Vera Lengsfeld / 20.07.2022 / 06:15 / Foto: Imago / 211 / Seite ausdrucken

Die Demokratie sind wir

Innenministerin Faeser hat einen ganz speziellen Demokratiebegriff entwickelt: Jeder, der gegen Regierungsentscheidungen protestiert, kann zum Demokratie-Verächter erklärt werden. Vorsorglich auch die, die bald gegen die verheerende Energiewende demonstrieren könnten.

In der Schule wurde uns der Satz Ludwig XIV: „Der Staat bin ich“ als der Gipfel politischer Arroganz beigebracht. Was am Feudalabsolutismus so verabscheuenswert war, sollte sich nicht wiederholen. In einer Demokratie sollte es bei den Volksvertretern nicht zu solch einer Arroganz kommen, denn sie dienen dem Souverän, dem Volk. Sie sind den checks and balances unterworfen, die ihre Macht kontrollieren und begrenzen. Trifft das bei uns noch zu? Seit der Verfassungsschutz den Tatbestand der „Delegitimierung des Staates“, zu DDR-Zeiten hieß es „staatsfeindliche Hetze“, als beobachtungswürdig eingestuft hat, kommen immer mehr  Zweifel auf, ob wir noch in einer klassischen Demokratie oder schon in einer Autokratie leben.

Wenn man die Regierung nicht mehr kritisieren, ihre Fehlentscheidungen nicht mehr benennen darf, wenn man angeprangert oder gar kriminalisiert wird, wenn man es dennoch tut, wird die Demokratie nur noch zu einem hohlen Begriff, eine Camouflage für die herrschenden Verhältnisse.

Wer solche Gedanken für übertrieben oder sogar unzutreffend hält, sollte sich die Äußerungen zweier Politikerinnen ansehen und überprüfen.

Innenministerin Faeser hat einen ganz speziellen Demokratiebegriff entwickelt, der Demokratie mit Politikern und ihren Entscheidungen gleichsetzt. Sie sagte dem Handelsblatt:

„Natürlich besteht die Gefahr, dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen.“ 

Vorsorgliches Diskreditieren von Demonstranten

Also, diejenigen, die in der Corona-Pandemie gegen die erratischen Maßnahmen der Regierung, die, wie sich nach zwei Jahren herausgestellt hat, nie auf ihre Wirksamkeit überprüft wurden, hätten damit „ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt“, obwohl sie das Gegenteil getan, nämlich demokratische Transparenz und eine offene Diskussion, wie in funktionierenden Demokratien üblich, gefordert haben?

Auch in der sich rapide entfaltenden Energiekrise ist mit Protesten zu rechnen, mindestens derer, die ihre Energierechnungen kaum noch bezahlen können, deren Wohnungen kalt bleiben und denen der Strom abgestellt wird. Die werden schon mal von der Ministerin vorsorglich diskreditiert.

Populisten und Extremisten, so Faeser, nutzten jede Krise für Angst und Spaltung, aber auch für Hass und Bedrohungen. „Sie wollen Krisen noch verschärfen, um daraus Profit zu schlagen“.

Damit sind alle in die extremistische Ecke gestellt, die es wagen, Fragen nach der Ursache der Energiekrise zu stellen. Die ist keine Naturkatastrophe oder ein Machwerk von Putin, sondern sie ist hausgemacht. Deutschlands einseitige Festlegung auf wetterabhängige Energien ist gekoppelt an den doppelten Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohle („Weil wir es können“, Olaf Scholz) hat uns existenziell abhängig gemacht von Gaskraftwerken, die Strom erzeugen müssen, um die Netzschwankungen, die von den „Erneuerbaren“ verursacht werden, auszugleichen. Die Macher der „Energiewende sind die Verursacher der Energiekrise, denn sie haben uns abhängig vom russischen Gas gemacht und Putin in die Lage versetzt, uns jetzt zu erpressen. Wer vor dieser Entwicklung gewarnt hat, war ein Verschwörungstheoretiker.

Nun fallen die Folgen politischer Hybris mit voller Wucht auf die ganze Gesellschaft zurück und unserer Innenministerin fällt nichts besseres ein, als Drohungen. Die Sicherheitsbehörden hätten die extremistischen Szenen aber sehr genau im Blick. „Wir sind vorbereitet, auch auf mögliche neue Protestgeschehen.“

Demokratieverächter und Denunzianten

Um die Ablenkung perfekt zu machen, werden Regierungskritiker zu Verächtern der Demokratie gestempelt. Nach Faeser ist also die Regierung die Demokratie, alle Kritiker Demokratieverächter.

Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sekundiert: „Es steht zu befürchten, dass Rechtspopulisten auch diese gesellschaftliche Krise für die eigene Agitation ausnutzen.“ Vor diesem Hintergrund werde es in den nächsten Wochen und Monaten sehr auf Solidarität und gesellschaftlichen Zusammenhalt ankommen. Ach ja, erst wird die Gesellschaft von der Politik gespalten, dann wird an den Zusammenhalt und die Solidarität appelliert? Solidarität mit wem? Mit den Fehlentscheidungen der Politiker, die nicht Schaden von ihren Wählern abwenden, sondern ihre Ideologie retten wollen? Die Verachtung, die unsere politische Kaste ihren Wählern entgegenbringt, wurde kürzlich auf der ausgedehnten Luxushochzeit von Finanzminister Lindner unübersehbar. Erst die Bevölkerung zum Verzicht aufrufen und dann demonstrieren, dass man gar nicht daran denkt, selbst auf etwas zu verzichten.

Die zweite Politikerin, die man sich näher anschauen sollte, wenn man sich fragt, in welchen Verhältnissen wir heute leben, ist Familienministerin Paul der frischen Regierung Wüst in NRW.

Wenn man den Plänen dieser Regierung, von einer ehemals bürgerlichen Partei geführt, folgt, wird aus Deutschland ein Denunziantenland.

Als die Stasiakten 1992 geöffnet wurden, war die Welt entsetzt über das Denunziantentum in der DDR. Voreilig wurde den Insassen des SED-Staates bescheinigt, besonders anfällig für Spitzeleien gewesen zu sein. Dabei mussten die Stasioffiziere ihre Informanten mühsam rekrutieren, sich heimlich mit ihnen treffen, sie bei Laune halten, entlohnen und immer neu motivieren. Die Stimmung in der DDR war klar gegen Denunzianten, die für die größten Schufte im Land gehalten wurden.

„Das Mundtotmachen wird wiederkommen“

Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley warnte schon nach der ersten Einsicht in ihre Stasiakten, dass die Methoden der Stasi genauestens untersucht und übernommen werden würden: „Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen … Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi“.

Nun sind wir so weit, vorerst nur in NRW, aber andere Bundesländer, muss man fürchten, werden folgen. Die Regierung Wüst (CDU) spricht von einem „bundesweit einzigartigen System von Meldestellen“, das sie einrichten will, um „auch die Diskriminierungsvorfälle (zu) registrieren, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen und deswegen nicht in den polizeilichen Statistiken erfasst werden“, verkündete die grüne Landesfamilienministerin Josefine Paul. Das ist ein offener Aufruf zur Denunziation. Der Denunziant ist nicht mehr ein verachteter Schuft, sondern wird von der Regierung offen umworben. Damit das Denunzieren ganz bequem geht, werden Stellen eingerichtet, die nicht, wie die konspirativen Wohnungen der Stasi, geheim, sondern ganz offen sind. Hier kann jeder jeden denunzieren und das unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Wie werden solche „Meldungen“ bewertet, was hat das für die Angeschwärzten für Konsequenzen? Die Meldestellen-Idee könnte aus der Zeit der Hexenjagd stammen, nur dass die Angezeigten nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen, sondern nur noch um ihren guten Ruf.

Es gibt eine Meldung, die gelangt an die Öffentlichkeit, in die Medien, die Meldung wird aus den Medien auf Wikipedia übertragen und schon ist das Kainsmal oder Hexenstigma fertig. Jeder, der so etwas schon einmal erlebt hat, weiß, wie beinahe unmöglich es ist, ein Wikipedia-Diktum wieder loszuwerden. Denn Wikipedia wird von einer Art Gesinnungswächter beherrscht, die sich Jos Fritz oder Donald nennen und die alles löschen, was ihrer Ansicht widerspricht.

Das sind die verfeinerten Methoden, vor denen Bärbel Bohley gewarnt hat. Haben wir noch Meinungsfreiheit? Oh ja, jeder kann seine Meinung frei und öffentlich äußern. Er wird nur, wenn er ein Jota vom vorgegebenen Meinungskorridor abweicht, der inzwischen einem Nadelöhr ähnelt, mit den Konsequenzen leben müssen: Löschungen auf YouTube, Facebook, Twitter, Kontokündigungen, Unterlassungserklärungen und Schlimmeres.

Die Frage, inwieweit das alles zu einer Demokratie passt, muss sich jeder selbst beantworten. 

Foto: Imago

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Horst Schlunzen / 20.07.2022

Zum Glück ist dieses Land in Sachen Digitalisierung so zurückgeblieben. Denn eine “Meldestelle” kann schnell zur “Überwachungsstelle” werden. Was wir auf dem PC/Pad/Telefon schreiben, was wir im Telefonat/Teams-Sitzung sagen, was wir in Anwesenheit eines Mobiltelefons im persönlichen Gespräch sagen… als das kann automatisiert ausgewertet werden. China zeigt, wie es geht.

Bastian Kurth / 20.07.2022

Das die jetzige Regierung die Krise (selborchestriert) dazu nutzt um daraus für sich und ihren Machterhalt Profit zu schlagen dämmert denen nicht? Ein solches “Demokratieverständnis” ist Verächtlichmachung des Souveräns - also des Wählers. Bestes Beispiel ist die Wahl in Berlin, da wird trotz ganz offensichtlicher Wahlmanipulation (egal ob zufällig oder absichtlich) einfach fröhlich regiert obwohl die Rechtmäßigkeit des Senats und dessen Darstellern mittlerweile mehr als fraglich ist. ROTZFRECH! Noch deutlicher zu demonstrieren, was diese Parteischranzen von Demokratie halten ist wohl kaum möglich.

Gerhard Schmidt / 20.07.2022

Ich schlage für die neuen NRW-Organe den Titel “Meldestelle für Schädlingstätigkeiten (MfS)” vor…

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