Wolfgang Röhl / 18.07.2018 / 06:15 / Foto: Lviatour / 59 / Seite ausdrucken

Der Fall Mariam L.: Amok in der „Zeit“-Gemeinde

Klar, sie werden sich etwas erwartet haben von ihrem Pro & Contra zum Thema „Seenotrettung“, die Genossen von der „Zeit“. Eine lebhafte Debatte wahrscheinlich, wie man in einschlägigen Schwafelkreisen zu sagen pflegt, vielleicht sogar eine leidenschaftliche Diskussion. Aber mit dem Orkan an moralischer Hyperventilation, an Denunziationen, Schmähungen und Verleumdungen, der nach zwei Beiträgen vom 11. Juli losbrach, können sie kaum gerechnet haben. Denn nicht von Rassisten, Rechtspopulisten oder sonstwieüblichen Verdächtigen kam das Gezeter. Was sich an Unflat über die Leute am Hamburger Speersort ergoss, stammte zumeist aus dem eigenen, dem Juste Milieu.

Der Reihe nach. Zum Thema der Menschenschlepperei über das Mittelmeer hatte das Blatt zwei Beiträge veröffentlicht. Im ersten plädiert eine Zeit-Redakteurin für das Aufnehmen von Migranten durch private „Rettungsschiffe“. Im zweiten Beitrag hält eine Kollegin dagegen. Für sie sind die Aktivitäten der maritimen NGOs längst „Teil des Geschäftsmodells der Schlepper“ geworden. 

Das ist nun zwar eine Binse für jeden, der sich mit den Vorgängen beschäftigt. Doch für offenbar größere Teile der Zeit-Leserschaft und des schreibenden Sympathisantenumfelds dieser Wochenschrift stellte die simple Tatsachenfeststellung, kombiniert mit der Überschrift „Oder soll man es lassen?“, ein Sakrileg dar. Eine antihumane Ungeheuerlichkeit, beinahe Faschismus.

Die Autorin Mariam Lau musste sich einen Bocksgesang anhören, der von „nimmt den Tod von Flüchtlingen billigend in Kauf“ (so Sudel-Edes Wiedergänger, der „Monitor“-Chef Georg Restle) über „Barbarei“ (SPD-Sargnagel Ralf Stegner) bis zu „Arsch offen“ (Grußadresse einer linken Kollegin an „die sonst so geschätzte Zeit“) reichte. „Kalter, verdorbener Wahnsinn“, erbrach sich die „Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski, ansonsten zuständig für Randgruppengeplapper. 

Herkunft, Vita, Stallgeruch, Geschlecht – stimmt einfach alles

Auch richtiges Gesindel lief da Amok – vorerst verbal. Der Autorin „täglich brühend heißen Kaffee ins Gesicht schütten“, riet der Witzredakteur Tim Wolff von der „Titanic“. Und legte per Twitter noch einen nach: „Zeit-Mitarbeiter auf der Straße erschießen?“ Alles Satire, natürlich! Und klar, von der hühnerbrüstigen Kichererbse selber dürfte körperliche Gewalttätigkeit kaum zu befürchten sein. Doch halten sich um solche Gestalten herum meist auch andere Schwerstdachbeschädigte auf, die gern mal zur Propaganda der Tat schreiten.

Wer ist Mariam Lau? Jedenfalls eine Person, welche gut in die Zeit-Filterblase passt. Frau L. ist die Tochter von dem gleich zweimal aus Iran geflüchteten Publizisten Bahman Nirumand. Das politische Feu follet gab in seligen 68er-Zeiten gemeinsam mit Hans Magnus Enzensberger und Gaston Salvatore ein multikulturelles Salonrevoluzzer-Trio ab. Mariam L., 1962 geboren in Teheran, war Mitgründerin der Berliner Grünen-Vorläuferpartei AL, arbeitete bei der „taz“ und bei der „Welt“. 

Seit 2010 ist sie politische Redakteurin für die Zeit. Ihr Ehemann Jörg Lau wirkte ebenfalls bei der taz und schreibt seit langem für die Zeit. Frau Lau ist vom Auftritt her eine sehr moderate, staatstragende und berechenbare Person, ungefähr das Gegenteil einer losen Kanone wie Henryk Broder. Sie wird deshalb gern in Sendungen des Staatsfunks für politische Einschätzungen zugeschaltet. Herkunft, Vita, Stallgeruch, Geschlecht – da stimmt einfach alles.

Dass eine solche Dame wegen einer plausiblen, eher vorsichtigen Argumentation (Lau sagt nicht einmal, was andere Kritiker der „Seenotrettung“ offen aussprechen; nämlich, dass NGOs die Migrantenströme sogar aktiv befördern, indem sie nahe an die Küsten Nordafrikas heranfahren) ruckartig in Verschiss gerät, sogar als Schreibtischmörderin beschimpft wird – das gibt zu denken. 

Wenn der Zivilgesellschaft der Mundschutz verrutscht

Ebenso ein Anwurf, der in den Hassmails des Open-Borders-Mobs immer wieder aufscheint. Er lautet, dass bereits die bloße Diskussion darüber, ob man die „Rettung“ durch Private unterbinden solle oder nicht, unstatthaft sei, ein No-Go. Nur Rassisten und Unmenschen können so eine Frage stellen, nicht wahr?

Der Fall Lau ist für das Verständnis unserer politischen Kultur nützlich. Gut, mal vorgeführt zu bekommen, was passiert, wenn der vielgelobten Zivilgesellschaft der Mundschutz verrutscht. Wenn Humanitätsbolzen die Sau rauslassen, gerade auch innerhalb der eigenen Szene. Was diese Wertegemeinschaft der Toleranten und Weltoffenen mit Konservativen anstellen würde, erhielte sie dazu die Mittel, kann man sich ausrechnen. 

Was nun die Redaktion der Zeit betrifft: Wundern darf sie sich nicht über den Shit, der ihr bei dieser Sache um die Ohren saust. Das Pflichtblatt der Gesinnungsethiker hat in der Vergangenheit immer wieder auch dummdreisten Irrsinn publiziert, der selbst von erfahrenen Fachkräften aus Prantlstan kaum zu toppen war. Zeit-Leser wurden diesbezüglich sehr verwöhnt. 

Da reicht dann schon ein unbotmäßiger Gedanke, um ihnen Schaum vors Mäulchen zu treiben. Wie der Herr, so’s Gescherr.  

Nachbemerkung: Und die Geschichte geht weiter, siehe hier.

 

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Leserpost

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Sabine Schönfelder / 18.07.2018

Wer Intoleranz pflegt, verfügt nur über eine begrenzte Auswahl an Möglichkeiten der Diskursführung. Um sich einer fairen Diskussion zu entziehen, wird das Thema per se in Frage gestellt oder besser noch gleich skandalisiert. Damit begibt man sich direkt auf die emotionale Empörungsebene, die jeglichen Sachverstand und Realitätssinn ad hoc ausblendet. Man segelt auf dem Meer der Emotionen, angetrieben vom moralinsauren Wind der selbstgefälligen Ich - bin- besser- als -Du-Haltung und gibt sich damit selbstverständlich das Recht,  Andersdenkende zu beschimpfen und zu desavouieren. Immer wieder gerne genommen und deshalb zunehmend wirkungslos, den Andersdenkenden als ‘rechts’ , ‘rechtspopulistisch oder ‘rechtsradikal’ zu bezichtigen, wobei die Grenzen je nach Perspektive und Moralanspruch des intoleranten Betrachters fließend sind. So soll nur noch die eine, the one and only Meinung existieren, wie in einen Algorithmus, der sich in der ‘Zeit’ widerspiegelt. Diese apodiktische Haltung macht selbst vor den eigenen Leuten nicht halt. Frau Lau wird zur Wiedergutmachung einen Schwimmkurs absolvieren müssen, denn bevor sie nicht höchstpersönlich 10 Migranten vor der libyschen Küste rausgezogen und wiederbelebt hat, wird ihr von ihrem intoleranten Umfeld keine Gnade gewährt!

Andreas Keppel / 18.07.2018

So ist das halt, wenn sich historische Prozesse der Willkür, des Extremismus und der willigen Selbstzerstärung wiederholen: Ein Kapitän, der sich klar laufend der Beihilfe zur Schlepperei schuldig gemacht hat (nebenbei dauerhaft unsinnige Sozialkosten in undefinierter Höhe mitverursacht), eigentlich in den Knast gehört, wird von einer 150-jährigen Traditionspartei in Bayern ausgezeichnet. Wie bei den kleinen trotzigen Kindern. Die Rechnung für diesen dekadenten Dünpfiff, die eines Tages uns allen präsentiert wird, kann niemandem gefallen…

Alexander Mazurek / 18.07.2018

Herkunft, Vita, Stallgeruch, Geschlecht – stimmt einfach alles: Ja, aber auch dann werden sie verteufelt, wenn sie anderer Meinung sind, als angesagt ist. Rassisch minderwertige slawische gar katholische Stimmen werden bei dem “humanistischen” Kampfblatt ja erst gar nicht zugelassen … Ortega y Gasset schrieb im “Aufstand der Massen”: “Wie es in Nordamerika heißt: Anderssein ist unanständig. Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigenbegabt und erlesen ist. Wer nicht “wie alle” ist, wer nicht “wie alle” denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden. Und es ist klar, daß “alle” eben nicht alle sind. “Alle” waren normalerweise die komplexe Einheit aus Masse und andersdenkenden, besonderen Eliten. Heute sind “alle” nur noch die Masse.” Und “Die Zeit” ist heute der Masse Kampfblatt und stimme, wie auch “Der Spiegel”. Was für ein tiefer Fall..

Dietmar Blum / 18.07.2018

So ist sie halt, die selbsternannte Intelligenzija und Elite des Juste Milieu: Weicht Jemand auch nur andeutungsweise vom vorgegebenen Weg ab, werden die Mistkübel geleert. Es gibt in der deutschen Sprache dafür ein treffendes Wörtchen: PACK. Gut tut allerdings, dass es nun am eigenen Leibe erfährt, wie den von ihnen Gescholtenen so zu Mute ist.

Christoph Kaiser / 18.07.2018

@ Frank Pressler: Meine Vermutung, der Herr Decke glaubt insgeheim, er sei der reinkarnierte JC (... oder sowas Ähnliches). Will heißen: Nicht so ernst nehmen.

Karl Schmidt / 18.07.2018

Linksradikale kennen nur den Hass auf Andersdenkende. Und den können sie inzwischen ja auch weitestgehend ungestört in den Medien ausleben. Daran haben sie sich schon so gewöhnt, dass sie den öffentlichen Raum vollständig für sich reklamieren - in bester totalitärer Tradition. Man kann schadenfroh sein. Doch letztlich müssen wir Methoden entwickeln, Andersdenkende wirksam zu schützen und die Gegenöffentlichkeit der anderen Art wieder zum Standard zu machen. Dazu braucht es Mut und auch personelle Konsequenzen, soweit sich Journalisten an einer Jagd im Rudelmodus beteiligen. Es ist nicht hinnehmbar, dass insbesondere Staatsfunker, die bei einer öff.-rechtl. Körperschaft angestellt sind, deren Arbeitgeber also direkt an die Verfassung und die Grundrechte gebunden ist, Toleranz, Meinungs- und Informations- und Pressefreiheit nicht achten. Das wäre ein Grund, ihr Beschäftigungsverhältnis in Frage zu stellen.

Ulrike Teich / 18.07.2018

In guter maoistischer Tradition müsste Frau Lau nun öffentlich Selbstkritik üben. Lasst tausend Blumen blühen…

Frances Johnson / 18.07.2018

Sie schreiben einfach brillant, Herr Röhl. Wie Sie hier die latente Aggressivität des sogenannten Juste Milieu entlarven, ist große Schreibkunst. Ich habe manchmal Angst vor diesen Leuten.

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