Kristian Niemietz, Gastautor / 09.09.2021 / 15:00 / Foto: Tomaschoff / 12 / Seite ausdrucken

Warum Millenials nicht aus dem Sozialismus rauswachsen

„Hey Leute, wollt ihr euch alt fühlen? Ich bin 40. Gern geschehen“, twitterte Macaulay Culkin im letzten Sommer – der Schauspieler, der vor allem für seine Rolle des Kevin McCallister in den Weihnachtsklassikern Kevin allein zu Haus (1990) und Kevin allein in New York (1992) bekannt ist. Sein Tweet wurde über eine halbe Million Mal retweetet und über drei Millionen Mal gelikt, vermutlich weil er bei Millionen von Menschen eine schöne kognitive Dissonanz hervorrief.

Wenn Sie, so wie ich, die Filme jedes Jahr zu Weihnachten gesehen haben, solange Sie sich erinnern können, wird etwas in Ihrem Kopf dagegen sprechen, sich „Kevin“ als Mann mittleren Alters vorzustellen. Es passt einfach nicht zusammen. Der rationalere Teil Ihres Gehirns wird durchaus in der Lage sein zu berechnen, dass 2020 minus 1980 gleich 40 ist, aber das wird den intuitiveren Teil Ihres Gehirns nicht davon abhalten, zu schreien: Nein, Kevin ist ein Junge! Er kann nicht 40 sein!

Etwas Ähnliches ist der Generation der Millennials insgesamt widerfahren, wenn auch eher als Ergebnis einer semantischen Verwirrung. Wenn man dem Google Books Ngram Viewer Glauben schenken darf, kam das Wort „Millennials“ Ende der 1990er Jahre in die englische Sprache und begann dann Mitte der 2000er Jahre, sich zu verbreiten. Irgendwann, wahrscheinlich kurz danach, wurde „Millennials“ einfach zu einem Synonym für „sehr junge Menschen“.

Einige Millennials sind 40

Damals war das natürlich völlig richtig. Millennials sind Menschen, die zwischen Anfang der 1980er und Mitte/Ende der 1990er Jahre geboren wurden. Als der Begriff in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen wurde, waren die ältesten Millennials Mitte 20 und die jüngsten waren noch Kinder.

Einmal etablierte sprachliche Konventionen entwickeln jedoch eine gewisse Trägheit und lassen sich nur schwer ändern, selbst wenn sich die Realität, die sie zu beschreiben versuchen, verändert. Heute hat der Begriff „Millennial“ immer noch dieselbe Konnotation wie vor anderthalb Jahrzehnten, aber die Menschen, die er beschreibt, sind nicht mehr so jung wie damals. Hey Leute, wollt ihr euch alt fühlen? Einige Millennials sind 40. Bitte sehr.

Dies ist nicht nur eine Frage der sprachlichen Pedanterie. Die Tatsache, dass wir „Millennials“ und „junge Menschen“ immer noch synonym verwenden, scheint echte Verwirrung zu stiften. Wie ich in meinem jüngsten IEA-Bericht Left Turn Ahead? zeige, gab es in den letzten fünf Jahren eine Reihe von Umfragen, die eine steigende Popularität sozialistischer Ideen unter Millennials (und zunehmend auch der Generation Z) belegen. Eine ganze Generation hat sich gegen den Kapitalismus gewandt, wenn nicht sogar zwei Generationen.

Kein Ausdruck jugendlicher Naivität

Wenn Sie die uncoole, unzeitgemäße „OK Boomer“-Meinung vertreten, dass der Kapitalismus viel besser ist als sein Ruf, dann sollte Ihnen das Anlass zur Sorge sein. Und doch haben die Befürworter des Kapitalismus seltsamerweise kein großes Interesse am Aufstieg des „Millennial Socialism“ gezeigt.

In der Regel schieben sie ihn mit Phrasen beiseite wie: „Die jungen Leute haben schon immer eine sozialistische Phase durchgemacht“, „Sie werden da rauswachsen“, „Es ist leicht, Sozialist zu sein, solange Mama und Papa die Rechnungen bezahlen“, „Warte, bis sie anfangen zu arbeiten“, „Warte, bis sie anfangen, Steuern zu zahlen“, „Warte, bis sie in die reale Welt eintreten“ und so weiter.

Menschen, die den Aufstieg des Millennial-Sozialismus auf diese Weise abtun, scheinen sich jemanden in seinen späten Teenagerjahren oder frühen Zwanzigern vorzustellen. Denn Millennials sind 20 Jahre alt, und Kevin ist ein Junge, richtig?

Was die Umfragedaten jedoch wirklich zeigen, ist, dass sozialistische Ideen bei Menschen Anfang 40 immer noch genauso beliebt sind wie bei Menschen in ihren späten Teenagerjahren. Das bedeutet nicht, dass diese Ansichten in Stein gemeißelt sind und dass die Generation der Millennials ein verlorener Fall für die Befürworter der Marktwirtschaft ist.

Die Zukunft gehört den Sozialisten

Aber es bedeutet, dass der Sozialismus der Millennials nicht als Ausdruck jugendlicher Naivität, mangelnder Erfahrung in der realen Welt oder als vorübergehende Phase abgetan werden kann. Vielmehr sind sozialistische Ansichten unter politisch engagierten Millennials zur Standardmeinung geworden. Standardeinstellungen können geändert werden, aber nur durch aktive Bemühungen. Sie ändern sich nicht von selbst.

Im Moment sind die Babyboomer und die Vorgängergeneration – Generationen, die sozialistischen Ideen eher skeptisch gegenüberstehen – noch in der Überzahl gegenüber den Millennials und den erwachsenen Mitgliedern der Generation Z. Aber schon im Laufe dieses Jahrzehnts wird dieser Vorsprung verschwinden und sich in eine solide Zoomer-Millennial-Mehrheit verwandeln.

Wenn ich Jeremy Corbyn wäre, würde ich mein Glück in ein paar Jahren erneut versuchen. Wenn Demografie Schicksal ist, gehört die Zukunft den Sozialisten.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Conservative Home veröffentlicht.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Markus Viktor / 09.09.2021

Die beschriebenen Sozialismus-Illusionen sind nur die Kehrseite der turbokapitalistischen Illusionen, also eher nicht überraschend. Soziale Marktwirtschaft gab es hier schon vor dem Fall des Bolschewismus, seither gibt es Exzesse der Superreichen ohne Gegenmacht. Die exzessiv Bestbezahlten, angeblich die wirtschaftlich Kompetentesten, haben die Finanzkrise über die Menschheit gebracht. Ohne Checks and Balances zwischen Reichen und Armen gibt es keine soziale Marktwirtschaft und auch keine Gesellschaft, in der Menschen in gegenseitiger Anerkennung leben können. Das geht nicht mit einem System der Superreichen, als einem plutokratischen Totalitarismus, und genauso wenig mit anderen totalitären Systemen. Meines Wissens hat kein sozialistischer Theoretiker darstellen können, wie ein realer nicht-totalitärer Sozialismus entwickelt und gehalten werden könnte.

Werner Geiselhart / 09.09.2021

Der Sozialismus wird immer nur solange für gut gehalten, bis er eingeführt wurde. Da das bei uns ab Oktober der Fall sein wird, dürfte die Zustimmungsrate sehr schnell exponentiell abnehmen. Leider wird er aber auch sehr schnell ganze Arbeit geleistet haben, was bedeutet, dass die jetzigen Befürworter auch mal die Schaufel in Hand nehmen müssen, um den von Ihnen bestellten sozialistischen Unrat aufzuräumen. Wohl bekomms.

Rolf Lindner / 09.09.2021

Die steigende Arbeitsproduktivität führt zwangsweise zu einem höheren Anteil Handaufhalter. Sozialismus ist ein anderes Wort für Handaufhaltergesellschaft.

Uwe Kah / 09.09.2021

es gibt da diese berühmte Aussage “wer mit 20 nicht Sozialist ist der hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch Sozialist ist, der hat kein Hirn”

Stefan Hofmeister / 09.09.2021

Ich bin Mitte 40, habe dies schon vor Jahren erkannt und deswegen Europa verlassen. Sollen sie mit ihrem Sozialismus froh werden, aber ohne mich!

Dr. Joachim Lucas / 09.09.2021

Friedrich A. Hayek hat in seinem Werk “Der Weg zur Knechtschaft” bereits 1944(!) beschrieben, was quasi zwangsläufig der Sozialismus ökonomisch-politisch anrichtet. Und exakt die Mechanismen, die er beschrieben hat, haben sich auch so in der DDR entfaltet. Wie nach Lehrplan. Wenn diese Vollidioten nicht begreifen was Sozialismus auch beim 1000sten Versuch bedeutet, dann müssen sie ihn halt erleiden. Mich gibt es dann hoffentlich nicht mehr.

Dr. Markus Hahn / 09.09.2021

Die Perspektive wird sich in nicht ferner Zukunft zwangsläufig ändern. Im Moment leben wir in einem Zustand, den Westerwelle völlig korrekt als “Spätrömische Dekadenz” bezeichnete. “Letzte Menschen…” Bald gibt es aber nichts mehr umzuverteilen, die sozialen Systeme sind eigentlich jetzt schon unbezahlbar. Ob die woken Weltretter sich dann dem Schwab-Motto “Dir gehört nichts, aber Du bist glücklich”, mit zugeteiltem Stromvolumen, außerhalb der Städte fehlender Individualmobilität, Wartezeiten für Krebsoperationen von sechs Monaten aufwärts und der Pille am Ende des Berufslebens für das “selbstbestimmte” sozial verträgliche Ableben glücklich sein werden, bleibt abzuwarten. Die aktuelle Groteske kann sich sehr schnell in eine Tragödie wandeln.

Rainer Niersberger / 09.09.2021

Das ist richtig, weil es sich weniger um eine politische (Sach) Frage handelt, als um ein veritables Psychoproblem. Der andauernde Hang fuer das, was man links nennt, resultiert weniger aus der Sympathie fuer Herrn Marx als aus dem, was man etwas unpräzise Infantilismus nennt, eine psychopathologische Verfasstheit, an der die “Erziehungsberechtigten” ebenso wie gewisse kulturelle Entwicklungen, us - amerikanisch beeinflusst und die “Bildungsbeauftragten” der 68 iger ff einen maßgeblichen Anteil tragen. Angesicht dieser Einflüsse waere ein anderes Ergebnis nachgerade sensationell. Welches Nachwuchsergebnis, wenn ueberhaupt, diese 2 Generationen erzielen, bleibt spannend. Fuer meinen Teil bin ich erleichtert, dass es bei der aktuell nur noch rudimentaeren Begegnung mit der ersten Tranche bleiben wird. Kommunikativ ist es ohnehin etwas schwierig. Allerdings uebersieht der Autor den an dieser Stelle ueblichen, intellektuell aeusserst anspruchsvollen Beschwichtigungshinweis, dass es schon immer so oder so aehnlich gewesen sei. Die Reife kommt nun eben erst mit 60 ff, wenn die Welt endlich gerettet ist. Bei einer Lebenserwartung von 100 plus x kein Problem.  Wie das mit den bereits mit 20 sehr reifen muslimischen, maennlichen Zuwanderern sich zusammenfügt, bleibt abzuwarten.

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