Ramin Peymani, Gastautor / 22.06.2020 / 12:30 / Foto: Pixabay / 36 / Seite ausdrucken

Die Corona-App: Eine 68 Millionen-Spielerei für Nerds und Neugierige

Nun hat also auch Deutschland seine Corona-Warn-App. Island und Spanien hatten bereits im April entsprechende Mobilfunkanwendungen gestartet, während Italien seit Anfang Juni eine Corona-App anbietet, die allerdings noch nicht landesweit im Einsatz ist. In vielen anderen europäischen Ländern befinden sich die Infektionsverfolgungs-Apps in der Entwicklungs- oder Testphase. Dabei zeichnet sich trotz aller öffentlicher Bekundungen ab, dass einige Staaten ihr eigenes Süppchen kochen.

Ein einheitlicher Standard, der Voraussetzung für eine länderübergreifende Kompatibilität wäre, liegt in weiter Ferne. Vor allem Frankreich schert aus, will man die Krise doch offenbar dazu nutzen, Europa einmal mehr die eigenen Vorstellungen aufzuzwingen. Der Wildwuchs macht zum wiederholten Mal das Hauptproblem der Europäischen Union deutlich, die regelmäßig dort versagt, wo es auf eine Zusammenarbeit ankommt. Doch ganz gleich, ob es gelingt, sich auf einen EU-Standard zu einigen, ist der tatsächliche Nutzen des millionenschweren Aufwands zweifelhaft.

Ein Blick nach Australien, wo eine Corona-App seit Ende April im Einsatz ist, sorgt für Ernüchterung: Obwohl ein Viertel aller Bürger, vor allem jene in den großen Städten, „COVIDSafe“ auf ihrem Smartphone nutzen, stellte das öffentlich-rechtliche Fernsehen unlängst fest, dass mit Hilfe der Anwendung bislang keine Infektion identifiziert werden konnte, die nicht auch auf herkömmlichen Weg bekannt geworden war. Ähnlich ist es in Island, obwohl mehr als 40 Prozent der Einwohner die dortige Anwendung installiert haben. Die deutsche App ist daher teurer Aktionismus und kommt außerdem Monate zu spät.

Mit vollem Namen und Reisepassnummer

In Spanien, einem der europäischen Hotspots, findet die Corona-Anwendung hingegen kaum Zulauf. Hätte man in einem Land, das erst jetzt den 14 Wochen andauernden Corona-Notstand aufgehoben hat, einen wahren Ansturm auf die seit zwei Monaten verfügbare App erwarten können, dümpeln die Nutzerzahlen im lustlosen Bereich. Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass man sich mit vollem Namen und Reisepassnummer registrieren muss. Vor allem Sicherheitsbedenken und die Sorge vor der Preisgabe persönlicher Daten halten viele Menschen von der App-Nutzung ab.

In Deutschland ist die Software unterdessen bereits mehr als zehn Millionen Mal auf Handys installiert worden, wie das Bundesgesundheitsministerium nun stolz verkündete. Das ist mehr als in der ganzen Europäischen Union zusammen. Dennoch wird man sich auch hierzulande von den enttäuschenden Erfahrungen anderer Länder kaum abkoppeln können. Die App dürfte – wie so viele Kopfgeburten der Politik – an der Lebenswirklichkeit scheitern, da sie ihren Zweck nur dann erfüllt, wenn jemand ein kompatibles Smartphone besitzt, seinen Status (korrekt) erfasst, sein Handy immer bei sich führt und Bluetooth stets aktiviert hat.

Ist auch nur eine Voraussetzung nicht erfüllt, klappt es nicht. Dazu kommt, dass die Zahl derer, die die App wegen älterer Geräte gar nicht erst installieren können, in die Millionen geht. Für diese Menschen hat Dorothee Bär nur Häme übrig. Die Staatsministerin für Digitalisierung glaubt, die Nutzer älterer Geräte seien „zu bequem, sich ein neues Handy zu kaufen“. Für Millionen von Rentnern, eine der großen Corona-Risikogruppen, ist dieser Zynismus ein Schlag ins Gesicht.

So bleibt die App der Bundesregierung eine teure Spielerei für Millennials und deren Sprösslinge, die als Handy-Generation ihren Coffee-to-go-Shop per App auswählen und auf Workout Tracker abfahren, die ihnen per Smartphone eine verbesserte Fitness versprechen. Auch einige Neugierige dürften die Anwendung heruntergeladen haben, sich jedoch angesichts des unspektakulären Nutzererlebnisses bald wieder von ihr verabschieden, weil sie sich mehr erhofft hatten.

Gefallen an der Maskerade gefunden

Der große Rest der 58 Millionen Smartphone-Besitzer wird aus den unterschiedlichsten Gründen darauf verzichten, das Programm zu installieren. Dabei dürfen jene, die durchaus zum Mitmachen bereit wären, nicht auf eine zeitnahe Lösung hoffen, die auf ihrem älteren Handy-Modell funktioniert. Dafür wird die App in Kürze auch in türkischer Sprache verfügbar sein, ebenso auf Französisch, Arabisch, Russisch und Rumänisch. Für Zuwanderer tut man eben alles – koste es, was es wolle. A propos Kosten: Satte 68 Millionen Euro sind bis Ende 2021 für die Corona-Warn-App veranschlagt. Den Löwenanteil von 50 Millionen Euro verschlingt T-Systems, eine Tochtergesellschaft der Telekom.

Ob auch die Regierenden die App brav nutzen, ist übrigens nicht bekannt. Sie scheinen sich ohnehin für ihre eigenen Corona-Regeln nicht sonderlich zu interessieren. So traf sich die Kanzlerin unlängst zum maskenfreien Gruppenkuscheln mit den Ministerpräsidenten und saß Winfried Kretschmann ohne Mund-Nasen-Schutz seelenruhig in einer vollen Abflughalle. Zu stören scheint all das eine Gesellschaft nicht, die zwar Gefallen an der Maskerade gefunden hat und nicht genug von Vorschriften bekommen kann, Technik aber skeptisch gegenübersteht. Im Falle der Corona-App dürfte die Skepsis nicht unbegründet sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Ramin Peymanis "Liberale Warte"

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Leserpost

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Benjamin Hein / 22.06.2020

>10mio Downloads aufgeteilt auf Android, laut Playstore 5mio, und Apple, demnach ebenfalls 5mio. Der Marktanteil von Android beträgt ~80% (78,6% wer’s genau wissen will). 140mio Mobilfunkanschlüsse ( ja, nicht jeder ist ein Handy, aber Dualsim ist in D nicht sonderlich verbreitet mWn) also 140mio Handys (112mio Android, 28mio Apple). Eine gleiche Aufteilung spiegelt einfach nicht die reale Verteilung wieder.

Hans Buschmann / 22.06.2020

Wie kommen Sie darauf, dass die Gesellschaft Gefallen an den Masken gefunden hat?  Die Realität beweist doch das Gegenteil!  Hans Bus

Robert Schleif / 22.06.2020

Das Installieren der Corona-App ist übrigens eine Disziplin im Wettbewerb der Oberschichttrottel nach dem Vorbild von Monty Pythons “Upper Class Twit of the Year”. Die anderen Herausforderungen sind das Blockparteiwählen, Plüchteddy-Zielschießen, Lichterketteneinreihen, Gegenrechtsdemonstrieren und (für Frauen) das Durchqueren eines Stadtparks bei Nacht.

Jürgen Althoff / 22.06.2020

@Sabine Lotus: Die T-online Newsseite hat die Telekom schon vor längerer Zeit verkauft, ich glaube an den SPD-nahen (?) Ströer Medienkonzern

Jürgen Althoff / 22.06.2020

Die App zu installieren ist sinnlos, solange nicht sicher gestellt ist, dass NUR echt-positive Testergebnisse erfasst und weiter gegeben werden können. Je nach regionaler Prävalenz des Virus wird der Anteil falsch-positiver Meldungen jedoch grösser sein als echt-positive Ergebnisse. Ohne eine verpflichtende B-Probe zur Bestätigung eines positiven Ergebnisses werden gesunde Nutzer unberechtigt in Quarantäne geschickt.

Chris Demant / 22.06.2020

In der neuesten Ausgabe der renommierten US Businessweek kommt ein ausführlicher Bericht (‘Antibody Tests are Confusing Everyone’) über den aktuellen Stand bzgl. der Corona-Antikörper-Tests. Darin wird ausführlich dargestellt, dass die Tests nur selten zuverlässig funktionieren und in der Regel mehr Fragen aufwerfen als Antworten zu liefern. Im Prinzip ist die ganze Testerei aktuell noch Kaffeesatzleserei. Das kann sich in einigen Monaten verbessern, muss es aber wohl nicht. Wenn die Datenbasis nichts taugt, ist jede Form von Software basierter Weiterverarbeitung herausgeworfenes Geld.

Petra Wilhelmi / 22.06.2020

Wozu bräuchte Europa eine Einheits-Corona-App? Das wäre sicherlich für Controllfreaks der Höhepunkt dessen, was an Überwachung gehen würde. Aber, die EU ist eben keine Einheitsstaat, sondern hat viele Nationen. Wer glaubt, es ginge bei der Corona-App um Corona, ist in meinen Augen naiv. Das ist die persönliche Überwachung von Bürgern, die vielleicht positiv sind, aber da der Test nicht wirklich etwas taugt, müssen die nicht erkrankt sein. Es ist die Stigmatisierung der Bürger und Überwachung. Das wissen auch die Regierungsparteien. Also wieso schmeißt man wieder mal Millionen an Steuergeld hinaus? Fragt sich niemand, warum das bei diesem Virus erst gemacht wird, der - wie herauskam - gar nicht neu ist? Hätte man das nicht auch schon im Jahr 2017/18 machen können als die Grippewelle mehr Tote gefordert hat und einen hohen Krankenstand, den viele Unternehmen gerade mal so verkraften konnten und der auch zu manchen Schulschließungen geführt hatte? Wieso wird gerade beim Covid-19 ein Exempel an Wirtschaft und Bevölkerung statuiert?

Bernd Ackermann / 22.06.2020

@Sabine Lotus - Die T-Online-Startseite gehört schon seit Jahren nicht mehr der Telekom, sie wurde an die Ströer-Gruppe verkauft. Chefredakteur dort ist Florian Harms, ehemals Chefredakteur bei Spiegel Online. Wundern Sie sich über die Inhalte? Und 1984 wird nicht verbrannt, man macht den Winston Smith und ändert einfach den Inhalt, so wie aus dem Negerkönig der Südseekönig wurde.

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