Thilo Schneider / 10.05.2020 / 11:00 / Foto: Timo Raab / 10 / Seite ausdrucken

Der kleine Diktator

Neulich sitze ich vor dem wirklich hübschen Computerspiel „Tropico 6“. Grafisch ist das Spiel ganz niedlich gemacht und man kann ganz nah in den Staat, die man zu schaffen versucht, hereinzoomen. Der Spieler ist hier der Diktator einer Bananenrepublik, und neben dem Schaffen einer funktionierenden Wirtschaft und dem Jonglieren zwischen diversen Supermächten kann ich als Diktator mein Volk mit allerlei lustigen Maßnahmen knechten oder bei Laune halten. Und wenn es bei den alle paar Jahre stattfindenen Wahlen zu eng wird, dann kann ich diese auch gerne einmal ausfallen lassen. Eine starke Armee, die Aufstände niederschießt und eine effektive Polizei, die Dissidenten entweder einbuchtet oder in die Psychiatrie steckt, vorausgesetzt.

Während ich gerade beschließe, zur kommenden Wahl eine flammende Rede an meine Tropicaner zu halten (ich mache die Kapitalisten für alles Übel verantwortlich), klingelt es an der Türe, was immer sehr ärgerlich ist, wenn man eine Wahlrede vorbereitet. Zwei Herren stehen vor der Tür, beide kraft ihres Aussehens vom Ordnungsamt. „Guten Tag“, sagt der eine, etwas größere Herr unter seinem Mundschutz, „wir sind vom Ordnungsamt und überprüfen derzeit alle Wohnungen auf Infektionssicherheit.“ Der kleinere, etwas pummeligere Herr fummelt derweil Gummihandschuhe aus einer Gummihandschuhpackung. „Dürfen wir hereinkommen?“, fragt der größere Herr. 

„Nein“, antworte ich brav, „weil das meine Wohnung ist und ich hier nur Leute hereinlasse, die ich gerne sehen möchte. Der größere, etwas ältere Herr wendet sich seinem kleineren Kollegen zu: „Schreib auf: Herr Schneider lässt Leute in die Wohnung.“ „Moment!“, entgegne ich erschrocken, „das habe ich nicht gesagt! Ich sagte, ich lasse nur Leute herein, die ich sehen möchte!“ Der ältere Ordnungsamtsbeamte seufzt unter seiner Maske. „Wir machen das doch nur zu Ihrer Sicherheit“, erklärt er mir, „und eben haben Sie zugegeben, dass Sie Leute in ihre Wohnung lassen.“ „Die ich gerne sehen möchte“, ergänze ich spitzfindig, „aber ich will derzeit keine Leute gerne sehen. Außerdem ist es verboten, Besuch von jemand anderem als dem eigenen Sexualpartner zu empfangen. „Schreib auf:“, sagt der ältere Herr, während der kleinere Pummel an seinem Block herumschreibt, als würde er Kim Jong-un begleiten, „Herr Schneider praktiziert in seiner Wohnung Koitus.“ Ich merke, wie ich ungehalten werde: „Natürlich. Und ich wüsste nicht, was Sie das anginge!“ „Schreib auf: Herr Schneider ist mit bei der Mitwirkung unwillig und er trägt keine Mundschutzmaske.“ 

Was soll denn der ganze Aufriss?

Ich werde laut: „Haben Sie sie noch alle? Ich laufe doch nicht in meiner eigenen Wohnung mit Maske herum!“ „Sollten Sie aber, das schützt uns alle“, meldet sich der Kleinere erstmals zu Wort und notiert wieder. „Sagen Sie: Was soll denn der ganze Aufriss?“, will ich wissen. Mein Hauptdiskussionspartner zückt ein Tablet und tippt mit einem Gummistift darauf herum. „Nach unseren Unterlagen sind Sie nicht geimpft“, stellt er fest, „und das geht so nicht. Wenn Sie sich nicht impfen lassen, dann sieht es der Staat als seine Pflicht an, Ihnen bei der Einhaltung von Hygienestandards behilflich zu sein. Das schützt uns alle – auch Sie – und deswegen sind wir hier. Wenn Sie uns den Zugang zu Ihrer Wohnung verweigern, dann kann dies als böswillige Kooperationsverweigerung ausgelegt und mit einem Bußgeld mit bis zu 5.000 Euro belegt werden!“ 

„Moment! Laut Artikel 13 des Grundgesetzes gilt die Unverletzlichkeit der Wohnung.“, doziere ich, nicht ganz ohne Stolz. Der Ältere und der Jüngere sehen sich mit diesem immer-die-gleiche-Diskussion-Blick an, dann stellt der Ältere fest, dass in dieser Seuchenzeit das Grundgesetz ruht, und er zitiert, wie schon sicher hundertmal vor mir, den entsprechenden Absatz der „Notbekanntmachung Nummer 6 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom heutigen Datum“ und fragt, ob ich die 5.000 Euro Bußgeld gleich hier oder per Überweisung zahlen möchte. 

Ich knurre ein „na gut, dann kommen Sie eben herein“, weil ich nicht sicher bin, ob meine Rechtsschutzversicherung den Widerspruch zahlt, und ehe ich mich es versehe, latschen mir die Schergen der Stadt durch die Wohnung. Was folgt, ist eine etwa zwangzigminütige Begehung des Wohn- und Hausraumes meines Schatzes und mir. Der Ältere zeigt mir detailliert die Hygienemängel in unseren vierzig Wänden auf, während der Jüngere eifrig notiert. So soll ich künftig jeden Tag die Handtücher im Bad wechseln, wöchentlich die Zahnbürste und monatlich den Bodenbelag. Meine Sanitärkeramik ist nach jeder Benutzung mit einem Desinfektionsmittel zu reinigen, das ich im Übrigen auch in der noch zu schaffenden Luft- und Virenschleuse an der Hauseingangstüre bereitzustellen habe.

Medizinischer Sondermüll

Das Spülen meines Geschirrs ist in diesen Zeiten nicht mehr ausreichend, es muss zusätzlich sterilisiert werden, preisgünstige Apparate für die kleine Hausarztpraxis gibt es bereits ab 5.000 Euro im medizinischen Fachhandel. Ferner werden die Schuhe künftig vor der Haustüre ausgezogen und auch gleich nach der Benutzung entsorgt, getragene Kleidung werde ich künftig als „medizinischen Sondermüll“ dekontaminieren lassen, es sei denn, ich trug beim Verlassen der Wohnung eine handelsübliche Plastikfolie oder einen OP-Kittel darüber. Dann darf ich meine Kleidung behalten, wenn ich alles andere entsorge.  

Zufrieden klappt der kleinere, jüngere Ordnungsamtbeamte sein Blöckchen zu, der Ältere klärt mich auf, dass ich jetzt vier Wochen Zeit habe, die offensichtlichen Hygienemängel meiner abgeranzten Bude zu meiner eigenen Sicherheit zu beseitigen. Sie kämen dann in vier Wochen wieder und würden die Umsetzung kontrollieren, und es wäre dann besser, ich hätte meine Dreckbude in einen sterilen Krankenhaushalt verwandelt. Mein Vorschlag, dass ich gemeinsam mit dem Schatz doch auch einfach unsere Wohnung nicht mehr betreten könnte, um sie steril zu halten, wird mit dem Hinweis auf die Überfüllung unter den Autobahnbrücken unseres Schtetls abgeschmettert. Außerdem seien die Grundrechte ja nur bis, ehm, demnächst irgendwann außer Kraft gesetzt, denn schließlich dient jener sympathische Bürgerservice ja letztlich uns allen.  

Ich bin tatsächlich in Tropico. Aber nicht als Diktator, sondern als Einwohner. Steckt mich ins Irrenhaus! Obwohl – ich bin ja schon drin. Bleiben sie gesund – und mir von der Pelle. Ich desinfiziere jetzt die Tastatur. 

(Mehr irre Geschichten des Autors unter www.politticker.de)   

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Karsten Dörre / 10.05.2020

Im Jahr 2020 werden noch viele Arbeitnehmer frei für neue Aufgaben. Das Ordnungsamt könnte hier helfen, diese bei sich einzustellen und neue Aufgabengebiete erschliessen (Steuergeld für Unfug ist immer verfügbar). Von China, Taiwan und Südkorea lernen, heisst perfekte Überwachung lernen.

Markus Kranz / 10.05.2020

Kleiner Tipp: Alpha Centauri ist noch cooler. Das ist quasi der ‘Clash of Civs’ in Reinform. Man kann alles spielen: Diktatorische Kollektivisten, verzogene Geldsäcke, naive Hippies, bellizistische AfD Anhänger, religiöse Fundamentalisten, technokratische Virologen und eine von Islamisten kontrollierte UN ;) Und das coolste daran: Jede dieser Fraktionen wird fair mit Vor- und Nachteilen dargestellt.

Jürgen Fischer / 10.05.2020

Auf der einen Seite wollen Politiker Egoshooter-Spiele verbieten, weil sie angeblich harmlose Säuglinge zu Tötungsmaschinen ausbilden (siehe auch “Wer hat’s gesagt?” von heute). Aber die viel schlimmeren Spiele, die den Politikern selbst als Inspirationsquelle dienen und _tatsächlich_ umgesetzt werden, die müssen bleiben. Klar. Es sind nicht die Maßstäbe, sondern die doppelten ... O tempora, O mores!

Martin Lederer / 10.05.2020

Satire ist es, wenn es sich trotzdem reimt?

Christian Feider / 10.05.2020

wie waer’s,wenn Sie anstatt Distrophien sich dau als FDP’ler mal dau aufraffen könnten, Ihrem Parteifreund Kemmerich zur Seite zu springen,der gemeinsam mit einem CDU’ler genau gegen diesen überbordenden Blödsinn demonstriert hat und nun im medialen Dauerfeuer steht?

M. Schneider / 10.05.2020

So gerne ich Ihre Beiträge immer wieder lese, lieber Herr Schneider, aber so langsam vergeht einem der Humor, und das ist eine Feststellung, von der man eigentlich hofft, sie nie aussprechen zu müssen. Wenn der Abbau der Demokratie so weiter geht, ist so ein “angenehmer” Besuch vermutlich gar nicht so unrealistisch. Notfalls zaubert unser nicht legitimierter Koalitionsausschuss schnell noch eine weitere Pandemie-Notstandsregel aus dem Hut, das Kabinett beschließt sie, und der ohnehin spärlich besetzte Bundestag ist sowieso ausgehebelt oder winkt sie durch. Es wird alles getan, um nicht zugeben zu müssen, dass man ähnlich wie 2015 oder vorher beim Atomausstieg Fehler über Fehler begangen hat, die uns jetzt in den Abgrund treiben.

Claudius Pappe / 10.05.2020

Man kann schon irre werden wenn man noch an die FDP glaubt.

Dov Nesher / 10.05.2020

Es ist leicht seinen Spaß auf kosten anderer zu machen. Sowas tun die Ordnungsämter nicht. Zu so einem Unsinn haben die gar keine Zeit. Wissen Sie weshalb sich die Politiker mit Lockerungen schwer tun? Genau wegen solcher Menschen, die es ins Lächerliche ziehen. Solche, die aggressiv andere “auffordern” ihre Maske zu entfernen. Solche, denen Ihre vermeintliche Freiheit wichtiger ist als die Gesundheit anderer. Es geht hier nicht um Freiheit. Freiheit hört immer da auf, wo der andere anfängt. Es geht um Egoismus, Bequemlichkeit, Rebellion um der Rebellion willen. Kleine Kinder eben. Könnte man Vernunft und ein Mindestmaß an Rücksichtnahme und Reife, dann wäre das alles viel viel einfacher. Sie beweisen regelmäßig, dass dem nicht so ist. Das ist grnau das linksgrün bevormundete Verhalten, das hier früher so trefflich kritisiert wurde. Das erinnert mich ein wenig an kleine Ches, oder Maos, oder Arafats. Das waren auch “Freiheitskämpfer”

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