Vera Lengsfeld / 10.11.2015 / 14:50 / 23 / Seite ausdrucken

Berlin am Montagabend - Bärgida und die Gegendemonstranten

Nachdem ich mich von Habibi verabschiedet hatte, beschloss ich angesichts des milden Novemberabends, noch nicht gleich in die U-Bahn zu steigen, sondern ein oder zwei Stationen in Richtung Heimat zu laufen. Sobald ich den Alexanderplatz überquert hatte, sah ich in der Ferne auf der Liebknecht-Straße viele Blaulichter zucken. Die von der Polizei begleiteten Demonstranten trugen Fahnen, darunter die Deutschlandfahne. Das musste „Bärgida“ sein, der Berliner Ableger von Pegida. Da ich noch nie in der Nähe einer solchen Demonstration war, beschloss ich, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und mir das anzusehen.

Es waren nur etwa 300 Unentwegte, die sich aufgemacht hatten, wie jeden Montag seit einem Jahr gegen die Islamisierung des Abendlandes, vor allem gegen den importierten Antisemitismus, auf die Straße zu gehen. Diesmal Richtung Prenzlauer Berg, was ich für eine gewagte Route hielt, den hier lebt vor allem das grüne Establishment. Es waren kaum Plakate zu sehen, dafür Fahnen: die Berliner-, Brandenburger-, die Deutschlandfahne und die Wirmer- Flagge. Auch eine Israel- Fahne war dabei. Aus der mitfahrenden Anlage tönte die Internationale, das heißt die Melodie, der Text war ziemlich witzig umgedichtet worden. Meist schwiegen die Bärgidisten, dafür waren die Gegendemonstranten um so lauter. Wie viele es waren, ist schwer schätzen.

Wenn eine Gruppe von etwa dreißig Leuten an einer Stelle sich die Kehle aus dem Hals schrie, rannten ein paar von ihnen schon los, um sich weiter hinten erneut zu positionieren. „Bärgidisten-Pack, wir haben Euch zum Kotzen satt“ war häufig zu hören. Es war nicht die harte Antifa, die da am Straßenrand schrie, die musste sich wahrscheinlich noch von der AfD-Demo erholen, die zwei Tage vorher in Berlin stattgefunden hatte. Es waren blutjunge Schüler, viele von ihnen in teuren Markenklamotten, die da Antifa mimten. Die Kinder jener rot-grünen Wohlstandsschicht, die ihre Prosperität als Staatsdiener des Systems erwarben, das sie immer noch abschaffen wollen.

Diese Kinder werden zur Schule, zum Sport und zur Tanzstunde gefahren, sie dürfen nie allein durch die heimische Wildnis streifen, ihre Kräfte selbstständig entwickeln und erproben. Wenn schlechte Zensuren drohten, erscheinen die Eltern in der Schule und setzten die Lehrer unter Druck. Im Leben dieser Kinder wurde alles weggebügelt, was nach Hindernis aussah. Kein Wunder, dass die erlebte Glätte sie langweilt, dass sie nach einem Kick suchen. Da kommt der Kampf gegen einen zum rechten Popanz aufgeblasenen Gegner gerade recht. Antifaschist sein ist heute wohlfeil. Man kann sich selbst die gute Gesinnung lautstark attestieren, ohne das geringste Risiko.

Ich beschloss, ein paar von ihnen anzusprechen. Als besonders heftig geschrien wurde, während die Israelfahne vorbeigetragen wurde, fragte ich ein paar Jungs, was sie gegen Israel hätten. Ein kleiner Schreier in schwarzer Lederjacke antwortete sofort: „Israel schlachtet palästinensische Kinder! Israel muss weg!“ „Meint Ihr das wirklich?“ Den anderen war ihr Kumpel sichtlich peinlich. Nein, nein, sie hätten nichts gegen Israel. „Dann überlegt Euch, ob es klug ist, mit Israelhassern gemeinsame Sache zu machen.“
Der Kleine war inzwischen längst abgehauen. Ich habe ihn später noch ein paar Mal gesehen, in immer anderen Gruppierungen, mit denen er aber nichts zu tun hatte.

Ein paar „Deutschland muss weg“-Rufer fragte ich, wo Deutschland denn hin soll. Sie waren verwirrt. „Na, es soll ja nicht weg, wir wollen hierbleiben. Hier gefällt es uns. Die Anderen sollen weg und auch das System.“ „Wo sollen die Anderen hin? In den Gulag?“„Wieso Gulag? Was ist das?“

Ich wiederholte das Spiel noch ein paar Mal. Immer wieder verblüffte mich die Verwandlung einer Hassmaske in den netten Gymnasiasten von nebenan. Ich hatte noch nie zuvor gesehen, dass man sich in eine Art Trance schreien kann, aus der man jäh erwacht, oder auch nicht, wenn die Trance zu einer Art Albtraum wird, den man nicht so leicht abschütteln kann. Von allen, die ich angesprochen habe, hat nur einer aggressiv reagiert. Der war schon etwas älter und härter als der Durchschnitt. Er schrie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!“ Wo er Nazipropaganda sähe, wollte ich von ihm wissen. „Mach Dich da rein, in den Haufen!“ Das unterstrich er mit einer Geste in Richtung Demo, gefolgt von einem lautstarken „Wer bei Bärgida marschiert, ist ein Nazi!“ So einfach ist das antifaschistische Weltbild.

Als der Zug durch die Straßen am Kollwitzplatz zog, gab es auch vereinzelte Stimmen von oben. Die fand ich besonders klasse. Leute, die hinter ihrem Ofen bleiben und feige die Gefahr aus sicherer Distanz bekämpfen sind würdige Vertreter Helldeutschlands.

Einmal kam ein Pressefotograf zu mir und fragte mich, ob ich wüsste, dass der Bärgida-Fotograf der Sohn eines weltberühmten DDR- Schriftstellers sei. Er sei bei jeder Demo dabei und hätte auch die Fotos auf der AfD-Demo gemacht. Wie ich das fände? Nun, ich fand gar nichts. Ich kannte den Vater flüchtig und den Sohn nur als Kleinkind. Allerdings hätte ich gern mit ihm gesprochen, um seine Motiven zu erfahren.

Für alle, die sich besorgt fragen, ob ich keine Kritik an Bärgida hätte: Doch, einmal, als die Gegenstimmen besonders laut wurden, ließ sich ein Teil dazu hinreißen zu rufen: “Wir kriegen Euch alle!“ Auch wenn ich das nur einmal gehört habe und der Ruf ziemlich schnell wieder erstarb, war das mehr als unangenehm.

Ich kann diesen Bericht nicht schließen, ohne der Berliner Polizei ein ganz großes Lob, nein, meine Hochachtung auszusprechen. Ich habe zum ersten Mal so einen Einsatz erlebt und die Disziplin und Präzision der Beamten bewundert. Auch wenn es sicher ein leichterer Einsatz war, denn die Gymnasiasten machten keine ernsthaften Versuche, die Polizeiketten zu durchbrechen, herrschte doch durch das konstante aggressive Gebrüll eine Art Bürgerkriegsatmosphäre, die an den Nerven zerrte. Aber außer dieser verständlichen Nervosität, die ich bemerkte, wenn ich wieder meinen Presseausweis zeigen musste, um eine Sperre passieren zu können, habe ich keinerlei Übergriffigkeiten festgestellt. Ich habe auch nur eine Festnahme gesehen. Das war aber kein Schüler, sondern ein Aktivist mit Migrationshintergrund.

Auf die Dauer ist es nicht hinnehmbar, dass die verfassungsrechtlich garantierte Meinungs- und Demonstrationsfreiheit nur mit Polizeieinsätzen gesichert werden kann. Wir brauchen eine Verfassungsoffensive. Nicht nur die Einwanderer, auch alle Schüler in unserem Land sollten spätestens mit 14 Jahren ein Grundgesetz überreicht bekommen und später nachweisen, dass sie es gelesen und verstanden haben.

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Gert Weller / 11.11.2015

Dieses linke Konzept der “Gegendemonstration” dient doch nur zur Abschaffung der Meinungsfreiheit durch Gewalt und Einschüchterung. Wieso demonstrieren die Linken nicht einen Tag später? Nein, sie wollen zur selben Zeit, am selben Ort den Platz besetzen, blockieren und Krach machen. Mindestens.

Georgen Urbanski / 11.11.2015

Werte Frau Lengsfeld, ich habe nur zwei Fragen zu dieser objektiven “Milieustudie”, die ganz sicher in die Geschichte der Wissenschaft eingehen wird: Weshalb haben Sie eigentlich einen Presseausweis? Wann führen Sie eine ähnliche “Milieustudie” in dem Bärgida-Demonstrationszug durch und “interviewen” zum Beispiel die dort marschierenden Hooligans? Oder sind Sie dafür zu feige? Beste Grüße George Urbanski

Reiner Schöne / 11.11.2015

Ein sehr guter Kommentar, wie immer Frau Lengsfeld. Ja es ist schon etwas erschreckend was die Kids heute an den Schulen lernen. Nazis und KZ’s kennt jeder, und keiner in Deutschland will sie wieder haben, Gulags sind vergessen und werden auch nicht mehr gelehrt obwohl es keinen Unterschied gibt. Wie man so sagt: Der Mensch hat nur Platz im Gehirn für einen Holocaust, zwei sind eindeutig zu viel. Leider kam der Zweite zu spät. Die Kinder links-grüner Gesinnung sind schon so wie beschreiben, angefangen von antiautoritärer Erziehung bis hin zu: nur wir haben recht. Diesen Kids mit knallharten Fakten zu begegnen bringt nicht viel, dazu ist der anerzogene Haß zu groß.

Chris Lock / 11.11.2015

An der Uni hatte ich ab und zu mal versucht, mit Leuten von der extremen Linken zu sprechen, aber da war kein Weg. Von einem bekam ich nach einem Trillerpfeifenkonzert, mit dem ein vom RCDS organisierter Vortrag beendet werden sollte, die Auskunft, dass man mit Klassenfeinden nicht spreche, sondern diese bekämpfe. Daraus habe ich für mich die Erkenntnis gewonnen, dass viele linke Gruppen in ihrer Struktur mit religiösen Sekten stark verwandt sein müssen. Wenigstens bei den Schülern führte das sokratische Fragen von Frau Lengsfeld offenbar zu einem Effekt der Selbsterkenntnis. Wenn die Strukturen erst einmal fest im Kopf sind, besteht kaum noch Bereitschaft, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen und eine tolerante Offenheit zu wahren. Leider bemerke ich das mit zunehmendem Alter auch an mir selbst. Schlussfolgerung: Wir müssen viel mehr die jungen Leute hinterfragen, sonst kauen die viel zu oft lediglich aufgeschnappte Sprüche nach.

undsonstso / 11.11.2015

Der Text zeugt von einer fast infantilen Naivität. Bärgida hier als Kämpfer gegen Antisemitismus hinzustellen nur weil dort eine Israel Fahne zu sehen war, ist völlig daneben. Nicht umsonst gibt es derweil mit Pegada und Endgame einen offen antisemitischen Arm dier “Flüchtlingskritiker”. Offenbar sympatisiert die Autorin lieber mit diesen Leuten als der verhassten Antifa. Witzigerweise wurde mit dem Fahnenträger nicht gesprochen. War wahrscheinlich besser so. Seit Pi sich von Israel angewandt hat, übernimmt die Achse des Guten die Denunzierung linker Antisemiten und schweigt mit unverschämten Kalkül von den Rechten. Wer eine Israelfahne trägt, kann kein Antisemit sein. So einfach ist das Weltbild von Achgut.

Joachim Röhl / 11.11.2015

Erstaunlich.. Vera Lengsfeld die ich nur als DDR-Bürgerin mit einem starken Hass ausgestattet kenne bekennt sich zu unserer Nation. Hut ab! sie ist zudem die erste bekannte Widerständlerin, welche die Zeichen der Zeit erkannt hat. Ich revidiere meine Vorurteile. Gruß aus Berlin-Weißensee.

Elisa Bracht / 11.11.2015

Auch aus dem Freundeskreis meiner Kinder gingen junge Leute zur “Rechtspopulismus-stoppen”-Gegendemo gegen die AfD am letzten Sonnabend. Darunter eine seehr liebenswerte, warmherzige junge Frau. Ich habe meinem Sohn gesagt, sie solle es mir, der AfD-Demo-Teilnehmerin, doch mal bitte ins Gesicht sagen, dass ich Nazi sei. Und auch meinem Mann, seinem Vater (arabischer Herkunft), dass er ebenfalls Nazi sei, da auch er in der derzeitigen Massenzuwanderung höchste Gefahr für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie sieht. Bei der ersten Bärgida-Demo, die ich mir einfach ansehen wollte, um mir ein eigenes Bild zu machen (habe nicht teilgenommen) haben mich die - man kann es tatsächlich nicht anders sagen, leider, leider. Denn die jungen Leute tun mir eigentlich von Herzen Leid - “Hassfratzen” der teils sehr jungen Menschen total erschreckt. Der Höhepunkt allerdings war ein Mann, allerdings um die 30, der dem kleinen Häufchen Demonstranten faustschüttelnd entgegenrief “Ihr Ratten, ihre Ratten! Euch muss man alle vernichten!”. Ich habe ihm gesagt, das hätte er vor 80 Jahren genauso gerufen - dann hat er wenigstens diesen Spruch nicht mehr wiederholt. “Deutschland ist Scheiße” allerdings schon. Last but not least: Ihnen, Frau Lengsfeld, sei herzlich gedankt. Dieser unaufgeregte sachliche Artikel ist wunderbar (ebenso wie Ihren anderen Achsen-Beiträge) Auch der nötige “Galgen”(?)-humor fehlt nicht: “Deutschland muss weg!”, “Wo soll es denn hin?” - einfach wunderbar! Bei der nächsten AfD-Demo frage ich das auch!

Stefan Lehmann / 11.11.2015

Rogee Bückert: Es sei schlecht recherchiert, dass die Kinder dieser Gegend von ihren Eltern überall hingefahren werden? Im Prenzlauer Berg werden die Kinder wirklich verwöhnt, diese Gegend steht tatsächlich für das, was Frau Lengsfeld schreibt. Das Grundgesetz schränkt Grundrechte da, wo andere Rechte berührt werden, selbst ein. Ein inhaftierter Mörder kann kein Grundrecht auf Freizügigkeit genießen, eine Meinung darf nicht in Form von Beleidigungen und Gewalt geäußert werden usw. Trotzdem kann man gerade bei uns seine Meinung frei äußern und es ist nicht der Staat, der uns politische Äußerungen verbieten will, sondern Bürger selbst, indem sie andere nicht frei demonstrieren lassen wollen.

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