Stefan Frank / 04.01.2018 / 06:15 / Foto: Amadalvarez / 16 / Seite ausdrucken

Das Ramadan-Blutbad von Oldenburg – ein Prozessbericht

Wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall hat das Landgericht Oldenburg am 21. Dezember den 22-jährigen Syrer Helal Hadi zu lebenslanger Haft verurteilt.

Helal Hadi hatte am 31. Mai 2017 kurz vor 18 Uhr in der Oldenburger Fußgängerzone vor den Augen zahlreicher Passanten – darunter viele Kinder – den 33-jährigen syrischen Kurden Abdul Hanan Jakub mit dem Messer regelrecht aufgeschlitzt. Jakub hinterließ seine Ehefrau, die zu diesem Zeitpunkt hochschwanger war, und zwei Kinder im Alter von sechs und zehn Jahren. Der Vorfall schockierte die Oldenburger Bevölkerung.

Helal Hadi stach dreimal auf Jakub ein. Mit dem ersten Stich zerschnitt er seinem Opfer das Gesicht bis zum Schädelknochen. Den zweiten Stich setzte er unter der linken Brustwarze durch die Rippen ins Herz und zog das Messer von dort nach unten. Der dritte Stich traf von der Seite die Lunge. Die Obduktion ergab, dass sowohl der zweite als auch der dritte Stich für sich genommen bereits tödlich gewesen wären und dass das Opfer auch dann verstorben wäre, wenn es sofort ins Krankenhaus eingeliefert worden wäre.

Der Tathergang

Das Gericht hat keinerlei Schwierigkeiten, den Tathergang zu rekonstruieren. Dabei helfen neben den zahlreichen Zeugenaussagen auch Videoaufnahmen, die zu Beginn des Prozesses gezeigt werden. Auf dem Film einer von der Polizei fest installierten Überwachungskamera ist zu sehen, wie sich mehrere Personen treffen und dann zwei von ihnen im Streit die Köpfe aneinanderdrücken. Dass diese Szene auf Video aufgezeichnet wurde, ist ein großer Zufall: Die Kamera ist die einzige, die es im Großraum Oldenburg gibt. Zudem liefert sie aus Gründen des Datenschutzes nur unscharfe Bilder.

Zur Beweisaufnahme greift das Gericht auch auf die Videoaufzeichnungen der Drogeriemärkte Müller und dm zurück. Die sind zwar auf den Eingangsbereich der Filialen gerichtet, zeigen aber auch ein kleines Stück der Straße. Der Richter kann darauf erkennen, wann dort die Beine des Opfers und des Täters zu sehen sind.

Der Tathergang stellt sich so dar: Gegen 17.50 Uhr trafen sich die späteren Kontrahenten und mehrere andere Personen – Syrer und Libanesen – am Oldenburger Lappan. Der Lappan ist ein zentraler Ort der Innenstadt, wo die Fußgängerzone an einen Busbahnhof grenzt, und ein beliebter Treffpunkt arabischer männlicher Migranten; wenige Wochen nach der Tat, um die es hier geht, verletzte dort ein Marokkaner einen Landsmann lebensgefährlich mit einer Glasscherbe. 

Der Streit, der zur Tötung von Jakub führte, begann so: Der spätere Totschläger Helal Hadi, ein syrischer Asylbewerber, sagte zu einem Libanesen, der eine Zigarette rauchte: „Rauch woanders, ich faste.“ Helal Hadi bezog sich dabei auf das für Muslime obligatorische Fasten am Ramadan. Der Raucher entgegnete, dass er rauchen könne, wo er wolle. Das spätere Opfer, der 33-jährige syrische Kurde Abdul Hanan Jakub, griff in die Diskussion ein; nun gerieten er und Hadi aneinander, und der Konflikt spielte sich von jetzt an nur noch zwischen den beiden ab. Zunächst gab es einen Faustkampf, in dessen Zuge Hadi zu Boden ging und das T-Shirt von Jakub zerrissen wurde. Mehrere Männer aus der Gruppe der Syrer und Libanesen trennten die beiden voneinander.

Eine Frau, die zu diesem Zeitpunkt in einem Eiscafé in der Nähe des Geschehens saß, beobachtete den Streit. Sie kannte Helal Hadi, weil sie als Dolmetscherin und Sozialarbeiterin in dessen Asylunterkunft arbeitet. Sie rief ihn von ihrem Platz aus zu sich und mahnte ihn mit den Worten „Helal, es ist Ramadan, sei friedlich!“ zum Frieden. Helal Hadi machte auf sie einen gefassten Eindruck und sprach sie mit ihrem Kosenamen an: „Ja, Tantchen“. (Sie sei für Helal und andere Asylbewerber „wie eine Mutter“, erklärte sie dem Gericht).

Die Frau erwartete zu diesem Zeitpunkt, dass der Streit tatsächlich zu Ende sei. Jakub hatte sich vom Lappan entfernt und war weiter Richtung Innenstadt gegangen. Hadi folgte ihm in einigem Abstand. 50 Meter vom Ort des ersten Streits entfernt – und weniger als zehn Minuten nach dem ersten Streit – trafen die beiden vor der Filiale von C&A und der Drogerie Müller erneut aufeinander. Helal Hadi wollte die Prügelei fortsetzen. Abdul Jakub lehnte dies ab; er wolle sich nicht prügeln, außerdem müsse er zu C&A, um sich ein neues T-Shirt zu kaufen. Helal Hadi zog eines der beiden Shirts, die er übereinander trug, aus, und hielt es Jakub hin. Dieser versetzte Hadi darauf einen weiteren Faustschlag, der Hadi erneut zu Boden warf. Wiederum griffen mehrere der Syrer und Libanesen ein, um eine Eskalation zu verhindern. Ein Mann hielt Hadi mehrere Minuten fest, solange, bis dieser ihm glaubhaft versicherte, er werde sich nicht weiter schlagen. Als er ihn losließ, folgte Hadi Jakub, der sich bereits abgewandt hatte und den Ort der Schlägerei verlassen wollte.

Hadi führte ein Klappmesser mit arretierbarer Klinge mit sich, das er angeblich zum „Obst schneiden“ besaß. Als Hadi Jakub eingeholt hatte, alarmierte jemand – womöglich auch der Täter selbst – Jakub mit einem Ruf. Jakub drehte sich um; ehe er die Arme zum Schutz hätte emporheben können, hatte Hadi ihm bereits das Gesicht mit dem Messer zerschnitten. Laut Zeugen fasste Jakub sich ans Gesicht und blickte ungläubig auf das Blut, das sich von dort ergoss. Davon benommen, unternahm er keine Anstalten, sich gegen die weiteren Messerstreiche zu wehren. Der Richter spricht von einer „großen Dynamik“ der Situation, Zeugen berichten, die Messerstiche seien ihnen „wie eine Art Tanz“ vorgekommen. Ein Mann versuchte, Erste Hilfe zu leisten und die Blutungen zu stoppen. Es seien aber „zu viele Verletzungen“ gewesen, sagt er aus. Das Opfer habe versucht, zu sprechen; beim Versuch, zu atmen, sei aus der Wunde „Blut, mit Luft gemischt“ gekommen, dann sei es aus gewesen.

Helal Hadi flüchtete unterdessen zusammen mit seinem Freund und übergab diesem dabei das Messer. Sie rannten Richtung Polizeiwache und stiegen dort in einen Bus. Die Kamera im Bus zeigt Hadi, wie er telefoniert und dabei gefasst wirkt.

Der Busfahrer, der das Blut an Hadis Hand bemerkt hatte, täuschte eine Panne vor und stieg aus, um mit seinem Mobiltelefon die Polizei zu rufen. Hadi und sein Freund durchschauten den Trick und flohen zu Fuß. Bald darauf wurden sie von der Polizei gefasst. Hadis Freund wurde auf freien Fuß gesetzt, gegen Hadi Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Als ein hoher Justizbeamter Hadi eröffnete, dass Jakub gestorben sei, habe Hadi gelächelt, so der Beamte.

Kiffverbot am Ramadan

Hadis Kumpan, der mit ihm zusammen vom Tatort flüchtete, sagt vor Gericht aus, dass Hadi gewohnheitsmäßig enorme Mengen Alkohol und Cannabis konsumiert habe. Er habe sich „jeden zweiten Tag“ bei Lidl „zwei Liter Wodka“ gekauft, den er dann mit „drei bis vier“ anderen Personen verzehrt habe. Auch sei Hadi am Tag der Tat sehr reizbar gewesen, da er wegen des Ramadan nicht habe kiffen dürfen. „Wenn ich kein Hasch habe, habe ich auch keine Geduld“, so der Zeuge. Kein anderer Zeuge hat Hadi je mit Alkohol gesehen. Hadis damalige Freundin sagt aus, in dessen Wohnung, in der sie oft gewesen sei, habe es „zu hundert Prozent“ keinen Alkohol gegeben. Er habe lediglich Marihuana geraucht, dies habe aber keinen Einfluss auf sein Verhalten gehabt, so dass sie sich gefragt habe, „warum er das überhaupt macht“. Hadi habe den Ramadan gehalten; das sei ihm nicht schwer gefallen, da er es ja von Kind an gewöhnt gewesen sei.

Mehrere Zeugen sagen aus, dass sie den Eindruck gehabt hätten, dass zwischen Täter und Opfer schon länger ein Streit geschwelt habe. Aus welchem Grund, kann das Gericht nicht klären. Der Richter fragt zahlreiche Zeugen, ob es um eine Frau, um Drogen oder um Schulden gegangen sein könnte. Das kann oder will aber niemand bestätigen.

Während des Prozesses taucht unerwartet die Frage auf, ob Hadi überhaupt Syrer ist. Anlass ist ein Tumult im Gerichtssaal. Hadi und drei Zuhörer – Angehörige des Opfers – springen während einer Zeugenbefragung plötzlich und fast gleichzeitig auf und schreien einander auf Arabisch an. Der Richter und die anwesenden Justizwachtmeister fordern sie schreiend auf, sofort still zu sein; acht weitere Justizwachtmeister stürmen in den Saal, um die Ordnung wiederherzustellen. Der Richter lässt den Angeklagten und die Nebenklägerin – die Frau des Opfers – aus dem Saal geleiten. Dann nimmt er die Personalien der Störer im Publikum auf und verhängt Ordnungsgelder sowie Platzverweise gegen sie.

Täter in Wahrheit Marokkaner?

Als der Prozess nach einer guten halben Stunde fortgesetzt werden kann, fragt der Richter die Dolmetscherin, was die Störer eigentlich geschrien hätten. Die Dolmetscherin sagt, sie hätten zum Angeklagten geschrien: „Wieso sprichst du Marokkanisch?“ Sie fügt ungefragt und mit einem Kopfnicken hinzu, dass der Angeklagte tatsächlich „mit marokkanischem Akzent“ spreche.

Kurz darauf ist Pause. Ein Journalist der Lokalpresse spricht mich an: ob ich auch von der Presse sei. Ich frage ihn, ob er den gesamten Prozess beobachte. Nein, sagt er, „es wiederholt sich ja immer, das würde die Leser langweilen“. Ich: „Aber dass wir gerade gehört haben, dass der Angeklagte Marokkanisch spricht, ist doch interessant, oder?“ Er: „Wieso?“ Ich: „Laut Akten ist der Angeklagte doch Syrer. Warum spricht er dann mit marokkanischem Akzent?“ Der Kollege: „Von mir aus kann er Italienisch sprechen, ist mir doch egal!“

Dem Richter ist es nicht egal. Zufällig wird nach der Pause jener Dolmetscher befragt, der auf der Polizeiwache übersetzt hat, als Hadi zum ersten Mal verhört wurde. Der Richter erzählt, dass gerade jemand gesagt habe, Hadi spreche Marokkanisch, und fragt, was er als Dolmetscher dazu meine. Aus seiner Erfahrung mit syrischen Flüchtlingen, so der Dolmetscher, wisse er, dass in Syrien „viele Dialekte“ gesprochen würden, „nicht nur einer“. „Ist es möglich, dass Helal aus Latakia stammt?“, fragt der Richter. „Das ist möglich“, antwortet der Dolmetscher. Falls es anders ist, wird es der deutsche Staat wohl nie erfahren.

Polizeibekannt, aber nicht vorbestraft

Unter den vor Gericht verlesenen Dokumenten ist Helal Hadis Auszug aus dem Bundeszentralregister. Demnach hat Helal Hadi schon früher in Deutschland Straftaten begangen, unter anderem Sachbeschädigung und Diebstahl. Alle Verfahren sind wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt worden.

Zudem wird ein Entschuldigungsbrief verlesen, den Hadis erster Pflichtverteidiger an die Anwältin der Nebenklägerin geschickt hat. Eine zu Tränen rührende Bitte um Entschuldigung, verfasst in einem hochgestochenen Deutsch, wie man es in den letzten hundert Jahren nur noch selten hört. Auf Arabisch liegt das angebliche Schreiben nicht vor.

Jedem verständigen Menschen muss klar sein, dass der Täter diesen Brief nicht nur nicht geschrieben, sondern nicht einmal daran mitgewirkt hat. Es ist ein Brief, den Anwälte offenbar immer in der Schublade haben und im Namen jedes Mandanten verschicken, der des Mordes angeklagt ist. Das gibt dann wahrscheinlich oft zwei Jahre weniger.

Tatsächlich führt nicht nur der Verteidiger, sondern auch der Oberstaatsanwalt – der streckenweise wie ein Verteidiger klingt – die „Entschuldigung“ später als schuldmindernd an. Wie aufrichtig die Entschuldigung in Wahrheit ist, kann der Leser daran ermessen, dass Helal Hadi seine Verachtung für das Gericht und die Nebenklägerin dadurch zum Ausdruck bringt, dass er stets in Sportkleidung erscheint, an einem Verhandlungstag etwa im Trikot von Borussia Dortmund.

Der psychologische Sachverständige sieht den Angeklagten als „voll schuldfähig“. Er habe sich „auf die Situation eingestellt“, eine „Eskalation“ sei das Ziel gewesen. Sein Bewusstsein sei weder durch Betäubungsmittel noch durch Entzugserscheinungen beeinträchtigt gewesen – eine „Ramadanreizbarkeit“ sei nicht festzustellen gewesen. Laut den Zeugen war sein Verhalten vor der Tat „unauffällig“, er sei „stabil und ausgeglichen“ gewesen. Während der gesamten Tat und im Anschluss daran habe er sich „situativ umorientieren“ können. Er habe nicht das Verhalten eines Psychopathen gezeigt, etwa ein Festhalten am Tatort. Welche „belastenden Erfahrungen“ er gemacht habe, bevor er nach Deutschland gekommen sei, wisse man nicht; er habe aber an einem Sprachkurs teilgenommen und spreche „gut Deutsch“. „Seine Zukunftsperspektiven waren relativ gut“, so der Sachverständige.

Staatsanwalt: Kein Mord

Der Oberstaatsanwalt fordert 13 Jahre Haft wegen Totschlags. „Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen“ sei eine Tötung „so verwerflich“, dass sie als Mord einzustufen sei. Die Mordmerkmale „Heimtücke“ und „niedere Beweggründe“ ließen sich nicht beweisen. Man könne nicht einmal definieren, was eigentlich ein „niederer Beweggrund“ sei, so der Oberstaatsanwalt. Man könne sich nur „an der Kasuistik des Bundesgerichtshofs orientieren“. Dieser habe etwa entschieden, dass es ein niederer Beweggrund sei, wenn jemand „einen Neugeborenen über einen Zaun in einen Fluss wirft, weil er ein unbeschwertes Leben genießen will“. Damit habe der vorliegende Fall nichts gemein, so der Oberstaatsanwalt.

Schuldmindernd sei zu werten, dass das Tatopfer den „Impuls gesetzt“ habe: Dass das Opfer den Täter geschlagen habe, als dieser ihm gerade sein Shirt gereicht habe, sei „zumindest unsportlich“ gewesen. „Der Angeklagte ist in dieser Situation aufgekocht.“ Es gebe also keine niederen Beweggründe. Auch habe der Angeklagte „keine Wehrlosigkeit ausgenutzt“. Da das Opfer „aus demselben Kulturkreis“ komme wie der Angeklagte, „wird er gewusst haben, dass die Konfrontation noch nicht zu Ende ist“.

Er hätte sich nicht umdrehen und weggehen dürfen, er hätte mit weiteren Angriffen „rechnen müssen“, folglich sei es „kein Heimtückemord“. Dem Angeklagten sei zugute zu halten, dass er sich „entschuldigt“ habe, „geständig“ und „nicht vorbestraft“ sei. Nur „lässliche Sünden“ habe er vor der Tat begangen. Der Oberstaatsanwalt schließt mit einem Ausdruck persönlichen Bedauerns über die, die „Schutz suchen vor Mord und Totschlag und Elend in ihrer Heimat und über die Balkanroute oder das Mittelmeer nach Deutschland kommen, nur, um sich hier Messer in den Bauch zu rammen. Dies ist nicht das erste, nicht das zweite, nicht das fünfte und nicht das zehnte Mal. Ich finde das erschreckend.“

Die Verteidigung plädiert auf Totschlag und eine Strafe im „mittleren Bereich“. Als schuldmindernd will der Verteidiger gewertet wissen, dass Hadi nach Aussage eines Zeugen im Weglaufen vom Tatort dem Sterbenden noch „den Stinkefinger gezeigt“ habe. Dies beweise, dass er „nicht mit einem Taterfolg gerechnet“ habe, anderenfalls hätte diese Geste ja „keinen Sinn“ gehabt.

Er weist zudem darauf hin, dass die Auseinandersetzung „logisch“ gewesen sei: „In Syrien gibt es nach einer Schlägerei immer eine zweite.“ „Kulturelle Besonderheiten“ dürften „nicht außer Acht gelassen“ werden, etwa die „kulturell bedingte Angst des Gesichtsverlustes“. Sein Mandant sei „noch nicht so lange in Deutschland“ und habe sich darum von „solchen Einflüssen“ „noch nicht lösen“ können. Auch hätten seine „Erlebnisse in Syrien“ zu einer „Persönlichkeitsveränderung“ geführt.

Das Urteil

Das Gericht verurteilt den Angeklagten wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. „Der 31. Mai ist ein trauriger Tag für das Opfer und dessen Familie und er ist ein schwarzer Tag für Oldenburg“, so der Vorsitzende. Er berichtet von der Angst vieler Zeugen: „Zeugen haben mich angerufen und gefragt, was sie vor Gericht tun müssen“, so groß sei ihre Angst vor einem Wiederhochkommen der Bilder. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Die Tat habe zu einer großen Verunsicherung geführt; viele Oldenburger würden sich fragen, ob so etwas nun in der Fußgängerzone öfter passiere.

Das Opfer habe „für nichts“ sterben müssen. Es gehöre „zur Freiheit unseres Landes“, die zu akzeptieren, die glauben, aber „auch die, die nicht glauben“. „Wer sagt, ich rauche, darf rauchen.“

Der Angeklagte habe Zeugen vor der Tat „vorspielen“ können, er sei ruhig; er habe „sämtliche Schnitte bewusst“ ausgeführt. Die Rechtsmediziner hätten beim Opfer keinerlei Abwehrverletzungen festgestellt, wie es sie gegeben hätte, wenn Jakub schützend die Hände vor den Körper gehalten hätte. Die Tat sei „nahe am Mord“, es fehle aber an Wissen über die Motive. (Muslimische) Zeugen hätten leider „über den Hintergrund geschwiegen“ – „nicht zum ersten Mal“, so der Richter. Ein Zeuge habe gesagt, er könne nicht darüber reden, da man sich „vor dem Islam schämen“ müsse.

Paragraf 212, Absatz 2 des Strafgesetzbuches – Totschlag in einem besonders schweren Fall – komme nur selten zur Anwendung, so der Richter. Das Strafmaß zeige, dass das Gericht die Tat einem Mord gleichstelle. Es war, so der Richter, „eine Form der Bestrafung“. Rund 25 Mordanklagen verhandle das Oldenburger Landgericht pro Jahr; dass es, wie in diesem Fall, 20 Augenzeugen gebe, sei sehr unüblich. Die Tat trage „Züge einer Hinrichtung in der Öffentlichkeit“. Junge Schüler und Schülerinnen hätten zusehen müssen, wie der Angeklagte das Opfer ersticht und ein Mensch stirbt. Die Anwesenheit so vieler Zeugen sei dem Angeklagten recht gewesen: „Die Menschen sollten sehen, dass er gewinnt.“

Von den überregionalen Zeitungen hat nur „Bild“ über die Tat und das Urteil berichtet. Der NDR brachte jeweils eine Kurzmeldung in den abendlichen Regionalnachrichten, die „Tagesschau“ berichtete gar nicht.

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Leserpost

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Frank Baumann / 04.01.2018

Vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht. “Da das Opfer „aus demselben Kulturkreis“ komme wie der Angeklagte, „wird er gewusst haben, dass die Konfrontation noch nicht zu Ende ist“. Hier muß man fragen, warum eine der Staatsanwaltschaft bekannte Tatsache hier strafmildernd wirkt, sonst aber gemeinhin als rassistisches Vorurteil und Hetze behandelt wird. Leider kann ich dieses Verhalten aus persönlichen, 20 Jahre zurückliegenden Erfahrungen, die mir fast das Leben gekostet haben, bestätigen. Allerdings hat damals noch nicht mal eine Konfrontation, weder verbal, noch körperlich stattgefunden, ich habe offensichtlich nur falsch geschaut und kurze Zeit später die Quittung für meine begangene Ehrverletzung bekommen.

Volker Heiden , Pastor i.R. / 04.01.2018

Die zitierten Einlassungen des Oberstaatsanwaltes erinnern mich an ein Diktum aus früheren Tagen des Justizwesens in der BRD: “Die Staatsanwaltschaft ist die Kavallerie der Justiz, schneidig aber dumm.”

P. Groepper / 04.01.2018

Was soll man denn jetzt noch in diesem Land kommentieren, wenn zwei “Geflüchtete” die erforderliche tägliche Neu-Aushandlung der Regeln des Zusammenlebens aktiv mit Leben (und Tod) erfüllt haben - zum Nachteil eines der beiden Raufbolde? Man stelle sich nur vor, ein AfD-Mitglied hätte . . . usw usw usw 87% finden den Umgang mit diesen Problemen richtig.

Klaus Metzger / 04.01.2018

Wie viele Berichte über ein Zug- oder Busunglück in Peru oder Indien muss ich noch lesen oder sehen, bevor ich darüber informiert werde, was in Deutschland vor sich geht? Vergleicht man die Rolle der Medien in dieser Bluttat z.B. mit einem Fall Kachelmann, stellen sich unangenehme Fragen über Medien-Glaubwürdigkeit und Medien-Willkür. Kein Ruhmesblatt für die Meinungsmacher der selbsternannten Qualitätsmedien, wie auch schon viel zu oft davor.

Stefan Zorn / 04.01.2018

Verwunderlich ist dass sich niemand mehr wundert….

Frank Holdergrün / 04.01.2018

Danke für diesen hervorragenden Bericht aus einer Parallelgesellschaft, die nichts bis weniger als nichts mit unserer Lebensweise zu tun hat. Aber so wie der Lokalreporter angeödet und gelangweilt nichts denkt & schreibt,, so soll es auch der gewöhnliche Bürger, es ist politisch so gewollt. Ein Live Besuch bei solchen Prozessen hingegen wäre genau das, was er bräuchte, um aus seinem Dämmerschlaf aufzuwachen.

Stefan Lanz / 04.01.2018

Ich bin eigentlich jeden Tag, beruflich wie privat, darüber verwundert, mit welcher Energie staatliche Juristen damit beschäftigt sind, Gründe zu finden, etwas einzustellen oder so herab zu qualifizieren, dass von der eigentlichen Tat nichts mehr übrig bleibt… Dieses hervorragend recherchierte Beispiel zeigt dies (leider) wieder mal auf. Zeigt es doch auch auf, dass gerade Richter/innen eben nicht nur frei nach Gesetz entscheiden, sondern, eben doch vor allem nach der ideologischen Schere im Kopf und auch hinsichtlich der eigenen Karriereperspektive. Das Punktesystem bei der Beurteilung lässt einen dann doch lieber auf Nummer sicher gehen, Revision und Berufung wirken sich eben bremsend für den beruflichen Aufstieg aus… Für Opfer und Hinterbliebende wirken sich solche Urteile verheerend aus und sind ein weiterer Schritt in Richtung Selbstjustiz.

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