Peter Grimm / 13.12.2023 / 15:25 / Foto: StopWatchingUs / 25 / Seite ausdrucken

Das soll der Abschied von Merkel sein?

Wer in den letzten Tagen beobachtete, wie deutsche Medien den Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm der CDU als Beginn einer christdemokratischen Politikwende feierten und dann das Papier selbst las, musste sich wundern, wie bescheiden die Kollegen inzwischen sind, wie wenig Substanz sie brauchen, um die Illusion einer neuen Wende zu nähren.

Zur Adventszeit erfreute die CDU-Programm- und Grundsatzkommission die Parteimitglieder und alle an deutscher Parteipolitik Interessierten mit dem Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm. Am nur mäßig originellen Titel „In Freiheit leben – Deutschland sicher in die Zukunft führen“ kann es nicht gelegen haben, dass in vielen deutschen Medien von einer Zeitenwende in der CDU zu lesen war.

Manche Beobachter schienen geradezu elektrisiert und vermochten in diesen 73 Seiten endlich die Abkehr der CDU von der Merkel-Linie zu erkennen, andere – wie beispielsweise Aiman Mazyek vom „Zentralrat der Muslime“ – äußerten ihr Missfallen und warnten die CDU davor, jetzt auf einen AfD-Kurs einzuschwenken. Manch einer vermeinte gar in einzelnen Abschnitten des neuen CDU-Programmentwurfs ein Plagiat von AfD-Papieren zu entdecken.

Bei solch einer Wahrnehmung und der öffentlichen Ablehnung durch Islamverbände muss ja was dran sein an diesem Programmpapier, dachte sich sicher so mancher Medienkonsument. Wer an dieser Einschätzung festhalten möchte, sei jetzt gewarnt, selbst zu den 73 Seiten Programmentwurf zu greifen. In der reichhaltigen Sammlung wohlklingender Programm-Textbausteine, die fast alle so freundlich klingen, dass man ihnen kaum widersprechen mag, finden sich nur recht wenige konkrete Aussagen, die für eine grundsätzliche CDU-Abkehr von der Merkel-Linie sprechen.

Die Meinungsbildner, die dies zu erkennen glaubten, bezogen sich dabei u.a. auf den Umgang mit dem Islam. Statt „Der Islam gehört zu Deutschland“ in der Merkel-Zeit heißt es nun auf Seite 35: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland.“ Was bedeutet das genau? Dazu sagen die Grundsatzpapier-Autoren zunächst richtigerweise: „Rund sechs Millionen Muslime leben in unserem Land. Viele von ihnen haben in Deutschland schon seit Jahrzehnten eine neue Heimat gefunden. Die wenigsten von ihnen sind in den großen islamischen Verbänden organisiert.“

Hilfe für deutsche Muslime

Eine Abkehr von Verhandlungen mit umstrittenen Islam-Verbänden wäre wirklich eine Veränderung. Diese wird auch an anderer Stelle in dem Papier beschrieben, wenn es um islamistischen Terror und politischen Islam geht. Dort heißt es: „Die Scharia gehört nicht zu Deutschland. Den ideologischen Nährboden dieses religiösen Extremismus müssen wir viel intensiver in den Blick nehmen. Wir dulden dabei keinerlei Rückzugsräume. Islamische Organisationen, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, dürfen weder Gesprächs- noch Vertragspartner sein. Sie dürfen nicht staatlich gefördert werden.“ Das ist wirklich eine klare Aussage. Wie ernst sie gemeint ist, lässt sich am Umgang CDU-regierter Bundesländer mit zweifelhaften Islamverbänden leicht überprüfen.

Doch zurück zu Seite 35. Was steht denn nun im Programmentwurf über die sechs Millionen Muslime im Land, deren Zahl ja stetig wächst:

„Wir unterstützen deutsche Muslime dabei, sich in Deutschland zu organisieren. Unser Ziel ist ein lebendiges Gemeindeleben auf dem Boden des Grundgesetzes. Dazu gehört der weitere Ausbau von Forschung und Lehre der islamischen Theologie und die Ausbildung von deutschsprachigen Imamen an deutschen Hochschulen. Es müssen Alternativen zur Auslandsfinanzierung von Moscheegemeinden und zur Entsendung von Imamen aus dem Ausland gefunden werden. Es darf keine unmittelbare Einflussnahme ausländischer Regierungen auf hiesige Moscheegemeinden, Islamverbände und deutsche Muslime geben."

Was bedeutet das, „Alternativen zur Auslandsfinanzierung“ finden zu wollen? Das heißt doch letztlich, dass der deutsche Staat, mithin der deutsche Steuerzahler für den Bau von Moscheen und die Bezahlung von Imamen aufkommen sollte. Ex-Minister Jens Spahn hatte selbiges bereits vorgeschlagen.

Warum aber bedarf der Islam aus CDU-Sicht staatlicher Förderung? Man kann die Auslandsfinanzierung von Moscheen und ihren Gemeinden unterbinden, ohne als deutscher Staat einzuspringen. Es sollte doch der Eigenverantwortung der Muslime obliegen, auch finanziell für ihre Moscheen und Geistlichen zu sorgen.

Abschieben nach „Europa“

Und wie sieht es mit der Migration aus? Hier hat sich viel verändert, wie die Kollegen schrieben. Stimmt das etwa nicht?

Nun ja, auf den ersten Blick schon. Statt „Wir schaffen das“ heißt es jetzt „Wir wollen die Kontrolle über die Migration zurückerlangen“. Klingt gut und richtig. Dem folgt aber ein kaum realisierbares Vorhaben. Nicht Deutschland soll sein Asylrecht neu ordnen, sondern ein Wandel im europäischen Asylrecht mit Asylverfahren in Drittstaaten – einschließlich der Unterbringung dort – soll das Migrationsproblem lösen. Wie realistisch ist so eine europäische Lösung, bzw. wann wäre die realisierbar?

Die Verantwortung für einen Politikwechsel in dieser Frage wird an „Europa“ delegiert und damit das Kapitel zur reinen Sprechblase degradiert. Auch der vielbeachtete Satz „Deutschland braucht Mut zu seiner Leitkultur“ wird vor allem von eher wolkigen Bekenntnissen begleitet. Sicher schön für eine allgemeine Grundsatzsammlung, aber nach einem klaren Ruf zur eigenen Zeitenwende klingt das nicht.

Auch der inzwischen in Deutschlands Politik offenbar verbindliche grüne Glaube daran, dass der Mensch den Klimawandel, den es schon vor seinem Erscheinen auf der Erde gab, durch sein Wirken steuern und die Temperaturentwicklung durch Verzicht auf ein „Klimaziel“ begrenzen könne, gilt weiterhin in der CDU. „Die Pariser Klimaziele sind unsere Richtschnur“, heißt es im Programmentwurf und die Christdemokraten versprechen auch: „Wir stehen zu unseren Zusagen zur globalen Klimafinanzierung“.

Einiges, was früher niemand hätte in ein Programm schreiben wollen, weil es als selbstverständlich galt, ließ manche Parteiprogramm-Leser auch so sehr aufmerken, dass sie glaubten, ein neues konservatives Profil entdecken zu können:

„Geschlecht ist eine biologische Tatsache. Deshalb halten wir an der Unterscheidung der beiden biologischen Geschlechter fest.“

Für solche Sätze kann man heutzutage schon Ärger bekommen. Deshalb sollen die Christdemokraten auch in ihrem Programm festschreiben:

„Zugleich erkennen wir die Notwendigkeit einer besseren medizinischen und rechtlichen Unterstützung von Menschen mit biologisch bedingter Trans- und Intersexualität an. Daneben leben Menschen heute in vielfältiger Form auch eine soziale Geschlechtlichkeit und Geschlechtsidentität im Rahmen ihrer persönlichen Freiheit. Wir stellen uns jeglicher Diskriminierung entgegen."

Ohne Diskriminierung gilt also: Biologie vor Ideologie. Das ist im Prinzip eine gute Ansage, aber als Beleg für eine deutliche Abkehr der CDU vom Merkel-Kurs ein bisschen zu wenig.

Immerhin macht die Partei beim Gendern eine überprüfbare Zusage. Zuerst heißt es noch zurückhaltend: „Wir sind für eine geschlechtergerechte Sprache, aber gegen Gender-Zwang.“ Doch dann heißt es klar: „Wir wollen, dass in allen Behörden, Schulen, Universitäten und anderen staatlichen Einrichtungen sowie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine grammatikalisch falsche Gender-Sprache verwendet wird. Wir sind für eine den Vorgaben des Rates für deutsche Rechtschreibung entsprechende Schreibweise.“ Und zumindest die Parteifreunde in Hessen haben das schon umgesetzt, gleich nachdem Boris Rhein Ministerpräsident wurde. Aber auch das ist für ein Abkehr-Signal noch etwas zu mager.

Die heutige Parteiführung mochte die Merkel-Zeit offenbar gern geräuschlos vergessen und sie freute sich wahrscheinlich weitgehend darüber, was die Medien alles in den Programmentwurf hineininterpretiert haben. Allerdings scheinen die Merkelianer in der Partei noch mächtig, und das ist entscheidender als es wohlklingende Programmworte sein können.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

Foto: StopWatchingUs CC0 via Wikimedia Commons

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Fred Burig / 13.12.2023

@Rainer Niersberger: “... Das Signal des Herrn Prof. Roedder, weiss Gott kein “Rechter”, sollte genügen, um zu begreifen, was hier gespielt wird.” Das sehe ich genau so, Danke! MfG

Herbert Müller / 13.12.2023

Die Zeiten für Gratismutige neigen sich ihrem Ende zu. Klare Kante zum Islam zeigen oder Unterwerfung. Eine andere Alternative gibt es nicht, oder mit den Worten von Frau Merkel: “Das ist alternativlos.” Die unschönen Bilder werden ohnehin vermehrt kommen. Das Warten auf einen toleranten Euroislam wird sich nicht erfüllen. Die Rufe nach einem Kalifat sind unüberhörbar. Hoffentlich geht dem letzten Wähler endlich das Licht auf. nur mit der AfD ist noch eine Wende möglich.

Nico Schmidt / 13.12.2023

Sehr geehrter Herr Grimm, schreiben Sie mal ein Grundsatzpapier, ohne einen Wähler zu verprellen! Die CDU ist inzwischen eine Partei, die zwei Schritte vor geht und dann ganz schnell wieder zwei Schritte zurück. Denen haben wir es aber gezeigt! Mfg Nico Schmidt

Fred Burig / 13.12.2023

@SHolder: ” Den Geist der Merkel werden die so schnell nicht los…..” .... aber bei John F. Kennedy war es doch auch möglich ...... haben die alle Angst vor Mutti, oder ist es nur eine Frage des Geldes ....? MfG

Else Schrammen / 13.12.2023

Die Merkel-Worte vergessen? “Der Islam gehört zu Deutschland” und “Wir schaffen das”? Die CDU “scheint” verstanden zu haben, dass das merkelsche Anwanzen an die Muslime und die Grünen nicht unbedingt der richtige Weg war. Und der wir-sind-grundsätzlich-Opfer-Mazyek findet das Programm schlecht in Punkto Leitkultur, Scharia, Integration der Muslime in die Gesellschaft? Manche glauben wirklich, wenn er das schlecht findet, muss das Programm ja gut sein. Seine Äußerungen sollte man geflissentlic überhören. Wie hoch ist die Anzahl der Muslime, die er vertritt? Ca. 20.000 gegenüber rund 6 Millionen übrige. Von anderen Islam-Verbänden habe ich bislang noch nichts gehört. Also glaubt die CDU, sich mit schwammigen Aussagen von Merkel abzunabeln. Aber Vorsicht! Ob AKW, Migration, Leitkultur, Geschlechter, Gendern usw., alles steht bislang auf dem Papier. Mal abwarten (viel Zeit bleibt nicht mehr), ob das Papier mit Leben erfüllt wird oder ob Merzens Fritz wieder eine 180-Grad-Wende hinlegt. Schließlich sind es zu fast 100 % die Forderungen der AfD. Die Schwarzen wollen doch keine Nazis sein, die Brandmauer steht noch und mit der AfD zu koalieren wäre nur zum Schaden der AfD. Seht euch doch die FDP an, von Merkel marginalisiert regiert sie, um noch mal auf Wahlplakaten glänzen zu dürfen, lieber schlecht als gar nicht.

Bertram Scharpf / 13.12.2023

Das „Gesellschaftsjahr“ ist eine verdeckte Steuererhöhung. Sie können es nicht lassen.

Heiko Engel / 13.12.2023

Die CDU verfügt über das herausragende Alleinstellungsmerkmal des Hauptverantwortlichen für den gerade zu beobachtenden Beginn des Abstiegs. Maßgebliches Mitglied der Parteiendiktatur. GRAUENHAFT und kommunistisch; unwählbar ! Geruhsamen Feierabend !

Michael Puhlmann / 13.12.2023

Wende, Wende, Wende…. Wir brauchen keine Wende, dieser Begriff gehört weder in die Politik, noch in die Wissenschaft. Wir brauchen eine vernünftige Weiterentwicklung auf allen Gebieten, bzw. sogar einen alsbaldigen Weiterbetrieb zerstörter Anlagen und Prozesse. Wer wendet, der fängt mit dem Gegenteil an, ohne aus begangenen Fehlern zu lernen - das Gegenteil von “schlecht” ist nicht immer “gut”. Endlich wieder Besinnung auf gesellschaftliche und strukturelle Werte, konsequente Weiterführung der faktenbasierten Wissenschaft, technologischer Fortschritt in der Industrie, Forschung und Medizin, hochqualifizierte und breit ausgelegte Bildung in Naturwissenschaft und Technik, angewandte Sprache und kooperatives Zusammenleben in der Gesellschaft, friedlicher Respekt vor der Leistung anderer Menschen und anderer Völker, schonendes und vernünftiges Bewußtsein für Natur und Umwelt - all das verlangt ständiges Bemühen, Korrektur falsch erkannter Entscheidungen und Steigerung des allgemeinen Wohlstandes und des wertvollen materiellen Eigentums aller Menschen. Basis dafür ist der Zugang zur Bildung für alle, Versorgung mit preiswerter und zuverlässiger Energie im privaten und industriellen Bereich, faires Rechtswesen, stabiles Finanzsystem, wehrhafte Landesverteidigung und Sicherung der Grenzen. Eine Wende bedeutet nie etwas Gutes, nur den Anfang neuer unnötiger Erschwernisse und Nöte und ist das Gegenteil positiver evolutionärer Weiterentwicklung der Menschheit und des Planeten Erde!

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