Dirk Maxeiner / 06.09.2020 / 06:15 / Foto: Tim Maxeiner / 38 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Lob der Improvisation

Wenn ich Urlaub vom irdischen Jammertal nehmen will, in dem ich mich beruflich die meiste Zeit des Tages aufhalte, habe ich es nicht weit. Exakt 14 Treppenstufen führen von meinem Büro unterm Dach direkt hinab in die Küche. Tagsüber habe ich die Abteilung Essen & Trinken durch eine gläserne Öffnung im Deckenboden unter Kontrolle, mein Blick fällt exakt auf den Herd. Was jetzt nach einer abgedrehten Architekten-Idee klingt, ist keine. Hier führte früher eine Luke auf den Dachboden. Nachdem eine richtige Treppe eingebaut war, wurde das Loch nicht verschlossen, sondern mit einer dicken Glasplatte begehbar gemacht. Zufällig haben wir dann später den Herd genau darunter platziert. Falls Sabine kocht, bin ich über das Menü stets im Bilde wie ein Pavian, der auf einem Ast sitzt und seiner Frau dabei zuschaut, wie sie am Boden den Bananenbrei herrichtet.

Die wahre Erholung stellt sich aber ein, wenn ich selbst um den Herd springen darf. Kochen ist angewandte Kontemplation, ich vergesse dabei mich selbst und die Zeit. Meine alte Schule hieß Cusanus-Gymnasium und deshalb halte ich es kontemplationsmäßig mit dem frommen Philosophen Nikolaus von Kues, genannt Cusanus. Der meinte, dass jeder die letzte Glückseligkeit erstrebe, und das sei für den Menschen diejenige, „die seiner eigenen menschlichen Natur entspricht und in der höchsten Verwirklichung seiner ihm eigenen Möglichkeiten besteht“. Für mich ist das beispielsweise eine Wildschweinbratwurst mit Fenchel und Erbsenpüree.

Das Ergebnis meines kontemplativen Wirkens ist dabei nie von langer Hand geplant, sondern ergibt sich aus dem, was sich zufällig gerade im Kühlschrank befindet. Wir sind eher erratische Einkäufer, und so besteht die Herausforderung oft darin, aus der Not eine Tugend zu machen. Kochbücher oder Internetrezepte sind mir ein Gräuel, ich bin mehr für die freihändige Improvisation, ungefähr so wie in der Weihnachtsmesse, wenn ich ohne Gesangbuch und lediglich in Kenntnis der ersten Strophe „Stille Nacht“ mitsinge. 

Kombination von gegensätzlichen Zutaten und origineller Würze

Unseren Kühlschrank zeichnet, wie gesagt, oft ein Mangel an stimmigen Ingredienzen aus, was die Kreativität zwangsläufig befördert. Das gilt übrigens nicht nur für Köche, sondern auch für Journalisten. Die Reichweite von Achgut.com verhält sich beispielsweise umgekehrt proportional zu den finanziellen Mitteln. Mit der Kombination von gegensätzlichen Zutaten und origineller Würze lässt sich aber viel erreichen. Das gilt fürs Kochen und fürs Berichten. Wer das nicht beherzigt, der ist auf die staatliche Zwangsernährung zurückgeworfen, und produziert Krankenhauskost so wie die Tagesschau, die vor dem Sandmännchen lauwarm mit der Schnabeltasse gereicht wird. 

Die Fähigkeit zur Improvisation verleiht hingegen Flügel, um es mit Red Bull zu sagen. Handwerker aus dem ehemaligen Ostblock waren stets Weltmeister in dieser Disziplin, ohne sie wäre die ganze Chose schon viel früher implodiert wie zwei schwarze Löcher beim Rendezvous.

Es gibt dafür jetzt ein neues Modewort und das heißt „Resilienz“ und meint, ganz grob gesagt, die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen, aber auch die Fähigkeit technischer Systeme, bei einem Teilausfall nicht vollständig zu versagen. Einfach formuliert: Resilienz ist das Gegenteil der Deutschen Bahn. Wenn da in Flensburg ein Baum auf die Gleise fällt, stehen bald in München die Züge still.

Das Gegenteil der Bundesbahn findet sich beispielsweise in Kamerun. Volker Seitz, der Achgut.com Afrika-Experte hat mir eine herrliche französische Video-Reportage geschickt, welche die unendliche Resilienz afrikanischer Buschtaxis und die gnadenlose Kreativität ihrer Betreiber zum Thema hat. Die Verkehrs-Infrastruktur des Landes wird von japanischen Autowracks aufrechterhalten, die wie Katzen sieben Leben haben. 

„Yes them to death“

Meine Prognose: Sollte die Welt einmal untergehen, werden diese rauchenden und röchelnden Kisten zu allerletzt ihre Dienste einstellen. Wenn zwischen Berlin und Potsdam schon Gras über die S-Bahn-Gleise wächst und in der Teslafabrik die Fledermäuse hausen, werden zwischen Lolodorf und Ebolowa noch waidwunde, von Klebeband und Holzbalken zusammengehaltene Mitsubishis verkehren. Soviel zur Zukunftsfähigkeit des Automobils mit Verbrennungsmotor. 

Über Resilienz der Auto-Hersteller wird entscheiden, ob sie in der Lage sind, den Verbrennungsmotor solange am Leben zu erhalten, bis die Weihrauchwolken der Elektromobilität sich lichten und wieder den Blick auf den Verkehrsalltag in weiten Teilen der Welt freigeben. Auch Kraftwerksbetreiber und Landwirte werden sich über die Zeiten des Wunderglaubens hinweg retten müssen. „Yes them to death“ heißt diese Taktik im Angelsächsischen, frei übersetzt: Sage brav ja und mach was Du willst. Jeder, der schon einmal in Asien Ferien gemacht hat, ist an dieser Parole so sanft gescheitert wie an einem Fangzaun in der Formel 1.

Die Kunst der Improvisation wird in den kommenden Jahren ganz allgemein darin bestehen, immer irrer werdende Vorschriften und Verordnungen möglichst elegant und kreativ zu umgehen. Sprich: Bestandteile der alten Normalität in jene Zeiten herüber zu retten, in denen die neue gescheitert sein wird. An welches Land erinnert mich das bloß?

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Tim Maxeiner

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Rainer Berg / 06.09.2020

Wieder ein toller Sonntagsfahrer. Und die Krativität osteuropäischer Handwerker - Volltreffer. Ich war einer von ihnen in der DDR. Wir waren in Beziehung Improvisation Weltmeister, die Wirtschaft insgesamt war allerdings nicht unbedingt Weltmeister. Vielleicht konnten die Genossen im ZK der SED nicht so gut improvisieren.

Karsten Paulsen / 06.09.2020

Schöner Artikel! Da sich die Gesetzeslage ständig ändert wird in unserem Haushalt auch die Anschaffung eine neuen PKWs zur strategischen Aufgabe. So habe ich bemerkt, dass ab 2022 alle Neufahrzeuge über ein Alkoholmeßsystem verfügen müssen, das Auto springt nicht an wenn man nicht gepustet oder mit Fahne gepustet hat. Vordergründig erklärbar aber eine ähnliche Demütigung wie jetzt mit den Masken. Da werden wir auch “ja” zu sagen ... und einen gebrauchten Wagen ohne diese Demütigungsinstrumente kaufen. Möglicherweise sogar ein Auto völlig ohne Elektonik aus Peterslahr ;-)

Hjalmar Kreutzer / 06.09.2020

Wie immer wurde meine sehnsüchtige Erwartung des Sonntagsfahrers nicht enttäuscht. Auf Wildbratwurst mit Fenchel und Erbsenbrei muss man erst mal kommen! How dare you, Herr Maxeiner, so ein engagiertes Vortragen kombiniert mit kompetent sorgenvoll erzieherischem Gucken bieten Ihnen nur ARD und ZDF! Früher beschlich mich immer eine gewisse Häme; wenn etwas besonders misslungen war und dazu die Staatspropaganda besonders pompös trötete, dann wusste ich, ich lebte in der Täterätää. Heute kommt leider dieses Gefühl auch öfter in der vereinigten BRD auf. Die politischen Witze werden besser, ein Zeichen für mieser werdende Zeiten und Sitten. Ich hoffe nur, die Zeiten des völligen Zusammenbruchs unserer Industrie und Infrastruktur dank Gnade der frühen Geburt nicht mehr erleben zu müssen, habe ich mich in 30 Jahren doch gerade an eine bei allen Problemen einigermaßen funktionierende Gesellschaft gewöhnt. Die Fertigkeiten der Fachkräfte im Zusammenkleben maroder Japaner-Autos werde ich nicht mehr erwerben. Schade, dass man es dort in 60jähriger Unabhängigkeit nicht geschafft hat, trotz aller Fertigkeiten eine eigene Industrie aufzubauen. Einen schönen Sonntag!

Jörg Haerter / 06.09.2020

An ein Land, aus dem ich komme. Wie sagte Klonovsky? Ich komme aus der Zukunft, der DDR. So ist es, alles schon mal dagewesen, seit Jahren rede ich von einer DDR 2.0, ich denke, wir haben sie jetzt, immer unter dem Deckmantel der Demokratie, also viel subtiler. Und mit dem Vorwand “Corona” lässt sich prima durchregieren, um mit der GröKaz zu reden, die Zügel anziehen! Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass wir schon wieder so weit sind. Die einzige politische Hoffnung sind diverse “Undemokraten” wie Orban, Putin, Trump und die AfD. Ohne die wäre schon lange das Licht aus. Sollte man auswandern?

Peter Holschke / 06.09.2020

Das propagiere ich allen Corona-Depressiven. Bald sind alle Wetten ungültig und dann werden sich diejenigen durchsetzen, welche einen Scheiß auf seltsame Zwänge und komische Regeln geben und sich mit dem Propaganda-Mist nicht befassen. Dafür kann man schon jetzt seinen Kopf frei machen. Das Pragmatische und das Vernünftige werden sich durchsetzen. Es gab schon einmal einen Zusammenbruch und auch einen Wende, also nichts Neues unter der Sonne. Diejenigen, welche zu fest an bestimmte Idiotologien glauben, werden krass untergehen. Es leben der gesunde Menschenverstand!

Gerd Heinzelmann / 06.09.2020

Herr Maxeiner, hat Sie das schon jemand mal gefragt? Sie müssen das nicht tun! Keine Frage!

Dr. med. Christian Rapp / 06.09.2020

DDR 2.0 wäre eine Fortentwicklung die ich nicht erkennen kann. AM als geübte Agitpropfunktionärin steht eher für BRDDR 0.5. Gott sei Dank, hab ich sie nie gewählt, oder wird mir das in der neuen Normalität noch zum Verhängnis ?

Dr. Joachim Lucas / 06.09.2020

Was würde eigentlich passieren, wenn wir alle wie gewünscht die E-Gurken fahren würden, dazu E-Fahrrad, E-Mäher, E-Lastwagen usw.? Schätze, dann würde bis auf die Gleicheren niemand mehr fahren, weil weder genügend Strom noch Infrastruktur da wären. Alle würden ihre Tage mit Anstehen in Ihrem Fahr-äh, Stehzeug verbringen -Zuteilung auf digitalen Strommarken, aber oh shit, das iphone hat keinen Strom. Der Strom macht Generalstreik. Das Land wäre komplett lahmgelegt. Es gilt im durchgeknallten Kein-Stromland D der Spruch: Der Rausch ist kurz, die Reue lang.

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