Archi W. Bechlenberg / 12.08.2018 / 06:11 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum: Brieffreundschaften

Als Teen pflegte ich etliche Brieffreundschaften, und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich an alle erinnere. Es war ein tolles Hobby mit unglaublichen Möglichkeiten, rund um die Welt Kontakte zu pflegen. Wohlgemerkt, ich spreche von einer Zeit lange vor unserer Zeit. Briefe nach „Übersee“ brauchten mehrere Wochen, es sei denn, man konnte sich die auf dünnem Papier zu verschickende Luftpost leisten. Dann war es eine Woche.

Von daher traf es sich gut, dass mein erster Brieffreund ein Schweizer war. Obwohl er Schweizer war, ging es mit ihm doch unterm Strich flotter, als mit einem Freund in New York. Ich war acht Jahre alt und zum ersten Mal ohne meine Eltern unterwegs, zusammen mit meinem Pfadfinderrudel war ich als „Wölfling“ in der Nähe von Basel auf einer Burg einquartiert, wo es, abgesehen vom allmorgendlichen Gottesdienst, allerlei Schönes und Spannendes und Erbauliches zu erleben und zu tun gab. Fahrtenmesser spielten für uns dabei eine wichtige Rolle, entsprechend viel zu tun hatte der für den Erste-Hilfe-Kasten zuständige ältere Wolf. Ein Junge, ich erinnere mich gut, musste früher nach Hause reisen, nicht weil er etwas ausgefressen hatte, sondern weil seinem Vater etwas passiert war. Womöglich war der mit seinem Fahrtenmesser unvorsichtig umgegangen.

Außer unserem deutschen Fähnlein war auch eine Schweizer Gruppe einquartiert, sie waren einige Jahre älter und für uns Kleinen eine unermessliche Quelle an neuem Wissen und Erfahrung, und sie konnten weitaus souveräner als wir mit den Fahrtenmessern umgehen.  Manches aus ihrem Wissensschatz kam für Acht- bis Neunjährige – zumindest 1961 – noch etwas früh, wurde aber dennoch im Gedächtnis dankbar auf Wiedervorlage gelegt, insbesondere, wenn es um Mädchen ging.

Einem der Schweizer hatte ich es offenbar angetan, und so beschlossen wir, auf die vor Ort geschlossene Freundschaft eine Brieffreundschaft folgen zu lassen. Ich gebe unumwunden zu: ich profitierte davon eindeutig am meisten. Hans, so hieß der Schweizer Pfadi, war nämlich ein ausgesprochen gebefreudiger Knabe. Er versorgte mich nicht nur regelmäßig mit all den wunderschönen Schweizer Briefmarken seiner Zeit; seine „Briefe“ hatten stets Päckchenformat und enthielten neben den Marken und den seitenlangen Briefen große weiße Tüten, die eine köstliche Spezialität enthielten: Basler Leckerli.

In mühsam zusammengekleckertem Englisch

Zwar Bruchware und schmucklos verpackt (vermutlich hatte Hans gewisse Beziehungen zum Hersteller), aber das war mir völlig egal. Auch angeknackst schmeckte das Zeug sensationell. Zudem half es mir dabei, die letzten Milchzähne rascher abzuwerfen. Und die Päckchen waren außen ringsum mit weiteren Briefmarken gepflastert. Pro Juventute, Pro Patria – bestimmt gab es auch Contra-Serien. Irgendwann erlahmte mein Interesse an Briefmarken, aber irgendwo müssen die Alben noch sein.

In denen auch viele US-amerikanische Marken sein dürften, denn ein weiterer Brieffreund wohnte in Oak Park, Illinois. Wie ich an ihn geraten bin, weiß ich nicht mehr zu sagen, es kann sein, dass in manchen Jugendzeitschriften Rubriken à la „Brieffreund gesucht“ zu finden waren und ich dort hin geschrieben hatte. Unter Oak Park, soweit reichte mein Englisch damals schon, stellte ich mir etwas vor wie eine Siedlung inmitten von Wäldern wie denen in Disney Cartoons, in denen die Backenhörnchen Donald Duck zur Verzweiflung bringen.

Das schrieb ich ihm dann auch. So klärte mich mein Brieffreund erst einmal über seinen Heimatort auf, der eigentlich ein Vorort von Chicago ist, aber dennoch recht idyllisch daher kommt. Dass ein gewisser Frank Lloyd Wright hier gewirkt hat, war kein Thema unserer Kinder-Korrespondenz, aber stolz war Mike, so der Name des Freundes, auf einen Sohn seiner Stadt, von dem ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Ernest Hemingway ist dort 1899 geboren, und der hielt es tatsächlich 18 Jahre in der Stadt aus. Was verwunderlich scheint, immerhin darf in Oak Park erst seit 1973 in Restaurants und Hotels Alkohol serviert und erst seit 2002 (sic!) in ausgesuchten Läden verkauft werden. Wie Tatie Hemingway das nur durchgehalten hat! 

Durch Mikes Briefe wurde ich auf Hemingway neugierig, und so kaufte ich mir einige seiner Bücher als preiswerte Rowohlts Rotations Romane.

Ein Satz, in dem sechsmal „und“ vorkommt

Ich kann noch heute mit geschlossenen Augen aus den sich über inzwischen zwei Etagen erstreckenden Bücherregalen im Haus – die ganz und gar sinnlos sortiert sind – jeden Hemingway ziehen. Der erste Band, den ich kaufte, heißt „Der Sieger geht leer aus“, und der erste Absatz beginnt so: 

„Es ging um gar nichts, um irgendwas über Punschmachen, und dann begannen wir zu raufen, und ich rutschte aus, und er kriegte mich unter, kniete mir auf der Brust und würgte mich mit beiden Händen, als ob er mich umbringen wollte, und die ganze Zeit über versuchte ich, mein Messer aus der Tasche zu ziehen, um ihn loszuschneiden.“

Nicht, dass ich ein Anhänger blutiger Gewaltexzesse wäre (denn blutig wird es im nächsten Satz mehr als reichlich). Nein, dieser eine Satz, in dem sechsmal „und“ vorkommt, und das kein Mal zu viel oder gar stilistisch plump, knallte mir ohne Vorwarnung in den Kopf und riss mich wie eine Urgewalt hin, und ich wusste, mein Deutschlehrer hätte mir so etwas um die Ohren gehauen und mir eine Note verpasst, von der ich mich so schnell nicht wieder erholt hätte, und dabei war Hemingway Literaturnobelpreisträger und wurde als Meister der Kurzgeschichte gefeiert, und wer war schon mein Deutschlehrer und wieso war wohl ausgerechnet ein Buch Hemingways einer der ersten fünf Bände, mit denen Rowohlt seine berühmte rororo Reihe eröffnete? (Band 1 war „Kleiner Mann, was nun?“ von Hans Fallada). Na, wenn der nicht schreiben konnte! (Zur Ehrenrettung des Deutschlehrers muss ich erwähnen, dass er später oft und vehement betonte, dass der zu dieser Zeit besonders populäre und auch als Schullektüreverfasser omnipräsente Heinrich Böll ein Stümper sei und er mit uns diesen Schund nicht lesen werde.)

Ich habe gerade mal einen kleinen Kontrollgang gemacht und festgestellt, dass es vor allem rororo Taschenbücher sind, die ich über alle Umzüge der früheren Jahre hinweg stets mit mir geschleppt habe und nicht irgendwann einmal irgendwo stehen ließ. Das hat gewiss Gründe. Darunter sind zwei mit dem anfangs bei Rowohlt noch verwendeten Leinenrücken, zum einen Dürrenmatts „Richter und sein Henker“, ein Buch, das mich ungeheuer erschreckte, nicht zuletzt wegen der gespenstischen Illustrationen von Karl Staudinger (1874 – 1962). Der andere Band mit Leinenrücken ist Heinrich Manns „Professor Unrat“, in dessen Mitte eine Anzeige für Creme Mouson damit wirbt, dass selbst im fernen Osten die Frauen schön blieben, weil sie die Tiefenwirkung der Pampe zu schätzen wüssten.

„Hinter einer Lokusmauer saß der Doktor Adenauer“ 

Ganz viel Tucholsky, ein Rowohlt Autor der ersten Stunde, steht da und gilbt vor sich hin; längst kann man Gesamtausgaben des 1935 verstorbenen Satirikers als E-Books für nicht einmal 1 Euro erwerben, da seine Werke heute gemeinfrei sind. Ich verstand ihn anfangs als Schreiber von Clownerien („Wo kommen die Löcher im Käse her?“) und begriff ihn erst Jahre später als das, was er tatsächlich war. In meiner Ausgabe von „Zwischen gestern und morgen“ von 1967 kann man lesen, dass seine Werke bereits zu dieser Zeit „als Taschenbücher in 1,5 Millionen Exemplaren verbreitet sind“. Liest heute noch jemand Tucholsky außer mir? Tun Sie’s!

B. Traven fiel mir vorhin ins Auge. „Das Totenschiff“. Kennt heute auch keiner mehr, dabei wurde es sogar mit dem klinisch reinen Horst Buchholz verfilmt. Der gefiel mir besser in „Monpti“ nach dem rororo Buch gleichen Namens von Gábor von Vaszary, mein erstes Buch, das in Paris spielt. Da hatte ich Henri Miller noch nicht entdeckt; auch er einer der Autoren, die durch Rowohlts Rotationsromane in Deutschland Verbreitung fanden, sofern seine Bücher nicht von einem eifrigen Sittenwärter beschlagnahmt wurden.

Leuchtend rot und gelb aus einer politischen Nebenreihe bei Rowohlt steht Joachim Kahls „Elend des Christentums“ da, ein Buch, das damals meinem bereits gefestigten inneren Widerstand gegen alles Überirdische endlich auch historische Fakten lieferte. Arg zerlesen fällt mir aus dem Jahre 1969 Peter Rühmkorfs „Über das Volksvermögen“ entgegen, laut Text auf dem Titelbild „eine umfassende Dokumentation zeitgenössischer Volks- und Kinderpoesie, kritisch kommentiert und durchgesehen nach Maßgabe eines gesunden Volksempfindens.“ Zerlesen ist das Büchlein nicht so sehr wegen der für mich als damals 16-Jährigen eher unverständlichen sprach- und gesellschaftlich fundierten Analysen Rühmkorfs, die er zu den einzelnen Gebieten der Volkspoesie – welche sich sowohl aus der volksnahen, alltäglichen Lebenserfahrung wie auch der bereits damals einflussreichen Werbesprache zusammenklüngelte – verfasste, sondern wegen der zahlreichen Beispiele, in denen ich nicht nur vieles vertraute, sondern auch neues fand.

Veralberte Werbesprüche („Der Mann ist tot, die Witwe kichert, denn er war Allianzversichert“) ebenso wie Umdichtungen von Liedern („Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum / der Lehrer hat mich blau gehaun / jetzt muss ich in der Ecke stehn / und mir die kahle Wand besehen“) und Abzählverse („Hinter einer Lokusmauer / saß der Doktor Adenauer / hatte kein Papier / und raus mit dir“). Natürlich gibt es allerlei Schweinöses darin, was ich nur der Vollständigkeit halber erwähnen möchte, ohne dafür näher auf Beispiele einzugehen. Und viel Zeitgeschichte steckt in simplen Versen, wie dem Kindergebet „Lieber Gott, mach mich stumm / dass ich nicht nach Dachau kumm / Lieber Gott mach mich taub / dass ich nicht am Radio schraub / Lieber Gott, mach mich blind / dass ich alles herrlich find / Bin ich taub und stumm und blind / bin ich Adolfs liebstes Kind.“ 

Und so lande ich thematisch ganz aktuell bei  einem Taschenbuch aus einem anderen Haus, dem damals existierenden Schweizer Diana Verlag. Es ist aus dem Jahre 1950, es sieht wenig ansprechend aus mit dem in tristem Grau und einem verwaschenen Rot gehaltenen Einband und seinem inzwischen nahezu völlig vergilbten Papier. Es nennt sich im Untertitel „Ein utopischer Roman“, und das mag er zu seiner Zeit auch gewesen sein. 

Und heute? Entscheiden Sie selber. Ich zitiere daraus zwei Sätze: 

„Die Neusprache war die in Ozeanien eingeführte Amtssprache und zur Deckung der ideologischen Bedürfnisse des Engsoz erfunden worden. Sie hatte den Zweck […], jede Art anderen Denkens auszuschalten. Wenn die Neusprache erst einmal für alle angenommen war, (etwa im Jahre 2050), sollte sich ein unorthodoxer – d. h. ein von den Grundsätzen der Engsoz abweichender Gedanke – buchstäblich nicht mehr denken lassen.“ 

Ja, heute gehört George Orwells 1984 nicht mehr ins Regal mit der (Science) Fiction, sondern mit den Büchern zur zeitgenössischen Politik und Geschichte.

Die Rituale des Schreibens

Ach je, nun bin ich mal wieder ganz furchtbar abgeschwiffen, Harry Rowohlt, der Großmeister der Abschweifung, hätte wahrscheinlich daran seine Freude gehabt. Dabei ging es anfangs ja um den schönen alten Brauch der Brieffreundschaft und die Frage, ob es so etwas heute noch gibt. So richtig handgeschrieben, auf Papier, mit frankiertem Umschlag in den Briefkasten gesteckt und dann Wochen gewartet, bis endlich eine Antwort kommt.

Klar, man kann heute weitaus unkomplizierter korrespondieren, und ich sehe ohne jede Frage die vielen Vorteile, die wir nun durch mailen und skypen und twittern und whatsappen haben. Aber bin ich altmodisch, wenn ich sage, es ist nicht mehr das gleiche? Ich meine nicht im technischen Sinne, ich bin kein Maschinenstürmer. Aber es fehlt mir das Besondere. Die Rituale des Schreibens, die Freude, wenn der bunt frankierte Umschlag aus Chicago oder Basel oder New York oder meinetwegen auch München endlich im Briefkasten lag, und ja, selbst das oft übermäßig lange Warten auf eine Reaktion des Gegenübers fehlt. Das hatte eine ganz andere Wertigkeit als die Mail, die eventuell noch am selben Tag eine Antwort erhält, selbst wenn sie von St. Helena oder den Aleuten kommt.

(Einschub nach Redaktionsschluss: eben lese ich, dass es tatsächlich noch Brieffreundschaften – oder besser – Briefwechsel auf die alte Art gibt. Mit Knackis. Ein in Dänemark einsitzender Mörder sucht über sein von einem Bekannten gepflegten Facebookprofil realen Briefwechsel auf Papier, online sei ihm nicht gestattet.)

Nicht viel anders geht es mir heute mit Musik. Wie gut erinnere ich mich daran, was los war, wenn ich selber oder einer der Freunde eine neue Langspielplatte gekauft hatte! Das war jedes Mal wie ein dicker Brief aus Oak Park voller Eicheln oder was auch immer die da als Spezialität zu bieten haben. LPs kosteten viel Geld und wurden folglich selten gekauft und dann auch entsprechend verehrt. „Ich habe mir gestern die neue Platte von den Stones geholt, kommst du nach den Aufgaben vorbei?“

Aber klar kam man, und meist schon vor den Aufgaben; die wurden dann am nächsten Morgen auf der Schulhofbank abgeschrieben. Und dann hockte man zusammen und ließ die Hülle von Let it Bleed kreisen und sah sich den fantasievollen Kuchen auf dem Cover an und las jedes Wort auf der Rückseite, als sei es eine Offenbarung und legte die Scheibe immer und immer wieder auf und heulte mit Mick Jagger  „Love In Vain“  und versuchte alle Texte zu verstehen und diskutierte darüber, ob der Chor bei „You can't always get what you want“ nicht komplett daneben war, aber damit hatten ja auch schon die Beatles und Pink Floyd... und nächstes Mal bringe ich etwas total Irres mit, die heißen King Crimson... Nie gehört!

Heute können wir jede noch so obskure Band und jede noch so russische Pianistin und jeden noch so kirgisischen Teufelsgeiger online finden und hören und vieles entdecken, von dem wir sonst nie erfahren würden, und das ist auch wirklich ganz toll, auch wenn 24 Stunden am Tag dafür niemals reichen können, und auch ich habe auf diese Weise schon so viel profitiert, aber das alles hat nicht mehr dieses Besondere, dieses Kostbare, dieses Magische, wie es dem ersten Hören einer mühsam zusammengesparten Pink Floyd LP oder von den Kinks oder von Nick Drake auf dem Plattenspieler in Vaters Grundig Musiktruhe innewohnte, zusammen mit Freunden, mit einer Selbstgedrehten aus Van Nelle Zware Shag zwischen den Lippen, im Schneidersitz auf dem Perserteppich im elterlichen Wohnzimmer.

Links zum Thema:

Monpti (1957) mit Romy Schneider und Horst Buchholz 

Ernest Hemingway, Wrestling With Life

Hemingway's Paris

Der Blaue Engel (Professor Unrat), Ausschnitt 

Das Totenschiff von B. Traven. Original Hörspiel (1947) von Ernst Schnabel 

1984 (Verfilmung von 1956

BBC – Frank Lloyd Wright: The Man Who Built America (2017) 

Robert Johnson – Love In Vain (Das Original 1937) 

You Can't Always Get What You Want – Rolling Stones (1969) 

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Andreas Mertens / 12.08.2018

Das Orwells 1984 nicht mehr SF ist sondern Politik ist lässt mich schaudern. Nicht das ich Ähnliches nicht schon oft genug gedacht und im Freundeskreis auch gesagt hätte, aber es hier aus fremder Feder Schwarz auf Weiß zu lesen lässt mehr als nur schaudern. Es zwingt zum Nachzudenken. Zum Nachdenken darüber ob das, was ich bisher “nur” so daher gesagt habe (wohlstandssaturiert, friedensverwöhnt und von Staatsfunk betäubt) Wirklichkeit wird / geworden ist. Bin ich der sprichwörtliche Frosch im sich langsam erhitzenden Wasser? Orwells 1984 kommt ja nicht über Nacht. Das Wasser kocht nicht in dem ich schwimme. Es wird nur graduell wärmer, heißer, unerträglicher. Mach ich solange weiter bis ich kollabiere oder macht es rechtzeitig Klick bei mir und ich springe aus dem Topf ? Oft frage ich mich, welche Art Hellsicht, welches Gespür fürs Bedrohliche, hatten die Leute, welche bereits 1927 .. 28 .. 29 ..  sagten: Genug .. ich pack meine Koffer und hau ab aus diesem Land (wahlweise aus vielen anderen Ländern zu anderen Zeiten auf anderen Kontinenten) Immer gab es überall Leute mit diesem Gespür.  Max frisch fragt sich in einem seiner Tagebücher, an einem friedlichen sonnigen Morgen (rückblickend auf die längst vergangene, aber zu dem Zeitpunkt existenzbedrohende Kubakrise) ist heute wieder so ein Tag. Die Frage stelle ich mir auch. Ist an diesem friedlichen sonnigen (nicht zu heißen) Tag auch so ein Tag. Ist heute vielleicht der Tag an dem ich hätte meine Koffer packen müssen. Hätte ich, Frosch,  Heute aus dem Topf entkommen müssen.

Peter Zentner / 12.08.2018

@Lutz Muelbredt: Die Schreibung “Hemmingway” finden Sie nur auf Key West, wo jede zweite Kneipe sich mit “Hemmingway’s Best-Loved Bar” schmückt. Aus gutem Grund, denn Ernest Hemingways Erben (und deren gibt es viele) haben seinen korrekt geschriebenen Namen patentrechtlich schützen lassen und gehen beinhart gegen jeden vor, der damit Werbung treibt, ohne saftige Lizenzgebühren zu berappen.  — Herzliche Grüße!

Werner Arning / 12.08.2018

Ja, Briefe hatten etwas Magisches. Besonders Liebesbriefe. Da pochte beim Öffnen das Herz. War der Briefumschlag dick, war das ein gutes Zeichen. Ich hatte eine Freundin, die berichtete in so einem Brief von ihren Gedanken, die ihr während eines Spaziergangs an der Atlantikküste gekommen waren. Das war so schön, dass ich den Brief immer wieder lesen musste. Allerdings gab es auch Liebesbriefe anderer Art. Der Kürzeste, den ich wohl jemals bekam, bestand aus vier Wörtern : Du, ich mach Schluss. Ach nein, es gab noch einen kürzeren : Ich liebe dich. Herrlich. Die Brieffreundkorrespondenz verlief etwas formeller : Was sind deine Hobbys? Aber dafür auf Englisch. Und dann gab es noch die Briefe aus dem Zeltlager an die Eltern : Gestern badeten wir in den eisigen Stromschnellen eines Bergflusses. Aber immer nahm man sich die Zeit alles auszuformulieren. Sich Gedanken zu machen. Geduld aufzubringen. Warten zu können. Und Briefmarken zu sammeln. Das gehörte einfach dazu. Die warf man nicht achtlos weg. Dank ihrer trat man mit Menschen ferner Länder in Kontakt. Und die Briefmarken waren schön, hatten teilweise etwas Fremdes, Geheimnisvolles. Versprachen etwas. Und ließen einen träumen… von fernen Ländern und anderen Welten.

Andreas Arndt / 12.08.2018

Genauso empfinde ich es. “The Thrill Is Gone”. Man kann, muss so viel hören und lesen, aber, ich kann nichts mehr als die Sensation von damals erleben. Zumal fehlen mir im Radio die Sendungen, in denen ein engagierter Musikredakteur Neuheiten analysiert und vorstellt. Nie werde ich eine Sendung des DLF vergessen in der A Minstrel In The Galerie von Yethro Tull vorgestellt wurde. Das hätte ich mir selbst nicht so erschließen können. Und heute. Einfallsloser Einheitsbrei auf allen Sendern.

Gisela Tiedt / 12.08.2018

Brieffreundschaften, ein Highlight meiner Kindheit und Jugend! Vielleicht besonders, weil ich bis 1961 in der DDR aufwuchs. Da war ein Brief aus dem Ausland eine Kostbarkeit. Na ja, wir hatten verordnete Brieffreunde aus der Sowjetunion, das war ganz nett, aber doch nicht so prickelnd. Aber meine Tante in Venezuela hatte mir eine Brieffreundin von dort vermittelt und deren Briefe, die Briefmarken, die mitgeschickten farbigen Ansichtskarten, waren für mich immer so, als wäre ein Fenster aufgestoßen worden, und der DDR-Mief verflüchtigte sich vorübergehend. Einmal bekam ich Post aus Lambarene mit wunderbaren Briefmarken, denn ich hatte Albert Schweitzer gebeten, mir eine Brieffreundschaft zu vermitteln. (Was nicht ging, wie mir seine Helferin schrieb, die Kinder dort könnten Einbaum fahren und noch vieles mehr, aber nicht schreiben.) Später, als Schülerin im Westen, bekam ich Post aus allen möglichen Ländern und Erdteilen, nur Australien war nicht dabei. Als junge Erwachsene wartete ich oft auf Briefe vom Freund aus der DDR, sie brauchten eine Woche von drüben nach hüben und umgekehrt. Wir benutzten ein bisschen Geheimsprache, um mitzuteilen, ob mein Visum für die Tschechoslowakei noch rechtzeitig kommen würde (“Alles Gute zum Geburtstag”) oder nicht (“Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag”). Auch heute ziehe ich Briefe allen E-Mails und Telefonaten entschieden vor, nichts ist so sinnlich wie ein Brief.  Noch schreibe ich welche (am liebsten mit Füller), auch wenn ich mich als Briefschreiberin auf die Liste der aussterbenden Arten setzen kann.

Fritz Wunderlich / 12.08.2018

Leider fielen meine ‘rororo’s’ einem Wasserschaden im Keller zum Opfer. Phantomschmerzen treten noch hie und da auf.

Fritz Wunderlich / 12.08.2018

“Ja, heute gehört George Orwells 1984 nicht mehr ins Regal mit der (Science) Fiction, sondern mit den Büchern zur zeitgenössischen Politik und Geschichte.” Punkt.

Emmanuel Precht / 12.08.2018

Besten Dank für die Beschreibung meiner Jugendjahre. Von B.Traven hab ich alles gelesen, aufgesaugt! Der Ziegelbrenner? Schon gehört in dem Zusammenhang? Für Tolkins Trilogie hab ich mir 3 Tage Zeit gelassen. Mein Bootsmann hat mich genausolang nur in der Messe zu Gesicht bekommen. Wohlan…

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