Thilo Schneider / 21.02.2021 / 16:00 / Foto: Superbass / 34 / Seite ausdrucken

Der richtige Mann in der falschen Partei

Unter den Blinden ist der beidäugig Sehende der Kaiser. Und unter all den Regierenden des ungesunden Mittelmaßes sticht eine Person hervor, die das Schicksal von Helmut Schmidt teilt: der richtige Mann in der falschen Partei. Im Falle unseres Protagonisten ist das sogar buchstäblich zu verstehen. Einer, der Wahlen gewinnt und dafür von seinen ParteifreundSternchenInnen gehasst wird.

Richtig: Die Rede ist von Boris Palmer. Gab es je einen Grünen, dem ich fast uneingeschränkt zustimmen würde – das ist er. Palmer verkörpert bei den Grünen das, was Wagenknecht bei DIE LINKE und Kubicki bei der FDP darstellt. Den gesunden Menschenverstand, der weniger mit Ideologie, als vielmehr mit Augenmaß und Vernunft Politik betreiben will. Und der deswegen die meisten Treffer durch „friendly fire“ kassiert. Palmer fällt immer wieder auf (die Nase). Das liegt an seiner absoluten Furchtlosigkeit, Dinge beim Namen zu nennen, die er in seiner Stadt Tübingen sieht und erlebt, der er als Oberbürgermeister vorsteht.

Palmer bürstet die Grünen gegen den Strich: Sei es, dass er „nicht Platz für alle Flüchtlinge“ hat, sei es, dass er eine „Liste mit straffälligen Migranten“ führen will (um seine Angestellten als Dienstherr zu schützen) oder dass er die ganzen Regierungsmaßnahmen und Lockdowns unter einem – nennen wir ihn freundlich – „pragmatischen Ansatz“ betrachtet. Aber Palmer wäre auch nicht Palmer, wenn er nicht vormachen würde, wie es auch gehen könnte: Jede Menge kostenlose Covid-Tests, spezielle Einkaufszeiten für Risikogruppen. Taxifahrten für Risikogruppen zum Preis eines Bustickets und kostenlose FFP2-Masken. Hier handelt ein Oberbürgermeister Palmer so, wie auch ein Helmut Schmidt bei der Hamburger Sturmflut gehandelt hat: schnell, besonnen, vielleicht Kompetenzen überschreitend – aber wirksam. Tübingen belegt mit seinen 226.000 Einwohnern gerade einmal den 229. Platz (von allen 412 Landkreisen und kreisfreien Städten) im Vergleich der Inzidenzwerte. Die Hälfte aller Städte wird da diesbezüglich schlechter regiert.

Keine Angst vor „Feindkontakt“

„Erfolg durch Leistung“ weckt natürlich Neid. Palmer wurde 2014 mit einer sehr breiten Mehrheit von 61,7% als Oberbürgermeister Tübingens wiedergewählt. Bei dieser Zahl dürfte es kaum möglich sein, dass Palmer hier keine Stimmen der bürgerlichen Mitte erhielt – zumal er sich seit Amtsantritt unter Dauerbeschuss aus den eigenen Reihen befindet, deren Aktionäre ihre Stimme mutmaßlich damals der parteilosen Herausforderin Beatrice Soltys gaben. Seine eigene Partei ist über den Instinktpolitiker Palmer derart erbost, dass sie ihm bei der nächsten Wahl 2022 nicht nur die finanzielle und logistische Hilfe verweigern will (Baerbocks und Habecks „Geduld sind wirklich erschöpft“), der grüne Landesunverstand Baden-Württemberg fordert Palmer sogar offen zum Parteiaustritt auf. Vielleicht leidet Palmer da unter seiner eigenen Partei und unter dem „Sarrazin-Effekt“, dem zornigen „Jetzt erst recht nicht“-Aufstampfen des allseits beliebten intern Unbeliebten.

Die Chancen von Palmer, auch ohne die tobenden Grünen als OB bestätigt zu werden, stehen indessen gar nicht einmal schlecht: Selbst wenn Palmer tatsächlich austräte und sich parteilos auf den Weg machen würde – und selbst wenn sich die Zahl seiner Wähler halbieren würde: Es gibt, gerade bei den Tübinger Grünen, aber auch den anderen Parteien, keinen Kommunalpolitiker von Format, der ihm das Wasser reichen könnte. Für eine Stichwahl würde es allemal reichen!

Hinzu kommt, dass Palmer ein echter Demokrat ist. Er redet mit jedem. Palmer ist Erstunterzeichner des „Appells für freie Debattenräume“ im September 2020, der sich gegen die sogenannte „Cancel Culture“ richtet und – die Achse-Leser müssen jetzt sehr stark sein – hat kein Problem, auch auf der Achse des Guten zu publizieren. Der Mann hat keine Angst vor „Feindkontakt“. All dies sind natürlich Verbrechen gegen die inoffizielle grüne Parteiraison, die sich intensiv bemüht, Republik und Gesellschaft in „wir“ und „die“ zu spalten und sich selbst zur ersten moralischen Instanz des Landes erklärt hat.

Wohin sollte ein Boris Palmer auch gehen? Auf weiter Flur gibt es keine Partei, die seinem bürgerlichen Vernunftansatz gerecht werden könnte. Palmer mag alles sein – aber er ist weder Links- noch Rechtsaußenspieler. Er ist sicher ein „Umweltfreak“ und, jede Wette, auch ein Menschenfreund, aber ohne die dogmatischen Ansätze seiner Mitgrünenden. Eigentlich müsste ein Boris Palmer eine „Boris & Friends“-Partei gründen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sahra Wagenknecht, Wolfgang Kubicki, Friedrich Merz, Thilo Sarrazin und noch ein paar AfD-Deserteure mitmachen würden. Und tatsächlich glaube ich, dass diese „Koalition der Vernünftigen“ gar keine schlechten Chancen hätten, aus dem Stand 5% zu holen. Das wird man ja wohl noch träumen dürfen!

(Weitere Träumereien des Autors unter www.politticker.de)

 

Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro

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Klaus Keller / 21.02.2021

Wenn Boris gesunden Menschenverstand hat, habe ich lieber keinen.

Rolf Lindner / 21.02.2021

Eine wirkliche Oppositionspartei würde man an den Diffamierungen durch den politmedialen Komplex erkennen. Da diese Partei schon existiert und das in Deutschland vorhandene Potenzial der noch nicht Enteierten aufgesogen hat, ist die Wahrscheinlichkeit des Erfolges einer neuen liberal-konservativen sehr gering.

K.Behrens / 21.02.2021

Schneider, als jüngstes zahlendes Mitglied einer Bewegung ohne Zukunft mit den ewig gleichen Phrasen, ich hielt Schneider für intelligenter? Leider und das ist bedauerlich, Herr Olaf Henkel steht aus gutem Grund nicht mehr zur Verfügung!!!! Seriöse Zeitgenossen wie Herr Olaf Henkel halten sich vom Mob fern. Ich muss mir nur das Personal des LkR für Hamburg anschauen, abgestandenes Personal!!!! Schneider auf der Welle von Herrn Palmer, der gute Schneider wußte also schon von Herrn Palmer und seinem Weg? Ich hoffe, das tapfere Schneiderlein macht sich nicht komplett zum Affen?

E Ekat / 21.02.2021

Eine Demokratie, die mit ach und Krach nicht einmal 10 glaubwürdige politische Akteure aufzuweisen hat, und darunter - meinetwegen - einen Friedrich Merz mitrechnet:  sollte man sowas nicht realistischer einordnen?

Robert Schmidt / 21.02.2021

Sicherlich richtig, eine solche Liste zu gründen, Palmer ist einfach nur rational und bemüht sich - man höre um staune - um INTELLIGENZ! ... aber, so ist es in einer Parteien Diktatur: der Weg zum Erfolg, sprich über die 5% Hürde geht nur über ein mediales Stahlgewitter, und ist sehr ungewiss. Denn die “Blockparteien” beißen Konkurrenz weg. Im Grunde darf man sich nicht zu schnell von der AfD verabschieden, nur weil sie durch tägliche mediale Nazi-Verleumdung für Normalos “verboten” wird und deshalb tatsächlich vor allem von den Extremen getragen wird.

armin wacker / 21.02.2021

Die Grünen in BaWü wurden schon immer, schon bei Rezzo Schlauch, von ihren Nordlichtern gemobbt. Aber wer Grüne wählt, wählt halt auch Diktatur.

Wolfgang Pfeiffer / 21.02.2021

“Boris & Friends” klingt gut: aber er könnte auch einfach so weitermachen wie bisher und nach einer gewonnenen OB-Wahl in Tübingen die diversen Resorts im Rathaus mit guten Leuten bestücken: Matussek fürs Kulturressort, Broder fürs Ordnungsamt, einen der diversen Wissenschaftler und Mediziner, die hier auf der Achse immer wieder zu Covid schreiben, fürs Tübinger Gesundheitsamt; und dann versuchen vielleicht den Prantl von der Süddeutschen zu gewinnen, der sich in letzter Zeit bekanntlich ausserordentlich kritisch zu den autoritären deutschen Corona-Regeln geäussert hat, vielleicht für ein neu zu schaffendes “Ressort für Reden was wir wollen und bis der Schnabel qualmt “. Die Liste kann natürlich gerne nach Gusto erweitert werden mit anderen geeigneten Kandidaten, die für gute Laune und effektive Politik in Tübingen sorgen könnten. Während der Rest der grünen Republik Deutschland dauerschnappatmet und kotzt. Und Palmer lässt sich partout nicht dazu überreden, auf die Knie zu gehen und beispielsweise von dem Kandidaten Broder zu lassen und statt seiner die ausserordentlich fähige Claudia Roth einzustellen. Ach ja, und ein Ressort “Wenn ihr uns dumm kommt lassen wir keinen mehr rein und bleiben unter uns” - für dieses Ressort würde ich Archi W. Bechlenberg vorschlagen. + + + Man mag es sich gerne vorstellen, die neue Gesundheitspolitik in Tübingen: die Junkies bekommen wahlweise sauberes Dope oder einen wirksamen Entzug. Dealer, falls es da welche gibt und sie sich noch raustrauen, sind arbeitslos und müssen sich einen richtigen Job suchen. Und die Cops können endlich das machen, wozu sie da sind: beispielsweise Claudia Roth vor die Tore Tübingens zu verfrachten, weil die sich trotz mehrfacher geduldiger Ermahnungen weigert, Ihren Frisör anzuzeigen. Und die netten Leute in Deutschland und im freundlichen Ausland hätten jeden Tag Grund zum Lachen bis der Doktor kommt. + + + Machbar wäre das: er müsste nur wollen wollen, der Palmer.

sybille eden / 21.02.2021

Wagenknecht hat einen “gesunden Menschenverstand” ??? Was haben sie denn heute geraucht, Herr Schneider ?

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