Von Paul Lech.
Deutschland 2019. Umbruchstimmung entnehme ich vielen Schlagzeilen. Das ist der Aufbruch in die Elektromobilität, heißt es, 1.000.000 E-Autos werden angestrebt. So weit die Theorie. Die Praxis geht anders: Da landet die schöne neue Elektromobilität auf meinem Schreibtisch, und ich weiß nicht recht, wie ich damit umgehen soll.
Ich (m) werde in wenigen Wochen 59 Jahre alt und bin in einem Ingenieurbüro für Haustechnik in NRW beschäftigt. Ich arbeite nun seit zwei Jahren in einer Mini-Elektroabteilung – 4 Menschen = 3+1, entsprechend 25 Prozent Frauenanteil – und wie Sie sich denken können, bei weitem der Älteste. In den vergangenen zwei Jahren haben wir bei verschiedenen Projekten so zwischen 400 und 500 Wohnungen geplant, teils auch höherwertige Ausstattungen, alles in allem etwa 20 Prozent Sanierungen.
Nun ist bei einer Neubau-Wohnanlage (ca. 100 Wohnungen in 12 Häusern) Folgendes passiert. Der Bauherr möchte in der gemeinsamen Tiefgarage mindestens 20 Ladesäulen für Elektroautos installiert haben. Eine entsprechende Ladesäule kann bei Schnellladung einen Strom von 32 A liefern. Das heißt, würden alle Ladesäulen voll in Betrieb gehen, müsste ich theoretisch 640 Ampere vorhalten. Das geht natürlich nicht. Die Säulen sind untereinander vernetzt und regulieren sich gegenseitig. Somit kann die Ladezeit – bei Mehrfachnutzung – auf mehrere Stunden anwachsen, wo der Hersteller der Säulen sagt, dass dies vertretbar ist, aber der Bauherr hartnäckig nachfragt, warum das denn so sei. Er verkaufe oder vermiete schließlich hochwertige Wohnungen, und eine Ladezeit von mehreren Stunden (bis zu 8 Stunden) wären kein gutes Verkaufsargument.
Kann ich nachvollziehen... aber es kommt noch besser: 100 Wohnungen mit Warmwasserversorgung aus der Heizung (nicht mit Strom) haben nach DIN 18015 einen Anschlusswert von 108 kVA. Die Werte-Tabellen basieren auf den Erfahrungswerten der städtischen Energieversorger (Sehen Sie hierzu die Tabellen auf den Seiten 5 und 6.)
Zu den 100 Wohnungen kommt noch die Lüftungsanlage der Tiefgarage, einige Pumpen und Hebeanlagen, Außenbeleuchtung, Reserve und dergleichen. Ich hätte normalerweise bei den Stadtwerken eine Leistung von 15 bis 180 kVA, entsprechend 130-150 kW angemeldet. Nebenbei bemerkt, auch für diese Leistung hätte ein kleiner Trafo installiert werden müssen, da sich das Grundstück zwar auf Stadtgebiet aber mehr auf der "grünen Wiese" befindet. Bei Großstädten wäre diese Leistung – je nach Lage – aber noch im Netz vorhanden.
„Das muss ich den Bauherren erklären und kann es nicht“
Auf Grund der 20 Ladesäulen, gegebenenfalls auch mehr, muss nun ein Transformator mit 400 kVA installiert werden, weil diese hohe Leistung grundsätzlich nicht mehr im Niederspannungsnetz (400/230V) vorhanden ist. Außerdem möchte der Bauherr, dass die Ladesäulen doch eine entsprechende "Power" bringen und sich nicht selbständig komplett auf den Minimum-Ladestrom reduzieren. Somit also die Ladezeit auf weniger Stunden reduziert wird. Jetzt zu meinem Problem. Auf Grund der 20 Ladesäulen, gegebenfalls auch mehr, muss nun ein Transformator mit 400 kVA installiert werden, weil eine so hohe Leistung nicht im Niederspannungsnetz vorhanden ist.
Das wird in Zukunft bei fast jedem Bauvorhaben so sein, sage ich mal voraus. Denn in den Ingenieurbüros sind wir nicht nur Planer, sondern auch Berater. Wenn ein Bauherr eine neue Wohnanlage plant – und sei es nur ein 8-Familienhaus –, dann muss ich immer fragen, ob er auch eine Ladesäule in der Tiefgarage oder an den Parkplätzen wünscht. Das zählt zur guten Beratung der heutigen Zeit, jedenfalls meiner Meinung nach.
Wir werden in Zukunft viele Trafos verkaufen. Aber irgendwann geben uns die Elektrizitätsversorger/Stadtwerke keine Trafos mehr, weil auch das Mittelspannungsnetz am Ende ist. "Ausgelastet", wie man sagt. Sollte tatsächlich die Elektromobilität einen Boom bekommen, werden alle nach einem Zeitpunkt X nicht mehr schnell laden können.
Das muss ich den Bauherren erklären und kann es nicht. Wir in den Ingenieurbüros haben selten Kontakt zu anderen Büros, deshalb kann ich mich nicht immer in vollem Umfang austauschen oder beraten. Aber die nächste Elektromesse kommt bestimmt.
Ich werde das Thema natürlich bei entsprechender Gelegenheit mit den Energieversorgern diskutieren, aber ich weiß jetzt schon, was die antworten werden: "Geh weg, wir haben andere Sorgen. Wenn was nicht geht, dann geht es nicht, und ein Netzausbau steht bei uns immer zum Schluss an".
Der hauseigene Trafo war schon ausgelutscht
Vor ein paar Jahren Jahren habe ich die Bauleitung in einem Luxus-Projekt mit fast 270 Wohnungen begleitet. Wir reden hier über Luxuswohnungen mit einem Preis zwischen 4.500 bis 16.000 Euro je Quadratmeter Wohnfläche, Innenstadt-Lage. Nur nebenbei, die kleinen Wohnungen sind mindestens 80 Quadratmeter groß, und die üppigen Wohnungen bis zu 120 oder gar 200 Quadratmeter. Wer hier lebt, kann sich einen flottes Tesla Luxusmodel als Hobby und gutes Gewissen leisten. Getreu dem Motto, "ich fahre grün".
Ich hatte das Thema Elektromobilität mal bei einer unserer Planungsrunden angesprochen. Wohlgemerkt, Planungsrunde während der Bauzeit zwischen Rohbau und Endausbau. Der lustige Vorschlag der Planer (war nicht unser Büro) und des Bauherrn war, ein paar gewöhnliche Steckdosen an ein paar Stellplätze der Tiefgarage zu verteilen, weil die Leistung der hauseigenen Trafos ja schon fast "ausgelutscht" wäre. Zudem sollten die "Interessierten" die Zusatzkosten für die Zuleitung, etwa 30 Meter im Durchschnitt und die Installation der Steckdose inklusive Absicherung, als Aufpreis bezahlen (280 bis 350 Euro netto ohne Mehrwertsteuer je Stellplatz/Wohnung, Stand 2014). An die Profis: Wir reden über eine offene Rohrinstallation auf-Putz in einer Tiefgarage, am Ende mit einer abschließbaren Klappdeckel-Schutzkontakt-Steckdose 230V, angeschlossen über eine NYM-Leitung 3x2,5 qmm (ggf. 3x4 qmm) separat abgesichert (16 A) in der Zählerverteilung.
Jetzt stellen Sie sich einmal vor, jemand zahlt für seine Wohnung eine Million Euro und bekommt für die Aufladung seines Teslas eine Steckdose, an die man normalerweise eine Waschmaschine anschließen würde. Ein Mittelklasse-Tesla Model S startet ab etwa 72.000,- Euro aufwärts, und nehmen wir einmal an, dass eine 70-kWh-Batterie installiert ist (Reichweite 440 Kilometer). Dann beträgt die Ladezeit laut Wikipedia etwa 20 Stunden, in Worten zwanzig (!), für eine Vollaufladung an eben jener oben genannten Normalo-Steckdose.
Doch noch einmal zu den oben genannten eine Million Elektroautos und den geforderten Schnell-Ladestationen.
1.000.000 Autos mal 16-Ampere-CEE-Steckdose (400 V) in der Garage zum laden, sind gleich 16.000.000 Ampere gleich 16 Mega-Ampere! Dabei könnte das größte deutsche Kraftwerk, Neurath in meiner Heimat NRW, mit 4.400 MW Leistung (Kohlekraftwerk!), bei einer Spannung von 400 V gleich 4.400 Mega-Watt geteilt durch Wurzel 3 = 1,73 x 400 Volt theoretisch nur 6,35 Mega-Ampere liefern. Da fehlen noch fast 10 Mega-Ampere.
Glücklicherweise steht neben dem Kraftwerk Neurath in vier Kilometer Entfernung auch noch das Kohlekraftwerk Frimmersdorf. Anfang der 1970er Jahre immerhin das größte Kohlekraftwerk der Welt! Doch das läuft aktuell nur noch auf 2 x 300 MW. Soll das wirklich abgeschaltet werden?
Meine Intention ist, mit diesem Beitrag eine Diskussionsgrundlage für Fachleute und Interessierte zu schaffen. Interessant wären auch Fragen oder Hinweise und Beispiele von absoluten Laien. Erfahrungsgemäß kommen hier recht unbedarfte aber auch echt originelle Lösungsansätze. Ich weiß keinen anderen Weg, als mich an eine breitere Öffentlichkleit zu wenden. Jedes Mal, wenn ich dieses Thema anschneide, kommt ein Schulterzucken, von Kollegen, Freunden, teils werde ich auch belächelt.
Ich sammle die Zuschriften der Leserpost und werde diese in einem zweiten Beitrag oder auch weiteren Beiträgen ansprechen, auswerten und kommentieren. Das wird sicher einige Zeit in Anspruch nehmen, da ich ja nebenbei voll berufstätig bin. Es werden auch einige Profis meine Zahlenbeispiele kommentieren und gegebenfalls korrigieren, und das ist gut so. Nur so werden wir uns gemeinsam den tatsächlichen Gegebenheiten nähern können. Ich bitte sogar ausdrücklich darum, von Ihren Erfahrungen zu berichten, auch mit Berechnungsbeispielen. Ich bitte die Leserinnen und Leser um Verständnis, dass ich unter einem Pseudonym schreibe. Im oben beschriebenen Projekt handelt es sich um eine laufende Baumaßnahme. Der hier veröffentlichte Text ist mit der Geschäftsleitung unseres Büros abgestimmt.
Nachtrag/Update vom 17.06.2019:
Werte Leserinnen und Leser,
ich bin überwältigt von so vielen qualitativ hochwertigen Postings, schön gemischt mit Beiträgen wo ich laut aufgelacht habe, kontrovers aber doch effektiv geführte Diskussionsansätze und herrlich verrückte Vorschläge von den Laien. Ich habe alle 186 Postigs in mehreren Stunden gelesen - ich hatte das in dieser Form und Intensität nicht erwartet.
Hierfür möchte ich mich ganz besonders bei Ihnen bedanken!
Da kommt ein schönes Stück Freizeitarbeit auf mich zu, mit der ich mich gerne in den nächsten Tagen beschäftigen werde.
Klarstellung:
Die Berechnungen rund um das Kraftwerk Neurath waren rein fiktiv und sollten den Laien einmal zeigen, wieviel Energie für die E-Mobilität gebraucht werden könnte. Hierbei lege ich besonderen Wert auf den Konjunktiv, den ich auch im Beitrag häufig bewusst gewählt habe. Meine Intension ist weder ein Experte zu sein, noch irgendwie ein Besserwisser und Fingerzeiger. Mir geht es lediglich darum aufzuzeigen was auf uns zukommen könnte, wenn wir einen Boom bekommen. Ich möchte Ihre Vorschläge sammeln und am Ende dieser kleinen Serie zu Lösungsansätzen zusammen führen. Vielleicht nimmt das ja eine(r) außerhalb der Achse als Anregung.
Folgende Themen haben sich für den nächsten Beitrag heraus kristalisiert:
- Brandgefahr!
- Gleichzeitigkeit, damit verbunden das Lastmangement
- standardisierte Batterien für die E-Autos - Tausch, Leasing o.Ä.
- Speicherbatterien im eigenen Haus zur Abdeckung der Spitzenlasten
- die Erfahrungen der E-Auto-Besitzer
- die Energiepolitik in Deutschland
Ich weiß noch nicht ganz wie ich die Themen kombinieren werde, um einerseits nicht zu lange Artikel zu verfassen, und andererseits "was passt zusammen?".
Paul Lech