Die Steuereinahmen sprudeln. Der Fiskus meldet eine Rekordeinahme nach der anderen. Trotzdem fordern SPD, Grüne und Linke im Wahlkampf neue, massive Steuerhöhungen. Warum eigentlich?
So etwas haben die Finanzämter noch nicht erlebt. Von Ravensburg bis Flensburg sprudeln die Steuereinnahmen wie noch nie in Deutschlands Geschichte. Alleine im beschaulichen Ravensburg bringt jeder einzelne Tag 2 Millionen Euro in die Kasse des Finanzamtes, im vergangenen Jahr schon kamen die Beamten mit dem zählen kaum noch nach, ein Plus von 10,4 Prozent wurde verbucht. Und in diesem Jahr sind es noch einmal plus 7 Prozent. Kaum etwas wächst in Deutschland derzeit so rasch wie Steuereinnahmen.
Im Mai waren es deutschlandweit 5,4 Prozent mehr im Vorjahresmonat - trotz der Konjunkturschwäche und einer Wahlkampfdebatte um vermeintlich leere Staatskassen. In Wahrheit sind die Staatskassen so brechend voll wie noch nie. Wie aus dem Monatsbericht des Finanzministeriums hervorgeht, haben Bund, Länder und Gemeinden in den ersten fünf Monaten des Jahres schon 217,8 Milliarden Euro eingenommen – auch das ein Rekord. Alleine die Einnahmen der Lohnsteuer lagen um acht (!) Prozent über dem Vorjahresergebnis.
Lohnsteuersätze zwischen 30 und 50 Prozent sind für weite Kreise des Bürgertums die Regel geworden. Wir haben uns daran gewöhnt, als wäre das normal. Jeden dritten oder gar jeden zweiten Einkommenseuro an den Staat abzuführen, ist freilich alles andere als normal. Historisch betrachtet ist das extrem. Zur Gründerzeit vor 120 Jahren war die Steuerbelastung für Einkommen ungefähr zwanzigmal kleiner als heute – eine Voraussetzung geradezu für Gründerzeiten. Die Miquelsche Steuerrefom von 1892 schuf eine Steuerquote von 0,62 Prozent für kleine Einkommen bis zu einem Spitzensteuersatz von 4 (jawohl, vier) Prozent für Großverdiener. Noch für die Generation unserer Großväter überstieg die Gesamtbelastung an indirekten Steuern die Marke von 5 Prozent nicht. Doch selbst wer den vielbeklagten “Zehnten” aus dem angeblich so düsteren Mittelalter zu zahlen hätte, er wäre heute froh – lumpige 10 Prozent wäre der reinste Steuerdiscount.
Der deutsche Staat aber marschiert immer weiter hinein in die Finanzamtrepublik. Die Einnahmen des Staates werden - laut offizieller Steuerschätzungen - für das Jahr 2017 mit beeindruckenden 704,5 Milliarden Euro Steuereinnahmen erwartet. Das wären etwa 100 Milliarden Euro mehr als 2012. Für das laufende Jahr wird bereits ein Rekordaufkommen von 615,2 Milliarden Euro vorausgesagt. Auch wenn Thomas von Aquin meinte “Steuern sind ein erlaubter Fall von Raub”, so muss der Raub ja nicht gleich zur Plünderung ausarten.
Dass SPD, Grüne und Linke in Anbetracht dieses gewaltigen Steuerbooms nun auch noch weitere Steuererhöhungen anpeilen und im Wahlkampf von einem “armen Staat” schwadronieren, grenzt an eine Groteske. Unser Staat braucht einiges – eine effiziente Verwaltung, eine Abkehr von der Bevormundungslust, ein Ende der Schuldensucht und eine neue Ethik der Solidität. Noch mehr Geld aber braucht er am wenigsten. Kurzum: Wir sollten mehr von den Steuern und weniger von den Steuerzahlern erwarten.
Dass nämlich der Staat mit all den neuen und zusätzlichen und extra erzwungenen Milliarden nie auskommt und obendrein noch Gebirge neuer Schulden aufhäuft, das liegt an seiner Ausgabenmanie. Er ist ein Nimmersatt. Vor 100 Jahren machten die Staatsausgaben 10 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung aus, vor 50 Jahren waren es 30 Prozent, heute nähern wir uns 50 Prozent. Wer jetzt also die Steuern nach dem Steuerrekord weiter erhöhen will, der kann nur ein Ziel haben, und das hat Helmut Kohl dereinst mahnend formuliert: „Bei einer Staatsquote von 50 Prozent beginnt der Sozialismus.“
Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online