Aus gegebenem Anlass soll es heute um ein Gericht gehen, das dem französischen Filmstar Gérard Depardieu gewidmet ist. Schließlich ist Wildschwein die Lieblingsspeise von Obelix, dem gallischen Vielfraß und Raufbold aus den Asterix-Erzählungen, den Depardieu in einigen seiner weniger anspruchsvollen Filme verkörperte.
Man stelle sich vor, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würde sich vor ein Mikrofon stellen und Folgendes verlauten: „Til Schweiger ist einer der wichtigsten Schauspieler, Regisseure und Filmproduzenten unseres Landes. Er hat es, wie wenige Deutsche, sogar bis nach Hollywood geschafft, wo er etwa in 'Inglourious Basterds' von Quentin Tarantino neben Brad Pitt, Christoph Waltz und Melanie Laurent vor der Kamera stand. Unsere Nation hat ihm viel zu verdanken und es kann nicht sein, dass möglicherweise ungerechtfertigte Vorwürfe gegen ihn erhoben werden. Auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung.“
Natürlich hat Steinmeier niemals solche Sätze gesprochen. Dafür aber der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, gemünzt nicht auf Til Schweiger, sondern einen, man muss ehrlicherweise sagen, wirklichen Giganten des französischen und europäischen Films: Gérard Depardieu. Dabei wies der Staatschef die Kulturministerin seiner eigenen Regierung in die Schranken, die Depardieus Verhalten gegenüber Frauen zuvor als „Schande für Frankreich“ bezeichnet hatte und seinen Ausschluss aus der Ehrenlegion forderte. „Die Ehrenlegion ist ein Orden, der nicht dazu da ist, jemandem die Leviten zu lesen. Man wird doch jemandem nicht auf der Basis einer Reportage den Orden aberkennen“, sagte Macron. „Ich werde mich an solchen Hetzjagden niemals beteiligen.“
Auslöser der Entrüstung von Madame le Ministre Rima Abdul Malak war offenbar ein Dokumentarfilm, in dem der Filmstar zu sehen ist, wie er auf einer Drehreise in Nordkorea sexistische Kommentare von sich gibt. Außerdem laufen seit einiger Zeit Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung gegen Depardieu. Mehrere Frauen werfen ihm vor, sich an ihnen vergangen zu haben. Manche Fälle liegen, wie oft bei Metoo-Skandalen, Jahre und Jahrzehnte zurück. Depardieu bestreitet alles.
Auf Abstand zu Depardieu
Doch die Cancel-Unkultur entfaltet sich schon. So geht France Télévisions, Frankreichs öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt, auf Abstand zu Depardieu. Man sei dabei, die Sendepläne zu überprüfen und erst einmal alle Projekte mit ihm auf Eis zu legen. Das belgische Pendant RTBF traf eine ähnliche Entscheidung. Alle Filme mit Depardieu in der Titelrolle würden „vorläufig“ zurückgezogen. Die (Selbst-)Demontage einer Kultfigur sei in vollem Gange, heißt es schon fast höhnisch in einem dpa-Bericht.
Nun sollte man Macrons öffentliches Eintreten für Depardieu vielleicht nicht überbewerten. Seit sich jüngst eine rechte Parlamentsmehrheit in Sachen neuer, schärferer Einwanderungsregelungen gegen ihn gewandt hatte, steht Macron politisch unter Druck. Da scheint es politisch opportun, die französische Seele zu streicheln und ein wenig den Stachel zu löcken gegen den Zeitgeist, zumal auch 56 französische Künstler öffentlich ihre Unterstützung für den Filmstar bekundeten. „Gérard Depardieu ist wahrscheinlich der größte aller Schauspieler. Der letzte Superstar des Kinos“, heißt es in einem in der Zeitung „Le Figaro“ veröffentlichten offenen Brief. „Wenn man Gérard Depardieu auf diese Weise angreift, ist das ein Angriff auf die Kunst.“
Dass Depardieus private wie künstlerische Existenz ein einziger Exzess war und ist, bestreitet niemand, auch und gerade er selbst nicht. Doch in seiner Unbotmäßigkeit, seiner Lust an der Provokation, seiner (kalkulierten?) Vulgarität, seiner Streitsucht, seinem ungebärdigen Freiheitsdrang, seiner Unmäßigkeit bei körperlichen Genüssen aller Art gilt er vielen Franzosen als idealtypische Verkörperung ihrer eigenen Lebensart. Jemand, der keine Scham hat, die Sau rauszulassen. Und damit das genaue Gegenteil von Herrn Steinmeier, dem selbst die taz anlässlich seiner jüngster Weihnachtsansprache attestierte, er sei ein „Floskelkönig“.
„Etwas von mir geht substanziell in den anderen über.“
Dass „le monstre sacré“ (das „heilige Monster“ – Depardieu, nicht Steinmeier) auch sehr sanft sein kann, zeigt ausgerechnet sein Kochbuch mit dem schlichten Titel „Mein Kochbuch“. Kochen und essen bedeute ihm Liebe und Zusammenhalt, schrieb der Stern in einer Rezension des 2004 erschienenen Buches und zitiert Depardieu daraus mit folgenden Sätzen: „Ich denke beim Kochen immer an andere – an den, für den ich koche. Selbst wenn ich allein für mich koche, ist es immer noch Liebe, die mich treibt – die zu mir selbst. Ich bin kein Philosoph, aber für mich ist essen eine Art Kommunion. Etwas von mir geht substanziell in den anderen über.“
In dem Buch finden sich eher einfache Gerichte wie Rührei mit grünem Spargel, Kalbskopf mit Sauce gribiche, Miesmuscheln mit Safran oder Schweinerippchen mit Honig, wobei Depardieu Wert auf ökologische Qualität legt, vor allem bei der Herkunft des Fleisches. Ich möchte zum Jahreswechsel als Referenz an den großen Schauspieler, der gerade 75 Jahre alt geworden ist, ein Wildschweingericht empfehlen. Wildschwein ist schließlich die Lieblingsspeise von Obelix, dem Vielfraß und Raufbold aus den Asterix-Erzählungen, den Depardieu in einigen seiner populärsten, wenn auch beileibe nicht anspruchsvollsten Streifen verkörperte.
Da ein nach Art der Gallier am Spieß über offenem Feuer gebratenes, ganzes Wildschwein kulinarisch unvorteilhaft erscheint, möchte ich ein italienisches Wildschweinragout empfehlen: Cinghiale in agrodolce, übersetzt etwa Wildschein süß-sauer. Dazu wird das Fleisch aus der Wildschweinkeule zunächst über Nacht in einem Sud aus Rotwein und Essig eingelegt, versehen mit den üblichen Wurzelgemüsen und Gewürzen wie Wacholderbeeren, Pfefferkörnern und Lorbeerblättern. Vor dem Braten wird der Sud abgeseiht, werden die Fleischbrocken sorgsam trocken getupft und dann in etwas Butter und Pflanzenöl angebraten. Damit die Soße später sämiger wird, kann man auch ein wenig Mehl darüber stäuben und mitrösten.
Verletzte Burg
Nun den Sud angießen und das Ragout garkochen, was nicht länger als eine halbe bis volle Stunde dauert. Unterdessen hat man separat fein geschnittene Schalotten, gehackte Rosmarinblätter und etwas Knoblauch in Butter angeröstet. Da hinein kommen noch sehr fein gewürfeltes Orangeat, in Portwein eingeweichte Rosinen, angeröstete Pinienkerne sowie in Streifen geschnittene Trockenpflaumen. Das alles kocht man mit einem Rest der Beize zu einem Brei, dem man, wenn das Fleisch gar wird, in den großen Topf gibt. Jetzt noch mit Salz und Pfeffer nachwürzen. Allzu süß sollte das Ragout nicht werden.
Dazu reicht man eine gerührte Polenta, die man noch mit Sahne verfeinern kann, oder schlichtes Stangenbrot. Als Gemüsebeilage empfehlen sich alle Wintergemüse: Blaukraut, Rosenkohl, glasierte Karotten. Ich bin sicher, dass Gérard Depardieu dieses Gericht munden würde, selbst wenn es aus Italien stammt. Aber man kann ja einen französischen Roten dazu trinken, am besten einen kräftigen Syrah von der Rhone. Vielleicht sogar einen Tropfen aus Depardieus eigener Produktion – der Filmstar besitzt ja gleich mehrere Weingüter.
Das Château de Tigné an der Loire in Zentralfrankreich soll Depardieus Lieblingsdomäne sein. „Auf halbem Weg zwischen Angers und Saumur im Herzen von Anjou hat sich das Château de Tigné zehn Jahrhunderte lang den Angriffen der Zeit widersetzt. Narben der Religionskriege und der Revolution, Zeichen von Männern, die geliebt oder verraten haben, Tigné ist eine verletzte Burg“, heißt es in einer Beschreibung.
Verletzte Burg – das trifft es!
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.