Wolfram Weimer / 05.12.2018 / 06:20 / Foto: EPP / 57 / Seite ausdrucken

Der Mann, der warten kann

Wolfgang Schäuble schaut aus seinem Reichstagsbüro direkt aufs Kanzleramt. “Ich hab alles im Blick”, sagt der Bundestagspräsident gerne. An der Wand hängt ein Gemälde von Jörg Immendorff mit dem demonstrativ rosarot draufgemalten Titel: Verwegenheit stiften. Beides passt zu ihm. Das Kanzleramt im Auge und Mut im Herzen haben. Vor allem in dieser Woche.

Die CDU wählt nach 18 Jahren Angela Merkel einen neuen Vorsitzenden oder eine neue Vorsitzende, und dass der Neuanfang überhaupt möglich ist, liegt auch an Schäuble. Er hatte Anfang Oktober, noch vor den Landtagswahlen, als erster Spitzenpolitiker in der CDU Merkels Ende öffentlich thematisiert. Sie sei “nicht mehr so unbestritten”, sie habe “außergewöhnlich lange regiert”, es stünden “größere Veränderungen” bevor.

Viele in der Union haben das als Startschuss für die Entmachtung Merkels verstanden. Friedrich Merz und Angela Merkel auch. Ohne Schäubles Intervention hinter den Kulissen hätte Merkel kaum zurückgezogen und wäre Merz nicht angetreten, heißt es heute aus dem Kanzleramt. Schäuble ist schon lange der mächtigste Kontrolleur der Kanzlerin – nun gestaltet er im Hintergrund ihre Nachfolge.

Sein Wort hat in der CDU enormes Gewicht. Und alle wissen, dass Schäuble am Freitag Friedrich Merz favorisiert. Beide verbindet eine lange, vertrauensvolle Bindung. Beide haben auf dem Höhepunkt der Migrationskrise bereits über die Nachfolge Merkels beratschlagt. Über die Rückendeckung für Merz ärgert sich insbesondere Jens Spahn, ein Zögling Schäubles. Dem Gesundheitsminister bescheinigt Schäuble zwar ein großes politisches Talent, er hält ihn aber noch nicht reif genug für ganz große Ämter. Merz hat in den Augen Schäubles dagegen das Format und Potenzial, die Partei und (irgendwann auch) die Republik zu führen.

Eine persönliche, allerletzte Option

Schäuble war als Minister der Kanzlerin über alle Jahre hin loyal geblieben, obwohl er in wichtigen Fragen – von der Energiewende über die Griechenlandrettung bis zur Migrationskrise – andere Positionen hatte; nämlich die, die Merz auch hat. Beide verkörpern die Traditions-CDU und die Sehnsucht vieler Christdemokraten nach klarer Haltung und einem spürbar bürgerlichen Profil.

Wenn Schäuble sich hinter den Kulissen für Merz engagiert (und erste Stimmen ihn bereits, vielleicht zu voreilig, als “Königsmacher” titulieren), dann tut er das als Übervater seiner Partei einerseits, weil er den dramatischen Niedergang der Volksparteien stoppen will. Er öffnet sich anderseits aber auch eine persönliche, allerletzte Option, doch noch einmal ins Kanzleramt einzuziehen. Denn in den Berliner Regierungsfraktionen rechnen viele damit, dass die Bundesregierung nach der Europawahl Ende Mai auseinanderbricht.

Bei dieser Wahl droht der SPD ein nächstes Debakel, diesmal sogar bundesweit. Womöglich wird die SPD von der AfD, die mit dem Migrationspakt neue Wahlkampfmunition erhält, deklassiert. Es wäre ein historisches Fanal. “Dann werden die Sozialdemokraten, um das schiere Überleben zu sichern, die Große Koalition verlassen müssen”, hört man aus beiden Regierungsfraktionen gleichermaßen.

Was aber würde in diesem Fall passieren? Sofortige Neuwahlen sind grundgesetzlich nicht einfach zu erreichen und vom Bundespräsidenten nicht gewollt. Eine Neuauflage der Jamaika-Koalition ginge nach Aussage der FDP nur ohne Merkel. Eine Minderheitsregierung auch. In beiden Fällen würde Schäuble als der natürliche Übergangskrisenkanzler ins Spiel kommen. Er ist als angesehener Bundestagspräsident überparteilich und international respektiert. Er ist so alt, dass Jüngere in ihm keine Langfristkonkurrenz sähen – vor allem Merz nicht, der ein perfekter Finanzminister einer Übergangsregierung sein und spätestens 2021 dann als CDU-Kanzlerkandidat antreten könnte.

Der schlaue Stratege Schäuble, der den Dezemberentscheid der CDU schon Monate zuvor erdacht hat, könnte ab sofort den Juni-Entscheid der Regierung ins Auge fassen. Verwegenheit wäre jedenfalls genug gestiftet.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

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Leserpost

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Joachim Richter / 05.12.2018

Plausibel und einleuchtend. Wolfram Weimer hat vor der Landtagswahl in Bayern die CSU/FW-Koalition vorhergesagt. Es sollte mich freuen, wenn er auch dieses Mal richtig liegt.

Wilhelm Lohmar / 05.12.2018

Daß es nach dem 26. Mai 2019 in Deutschland zu politischen Veränderungen kommen könnte scheint auch mir möglich. Dabei ist die Europawahl vielleicht nicht einmal so bedeutend wie die ebenfalls für diesen Tag geplanten Kommunalwahlen in weiten Teilen Deutschlands, darunter praktisch der gesamten ehemaligen DDR. Sollte zu diesem Anlaß die AfD das eine oder andere Rathaus erobern kann man wohl jetzt schon auf ein allgemeines Gezeter rechnen.

Werner Arning / 05.12.2018

Immerhin scheint Schäuble der derzeit einzige Politiker in Deutschland zu sein, der so viel Rückhalt in der Bevölkerung und so viel Vertrauensvorschuss über alle Parteigrenzen hinweg genießt, dass er es wagen könnte, einen Konflikt mit den linksgrünen Medien einzugehen. Er ist wohl der Einzige, der von diesen schwerlich zu beschädigen wäre. Nur der, der sich traut diesen von Merkel aus der Flasche gelassenen Ungeist einer linksgrünen Meinungshoheit in den Medien zu konfrontieren, könnte das Schicksal, welches unser Land zu erwarten scheint, und auf der Achse mehrfach beschrieben wurde, noch abwenden.

HaJo Wolf / 05.12.2018

Wie leider des Öfteren kann ich auch diesmal dem Verfasser nicht zustimmen. ganz und gar nicht. Ein böser, verbitterter alter Mann und ein skrupelloser Lobbyist - das sind ja prächtige Aussichten für die Zukunft. Beide Herren haben ihr Rückgrat und ihr politisches Gewissen (sofern überhaupt vorhanden) dem Mammon und der Karriere geopfert und wollen sich nun als Retter und politisches Ausweg für die CDU girieren. Nur, wer völlig merkbefreit ist, kann diesen Männern vertrauen, kann überhaupt jemandem vertrauen, der sich nicht spätestens seit Sept. 2015 offen und deutlich gegen Merkel und deren Politik gestellt hat. Ich dachte immer, es könne nicht schlimmer kommen als mit/unter Merkel, weit gefehlt, es kann schlimmer kommen.

Volkmar du Puits / 05.12.2018

Ja, so ist er, der Bundesdeutsche. Als Lösung der Unzufriedenheit mit einer durch Dauerregierung weltfremden Kanzlerin läßt er sich den dienstältesten Mitregierer aufschwatzen und glaubt, es war eine Revolution. Der Krenz war wenigstens jünger als der Honecker - genützt hat’s nix.

Jochen Rettev / 05.12.2018

Schön und gut - diese Prognose bzw. Einschätzung klingt recht plausibel. Nur stellt sich dann die Frage, was sich für unser Heimatland Deutschland damit grundlegend ändern würde? Ich behaupte: gar nichts ! Das System Merkel lebt in den mittleren und unteren Chargen weiter und vor allem lebt es in den Medien und den zahllosen NGO´s weiter. Und gegen die Medien-Meute lässt sich auch von einem Schäuble oder Merz nicht regieren. Wetten ? Fazit: viel Lärm um absolut NICHTS !

Jens Rotmann / 05.12.2018

Der Schäuble ist so schlau, wie der Fuchs in seinem Bau. Vielleicht räumt er auch mal den CDU -Hühnerstall in Berlin auf und beißt der alten Henne endgültig den Hals ab. “Mein Fall” ist er aber auch nicht, im Rückblick auf die letzten ca. 70 Jahre !

U. Unger / 05.12.2018

Widerspruch Herr Weimer, aus meiner Sicht ist Schäuble genau wegen allem, was Sie aufzählen mindestens genauso beteiligt am miserablen derzeitigen Zustand, der ganz früher mal, guten zuverlässigen CDU, wie Merkel. Erinnern Sie sich warum Schäuble als Vorsitzender abtreten musste? Wer kam? Für mich gibt es zwei Wolfgang Schäubles, den vor dem initialen Skandal und den danach. Der eine hat unter Kohl Verdienste erworben, der andere hat unter Merkel das Doppelte oder mehr zerstört! Mir war und ist die CDU immer egal, bis auf den früheren Respekt. Mittlerweile halte ich Schäuble für die mieseste Besetzung, egal für welches Amt! Der Abschied in Ehren ist lange nicht mehr möglich, das vom Hof gejagt werden viel überfälliger, als bei Kohl. Es wird und muss eine Zeit nach und ohne Schäuble geben. Im Vergleich zum Festhalten an Schäuble (wie Merkel) ist das Vorsitzenden- Karussell der SPD regelrecht sympathisch. Man weiß nicht wohin und nicht mit wem, aber man verheimlicht es nicht, die CDU versucht dies zu verheimlichen. Herr Matthes hat das gestern toll beschrieben!

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