Henryk M. Broder / 10.08.2007 / 21:35 / 0 / Seite ausdrucken

Betrifft: Den Koran verbieten (2)

Juristen schreiben immer viel, damit sie nicht Gefahr laufen, missverstanden zu werden. Das hat einen guten Grund: Jeder hört immer nur das, was er hören will, auch wenn er dafür ganze Sätze überhören muss. Das gilt offenbar auch für Staatsanwältinnen.

Im staatsanwaltlich zitierten (besser: abgeschriebenen) Urteil des BVerfG (NJW 1972, 327ff.) steht ein entscheidender Satz, der bei der Staatsanwältin fehlt:

Zitat Staatsanwältin:
“Verwirklicht er durch dieses Verhalten nach herkömmlicher Auslegung einen Straftatbestand, so ist im Lichte des Artikel 4 Abs. 1 GG zu fragen, ob unter den besonderen Umständen des Falles eine Bestrafung den Sinn staatlichen Strafens überhaupt noch erfüllen würde. Ein solcher Täter lehnt sich nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die staatliche Rechtsordnung auf. Er sieht sich vielmehr in eine Grenzsituation gestellt, in der die allgemeine Rechtsordnung mit dem persönlichen Glaubensgebot in Widerstreit tritt un er fühlt die Verpflichtung, hier dem höheren Gebot des Glaubens zu folgen.”

Zitat Bundesverfassungsgericht (das ganze Urteil steht hier): http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv032098.html
“Verwirklicht er durch dieses Verhalten nach herkömmlicher Auslegung einen Straftatbestand, so ist im Lichte des Art. 4 Abs. 1 GG zu fragen, ob unter den besonderen Umständen des Falles eine Bestrafung den Sinn staatlichen Strafens überhaupt noch erfüllen würde. Ein solcher Täter lehnt sich nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die staatliche Rechtsordnung auf; das durch die Strafdrohung geschützte Rechtsgut will auch er wahren. Er sieht sich aber in eine Grenzsituation gestellt, in der die allgemeine Rechtsordnung mit dem persönlichen Glaubensgebot in Widerstreit tritt und er fühlt die Verpflichtung, hier dem höheren Gebot des Glaubens zu folgen.”

Interessant, oder? Den fettgedruckten Satz hat die gute Frau vorsichtshalber weggelassen, obwohl sie sonst alles sorgfältig abgetippt oder herauskopiert hat. Radikale Islamisten wollen das Rechtsgut “Völker sollen unverhetzt bleiben” (= öffentlicher Frieden) wahren? Das glaubt sie selber nicht. Pimp my Urteil!

Und jetzt kommen einige juristische Spitzfindigkeiten: Auf diesen weggelassenen Satz kommt es maßgeblich an, wenn man verstehen will, was das BVerfG eigentlich sagen wollte. Das Urteil befasste sich mit einem Ehepaar, das dem sog. “evangelischen Brüderverein” angehörte. Die Frau war krank, verweigerte aber aus religiösen Gründen die Operationen, was ihr Mann unterstützte. Beide waren der Auffassung, Gesundbeten sei hilfreicher. Das war wohl verkehrt, die Frau starb. Der Mann wurde wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt (damals § 330c, heute § 323c StGB). Das BVerfG hob das Strafurteil auf und begründete dies mit der Glaubensfreiheit des Mannes. Siehe oben.

Wichtig ist: Die Frau war mit ihrer Nichtbehandlung einverstanden. Bei Volksverhetzung ist es anders: Dort ist das betroffene Volk nicht einverstanden, dass es verhetzt wird. Das weiß der Täter auch, und deshalb will er das geschützte Rechtsgut nicht “wahren”, sondern, im Gegenteil, angreifen! Das Gleiche gilt für die Beschimpfung von Religionen (§ 166 StGB).

Dann aber käme das BVerfG zu einem anderen Abwägungsergebnis. Ich gebe zu, dass das BVerfG im zitierten 1971er Urteil diese Voraussetzungen etwas deutlicher hätte formulieren können. Es ist aber nicht denkbar, dass eine Strafe wegen Volksverhetzung aus Gründen der Religionsfreiheit aufgehoben wird. Das nur vorsorglich für alle “politisch Inkorrekten”, die hinter der Rechtsprechung des BVerfG einen “Freibrief” für radikale Hassprediger vermuten - das Gericht kann da durchaus unerbittlich sein (Verbot Kalifatstaat). Ein Auszug:

“Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, den die Beschwerdeführer vor allem für verletzt halten, die Religionsfreiheit zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos garantiert. Nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung können auch den Freiheiten des Art. 4 GG durch andere Bestimmungen des Grundgesetzes Grenzen gezogen werden (vgl.BVerfGE 32, 98

<107 f.>; 33, 23 <29>; 52, 223 <246 f.>). Solche Grenzen können sich vor allem aus kollidierenden Grundrechten anderer Grundrechtsträger (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>; 52, 223 <247>), aber auch aus anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern ergeben (vgl. BVerfGE 28, 243 <261> ; stRspr). Dabei ist der Konflikt mit den anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl.BVerfGE 93, 1 <21>

m.w.N.).” (aus dem Kalifatstaat-Urteil)

Es ist ausgeschlossen, dass das BVerfG auf der Suche nach dem “schonendstem Ausgleich” zu dem Ergebnis käme, der Hass auf “Juden und Kreuzfahrer” habe Vorrang vor einer Bestrafung jener Leute, die dazu aufrufen.

Ob es rechtlich möglich (oder gar: erforderlich) wäre, den Koran zu verbieten, ist damit noch nicht geklärt. Ich behaupte: Nein. Die Tatbestände der §§ 130, 166 StGB sind durch den Koran nicht erfüllt. Ob es sinnvoll wäre, den Koran zu verbieten, steht auf einem ganz anderen Blatt. Mir sei die Feststellung erlaubt: Nein, wäre es nicht.

Jetzt habe ich selbst sehr viel geschrieben. Sie erkennen den Juristen.

Viele Grüße und gute Nacht
Benjamin Küchenhoff

Ass. iur. Benjamin Küchenhoff
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Lehrstuhl für Staatsrecht,
Verwaltungsrecht und Umweltrecht
Brandenburgische Technische Universität
Cottbus

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