschen, die soweit erwachsen sind, dass sie am Storch zweifeln, aber jede Ente glauben, wie ein Unbekannter es formuliert hat (Ente = Falschmeldung in einer Zeitung).
Tabakrauchen verdirbt die Tapeten, Zeitunglesen den Charakter, hat uns Gustav Freytag (1816-1895) hinterlassen.
Aber wenn das alles so schrecklich ist, warum garantieren dann alle demokratischen Verfassungen die Pressefreiheit? Hierauf antwortet der Journalist Carl Ludwig Börne (1786-1837): "Nur die Freiheit des Preßbengels kann gegen die Frechheit des Volksbengels schützen". Heute verleiht die Ludwig-Börne-Stiftung jährlich den Ludwig-Börne-Preis, der deutschsprachige Autoren ehren soll, die im Bereich des Essays, der Kritik und der Reportage Hervorragendes geleistet haben. Die Preissumme beträgt 20.000 Euro. Auch der hochgeschätzte Henryk M. Broder ist unter den Preisträgern (2007), hat ihn aber offenbar wieder zurückgegeben. Begründung: „Ich will keinem Zirkel angehören, der am 16. Juni auch Peter Sloterdijk ehren wird. Der Philosoph hat nach den Anschlägen von „9/11“ den Terror und Massenmord klein geredet.“ Hat allerdings leider nichts geholfen: Sloterdijk hat den Preis (2013) trotzdem bekommen.
Der französische Journalist und Politiker Louis Terrenoire (1908-1992) drückte es so aus: Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewissen Leuten die Freiheit genommen wird, alles zu tun.
Was Churchill über die Demokratie gesagt hat, gilt mutatis mutandis auch für die Pressefreiheit: “democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.”
Wegen dieser „Wächterfunktion” der Presse stöhnte ein Herrscher wie Napoleon I. (1769-1821): Ich fürchte drei Zeitungen mehr als hundert Bajonette.
Es ist eben nichts ideal auf der Welt: Ohne Presse wäre es furchtbar, mit Presse ist es dies auch – allerdings vermutlich nicht ganz so furchtbar wie ohne.