Dirk Maxeiner / 27.01.2019 / 06:25 / Foto: pixabay / 58 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Nicht singen kann ich auch

Ohne ein anständiges Trauma ist man heutzutage ja gar nicht mehr satisfaktionsfähig. Ich habe lange überlegt, welches Trauma ich mir zulegen sollte. Und ich bin tatsächlich fündig geworden. Es gab ja viele peinliche Momente in meinem Leben, aber dieser war der peinlichste. Es passierte im Musiksaal, Sexta des Gymnasiums. Frau Bohlen, unsere Musiklehrerin, war bereits darüber orientiert, dass ich noch nicht einmal über rudimentäre musikalische Kenntnisse verfügte. Noten waren für mich nicht zu entschlüsselnde Hieroglyphen – und so ist es auch geblieben.

Doch Frau Bohlen gab nicht so schnell auf, sie fahndete bei jedem ihrer Schützlinge nach verborgenen Talenten. „Vielleicht kann er ja wenigstens singen“, muss sie sich gedacht haben. Jedenfalls musste ich nach vorne zu ihr ans Klavier zum Vorsingen. Ich vergesse das Lied nie: „Der Mond ist aufgegangen“. Es wurde 1790 vom Matthias Claudius als religiöses Abendlied geschrieben. Man nennt das auch Schlaflied.  Bedauerlicherweise konnte aber keine Rede davon sein, dass ich meine Mitschüler in den Schlaf sang. Ganz im Gegenteil. Die Heiterkeit im Saale stieg mit jeder Strophe. Stimmlage, Intonation, Mimik und Textsicherheit waren ein blanke Katastrophe. Die letzten Zeilen des Liedes heißen: „Verschon uns, Gott, mit Strafen und laß uns ruhig schlafen und unsern kranken Nachbarn auch.“ Danach brach im Musiksaal die Hölle los. Die gesamte Klasse krümmte sich brüllend auf dem Boden. 

Der Moment blieb während meiner gesamten Schulzeit legendär und wird heute noch bemüht, wenn ich ehemalige Schulkameraden treffe. Frau Bohlen, die mich trotzdem mochte, versicherte mir später einmal, dass sie oft an mich denken müsse, weil ihr ein solchen Phänomen absoluter Talentfreiheit nur einmal in ihrer Laufbahn begegnet sei. Ich wurde zu so einer Art Maskottchen für den Musikunterricht und bekam immer eine Gnaden-Vier, allerdings unter der Bedingung, nicht mitzusingen, sondern nur so zu tun. So ähnlich wie viele Fußballer bei der National-Hymne. Ich wette, der Özil hat gar nichts gegen das Deutschlandlied, sondern musste irgendwann mal „Der Halbmond ist aufgegangen“ vorsingen.  

Für einen Profi muss ja ein solches Trauma nach viel schlimmer als für mich sein. Ich meine jetzt nicht den Özil, sondern einen Profi-Sänger. So sang der Tenor Jonas Kaufmann mit dem Sinfonieorchester Basel Gustav Mahlers „Lied von der Erde“. Das tut er öfter und zwar so gut, dass er dafür berühmt ist. Das allerdings hilft gar nichts, wenn er diese Übung in der Hamburger Elbphilharmonie macht. Das Publikum wanderte schon während seines Auftrittes ab, weil die Akustik des 789-Millionen-Baues so phänomenal schlecht ist, dass man den Tenor gar nicht hören konnte. Dies wiederum hilft mir persönlich, mein Gesanges-Trauma zu überwinden. Schließlich könnte ich genauso gut wie Jonas Kaufmann in der Elbphilharmonie auftreten, keiner würde einen Unterschied merken, nicht einmal Frau Bohlen, weil man mich ja nicht hören kann. Dass Hamburg sich die Bewältigung meines Traumas 789 Millionen kosten lässt, finde ich im übrigen ausgesprochen großzügig.

Jonas Kaufmann hat indes angekündigt, nur noch in der 1908 fertiggestellten Hamburger Laeiszhalle singen zu wollen, das war noch deutsche Wertarbeit. Unter Fachleuten ist wohl schon länger bekannt, dass die Akustik in dem Renommierschuppen allenfalls Zweitklassik ist. Auch der italienische Stardirigent Riccardo Muti, der bei den Eröffnungsfeierlichkeiten 2017 mit seinem Chicago Symphony Orchestra aufgetreten war, soll gemault haben. Man redet nur nicht gern darüber, wer will schon in der Musiknazi-Ecke landen. 

Eine Philharmonie in der man nicht singen kann, erinnert mich ein wenig an einen Flughafen, von dem man nicht fliegen kann. Die BER-Eröffnung nach Meldungen von gestern übrigens schon wieder in den Sternen. Möglicherweise lässt sich zur Zwischennutzung ja ein Tausch zwischen Elbphilharmonie und BER arrangieren. Jonas Kaufmann singt im BER-Terminal und die Erbauer des BER fliegen vom Dache der Elbphilharmonie. Dann wird alles gut. 

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Leserpost

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Hermann Neuburg / 27.01.2019

An den Leser Franz Altmann mit lieben Grüßen aus Hamburg: Hamburg ist bekanntlich ein Stadtstaat und btw die älteste Republik in Deutschland, zusammen mit Bremen.  Daher: Wenn München sich viel leisten kann, dann deshalb, weil Bayern insgesamt zahlt, so z.B. bei der Bayerischen Staatsoper. Hamburg dagegen zahlt alles alleine, und: bei der Elbphilharmonie, anders als bei BER und bei Stuttgart21 und beim Wiederaufbau des Hohenzollerschlosses in Berlin, ist es genau umgekehrt: jeder Deusche kommt in den Genuss dieses Baues, ohne dass ein Euro Bundesmittel geflossen wären. Hamburg hat das Gebäude komplett alleine gezahlt und ist auch kein Empfänger von Länderfinanztransfers, sondern hat seinerseits 2018 fast 90 Millionen eingezahlt, und das trotz des Stadtstaatenbonus! Also: die Kritik aus Bayern muss ich zurückweisen.  Im Übrigen: einen Musiktempeel zu bauen und seit mehr als 100 Jahren zu betreiben, wo nur die Werke eines Komponisten zu hören sind, wie undemokratisch-arrogant ist das denn? In der Elbphilharmonie habe vor einigen Tagen die phantastischen Orchesterstellen aus Wagners Opern gehört - pures Gänsehauterlebnis, was für ein Sound, wenn die Klänge aus dem Tannhäuser erklingen, oder Siegfrieds Trauermarsch aus der Götterdämmerung. Auch fantastisch: Vorspiel zu “Tristan und Isolde’.  Ach ja: die Münchner Philharmoniker mit ihrem Chefdirigenten sind begeistert von der Elbphilharmonie.

Bernd Ackermann / 27.01.2019

Um ein Trauma zu überwinden muss man sich ihm stellen. Sehen Sie sich einfach immer wieder Leslie Nielsen als Enrico Palazzo beim Singen der US-Nationalhymne in “Die nackte Kanone” an (zu finden bei Youtube), dann erscheint das Problem nur noch halb so groß. Schlimmer hätte es der Mesut auch nicht machen können, auch nicht in Hamburg. Aber der Zug ist zum Glück inzwischen abgefahren.

Wolfgang Kaufmann / 27.01.2019

Es gab mal den Sponti-Spruch: „Wo wir hinkommen, funktioniert nichts. Aber wir können ja nicht überall sein.“ Doch, inzwischen haben sie die Macht ergriffen. Und die ganze europäische Rosinenpickerklasse krümmt sich vor Lachen; freilich vorerst nur verhalten hinter unserem Rücken.

Gerhard Mader / 27.01.2019

Frau Hagedorn: Ich würde bei diesen und anderen Fällen doch mal an Sabotage denken. Sabotage von wem? Von den Indianern natürlich? Von welchen Indianern? Natürlich von denen, die sich darüber kaputtlachen.

Horst Kruse / 27.01.2019

Jetzt wollen wir aber nicht kleinlich werden : Zwar mißrät der Bau eines Flughafens und einer Konzerthalle - zuergänzen wäre noch der Bau eines Bahnhofs ( Stuttgart 21 ) - aber das Weltklima werden unsere rotgrünen Studienabbrecher schon in den Griff kriegen !

Bernd Michalski / 27.01.2019

Sehr schön aus der Schule geplaudert, Herr Maxeiner. So heischt man Mitleid ;-) Danke für die Verlinkung des Beitrags von Wolfram Goertz in der Rheinischen Post; er beschreibt dort sehr präzise, warum der Hamburger Protz-Saal nicht funktioniert, als Konzertpodium. (Der Hauptgrund dafür ist, dass man sich – ohnehin eine Schnapsidee – in HH dafür entschieden hat, den Saal auf dem alten Speicherhaus zu errichten, das viel zu wenig Grundfläche bietet. Deshalb musste der Saal sehr hoch werden, und deshalb hat er eine so miserable Akustik.) Unvorstellbar eigentlich, wie man Geld so zum Fenster herauswerfen kann. In meiner alten Heimatstadt Bochum hat man einen – nicht ganz so großen – Konzertsaal erbaut für weit weniger als ein Zehntel des HH-Etats. Und btw die dortigen Bochumer Symphoniker sind auch ein sehr gutes Orchester, das einen solchen Konzertsaal allzu lange entbehren musste.

Eugen Richter / 27.01.2019

Traurig aber war. In Deutschland bekommen die „Eliten“ nichts mehr auf die Kette. Vermutlich sind die dort oben mit den Herausforderungen deswegen komplett überfordert, weil sie höchstens durchschnittliche kognitive Leistungen erbringen können.  Ein indirektes Maß dafür ist die exorbitante Zunahme externer Berater in den letzten 20 Jahren. Ein aktuelles Beispiel ist der vdL Skandal im Verteidigungsministerium. VdL ist inkompetent und ungeeignet für dieses Ressort. Vermutlich ist es genau das, was Dr. Merkel (GröKaZ, sie lebe hoch, sie lebe hoch, sie lebe hoch) für ihre grosses Ziel (Zerstörung des Bürgertums) benötigt. Sie denkt halt vom Ende her. Sorry, etwas zu viel off topic. Leider ist es so, dass das Versagen der sogenannten „Eliten“ mindestens epidemischen Charakter hat. Für mich ist die Rot-Grüne Regierungszeit der Anfang vom Ende gewesen. Schon 1998 hatte ich nichts Gutes erwartet.  Kaum jemand störte sich am Verkauf moderner Technologien an die Chinesen, wie Transrapid, modernstes Kokswerk und Wiederaufbereitungsfabrik Hanau. Der Schnelle Brüter Kalkar ist zu einer Kirmes geworden. Ein Symbol für die hoffungslose Unfähigkeit, Feigheit, mangelnde Standhaftigkeit „führender“ Politiker in Deutschland. Fachlich hoffungslos überfordert, aber in „Partei“ glänzend. Genau diese „Experten“ und „Führungskräfte“ in der Politik haben z. B. eine Gesetz eingeführt, dass die „Leistungserbringer“ (so werden examinierte Ärzte und Zahnärzte im Sozialgesetzbuch V bezeichnet) mit einem Verbot der Berufausübung bestraft, wenn diese innerhalb eines 5-Jahresrhythmus nicht die erforderliche Fortbildungspunktzahl erreichen. Nur eine Fessel von vielen für leistungsbereite Steuerzahler. Weder Politiker noch relotierende „Medienschaffende“ unterliegen nur einem Bruchteil dieser Fesseln. Und so etwas wird von über 80% der „Wählenden“ goutiert. Fazit: Geliefert wie bestellt.

Franz Altmann / 27.01.2019

Teure Dinge müssen nicht gut sein; es genügt, wenn sie teuer sind—als Mitgliedsausweis im Club der Haber und Dürfer, wie Klein-Fritzchen sich das so vorstellt. Rolls-Royce und Ferrari, Hasselblad und Rolex leben davon, und das ist auch okay so (wiewohl ich die individuell ausgestattete Corvette wegen ihres Drehzahlverhaltens bevorzuge und ich für gelegentliche Fotos und Uhrzeitbestimmungen lieber mein Smartphone verwende, als einen dedizierten Gerätepark mit mir herumzuschleppen): Chacun a son goût. Was indessen nicht okay ist, das ist, das Geld anderer Leute für teuren Schrott zum Fenster hinauszuwerfen. Wie viel von dem Geld, das für BER und Elphi verschwendet wurde, stammt aus Bayern und Bawü? Hier sollten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, indem das verpulverte Geld vom Landesfinanzausgleichsanspruch abgezogen wird. Und wenn es jetzt gleich wieder heißt: Bayern hat aber… ja, Bayern hat in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik insgesamt weniger Landesfinanzausgleich erhalten, als es heute in einem einzigen Jahr zahlt, und dieses Geld überdies eben nicht auf Prestigemüll verschwendet, sondern auf Infrastruktur, die sich auszahlt. Was möglicherweise strategisch dumm war, aber so samma halt.

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