Arnold Vaatz, Gastautor / 11.09.2019 / 06:15 / Foto: Arnold Vaatz / 93 / Seite ausdrucken

Der Revolutionsadel und die Krokodile im Kasperltheater

Friede Springers Welt am Sonntag brachte am Sonntag ein interessantes Gruppeninterview mit einigen Bürgerrechtlern, die sich Verdienste um den Umbruch im Herbst 1989 erworben haben. Um es vorweg zu sagen: Niemandem unter den Beteiligten spreche ich diese Verdienste ab, und empfinde mit Ausnahme von Marianne Birthler für alle Sympathie und Respekt.

Die Zusammensetzung der Truppe ist zwar nicht überraschend aber interessant. Vera Lengsfeld und Gunter Weißgerber habe ich gefragt, ob sie auch eingeladen waren zu dieser kleinen Selbstbeweihräucherungsfete. Waren sie nicht. Bei Heidi Bohley, Angelika Barbe und Siegmar Faust habe ich gar nicht erst angefragt. Wären sie gefragt worden, wäre ihnen sowieso nur die Rolle des Krokodils im Kasperletheater zugefallen.

Man ist nur noch dann ein Herbstbeteiligter, wenn man ein Linker ist. Der erlauchte Kreis setzte sich denn auch brav zur Psycho-Sitzung auf die Couch und ließ sich vom Westdoktor auf die korrekten Allgemeinplätze hin untersuchen. Die interviewte Selbsterfahrungsgruppe hat denn auch artig die von ihnen erwarteten Sprechblasen geliefert. Tiefensee ließ hören, dass der Einigungsvertrag sei wie er sei, Schulz ging alles zu schnell, er meint, der Westen hätte sich ändern müssen, weil der Osten zusammenbrach und schimpft über eine angebliche „Bauch-über-Kopf-Vereinigung“, ohne seinen eigenen Kopf zu benutzen und einen Gedanken daran zu verwenden, was im Sommer 91 in Moskau geschah, als noch 500.000 russische Soldaten hier in den Kasernen gehalten wurden und sofort losschlagen konnten.

Menschenverachtende und selbstgerechte Pose

Und dann beginnt ab Seite zwei der Kampf gegen rechts: Lengsfeld und Barbe werden in Abwesenheit tapfer als „Irrlichter“ denunziert. Birthler findet es „schmerzlich, wenn jemand sich von den Idealen der Friedlichen Revolution verabschiedet hat“. Offenbar denkt sie da weniger an sich selbst. Denn auch wenn man ihr die Teilnahme an der fehlgeschlagenen Beschwichtigungsdemo am 4. November 1989 in Berlin mit Markus Wolf als präsumtiven Starredner noch durchgehen lässt: Wenn die Birthlerschen Revolutionsideale scheinbar darin bestehen, dass sie sich in trauter Einigkeit mit Wolf-Verehrer Lederer auf dreckigste Weise an der rufmörderischen Beseitigung von Hubertus Knabe und damit an der Rückeroberung der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen in die Befehlsgewalt ihrer ehemaligen Betreiber beteiligt, da fällt mir von Max Liebermann ein bekanntes Zitat ein. 

Der Revolutionsadel ist kollektiv besorgt. Da ist von einem „braunen Streifen“ die Rede von der Uckermark bis an die Neiße, von Nazikindern, von denen man sich fernhält (wahrscheinlich gemäß Ex-Stasi-Kahanes Handreichung kleine Mädchen mit Zöpfen) und so weiter. Für die Interviewten scheint ungefähr ein Viertel der Ostdeutschen nichts weiter als braune Scheiße zu sein. Ähnlich dachten die Nazis auch über Juden, Slawen, Schwule oder Kommunisten. Kein Gedanke daran, dass es diese menschenverachtende und selbstgerechte Pose ist, die den Revolutionsadel schon bei den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 versenkt hat und heute nicht der, aber ein Treibsatz für die Abwanderung zu Rechtsradikalen ist. 

Auch mir sträuben sich die Nackenhaare und mir ist nicht weniger wie Liebermann zumute, wenn ich von dieser Wolfsschanzen-Pose eines AfD-Typen lese, Leute in Wehrmachtsromantik schwelgen höre oder den aufkommenden Hang zu Nazi-Symbolik sehe: SS-Runen Tätowierungen, Chiffren wie „88“. Und natürlich haben wir ein ernsthaftes Nazi-Problem, wie sich schon mit den Morden der NSU-Gruppe gezeigt hat. Dies ist schlimm, und das Leid der Betroffenen ist nicht heilbar. Andererseits glaube ich nicht, dass die runentätowierten Irren, so gefährlich sie sind, jemals die Macht haben werden, einen Krieg vom Zaun zu brechen oder Massenmord zu begehen. 

Wenn immer mehr Leute auf dem Absatz kehrt machen

Aber mich besorgt auch etwas, was dem Revolutionsadel kaum einen Gedanken wert ist: wie wir es geschafft haben als etablierte Politik, die Menschen zu einer derartigen Abwendung von uns zu bewegen. Und dass wir nicht im Geringsten bereit sind, für diese schockierende Tendenz die Ursachen bei uns selbst und dem abgehobenen Medien-Filterblasenchor und ihrem durchgängig linksgrünen Sendungsbewusstsein zu suchen, das jede Meinungsvielfalt erstickt wie früher die Zensurabteilung des SED-Politbüros.

Wenn jemand schon dann ausgegrenzt und verfemt wird, wenn er am Gelingen der Integration von mehreren Millionen Aussiedlern aus Afrika und Asien zweifelt oder an der Gefährlichkeit von Kohlendioxid oder Kernkraft zweifelt oder aber nicht glaubt, dass sich durch Gelddrucken auf die Dauer das Finanzgefüge stabilisieren lässt oder gar die Existenz von 50 Geschlechtern für ein Hirngespinst hält, muss man sich nicht wundern, wenn immer mehr Leute auf dem Absatz kehrt machen. 

Da nutzt es auch nicht, die Zuverlässigsten der Zuverlässigen zu rekrutieren, um die Geschichte umzuschreiben. Zur Auswahl der Interviewgruppe in der Welt am Sonntag gibt es übrigens interessante historische Parallelen: Stalin und Ulbricht ließen ihre unpassend gewordenen Weggefährten auch aus den Bildern retuschieren. 

 

Arnold Vaatz ist einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Foto: Arnold Vaatz CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Norbert Brausse / 11.09.2019

Ist es nicht doch etwas primitiv von Ihnen, Herr Vaatz, einen vielleicht etwas unterbelichteten Mitbürger einer Partei (AfD-Typen) zuzuordnen. Meinen sie in anderen Parteien gibt es nur Ehrenmänner und Ehrenfrauen, wie sich das einmal Hans-Olaf Henkel für die AfD gewünscht hat. Die größten Widersprüche gibt es doch in ihrer Partei, wenn man sich Plakate von vor über 20 Jahren anschaut und mit der Politik vergleicht, die sie heute macht. Ich weiß sehr gut wo von ich rede, denn ich war viele Jahre Mitglied ihrer Schwesterpartei.

Peter Thomas / 11.09.2019

Warum nur fällt mir gerade jetzt der Seehofer ein, der angesichts des Grundgesetz-Frevels der GröKaz von der “Herrschaft des Unrechts” sprach - und dann was genau tat? - Nichts, nichts und nochmal nichts, abgesehen vom Weiterkassieren seiner fetten Alimentierung.

Rainer Möller / 11.09.2019

Das Problem war m.E., dass die sog Bürgerrechtler von Anfang an zwei verschiedene Ziele anstrebten: Für die einen ging es um eine freiheitliche Demokratie nach angloamerikanischem Vorbild (also mit Machtwechsel und Recht auf Opposition). Die anderen wollten den Einheitsfrontstaat ohne Machtwechsel und Rechtsopposition aufrechterhalten, dies aber in seiner ursprünglichen Form von 1946: als gleichberechtigtes Miteinander aller linken Gruppen ohne Vorrang einer einzelnen Partei.

Richard Loewe / 11.09.2019

Oh Mann! Wieder ein Absatz mit “AfD gleich Nazi” in einem Artikel von einem Blockpartei-Funktionaer Und dann die Maer von dem riesigen Nazi-Problem, das von 3 Leuten ausging… Mein Vertrauen in diesen Staat ist durch den Umgang mit dem NSU nicht gestaerkt worden und mein Vertrauen in einen Blockpartei-Politiker, der sein fettes Gehalt dafuer kassiert, dass er seinen Amtseid taeglich bricht (das Wohl des deutschen Volkes mehren) ist auch nicht besonders gross.

Stefan Riedel / 11.09.2019

“...Wenn die Birthlerschen Revolutionsideale scheinbar darin bestehen, dass sie sich in trauter Einigkeit mit Wolf-Verehrer Lederer auf dreckigste Weise an der rufmörderischen Beseitigung von Hubertus Knabe und damit an der Rückeroberung der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen in die Befehlsgewalt ihrer ehemaligen Betreiber beteiligt,...”. Gleiches muss dann aber auch von den Idealen einer Monika Grütters (aktiv an der Beseitigung von Herrn Knabe beteiligt) gesagt werden, meines Wissens noch CDU- Mitglied und damals Landesvorsitzende der CDU Berlin. Oder, wird Herr Maaßen von nicht von vielen Unionspolitiker (und auch von der Parteispitze)  “...ausgegrenzt und verfemt…” wegen seiner Kritik an den herrschenden Klima- und Migrationsdoktrien, sowie der zunehmenden Aushöhlung des Rechtsstaates. Die CDU hatte 2005 ungfähr 572.000 Mitglieder und hat heute noch ungefähr 415.000. Sehr geehrter Herr stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, besteht noch ein Funken Hoffnung, dass die CDU-Basis doch noch einmal den Aufstand gegen die herrschenden Berufspoltiker probt?

Gerhard Golchert / 11.09.2019

So, so, Herr Vaatz, sie haben von der Wolfschanzen -Pose eines AfD-Typen gelesen.  Hätten Sie den Bundestagsabgeordneten doch einmal gefragt, an was er dabei gedacht hat, bevor Sie dies als Todschlagargument verwenden. Er hat doch sicher Sprechstunden. Als ich 2002 zum ersten mal das Grab meines Vaters auf dem Soldatenfriedhof in Kuressaare ( Saaremaa - Ösel )  besuchen konnte, wo er im Oktober 1944 gefallen ist, habe ich wohl eine ähnliche Pose eingenommen. In jede Bewegung eines AfD-Mitgliedes wird etwas hineingedeutet, was rechtslastig ist.  Sprachen die Nationalsozialisten nicht auch Deutsch? Es wäre doch folgerichtig, diese Sprache zu verbieten, zumindest für AfD-Mitglieder.

Marie-Jeanne Decourroux / 11.09.2019

Das passt ins Bild, lieber Herr Vaatz! Nichtsdestoweniger muss man sich fragen, was da inzwischen passiert ist. Eine Frage, die übrigens aber auch an Ihre Partei geht! Denn wie kann es sein, dass die CDU/CSU gemeinsam mit den öffenlich-rechtlichen Medien keinerlei Anstoß daran nehmen, dass die alten Parteien heute wieder bedenkenlos mit der Linken zusammenarbeiten - einer Partei aus der Erbmasse des Stalinismus (ich erinnere nur an die freiherzige Stalin-Apologetik von Sahra Wagenknecht kurz nach der Wende…) - ja dass sie in einigen Bundesländern mit ihr sogar koalieren, während der historisch unbelasteten AfD (schon als die Partei unter Bernd Lucke ausschließlich Euro-kritisch ausgerich war!) jede Kooperation mit den Altparteien verwehrt bleiben soll ? Der Egoismus der Altparteien UND der linksgrünen öffentlich-rechtlichen Medien feiert in offensichtlicher Panik um Pfründe- und Einflussverlust ‘fröhliche Urständ’ -  egal, wenn die Demokratie dabei vor die Hunde geht.

Bruno Stühmeier / 11.09.2019

Sehr geehrter Herr Vaatz, mit Ihrem heutigen Aufsatz beweisen Sie wieder einmal, dass Sie beide Augen und ihren scharfen Verstand trefflich zu nutzen wissen. Was Sie in klarer, kräftiger Sprache sagen , ist richtig und notwendig. Die auf dem rechten Auge blinden AfD-Apologeten offenbaren mit ihrer Kritik nur ihre Weigerung, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Ich danke Ihnen und grüße Sie aus Grimma Bruno Stühmeier

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