Giuseppe Gracia, Gastautor / 10.10.2019 / 06:08 / Foto: Helmut Jilka / 62 / Seite ausdrucken

Der moralische Totalitarismus

Fragt man links-grüne Kreise, warum das politische Klima heute giftiger wird, warum Hate Speech oder Gewaltbereitschaft zunehmen, ist die Antwort klar: Rechtspopulisten fördern Fremdenfeindlichkeit, Sexismus und Nationalismus. Sie sind die Bösen, die eine gute, progressive und klimaschonende Weltmoral verhindern. Fragt man bürgerlich-konservative Kreise, sind die Schuldigen umgekehrt die Linken: wohlstandsverwöhnte Neo-Sozialisten und Kulturmarxisten, die im Zusammenspiel mit Gender-Ideologen an der Zerstörung der Freiheit und der klassischen Familie als Grundbaustein einer stabilen Gesellschaft arbeiten.

Zwischen linksgrün und rechtskonservativ gibt es natürlich Abstufungen und verschiedene Lager, die sich gegenseitig bekämpfen. Das gehört zu einer lebendigen Demokratie. Aber es ist naiv zu glauben, dass die Gefahr für den sozialen Frieden von rechts oder links kommt. Gefährlich ist vielmehr eine neue, parteiübergreifende Form von Totalitarismus: die moralische Selbstüberhebung. Ein treibender Motor des Faschismus der Nazis bestand darin, sich aufgrund der Zugehörigkeit zur richtigen Rasse überlegen zu fühlen. Ein Motor des kommunistischen Totalitarismus bestand darin, sich aufgrund der Zugehörigkeit zur richtigen Klasse (der Unterdrückten) überlegen zu fühlen. In beiden Fällen diente die Zugehörigkeit zur Gruppe dazu, die Gegenseite guten Gewissens hassen und auch töten zu dürfen. 

Der aktuelle Totalitarismus begründet sich rein moralisch. Es geht um die Zugehörigkeit zur gesinnungsmässig richtigen und daher erhabenen Menschengruppe, die gegen eine rückständige, niederträchtige Gruppe kämpft. Das psychologische Prinzip: "Ich kämpfe für die richtigen Werte, für das Gute, das die Welt schöner und die Menschen besser macht, also bin ich selber gut und darf den Gegner als moralisch minderwertig betrachten."

Das erklärt, warum oft gerade jene, die sich Toleranz, Anti-Diskriminierung oder Gerechtigkeit auf die Fahne schreiben, selber hetzen und intolerant sind. Warum sie im Namen des Guten ihre Kritiker dämonisieren. Trump, Orban, Salvini, AfD, SVP und wie sie alle heißen: das sind die Bösen, denen man Hassrede, Diskriminierung, Menschenverachtung vorwirft und die man deswegen guten Gewissens selber hassen, diffamieren und de-humanisieren darf. Wer Nazis nicht ausgrenzt und hasst, ist selber einer. Das Problem ist nur, dass der politische Gegner vielleicht kein Nazi ist. Und dass es nur darum geht, sich moralisch aufzuplustern, um gegen Kritik immun zu sein. 

Unmenschen, die man ausgrenzen muss

Ein Beispiel wäre die Antifa. Schwarz maskierte Leute, die auf der Straße gegen Andersdenkende hetzen (Abtreibungsgegner, Klimaleugner, Trump-Befürworter), die dabei mit Eisenstangen oder Brandsätzen vorgehen in der festen Überzeugung, dass nicht sie, sondern ihre Opfer die Bösen sind. Wer Rassisten oder Abtreibungsgegner angreift, meint es ja eigentlich gut. So funktioniert auch die moralische Hybris gewisser Kultur-Promis, etwa in Hollywood. Dort hetzt man im Namen des Guten leidenschaftlich gegen Konservative und betrachtet alle, die offene Grenzen, Abtreibung oder die Homoehe ablehnen, als Unmenschen, die man ausgrenzen muss. So, wie es auch in der Kulturszene in Europa geschieht.

Ein Schweizer Beispiel wäre der Verein „netz courage“, der gegen Hass, Diskriminierung und Rassismus im Internet kämpft. Die Broschüre "Mit Herz gegen Hass im Netz" (2017/2018), die auch an Schulen verteilt wird, ist allerdings selber voller Vorurteile, besonders gegen ältere, weiße, heterosexuelle Männer. Auf Seite 35 heißt es, man nutze Referate und Podien, um auch den "skeptischen und ablehnenden, eher im Tätersektor heimischen Teil der Bevölkerung" zu erreichen. Mit anderen Worten: Wer der überlegenen Moral von „netz courage" skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, gehört eher zu den Tätern. Das hat seine Logik: Wer für das Gute kämpft, dessen Kritiker müssen zu den Bösen gehören.

Der moralische Totalitarismus kommt aber nicht nur von links, sondern auch von rechts. Nicht erst seit den letzten Medienauftritten sind Leute wie Björn Höcke von der AfD dabei, die Schrecken des Nationalsozialismus zu relativieren. Sie versuchen auf verschiedene Weise, völkisches Gedankengut wieder salonfähig zu machen. Ganz so, wie es überall in Europa rechte Hetze gibt, sei es gegen Juden, gegen den Islam oder gegen Ausländer.

Im Moment ist es jedoch zweifellos die Klimaschutzbewegung, die mit moralischem Totalitarismus breitenwirksam agiert. Diese Bewegung möchte die Welt vor dem Untergang retten. Eine globale Mission von so großer Dringlichkeit, dass sie natürlich keine grundsätzlichen Zweifel duldet, schon gar keinen Widerspruch. Wer nicht dafür ist, ist nicht nur ein Gegner, sondern ein Klimaleugner, also moralisch minderwertig, denn er schadet der Menschheit, indem er nichts gegen die drohende Apokalypse unternimmt. 

Zwischen Moral und Mensch unterscheiden

Wohlgemerkt bedeutet die Gefahr des moralischen Totalitarismus nicht, dass wir nun alle gerufen sind, unsere persönliche Weltanschauung weniger richtig zu finden, oder dass wir unsere Moral nicht mehr für besser halten dürfen als eine andere. Jeder Mensch ist von seinen Prinzipien überzeugt, sonst hätte er sie ja nicht. Es geht darum, zwischen Moral und Mensch zu unterscheiden. Ich kann meine Moralvorstellungen besser finden als andere. Aber ich kann mich als Mensch nicht besser finden als andere. Jeder hat die gleiche, unantastbare Würde. Deshalb unterscheidet das Christentum zwischen Sünde und Sünder.

"Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein." Hier wird unterschieden zwischen einer schlechten Tat (etwa Raub, Totschlag) und der Person, die diese begeht. Die Tat wird abgelehnt, nicht aber die Person, die im Gegenteil Nächstenliebe verdient. Dazu passt, dass die katholische Kirche alle Menschen als Sünder betrachtet: das kann man als Schutzsperre gegen jede Form von Selbstüberhöhung lesen. Obwohl es auch in dieser Kirche seit jeher genug aufgeblähte Moralisten gibt, die sich hochmütig über Andere erheben. Aber heute nimmt wohl sowieso kaum noch jemand altmodische Begriffe wie Sünde oder Demut ernst.

Wenn es also darum geht, ein taugliches Mittel gegen die moralische Selbstaufblähung zu finden, wäre es vielleicht besser, bei der Weisheit des einfachen Volksmunds zu suchen. Zum Beispiel bei dem piemontesischen Satz: "Ma gavte la nata." Das heißt so viel wie: "Zieh dir mal den Pfropfen raus." So erklärt es Umberto Eco in "Das Foucaultsche Pendel". Es geht darum, dass man bei einer dünkelhaft aufgeblasenen Person annimmt, dass diese übermäßige Selbsteinschätzung den geblähten Leib nur kraft eines Pfropfens so prall erhält, der, in den After eingeführt, verhindert, dass die Selbstaufblähung verpufft und die Person auf Normalgröße zurückschrumpft. Oder mit den Worten Ecos: "Mit der Aufforderung an das Subjekt, sich besagten Stöpsels per Extraktion zu entledigen, will man dieses dazu verleiten, sein eigenes Erschlaffen herbeizuführen, ein jähes Zusammenschnurren, nicht selten begleitet von scharfem Zischen, mit Reduktion der verbleibenden Hülle zu einem traurigen Rest, einem blassen Abbild und blutleeren Schatten der einstigen Majestät."

 

Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. 

Foto: Helmut Jilka CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Claudius Pappe / 10.10.2019

” Sie versuchen auf verschiedene Weise, völkisches Gedankengut wieder salonfähig zu machen. Ganz so, wie es überall in Europa rechte Hetze gibt, sei es gegen Juden, gegen den Islam oder gegen Ausländer”. oh, oh, oh…………..da ist sie wieder, die Hetze von der Kanzel. Gerade einem Kommentar gelesen ( von jemandem mit Migrationshintergrund) das dem Deutschen das Völkische fehlt. Wer ist der größte weltbekannte Hetzer gegen Israel ? : Roger Waters (ex. Pink Floyd), in seinen Konzerten bejubeln seine Fans nicht nur die Musik, sondern auch seine Statements gegen Israel, seine Fans kommen mit Sicherheit überwiegend aus dem linksgrünen Bürgertum. Ich muss zugeben, ich habe oft über Ostfriesenwitze und Polenwitze gelacht- bin also ein Rassist. Habe über Holländer und ihre Wohnwagen geschimpft-bin also ein Rassist. In den 80 er Jahren sind mir in Holland mehrmals Spiegel am Auto zerstört worden. Wer erinnert sich nicht an die Plakate und die Briefaktion in Holland gegen die Deutschen. Wer kennt nicht die Schmähungen aus Griechenland (Bilder Merkels mit kleinem Oberlippenbart) nachdem wir Griechenland gerade zig Mrd. Euro geschenkt hatten ? Das alles geschah vor 2015. In Holland und Griechenland waren es dann alles Nazis ?

Karla Kuhn / 10.10.2019

Frau Schönfelder, Sie bringen es GENAU auf den Punkt. Was mir aufgefallen ist in der gesamten Geschichte , daß die Gebildeten die Täter meist nicht getötet haben aber die Linke Brut immer sofort die Todesstrafe praktiziert hat. Die Contenance zu wahren ist natürlich auch hier auf der Achse nicht immer einfach bei den sich überschlagenden Artikeln, die fast Tag für Tag mehr “Freundlichkeiten” unserer “hervorragenden Politik ” ans Tageslicht bringen aber DANK Netiquette unerläßlich. Auch wenn ich gerne etwas deftiger schreiben würde, so würde ich IMMER die Kürzere ziehen, denn eine Klage wird teuer !  Fall ich aber eines Tages doch noch reich werden sollte, wer weiß ?, dann werde ich ungefiltert vom Leder ziehen. Allerdings hoffe ich, daß der Alptraum eher ein Ende hat !

Walter Kosack / 10.10.2019

Ein Vertreter der katholischen Kirche identifiziert moralischen Totalitarismus als Grundübel. Ein Vertreter der katholischen Kirche, ja genau dieser Institution. Ich schmeiß mich weg vor Lachen, ausgerechnet katholische Kirche.

Mike Loewe / 10.10.2019

Spaltung besteht im Wesentlichen zwischen dem Islam und dem Rest der Welt. Durch immer mehr Islam in unmittelbarer Nachbarschaft wird die Diskrepanz zwischen diesen Kulturen nun auch in die ganze Gesellschaft hineingetragen. Gegner und Befürworter der islamischen Masseneinwanderung stehen einander ebenso so verständnislos bis feindlich gegenüber wie Nichtmuslime und Muslime.

Frances Johnson / 10.10.2019

Mir ist doch aufgefallen, dass wohl einige den großen Garcia Marquez im Unterbewusstsein haben. Dieser Autor heißt Gracia, vermutlich ausgesprochen: Gratscha.

Karla Kuhn / 10.10.2019

“Rechtspopulisten” förder Sexismus ist schon Blödsinn in meinen Augen. WER fördert denn Sexismus ?Für mich ist es die Genderideologie, die FRAUEN erhöht, die eine Quote eingeführt hat. Bei JEDEM Beruf darf es NUR nach Qualifikation gehen, Quoten sind für mich diskriminierend.  Und noch etwas, im Gesprächen mit Frauen fällt mir immer wieder auf, daß es viele gibt, die sich selber klein machen. JEDER ist für sich selber verantwortlich. Das Zauberwort ist BILDUNG ! Ich sehe es an meinen vier Enkel, alle vier lernen, bzw. haben sehr gute, ZUKUNFTSTRÄCHTIGE Berufe. Ein Staat, der eine “gesunde” Bevolkerung haben will muß auf BILDUNG setzen für ALLE. Und diejenigen, die es aus welchen Gründen auch immer nicht schaffen, sollten eben auf andere Art gefördert werden. Jahrelang in Hartz IV zu verharren ist großer Wahnsinn, für die Menschen selber aber auch für die Wirtschaft ist es ruinös.  Denn eins ist Fakt, es gibt immer erst die Ursache, ehe es zur Wirkung kommt ! Der Kommentar von Frau Ellen Planen ist großartig.

Ilona G. Grimm / 10.10.2019

@Sabine Schönfelder: «Vornehm geht die Welt zugrunde.» Sie haben ja recht, aber was schlagen Sie vor, das wir tun sollen? Zähle mich selber zu den fortschrittsgläubigen Konservativen, die erboste Briefe schreiben - politische Korrektheit außer Acht lassend, aber die Etikette beachtend. Was sonst? ?

Ilona G. Grimm / 10.10.2019

@H.Roth: Sie sagen es, ich unterschreibe es Ihnen. Die Gottvergessenheit unserer Gesellschaften ist das größte Problem, sie führt zur Aufgeblasenheit und verhindert Selbstreflektion. Auch ich glaube, dass die Bibel wahr ist. Je mehr und je ernsthafter man sich mit ihr befasst, desto klarer erschließt sie sich. Keine Philosophie kann auch nur ansatzweise mithalten. Kenntnisse aus zweiter oder dritter Hand und gelegentliches Blättern in der Bibel helfen allerdings nicht. Dann bleibt sie einem ein Buch mit sieben Siegeln, über das man geringschätzig lächeln mag.

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