Kristian Niemietz, Gastautor / 12.03.2021 / 16:00 / Foto: Pixabay / 71 / Seite ausdrucken

Die Geschichte vom „echten“ Sozialismus

Von Kristian Niemietz.

Die Vorstellung, „echten“ Sozialismus habe es noch nie gegeben, finden wir nicht nur in Sachbüchern, sondern auch in der Romanliteratur und in Filmen. Die wohl bekanntesten Beispiele sind George Orwells Animal Farm (1945) und 1984 (1949). Bei diesen handelt es sich nicht um Kritik am Sozialismus per se – Orwell bezeichnete sich ausdrücklich als Sozialisten – sondern nur um Kritik an der Sowjetunion beziehungsweise am Totalitarismus. Die Möglichkeit, dass es auch ganz anders hätte ausgehen können, wird zumindest offengelassen.

Die Revolution der Tiere in Animal Farm ist keinesfalls von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Sie verkommt vielmehr schrittweise, indem die Schweine die demokratisch-egalitären Prinzipien allmählich untergraben, und sich so zu einer neuen Elite aufschwingen. Man könnte sich aber leicht eine Version von Animal Farm mit einem alternativen Ende vorstellen, in dem die Revolution doch noch gerettet wird, und es ein Happy End gibt. Viel ändern müsste man dafür nicht. Die anderen Tiere müssten lediglich die Schweine in ihre Schranken verweisen, und sich auf die Prinzipien der Revolution zurückbesinnen.

In 1984 wird nie ganz klar, wie genau die dystopische Gesellschaft, von der das Buch handelt, ursprünglich entstanden ist. Aber auch hier wird wieder das Motiv einer pervertierten Revolution angedeutet, und auch hier wird völlig klar, dass die Machtelite nicht an sozialistischen Idealen interessiert ist.

Sozialismus endet im Totalitarismus, weil er es muss

Auch in Goodbye Lenin, der bekannten Tragikomödie von Wolfgang Becker, finden wir die Idee, es habe sich beim DDR-Sozialismus nicht um „echten“ Sozialismus gehandelt, zumindest angedeutet. Der Protagonist Alex gaukelt seiner Mutter, die kurz vor dem Mauerfall ins Koma gefallen ist und von alldem nichts mitbekommen hat, ein Fortbestehen der DDR vor. Er nimmt an dieser Schein-DDR bald subtile Verbesserungen vor, und verwandelt sie dadurch (wie er selbst in einer Filmszene sagt), in die Art von DDR, die er sich gewünscht hätte. Er führt in seiner Schein-DDR sozusagen nachträglich den „echten“ Sozialismus ein. Das ist natürlich alles nicht ganz ernst gemeint, aber es fällt doch trotzdem auf, wie wenig Alex an „seiner“ DDR ändern muss, um aus dieser ein völlig anderes Land zu machen.

Daneben gibt es aber auch eine kaum bekannte liberale Literaturtradition, in der es eher darum geht, zu verdeutlichen, dass die Probleme, die wir im Sozialismus sehen, systemimmanent sind. Das wohl früheste Werk in dieser Kategorie ist Eugen Richters Buch Sozialdemokratische Zukunftsbilder aus dem Jahr 1891. Richter beschreibt eine fiktive sozialistische Revolution in naher Zukunft, die mit hehren demokratischen und egalitären Idealen beginnt, und dann dennoch alsbald ins Totalitäre umschlägt. Bemerkenswert ist dabei, dass es, anders als in Animal Farm, keine machtgierige Elite gibt, die die Revolution für ihre eigenen Zwecke missbraucht. Richters sozialistische Regierung besteht aus wohlmeinenden Idealisten, die ehrlich an den Sozialismus glauben. Der Sozialismus endet im Totalitarismus, weil er es muss, nicht, weil die Machthaber das bewusst anstreben.

Das ist auch die Prämisse von Henry Hazlitt’s Time Will Run Back (1966) (1), in dem der Diktator eines sozialistischen Weltreichs einen Schlaganfall erleidet, und dessen naiver, weltfremder Sohn, der von Politik nichts versteht, ungewollt zu seinem Nachfolger wird. Dieser Protagonist ist an Macht nicht interessiert, und möchte gerne Kontrolle abgeben und Freiheiten einführen. Er lernt aber allmählich, dass das innerhalb einer sozialistischen Wirtschaft schlicht nicht möglich ist und entdeckt am Ende den bereits vergessenen Kapitalismus wieder neu.

Den „unechten“ Sozialismus der DDR in „echten“ Sozialismus umwandeln

Manche Sozialisten hielten den Fall der Berliner Mauer anfangs keinesfalls für den Anfang vom Ende des Sozialismus, sondern vielmehr für den Auftakt zu einer demokratischen Rundumerneuerung desselben. Jeremy Corbyn etwa glaubte, dass die Entwicklung „in Richtung des echten Sozialismus führt, nicht zur Rückkehr des Kapitalismus. […] [D]er einzige Weg nach vorn für die Völker der Sowjetunion und Osteuropas ist eine Rückkehr zu den Prinzipien der echten Arbeiterdemokratie und des Sozialismus, welche die Basis und die Inspiration für die Oktoberrevolution bildeten.“

Im Nachhinein mag das lächerlich klingen. Aber es gab, wie geschildert, auch in der DDR Gruppierungen und Parteien, die so dachten. Sie wollten keine deutsche Vereinigung, und schon gar keine Übernahme des Wirtschaftssystems der BRD. Sie wollten vielmehr den „unechten“ Sozialismus der DDR in „echten“ Sozialismus umwandeln. Mit ihrer Vorstellung, der Sozialismus sei eine gute Idee, die in der DDR nur schlecht umgesetzt wurde, waren diese Parteien keineswegs allein: In Umfragen stimmen dem bis zu 80 Prozent der Ostdeutschen zu. Es ist den Sozialismus-Erneuerern nur nicht gelungen, diese Grundstimmung in Wählerstimmen umzumünzen.

Was aber, wenn das gelungen wäre? Was, wenn die Vertreter des „echten“ Sozialismus 1990 ihre Chance bekommen hätten?

Dies ist ein Auszug aus „Sozialismus: Die gescheiterte Idee, die niemals stirbt“ von Kristian Niemietz, 2021, München: FinanzBuch Verlag, hier bestellbar.

Lesen sie vom gleichen Autor morgen: Sozialismus – Warum fällt der Groschen nicht?

Anmerkungen:

(1) Für eine Gegenüberstellung siehe: Makovi, Michael, 2015: „George Orwell as a Public Choice Economist“, MPRA Paper 64161, Universitäts-Bibliothek München, Germany. Makovi (2015) für eine Gegenüberstellung.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Nadja Schomo / 12.03.2021

Ich wünsche mir manchmal, zu einem Wahlkampf würden die maßgeblichen Parteien einen vielleicht halbstündigen Film drehen lassen, Titel “So wünschen wir uns Deutschland” - eine mittelfristige Utopie, vielleicht 10 Jahre hochgerechnet. Eine halbe Stunde mindestens,  um Ideen, Visionen, überhaupt Peinlichkeiten aller Art eine gute Chance zu geben. Seien es Werbefachleute aus den eigenen Reihen oder bekannte Regisseure. Man könnte das ganze Wahlkampfbudget diesem einen Film zuführen. Es könnte ein Vergnügen fürs ganze Volk werden. (Utopisches wird gern in einer ferneren Zukunft angesiedelt. Die nähere Zukunft ist anspruchsvoller.)

H.Milde / 12.03.2021

!!!!!!! CORONA AUSSCHUSS AUF YT BLOCKIERT!!!!!!!????? ANGRIFF GG ART. 5

Rudhart M.H. / 12.03.2021

Sind NGO und diverse Protagonisten, wie Sorros und Gates, in Wahrheit blutrote Kommunisten ? Ist selbst der Vatikan schon unterwandert ? Ja, eventuell, bloß eben nicht von einer 5. Kolonne Moskaus oder Pekings ! Wer bei einem gezielten Wurf von Nebelkerzen zu viel davon abbekommt, weiß oft nicht mehr, wo der Feind steht. Ich halte vom althergebrachten Sozialismus/Kommunismus reinweg gar nichts. Etwa genau soviel ist auch der neue Kapitalismus der Chicago Boys wert, der ebenfalls immer und immer wieder aufgewärmt wird. Wer sich hier engagiert, um das vermeintliche Übel zu bekämpfen, sieht nicht, wo der oder die Drahtzieher wirklich sitzen. Hat uns Moskau oder Peking mit der Theorie und Wirklichkeit von Flüchtlingsströmen beglückt ? Nein ! Hat sich Peking besonders hervorgetan beim Outsourcen von Betrieben und ganzen Wirtschaftszweigen ? Nein ! Die Ideen dazu wurden ganz woanders geboren. Wenn dann China die gebotenen Möglichkeiten ergreift , kann man dies doch den Chinesen nicht zum Vorwurf machen. Niemand hat den Westen gezwungen auf Teufel-komm-raus Technologie abzugeben und Billiglöhner anzuheuern ! Da waren ganz andere Kräfte am Werk . Das sollte man sich zuförderst vor Augen halten! Sicherlich ist der Markt unabdingbar notwendig , wenn es um Beschleunigung von Wissenschaft und Technik , um Befriedigung von neuen Bedürfnissen geht.Das kann ein Bilanzsystem , das aus Zeiten der Kriegswirtschaft stammt, nicht und auch nimmer leisten. Genauso ist aber ein absolutes “Sich-rechnen-Müssen” bei Gesundheit und Sozialer Fürsorge zum Scheitern verurteilt, besonders , wenn es um Daseinsvorsorge geht. Das kann kein Marktsystem sozial bewerkstelligen , denn das führt zum Verfall von Moral und Anstand. Beim “Hippokratischen Eid” und beim “Ordentlichen Kaufmann” kann man diesen Verfall schon sehen. Genauso kann ein Bilanzsystem , ob nun sozialistisch oder kommunistisch , keinen wissenschaftlich-technischen Fortschritt planen.  Und faschistische Entwicklungen lassen beide zu ...

G.Lindner / 12.03.2021

Der Sozialismus braucht viel Kapital ,sehr viel dauerhaft fließendes Kapital. Wer will dafür arbeiten wenn er gleich aller sein soll?

g.schilling / 12.03.2021

@A. Adam: Das Schlimme ist doch, dass wir es zulassen wie die Ochsen am Nasenring geführt zu werden. Wir brauchen eine Bewegung wie die Gelbwesen in Frankreich mit einer Frontfigur. Die Klimahüpfer machen es doch vor. Da darf man dann sogar mit dem Segelschiff zur UN. Wehrt Euch endlich statt zu jammern.

Anton Weigl / 12.03.2021

Frau Merkel baut doch jetzt ein Land zum besten Sozialismus um. Ein Land in dem alle gut und gerne leben.

g.schilling / 12.03.2021

@Ralf.Michael: richtig, aber nicht für die, die in dem System oben stehen. (Beispiel. Honecker. Mielke etc.)

Ralf Berzborn / 12.03.2021

Es ist die auswüchsige triebhafte Maßlosigkeit und der Mißbrauch die allein rechtstaatlich und politisch nicht   dauerhaft zu bändigen sind , alle Ideologien haben in einem gesunden Maß ihre Berechtigung , leider kommt hier immer wieder Versuchung und Sünde ins Spiel , und selbst die Kräuter die Satan und Belzebub in Zaum halten sollen , fallen ihnen über kurz oder lang anheim . Auch wenn mir auswüchsiger Sozialismus zu wieder ist , so trifft dies auch auf auswüchsigen Kapitalismus , Liberalismus oder Nationalismus zu , nach unten gilt es ein gesundes Basismaß zu setzen nach oben daß Übermaß zu begrenzen , dazwischen überläßt man dem Markt und den Naturgesetzen die Weiterentwicklung . Eine demokratische Einigung auf Mindestmaß und Höchstmaß sind in einer zersplitterten Gesellschaft ohne gemeinsame (homogene) kulturelle Identität Sprache Attitüden und Vergangenheit illusorisch . Hier genießen Satan und Belzebub ihr Hausrecht , und daß setzen sie totalitär um.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Kristian Niemietz, Gastautor / 09.09.2021 / 15:00 / 12

Warum Millenials nicht aus dem Sozialismus rauswachsen

„Hey Leute, wollt ihr euch alt fühlen? Ich bin 40. Gern geschehen“, twitterte Macaulay Culkin im letzten Sommer – der Schauspieler, der vor allem für…/ mehr

Kristian Niemietz, Gastautor / 14.03.2021 / 16:00 / 71

Wenn Sozialisten den „echten“ Sozialismus erklären ...

Von Kristian Niemietz. Die Ausgangsbasis für das derzeitige Sozialismus-Revival ist die Annahme, Sozialismus sei noch nie richtig ausprobiert worden. Neu ist diese Annahme nicht. Noam…/ mehr

Kristian Niemietz, Gastautor / 13.03.2021 / 06:00 / 107

„Millennial Socialism“: Warum fällt der Groschen nicht?

Von Kristian Niemietz. Der Sozialismus ist, unter dem Stichwort „Millennial Socialism“, wieder in Mode gekommen. Zahlreiche Umfragen zeigen, dass sich sowohl die sozialistische Idee im…/ mehr

Kristian Niemietz, Gastautor / 07.03.2020 / 10:00 / 38

Der Mythos des „libertären Sozialismus“

Von Kristian Niemietz. Sozialisten und sozialismusaffine Sozialdemokraten unserer Tage lieben Begriffsabwandlungen. Der „Demokratische Sozialismus“, der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, der „Sozialismus der Millennials“ und, was…/ mehr

Kristian Niemietz, Gastautor / 02.07.2019 / 13:00 / 39

Sozialismus, die unsterbliche Idee

Von Kristian Niemietz. Sozialismus ist in Großbritannien wieder in Mode gekommen. Eine Umfrage nach der anderen zeigt eine weit verbreitete Unterstützung sowohl für den rein…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com