Thomas Rietzschel / 23.10.2016 / 19:08 / 3 / Seite ausdrucken

Der kleine Diktator aus dem Rheinischen

Heute geht die Frankfurter Buchmesse zu Ende. Fünf Tage paradierten Verleger, Lektoren, Schriftsteller und solche, die das eine oder andere gerne wären, von morgens bis abends durch die nicht mehr ganz so überfüllten Hallen. Auch die größte Bücherschau der Welt hat abgespeckt. Genug kamen noch immer. Abends drängten sich die Glücklichen auf den Empfängen, bei den Österreichern, bei Rowohlt, bei S. Fischer, bei Unseld und wer weiß wo sonst noch. Schlag auf Schlag traten Autorinnen und  Autoren vor Kameras und Mikrofone. Bekannte und Unbekanntere, vom neuen Buchpreisträger Bodo Kirchhoff bis zu Daniela Katzenberger, der jungen Mutter, wurden ebenso befragt wie Schöne und weniger Schöne. Jeder bekam seine Bühne.

Gleich zu Beginn, am Eröffnungsabend der Messe, trat einer auf, der einmal Buchhändler war und sich eben seine Biographie als „Mann für Europa“ hat schreiben lassen. In einer feurigen Rede offenbarte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, was in ihm steckt. Mit weit aufgerissenen Augen verdammte er fuchtelnd die Kritiker des europäischen Großreichs. „Ihr Geschäft“, schmetterte er, sei "der Hass, der immer öfter tätlich wird“. Der ganze Mann schien vor Wut zu zittern. Schon rein körpersprachlich haftete seinem Auftritt etwas Bedrohliches an. Je mehr er in Rage geriet, desto mehr entglitten dem Redner die Gesichtszüge. Als er das Publikum schließlich aufforderte: „Lassen sie uns den Aufstand der Anständigen anzetteln“, hätte man beinahe glauben können, die hässliche Fratze einer bedrohten Macht zu sehen. Mehrmals war man während dieses Auftritt versucht, mit Hermann Hesse auszurufen: „O, Freunde, nicht diese Töne!“

Während er andere des „Nationalismus“ bezichtigte, ereiferte sich der Sozialdemokrat selbst ungeniert als ein europäischer Nationalist, der kein Pardon gegenüber abweichenden Meinungen kennt. Nur wer ihm beipflichtet, darf sich der Anerkennung als „Anständiger“ erfreuen. Diese einpeitschend geschliffene Rhetorik erschreckte umso mehr, als wir uns Derartiges in den demokratisch verfassten Ländern Europas seit Jahrzehnten nicht mehr anhören mussten.

Als Charlie Chaplin 1940 in seiner Glanzrolle als „Der große Diktator“ brüllend auf den Putz haute, war das zum Schießen komisch, weil er die Figur der Lächerlichkeit preisgab. Auch dann, wenn den Zuschauern das Lachen im Halse stecken blieb, triumphierte der Schauspieler über das mickrige Vorbild seiner Figur. Martin Schulz indessen ist nicht nur kein guter, sondern gar kein Schauspieler. Der kleine Diktator aus Würselen, aufgestiegen  aus dem Rathaus eines Städtchens an der Wurm hoch bis in die Tafelrunde der Führer Europas, er sprach bei der Eröffnung als Politiker, nicht als Mime.

So, wie er dazu aufrief, „den Aufstand der Anständigen anzuzetteln“, wetterten die Machthaber zu allen Zeiten, um Stimmung gegen jene zu machen, die es noch wagten, totalitäre Herrschaftsansprüche in Zweifel zu ziehen. So wurde das Volk seit jeher gegen die Minderheiten aufgewiegelt, und nie wurde der Begriff ausschließlich rassisch oder ethnisch definiert.

Stets ging es gegen die Kritiker unumschränkter Machtentfaltung, die Nein-Sager und Zustimmungs-Verweigerer.  Auch sie mussten wieder und wieder das Weite suchen, wenn sie dem staatlich geschürten „Aufstand der Anständigen“ entkommen wollten. Dass so viele jetzt der Brandrede des kleinen Diktators aus dem Rheinischen applaudierten, zählt zu den besonders beschämenden Eindrücken der 68. Frankfurter Buchmesse, einem Jahrmarkt der Eitelkeiten, der seinesgleichen sucht. 

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Leserpost

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Karl Baumgart / 24.10.2016

Europa-Schulz - Vaclav Klaus sei ewig Dank für diese treffende Formulierung - wettert also gegen den ‘Nationalismus’. Ich erinnere mich noch genau an ein Wahlplakat mit seinem Konterfei, mit welchem er für sich werben ließ: Wenn man sicherstellen wolle, dass ein Deutscher Chef der Europäischen Kommission werde, müsse man ihn wählen. (Was dort nicht stand, war, dass Würselen ihm als Bürgermeister sein ‘Spaßbad’ verdankt. Immerhin!)

Victoria Llanas Sancho / 24.10.2016

Geehrter Thomas Rietzschel, erst einmal Danke, dass Sie sich die Rede des gefühlten Königs Europas angetan haben.  Sie beschreiben ihn so, wie ich ihn wahrnehme und noch nirgends lesen konnte: der kleine Diktator, europäischer Nationalist, usw. Wunderbar beschreiben Sie seinen Fanatismus, und ich erschrecke bei der Frage: wer genau hat diesen Typen protegiert, gewählt, hochkommen lassen? Unsäglich der Gedanke, dass er als BK-Kandidat aufgestellt werden könnte. Ich schwanke zwischen Zorn und Trauer um meine schöne Wahlheimat Deutschland.

Marion Köhler / 23.10.2016

Sehr geehrter Herr Rietzschel, Sie sprechen mir aus der Seele, nicht nur was die Autoren, die sogenannten Promis und die Frankfurter Buchmesse als solche betrifft. Als Literaturfreund habe ich als ehemaliger gelernter Ossi nie das gelesen, was von staatliche Seite empfohlen wurde. So halte ich es auch heute noch und werde auch das Werk dieses Preisträgers meiden. Ihre Ausführeungen über den eventuell zukünftigen SPD-Bundeskanzlerkanditaten entsprechen so sehr meiner Meinung, als hätte ich es geschrieben. Vielen Dank! Marion Köhler

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