Henryk M. Broder / 21.01.2009 / 17:33 / 0 / Seite ausdrucken

Die Angst der LINKEN vor einem Selbsttor

Der Landesvorsitzende der Berliner LINKS-Partei hat auf einer Israel-Soli-Demo in Berlin eine Rede gehalten, in der er, ausgewogen und ohne Partei zu ergreifen, die antisemitischen Ausfälle bei den Anti-Israel-Demos verurteilte. Außerdem gab er sich große Mühe, seiner eigenen Partei den Pelz zu waschen, ohne ihn nass zu machen.

Meine Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

es fällt mir nicht leicht, hier heute zu sprechen. Das hat mit dem Aufruf zur heutigen Kundgebung zu tun, der eine Solidarität einfordert, die ich so nicht geben kann. Weil ich als Sozialist eine grundsätzliche Schwierigkeit habe, mich pauschal mit Institutionen und Staaten solidarisch zu erklären. Meine Solidarität gehört Menschen. Menschen in Bedrohung und Menschen in Not.

Warum ich hier dennoch spreche, ist kurz erklärt: Die Tatsache, dass in den vergangenen Wochen Demonstrationen stattgefunden haben, auf denen „Tod, Tod Israel!“ skandiert wurde, finde ich unerträglich. Und ich bin der Ansicht, dass der brutale und bittere Konflikt im Gazastreifen und im Süden Israels keinerlei Anlass sein darf, um darauf hier in unserem Land ein antisemitisches Süppchen zu kochen. Damit meine ich auch die hin und wieder ausgesprochene zynische Erwartung an Jüdinnen und Juden, sie hätten bessere Menschen zu sein als alle anderen…

Meine Gedanken sind dieser Tage oft bei meinen Freunden in Israel, die seit Jahren mit der Angst leben müssen, von Raketeneinschlägen getroffen zu werden, genauso bei den Zivilisten im Gazastreifen, bei den Frauen und Kindern, die die Leidtragenden des augenblicklichen Krieges sind. Bei den Opfern kann und werde ich als Sozialist und Humanist nicht unterscheiden zwischen den einen und den anderen. Mit Krieg verbindet sich nicht nur unendliches Leid. Krieg verändert auch die Menschen auf allen Seiten, und Krieg verbindet sich seiner Natur nach im Grunde immer mit unfassbaren Gräueltaten und Verbrechen…
Hier gehts weiter: http://www.klauslederer.de/willkommen/album/je_eher_die_waffen_schweigen_desto_besser_ist_es/

Das reichte, um eine alte Frage wieder aufzuwärmen: Wie hältst du es mit den Juden, Genosse? Eine Frage, die für die Identitätsfindung der Linken und Rechten in Deutschland schon immer der Lackmustest war. Und so hat die “AG Anonyme Antizionisten in der LINKEN”  in einem Offenen Brief an Klaus Lederer seine Teilmahme an der Demo gerügt. Hier der Wortlaut der Depesche:

Lieber Genosse Klaus Lederer,

wir teilen die von Dir auf der Solidaritätskundgebung mit Israel am 11. Januar 2009 geäußerte Position, dass niemand das Recht hat, seine politische Kritik am Gazakonflikt in Antisemitismus umzumünzen. Dies öffentlich zu sagen, hätte Deiner aktiven Teilnahme an dieser Kundgebung nicht bedurft. Wie wir gemeinsam wissen, handelte es sich um eine Veranstaltung zur ausdrücklichen Unterstützung des militärischen Angriffs israelischer Truppen auf den Gazastreifen. Im Aufruf zur Kundgebung heißt es unmissverständlich: “Israels Selbstverteidigung ist legitim und kein Verbrechen!” Für das Leiden der palästinensischen Bevölkerung wird im Aufruftext ausschließlich die Organisation Hamas verantwortlich gemacht. Dieser überaus einseitigen Sicht widersprichst Du in Deiner Rede nicht. Auch ziehst Du es vor, über den zentralen Ausgangspunkt des Nahostkonflikts zu schweigen. Dies ist bekanntlich die seit mehr als 40 Jahren andauernde Besetzung bzw. Kontrolle des Gazastreifens und der Westbank, wodurch der dort lebenden palästinensischen Bevölkerung beharrlich eine friedliche Entwicklung verweigert wird.

Zum Aufruf der Kundgebung selbst erklärtest Du, dass darin eine Solidarität eingefordert würde, die Du so nicht geben könnest. Zur Begründung führst Du aus: „Weil ich als Sozialist eine grundsätzliche Schwierigkeit habe, mich pauschal mit Institutionen und Staaten solidarisch zu erklären”. Geht es für Sozialistinnen und Sozialisten nicht zuvörderst um die grundsätzliche Schwierigkeit, den Krieg als politisches Mittel zu akzeptieren? Das ist doch wohl Konsens in unserer Partei, den Du mit Deiner Rede – und mehr noch mit Deiner Anwesenheit auf dieser Kundgebung - faktisch aufgekündigt hast. „Meine Solidarität gehört Menschen. Menschen in Bedrohung und Menschen in Not”, führtest Du weiter aus. Offen gestanden: Diese Formulierung wirkt wie eine bloße Ausflucht und sie ist alles andere als eine Distanzierung von den Parolen der Veranstalter. Etwas später sagst Du: “Ich teile die Einschätzung des israelischen Sicherheitschefs Amos Gilad, dass es bis zum heutigen Tag ‘keine optimale militärische Lösung’ für den Gazastreifen gäbe und Militäreinsätze nicht das Allheilmittel sind, um die Probleme des Nahen Ostens zu beseitigen.” Dies ist eine zynische Relativierung von Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Auch damit stellst Du Dich außerhalb des breiten Meinungsspektrums, das es in unserer Partei zu den Ursachen des Nahostkonflikts gibt.

Lieber Genosse Klaus Lederer,

mit manchen Feststellungen in Deiner Rede gehen wir durchaus konform, aber insgesamt stehst Du im tiefen Gegensatz zur Haltung, die Gregor Gysi in der Debatte zum Nahostkonflikt im Deutschen Bundestag am 14. Januar 2009 im Namen der Fraktion DIE LINKE vertreten hat. Auch wir wollen, dass der Nahe Osten endlich in Frieden und Sicherheit gedeihen kann. Auch uns schmerzt das unendliche Leid, dass der Krieg über Menschen bringt. „Einen Krieg kann ich nicht rechtfertigen”, führtest Du aus. Aber, Du hast Dich dazu hergegeben, auf einer Veranstaltung zu sprechen, die aus einseitiger Betrachtung eigens zur Rechtfertigung der brutalen israelischen Aggression einberufen wurde und – trotz einiger kritischer Momente Deiner Rede: Die Tendenz Deiner Ausführungen entspricht dem Mainstream des dort Gesagten.

Durch Deinen demonstrativen Auftritt als Landesvorsitzender hast Du die Berliner Partei in eine unerträgliche Nähe mit aktiven Unterstützern des gegenwärtigen Krieges gebracht.

Wir wissen, dass Dein Auftreten auf der Kundgebung “Solidarität mit Israel - Stoppt den Terror der Hamas” am 11. Januar 2009 von außerordentlich vielen Mitgliedern des Berliner Landesverbandes der Partei DIE LINKE nicht gebilligt wird. Auch in Ihrem Namen verfassten wir diesen Brief.

Berlin, den 21. Januar 2009
Elmar Altvater, Ellen Brombacher, Christine Buchholz, Erkan Demirtas, Paul Grasse,
Victor Grossman, Harri Grünberg, Kurt Gutmann, Klaus-Dieter Heiser, Klaus Höpcke,
Pia Imhof-Speckmann, Sascha Kimpel, Hermann Klenner, Ralf Krämer, Monika Merk,
Hans Modrow, Kurt Neumann, Mischa Olbrisch, Carola Radigk, Marianna Schauzu,
Andreas Schlüter, Lucia Schnell,Werner Schulten, Sahra Wagenknecht, Andreas Wehr,
Irmgard Wurdack
http://www.juedische.at/TCgi/_v2/TCgi.cgi?target=home&Param_Kat=3&Param_RB=40&Param_Red=11129

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