Peter Grimm / 30.09.2020 / 06:17 / Foto: Pixabay / 191 / Seite ausdrucken

Merkel und die Verschärfungs-Verweigerer

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Vorfeld ihre Erwartungen schon klar kommuniziert und die Öffentlichkeit darauf vorbereitet: Es müsse schärfere Regeln im Corona-Ausnahmezustand geben, sonst würden zu Weihnachten gigantische Infektions-Zahlen drohen. Jeder erfuhr, dass im Eckpunktepapier des Kanzleramts klare Erwartungen an einheitliche Regeln formuliert waren: Es solle eine Obergrenze für private Feiern auch in Privaträumen von 25 Teilnehmern geben, neben verbindlichen Obergrenzen für Veranstaltungen im öffentlichen bzw. gemieteten Raum. Außerdem müsse mit einem Bußgeld von mindestens 50 Euro belegt werden, wer in den Listen in Gastwirtschaften falsche Angaben zur Person macht oder sich gar nicht registriert. Außerdem war klar, dass - nach Münchner Vorbild - mehr Maskenpflichten im Freien ebenso erwünscht sind wie Alkoholverbote.

Wer sich dann gestern um 19.00 Uhr im ZDF die heute-Nachrichten anschaute, der bekam den Eindruck vermittelt, dass es den einheitlichen Beschluss zum Bußgeld für Falschangaben gab und für Feiern im öffentlichen bzw. gemieteten Raum die einheitliche Obergrenze von 50 Personen. Die 25-Personen-Grenze für daheim blieb aber lediglich eine Empfehlung. 

Die Kanzlerin erklärte, um abzusichern, dass die richtigen Namen in die Listen in den Gastwirtschaften eingetragen würden, müssten eben einfach auch mal die Ausweise kontrolliert werden. Wer diese vielen Ausweiskontrollen übernehmen solle, blieb etwas unklar.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, fasste sein Credo so zusammen: „Bei jeder Steigerung gilt der Grundsatz: mehr Maske, weniger Alkohol und kleinere Feiern“. Also hat sich die Bundeskanzlerin mit allem, außer der Obergrenze bei privaten Feiern, durchgesetzt? Sind diese Maßnahmen jetzt in allen Ländern allgemeinverbindlich? Bei der letzten derartigen Runde hatte sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff doch dem Bußgeld bei Maskenpflicht-Verstößen widersetzt. Wie war das jetzt? Die 19-Uhr-Nachrichten des ZDF beantworteten diese Frage nicht. 

Der Dritte verweigert sich nur ein bisschen

Vielleicht ist Mainz auch einfach zu weit weg von den widerspenstigen Landesteilen im Osten, so dass die dortigen Redakteure gar nicht wussten, dass es in Sachsen die Pflicht zur Personalienregistrierung in Gaststätten bislang gar nicht gibt und dass selbige in Sachsen-Anhalt am 17. September abgeschafft wurde. Sind die CDU-Ministerpräsidenten Kretschmer und Haseloff, die beide ihre Ländern in Koalition mit SPD und Grünen regieren, nun eingeknickt und haben selbige Pflichten in ihren Ländern wieder eingeführt? Mitnichten. Nur kann es doch kein einheitliches Bußgeld für ein Delikt geben, das man in den beiden Ländern gar nicht begehen kann. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hatte im Vorfeld auch versprochen, dass es für die Bewohner seines Freistaats keine weiteren Verschärfungen geben werde.

Was man im ZDF nicht erfuhr, konnte der regionale MDR natürlich nicht unterschlagen. Hier erfuhren die Zuschauer der Hauptnachrichtensendung MDR-aktuell von der Verschärfungs-Verweigerung der mitteldeutschen Ministerpräsidenten. Während Sachsen und Sachsen-Anhalt - wie beschrieben - weiterhin keine Registrierungspflichten in der Gastronomie verhängten, ließ der Thüringer linke Ministerpräsident Bodo Ramelow verlauten, dass er die Gastwirte nicht zwingen werde, in ihrer Gastwirtschaft Ausweise zu kontrollieren. So wird es bei vielen Phantasienamen in den Listen bleiben. Eigentlich könnte er dann - ebenso wie seine Kollegen in Dresden und Magdeburg - auf die Gästelisten-Pflicht ganz verzichten. Doch einen solchen Affront gegenüber der Kanzlerin will Genosse Ramelow offenbar vermeiden. Vielleicht aus Dankbarkeit, denn sie war es schließlich, die dekretierte, dass die Ministerpräsidentenwahl vom 5. Februar, bei der er dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich unterlag, rückgängig gemacht werden müsse. Und ohne ihr Zutun wäre auch die Thüringer CDU kaum bereit gewesen, ihm anschließend wieder ins Amt zu verhelfen. Um die seinerzeit vereinbarten Neuwahlen im nächsten Frühjahr ist es irgendwie seltsam still geworden. Oder bekommt man das außerhalb Thüringens nur nicht richtig mit?

Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass Mitteldeutschland zu einem Hort der Verschärfungsverweigerer geworden ist. Begründet wird dieser Weg des eingeschränkten Ausnahmezustands gern mit der geringeren Zahl positiver Corona-Testergebnisse. Mit dieser Begründung wird immerhin das Narrativ des Corona-Ausnahmezustands nicht beschädigt. Allerdings sorgt es dennoch für Unmut bei den Ausnahmezustandsplanern. Die Kanzlerin ist bekanntlich eine Freundin der Alternativlosigkeit. Dass neben Ländern mit scharfen Gängelungen Gemeinwesen mit lockeren Regeln existieren, die vielleicht beweisen, dass dies nicht zu Seuchenausbrüchen führt, kann schließlich die Autorität der unter der Corona-Flagge autoritär Regierenden spürbar beschädigen. 

Ausbremsen des Ausnahmezustands

Die mitteldeutschen Ministerpräsidenten sind dennoch offenbar nicht zur vollständigen Unterwerfung unter die Kanzlerinnen-Linie bereit. Sie wissen einfach sehr genau, wie unpopulär der Corona-Ausnahmezustand im Osten ist. Wenn sich der Staat autoritär und vormundschaftlich gibt und ins Privatleben hinein regiert, dann weckt das oft auch bei denen ungute Erinnerungen, die weit davon entfernt sind, die heutigen Zustände mit denen in der DDR zu vergleichen. Vor allem dann, wenn regierende Politiker im Ausnahmezustand nicht stets dessen Notwendigkeit begründen und vorläufigen Charakter versprechen, sondern stattdessen eine „neue Normalität“ ausrufen.

Dieser Reflex ist im Osten in allen politischen Lagern verbreitet, trotz des gern gepflegten Medienbildes, dass Kritiker des Corona-Ausnahmezustands in die rechte Ecke gehören. Für mitteldeutschen Ministerpräsidenten kann das Ausbremsen des Ausnahmezustands möglicherweise eine Frage des eigenen politischen Überlebens sein. In Sachsen-Anhalt wird im nächsten Jahr regulär gewählt, in Thüringen waren für das Frühjahr Neuwahlen vereinbart und ob die sächsische Koalition wirklich bis zum Ende der Legislaturperiode hält, ist auch nicht ausgemacht. 

Man sollte nun deshalb keine überschwänglichen Hoffnungen in die Verschärfungs-Verweigerer aus Mitteldeutschland setzen. Aber es könnte eine Motivation sein, seinen Unmut, seine Kritik oder seinen Protest gegen die Politik der „neuen Normalität“ immer wieder laut und vernehmlich zu äußern. Es wirkt, auch wenn zumeist bei weitem nicht so stark und deutlich, wie man es für nötig hält.

Foto: Pixabay

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Hans-Peter Dollhopf / 30.09.2020

Herr Schmidt: “Man mag sich gar nicht vorstellen, wo wir schon stünden, wenn es diese Opposition nicht gäbe.” Interessante These!

Paul Siemons / 30.09.2020

Wenn ich 15 Mal einen falschen Namen angebe, müsste ich doch eigentlich 15 Mal Flüchtlingsstütze bekommen und keine Strafe. So ist es jedenfalls bisher. Oder gilt das Gesetz nur für Menschen, die noch nicht so lange hier leben?

Dirk Jungnickel / 30.09.2020

Wer eigentlich darf in einer Offenen Anstalt ( Absurdistan) Ausweise kontrollieren ? Psychiater haben ja wahrlich anderes zu tun, zumal man ja getrost von Überfüllung sprechen kann.

Frances Johnson / 30.09.2020

@ Sabine Schönf.: Er, der MP von SH aka Malteser Merkeli steht auf meiner Liste für das Milgram-Experiment, auf der Sadistenseite, versteht sich. Bislang hatte ich dort nur Drosten, Merkel, Söder und OB Reiter, der nicht weiß, dass zwischen 50 und 56 kein signifikanter Unterschied besteht, sondern zwischen 50 und 250 (Frankreich). Vielleicht sollte man 125 als europäischen Kompromiss ansetzen.

Ilona Grimm / 30.09.2020

@Sabine Heinrich: Ulrich Matthes ist auch ein mir unbekannter Schauspieler. Aber um seinen verstehenden Einblick in die Merkelsche Seele (hat sie eine??) wird Herr Prof. Dr. Holger Meins ihn garantiert glühend beneiden.

Sabine Lotus / 30.09.2020

Na also bitte Fr@u Meyer, wie wollen Sie sich denn bitte ihre letzte Frage ohne VT beantworten? Nur Mut, tut auch nicht weh, hilft beim Überbrücken der Zeit der kopflos herumspringenden Hühner und für bekloppt halten uns die 80% Muddiklatscher sowieso schon.

Frances Johnson / 30.09.2020

Von meinem Lieblingsspezialisten, dem absoluten Antityp zu Drosten, weil vollkommen unprätentiös, Anders tegnel, wieder eine Vernunftbombe: “Schwedischer Epidemiologe: Corona-Todeszahl “im Vergleich klein; Der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell hält die weltweiten Todeszahlen im Kampf gegen das Coronavirus für moderat. Eine Million Tote seien “im Vergleich zu vielen anderen Krankheiten, die den Tod verursachen, eine ziemlich kleine Zahl”, sagte Tegnell am Montag laut der Nachrichtenagentur AP. Man dürfe nicht den falschen Eindruck entstehen lassen, “dass dies das einzige Problem ist, das wir in der Welt haben, wenn es um die globale Gesundheit geht”, so Tegnell.” Den würde ich gern heiraten ;-), aber ach, er ist zwar nicht mit einem Mann verheiratet und könnte auch nicht mein Sohn sein,  aber mit einer Dutch Lady und hat drei Töchter. Unser alter Spruch, dass die Männer wie Toiletten sind, entweder besetzt oder beschissen, trifft wie immer zu.

Sabine Heinrich / 30.09.2020

...das Wesen unserer Deutschlandzerstörerin gewinnen konnte, um zu einer derart tiefen Einsicht zu gelangen. Glücklicherweise gab und gibt es begnadete oder auch “nur” gute und mittelprächtige Schauspieler und Künstler, die sich NICHT den jeweiligen Machthabern andienen und sich das Rückgrat freiwillig entfernen lassen, was schädlich für die Karriere und das Auskommen sein kann - Beispiele gibt es genug! Zurück zum Thema: Blinder Aktionismus wieder einmal - und ein Anreiz für Denunzianten aller Art. Übrigens: Außer einem Vertreter der “Staatsgewalt” zeige ich niemandem meinen PA, wozu ich auch nicht verpflichtet bin! Da muss der Beamte selbst erst einmal beweisen, dass er der ist, als der er sich ausgibt. Zur Not Nachfrage bei der nächsten Polizeidienststelle! - Traurige Feststellung: Noch bis vor ca. 20 Jahren habe ich “dem Staat” und seinen Vertretern mehr oder weniger getraut - seit 2015 ist dieses Vertrauen dahingeschmolzen wie Softeis in der Sonne. - Weg mit dem Maulkorb! Weg mit allen Restriktionen!

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