Rote Flämmchen taumeln vor meinem Fenster hinab. Der sommerliche Pelz aus Weinblättern löst sich vom Haus, bald sieht man nur noch den nackten Putz. Letzte, schon vergorene Äpfel fallen vom Baum und zerplatzen auf den Asphalt. Der örtliche Kleiber sitzt zwischen Meisen und Spatzen auf meinem Fensterbrett, um sich mit Kernen und Nüssen vollzustopfen. Wer weiß, wie der Winter wird und wie lange dieser Supermarkt noch geöffnet ist!
Die Gefiederten stören sich nicht daran, dass unten die Jungkatzen vom Nachbarn lauern, die sind nicht scharf auf die Vögel, nur auf die heruntergefallenen Kerne. Und so bereitet sich halt ein jeder vor auf das, was kommt. Tags wird Brennholz gesägt, man hört die Motorsägen aus allen Himmelsrichtungen. Nachts wird gejagt, das hört man auch. Was man riecht: Gülle, die auf die Felder ausgebracht wird. Wir schon länger hier Lebenden kennen das, es ist unvermeidlich, es ist richtig, es düngt.
Offenbar neu hinzugezogene Menschen haben es gewagt, darüber in der lokalen Facebookgruppe zu klagen: „Die Wiesen voller Gülle, ekelhaft!“ Hätten sie doch geschwiegen. „Willkommen auf dem Land!“ und „Dann geh wieder in die Stadt“ waren noch die höflichsten Antworten. Der Kulturkampf ist nah.
Eben kommt Alex vorbei, der schöne schwarze Kurierfahrer, wir lachen immer miteinander, meistens über den stets gleichen alten Scherz. Er bringt eine Ladung Feuerbällchen, superökobio, natürlich, zum Kaminanzünden. Winter’s coming. Die Winterbetten sind bezogen, die dickeren Pullover rausgesucht, jetzt fehlt nur noch die Gaslieferung. Wenn er kalt ist, wird der Winter teuer.
Holz stapeln ist nicht immer gut für den Rücken
Der Preis fürs Flüssiggas ist gestiegen, moderat zwar, aber das wird nicht das letzte Wort gewesen sein. Vom Stromlieferanten habe ich noch nichts gehört, da kommt das dicke Ende noch. Brennholz ist knapp, statt 3 Raummeter haben wir heuer nur die Hälfte bekommen.
Holz stapeln ist zwar nicht immer gut für den Rücken, aber ungemein befriedigend. Was kann einem schon passieren mit zwei Lagen gut abgehangener Buchenscheite? Und beim Hochheben, Scheit für Scheit, in den Schubkarren legen, zum vorgesehenen Platz befördern, dort abwerfen und an der Schuppenwand stapeln, kommt einem der eine oder andere Gedanke. Über, genau: das Provinzielle.
Provinziell ist, wenn man die Kirche im Dorf lässt. Aber auch, wenn man nicht weiter als bis zum nächsten Kirchturm denkt. Letzteres ist gemeinhin die Umschreibung für kurzsichtige Politik. Nun hat die vergangene Regierung zwar kein besonders inniges Verhältnis zur Kirche gepflegt (das galt eher umgekehrt), aber insbesondere, was die Energiepolitik betrifft, agierte sie extrem kurzsichtig, und so wird es, steht zu befürchten, auch weitergehen.
Gewiss ist Fukushima nicht der nächste Kirchturm. Doch die Entscheidung für den Ausstieg aus der Atomkraft ist ein deutscher Sonderweg, wie man ihn sonderlicher nirgends finden kann. Nichts als provinziell im schlechten Sinn ist die Vorstellung einer Energieautarkie dank Windkraft und Solaranlagen. Da lachen unsere Nachbarn, die uns im Fall eines kalten dunklen Winters aushelfen sollen. Deutschland und seine „Energiewende“ ein Vorbild für die Welt, wie die deutsche Umweltministerin anlässlich des Treffens der Klimaapokalyptiker (viele per klimasensiblem Privatjet) in Glasgow meinte? Höllengelächter.
Wer das Naheliegende tut, fällt anderen nicht zur Last
Lassen wir doch einfach die Kirche im Dorf! Das wäre im guten Sinne provinziell – sich ums Nächstliegende kümmern, wozu auch gehört: um sich selbst. Das kann niemand besser als jeder für sich und seine Nächsten. Wer das Naheliegende tut, fällt anderen nicht zur Last.
Wobei mir wieder Ahrweiler und die anderen im Juli vom Hochwasser verwüsteten Gebiete einfallen, ein von allen, die sich lieber mit dem Weltuntergang beschäftigen, vergessenes Drama. Hier waren ein schlechtes Gedächtnis und menschliches Versagen am Werk, nicht die „Klimakatastrophe“, der schnellstmöglich zu begegnen Angela Merkel in hohem Ton vor der Katastrophenkulisse versprach. Als ob nicht weit konkreteres Handeln nötig gewesen wäre. Die Menschen hatten vergessen, dass es ähnliche Hochwasserlagen schon Jahre zuvor gegeben hat. Die zuständigen Institutionen wiederum vermochten es noch nicht einmal, die Bevölkerung zu warnen geschweige denn rasch zu helfen.
Noch heute sind es die Nächsten, auf die Verlass ist, während die behördliche Hilfe vielfach schon an ihrer Befehlshierarchie scheiterte. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber keine Bundesregierung hat von ihren Wählern jemals den Auftrag erhalten, die Welt (oder gar das „Klima“!) zu retten. Ebenso wenig ist es ihre Aufgabe, die Bürger vor einem Virus zu retten. Am wenigsten aber ist eine gewählte Regierung autorisiert, dem Souverän Schaden zuzufügen – mit „Maßnahmen“ zu seinem Schutz. Im Falle des Falles: verlassen ist, wer sich aufs Falsche verlässt. Die Kirche bleibt im Dorf. Basta.
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