Fabian Nicolay / 13.10.2021 / 12:00 / Foto: Ron Kroon / 143 / Seite ausdrucken

Der Witz mit der Steckdose

Über Jahrzehnte hat sich das Gros der Deutschen den Verheißungen der Nachhaltigkeits-Utopien hingegeben. Jetzt wird die Energie wie vorhergesagt so knapp und teuer, dass allmählich Panik ausbricht.

„Wozu Atomkraftwerke? Bei uns kommt der Strom aus der Steckdose!“ Das war ein beliebter Witz in den Achtzigern, wo man noch offen über Ökos lachen durfte und mit gespielter Naivität das eigene Verbraucherverhalten verhohnepipelte. Heute mutet der Witz wie ein Kassandra-Ruf an: Die deutsche Energiewende droht gleich nach dem Abbiegen an die Wand zu fahren. Aber kaum jemand ist sich der bedrohlichen Lage bewusst – der Strom fließt ja noch. Dabei scheint die Havarie so evident wie gewollt zu sein: Die Energiepreise explodieren – wegen Rohstoff-Knappheit, Steuern und Aufschlägen durch das EEG, wegen CO2-Zertifikaten und symbolpolitischer Fehlentscheidungen.

Der Furor, mit dem die gesamte Flotte der Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke versenkt wird, ohne die Versorgungslücken geplant und sicher schließen zu können, ist jeder Vernunft abhold und kommt einem wirtschaftlichen Amoklauf gleich. Die nun bevorstehenden Stilllegungen von Kraftwerken beseitigen die letzten Leistungsreserven, weshalb massive Versorgungsengpässe drohen und Kettenreaktionen im Wirtschaftskreislauf ausgelöst werden können. Energieintensiven Industriezweigen droht das Aus, einhergehend mit dem Kollaps einer auf lückenlose Energieversorgung angewiesenen Industrienation.

Enorme Fliehkräfte eines Energieexperiments

Grüne Gesinnungspolitik führt früher oder später zur Abschaffung der Vernunft. Weil ihr am Ende der moralische Anspruch immer wichtiger ist als das Ergebnis aufgeklärten Abwägens. Es ist nicht Naivität, sondern Ignoranz, mit der man die Energieversorgungskrise heraufbeschworen hat. Und es ist nicht so, dass man den Kollaps nicht kommen sähe – er wird bewusst in Kauf genommen – sondern, dass man seine Folgen und Kollateralschäden unterschätzt und schamlos herunterspielt. Die Münchhausen-Version einer sozialverträglichen Transformation hat sich bereits selbst widerlegt; die Energiekosten richten sich schon heute massiv gegen alle, die knapp bei Kasse sind und kaum über die Runden kommen.

Ein Blick in die aktuelle Nachrichtenlage ist erschreckend. Gasversorger kündigen Preiserhöhungen von bis zu 25 Prozent an, für Unternehmen sogar bis zu 50 Prozent. Energiekonzerne wie Eon setzen das Neukundengeschäft aus. Kunden, deren Versorger in Konkurs geht, werden demnächst möglicherweise keinen neuen Versorger mehr finden. Auf der anderen Seite will Frankreich eine Milliarde in neue Atomkraftwerke investieren, während hierzulande deren Kühltürme gesprengt werden. Das ruft jetzt sogar internationale Naturschützer auf den Plan: „Liebes Deutschland, bitte lasse die Kernkraftwerke am Netz". 

Jürgen Trittin hatte 2004 noch versprochen: „Es bleibt dabei, dass die Förderung Erneuerbarer Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur rund 1 Euro im Monat kostet – so viel wie eine Kugel Eis.“ Schon 2019 bezahlte ein durchschnittlicher 3-Personen-Haushalts mit rund 4.000 Kilowattstunden Stromverbrauch das 21-fache der Trittin'schen Münchhausen-Phantasie. Das Schlimme sind nicht nur die sozial unverträglichen Mehrkosten, sondern die enormen Fliehkräfte eines Energieexperiments, dessen „alternative“ Strukturen einfach nicht funktionieren und sozialen Sprengstoff enthalten.

Deutschland hat in Kürze keine energietechnischen Leistungsreserven mehr (Kraftwerke), der Markt für Gas und Kohle läuft jetzt heiß, die Versorgung vieler Industriebetriebe ist nicht gesichert. Die steigenden Rohstoffpreise werden zwangsläufig zu enormen Produktverteuerungen führen. Energie wird immer mehr zum Luxusgut oder einer zweiten Miete für die Leute, die im Winter heizen und an Weihnachten kochen wollen. Neben der Rohstoffknappheit wird der Zusammenbruch von Lieferketten zum Dominoeffekt in den produzierenden Betrieben. Die Rezession als Selbstläufer. Flächenabschaltungen als Vorboten einer sich verstetigenden Mangelwirtschaft. Die Lücken in der deutschen Energieversorgung und die hohen Kosten der Ersatzbeschaffung werden zu sozialen Benachteiligungen führen, für die das linksgrün-urbane Milieu an erster Stelle und die liberal-konservativen Duckmäuser als Abnicker dieser Irrwege an zweiter Stelle verantwortlich zeichnen. Und alles was ihnen dazu einfällt, sind Durchhalteparolen: Katarina Barley empfiehlt denen, die nichts mehr zu sparen haben, noch mehr zu sparen: „Die Kilowattstunde, die ich nicht verbrauche, ist am billigsten“. Und im WDR jubelt ein Wirtschaftsredakteur es: „Er ist da der Preisschock. Gut so!"

Taschenspielertricks von Energiewende-Propheten

Der Witz mit der Steckdose ist zur Farce verkommen. Wen verwundert's? Über Jahrzehnte hat sich das Gros der Deutschen den Verheißungen der Nachhaltigkeits-Utopien hingegeben. Die vorhersehbaren Risiken waren irgendwie zu ignorieren, weil es uns in Deutschland so prächtig ging. Im Delirium des Wachstums hat sich aber ein teilnahmsloser Opportunismus in der Gesellschaft festgesetzt, der jeden Zweifel an den Tugendwächtern des Juste Milieus verunmöglichte, Widerspruch systematisch verdrängte und die Industrie zum Spielball der Politik machte. Dabei spielen die Medien eine entscheidende Rolle. Wir sind auf die Taschenspielertricks von Energiewende-Propheten reingefallen, weil sie von den Medien in Dauerschleife hofiert wurden. Das wird uns nun zum Verhängnis, wenn der Gesellschaftsfrieden plötzlich von einer Versorgungskrise existentiell bedroht wird und wir keine Handhabe dagegen parat halten können, weil die (technischen) Konzepte für eine mögliche Korrektur einst mit dem ideologischen Stahlbesen herausgekehrt worden sind. Alternativlose Politik erzeugt Einbahnstraßen.

In solch einer Einbahnstraße befinden sich unsere labilen Versorgungssysteme. Sie benötigten nur noch einen letzten Schubser, um einzuknicken. Zuerst der ruinöse Lockdown mit „Maßnahmen“ zur kollektiv-suggestiven Massenentfremdung, dann die wochenlange Stilllegung der Wirtschaft und die Unterbrechung von Lieferketten. Was sich als Hygiene-Regime tarnte, erscheint im Rückblick wie der letzte Akt einer Staatsermächtigung über die zivile Willensbildung und die volkswirtschaftlichen Prozesse. Nun stehen reale, hausgemachte Energie-Versorgungsengpässe vor der Tür, an denen nicht die Erderwärmung schuld ist, sondern die dünne Luft im Regierungsviertel. Passend dazu wird unsere Leichtgläubigkeit gegenüber dieser Politik zum Brandbeschleuniger des kommenden Abschwungs.

Die Deutschen haben den Einflüsterungen von Ideologen nichts entgegenzusetzen. Sie sind zu Bittstellern gegenüber einem bevormundenden Staat geworden, der wie ein Heilsbringer auftritt. Das verschreckte Volk wird in der Not nach ihm rufen, wenn die Heizung kalt wird und der Herd keinen Strom oder Gas bekommt. Umsonst. Der Staat wird nicht kommen und trösten. Er wird sagen: „Jetzt ist er nun mal da, der Blackout. Wir können euch nicht davor schützen. Ihr müsst das jeden Tag mit euren Mitbürgern neu aushandeln.“ 

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Leserpost

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Thomas Schmid / 13.10.2021

Was soll man dazu noch sagen? Wir hatten soeben eine Bundestagswahl und die hier beschriebene (falsche) Politik hat wieder obsiegt. Ich kann kein Mitleid empfinden. Dann eben auf die harte Tour. Lernen durch Schmerzen. Der Michel und seine Micheline bekommen genau das, was sie wollen. Das ist nur gerecht.

J.G.R. Benthien / 13.10.2021

Was soll denn täglich neu ausgehandelt werden? Wo nichts ist, kann niemand handeln: ‘Ich hätte gern 100 kWh Strom.’ ‘Ham wer nich.’ ‘OK, dann hätte ich gern 20 kWh Strom.’ ‘Ham wer och nich.’ ‘Wenigstens 2 kWh?’ ‘Nö.’ Danke für das Gespräch Frau Barley.

Chris Kuhn / 13.10.2021

Und es haben alle mitgemacht. Selbst die ehrwürdige Deutsche Physikalische Gesellschaft (31 Physik-Nobelpreisträger, und viele der 32 in Chemie waren auch Mitglieder), die in der Zeitschrift immerhin ein paar kritische Artikel zur Energiewende zuließ, traut sich schon lange nicht mehr, eine Renaissance der Kernenergie zu verlangen. Unabhängig davon würde das - wie nach den 50ern, als das alliiierte Kernforschungsverbot fiel -  schätzungsweise etwa 15 Jahre Vorlauf benötigen. Dabei konnte man bis in die 60er noch auf heute als N++is verschmähte Experten aus den 30ern und 40ern zurückgreifen, während es jetzt durch die GRÜNEN Abrißbirnen für mathematisch-naturwissenschaftliche Intelligenz keine anwendungsnahen Kernphysik- und -technikstudiengänge mehr gibt, so daß sich die noch laufenden KKWs schon Pensionäre in ihre Leitwarten holen mußten.

Lars Bäcker / 13.10.2021

Wird bestimmt lustig werden, wenn unsere “Mitbürger”, mit denen wir jeden Tag irgendwas neu aushandeln sollen, ihre Handys nicht mehr aufladen können, weil es im Traumland genauso wenig Strom gibt wie zuhause. Ich werde wieder sarkastisch. Dabei wollte ich mir das doch abgewöhnen. Aber es wird einem hierzulande wirklich nicht leicht gemacht. Ich werde es mir als guten Vorsatz für 2022 aufheben…

G.Lindner / 13.10.2021

Unsere drei Enkel rebellieren , weil ihre Mutter ihnen mitgeteilt hat, das ab Morgen das Fahrrad wieder zum Schulbesuch genutzt werden muß. Mutti ist das Benzin zu teuer und die 5 Kilometer Hin und 5 Kilometer zurück, ist für die Jugend von heute, kein Problem. Der Freitag zeigt Erfolg, sagte Mutti ganz schippisch, dafür habt ihr ja Freitags eure Bildung zurück gestellt. Ich war überrascht, wie konsequent unsere Tochter zu ihren Kindern sein kann. Denn sonst hat sie alles verteidigt was ihre Kinder so für Problemlösungen beim Thema Klima so alles auf Lager hatten. Es darf noch weiter Bergab gehen ,damit des normale Denken wieder Standard wird.

Dr Stefan Lehnhoff / 13.10.2021

...währenddessen wir der Antrag im französischen Parlament, den elektronischen Lebensbetechtigungspass auslaufen zu lassen, sobald kein Virus mehr eine besondere Bedrohung darstelle abgelehnt. Läuft, Herr Schwab! Wir kommen noch in die Situation , wo jeder, der einen Dummen Mitmenschen erschiesst , ein (Rest-)Menschheitsretter ist.

Donatus Kamps / 13.10.2021

Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu Handeln; erstens durch Nachdenken, das ist das Edelste, zweitens durch Nachahmen, das ist das Leichteste, und drittens durch Erfahrung, das ist das Bitterste.——- In einem Land, in dem die Mehrheit der Menschen sich ihre Meinung nach den zwei Kriterien bildet “was glauben die Menschen um mich herum” und “was gefällt mir zu glauben”, wird es wohl auf den dritten Weg hinauslaufen. Die Deutschen brauchen es auf die bittere Tour, anders bekommen sie es nicht hin.——- In den letzten Jahrtausenden waren die größten Herausforderungen, denen sich die Menschen gegenübergestellt sahen, Kriege, Krankheiten, Hunger, Kälte und ein Leben in schwerer Arbeit. Diese Herausforderungen existieren heute nicht mehr - oder sie müßten zumindest heute nicht mehr existieren. Die größten Herausforderungen heute sind Dummheit und ideologische Drogen, insbesondere die Droge des Sozialismus und seiner Spielarten.

Rainer Niersberger / 13.10.2021

.... Oder deutlicher : Ihr müsst Euch mit den anderen Würmern um die Reste streiten. Da bleiben eben nun mal einige auf der Strecke, so what, zumal jeder deutsche Wurm, der zugrundegeht, die Welt besser macht und dem Paradies naeher bringt.  Mit diesem Gefuehl faellt die am 26.9. gewaehlte Selbstopferung doch schon deutlich leichter.

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