Archi W. Bechlenberg / 25.11.2020 / 11:00 / Foto: Manfred Werner / 9 / Seite ausdrucken

Beide Augen zu – Nachruf auf Karl Dall

Ich war jung und brauchte das Geld. In diesem Fall freien Eintritt. Den verschaffte ich mir, indem ich vor dem Eingang zum Aachener Audimax stand und Devotionalien feilbot. Es war irgendwann zur Wendezeit zwischen den 60er und 70er Jahren. Wann immer es um die Veranstaltung kulturell wertvoller Auftritte in Aachen ging, hatte der AStA der RWTH die Finger im Spiel. So auch an diesem Abend, als die „BlödeItruppe“ Insterburg und Co. ihr Programm präsentierte.

Obwohl es im Vergleich zu heute quasi überhaupt keine Medien gab, kein Internet, kein Youtube, kein Spotify, waren die vier Mannen weit über die Grenzen des Verstandes bekannt. Ingo Insterburg, Karl Dall, Peter Ehlebracht und Jürgen Barz brachten mit schrägen Texten, irren Instrumenten, erbaut aus umfunktionierten Alltagsgeräten, und bizarren Dialogen das Publikum derart zum Lachen, dass sie sehr schnell „einfach dazu gehörten. Zudem sie auch noch so aussahen wie 98 Prozent ihres Publikums.

Verbreitet wurden die Nummern überregional vor allem durchs Radio und durch die TV-Reihe Musikladen. Ich erinnere mich an ein Ding, da moderieren sie im WDR eine Kabarettsendung unter der Oberhoheit von Hanns Dieter Hüsch. Zwischen ihren Wortblödeleien spielen sie eine Platte von Roy Black, der Hörer wundert sich, das passt aber so gar nicht, dann erklingt die Stimme von Karl Dall, der ein verkniffenes „Ich glaube, mir wird schlecht!“, von sich gibt. „Ich glaub, mir auch“ – die anderen stimmen der Reihe nach mit ein, schließlich hört man würgende Laute, gefolgt von weiterem Wehklagen, unterlegt mit dem Geräusch einer ins Klo geschütteten, größeren Menge Kartoffelsuppe. Derweil knödelt Roy Black im Hintergrund 03:17 Minuten bis zum letzten bitteren Ton. So etwas hatte es bis dahin noch nie gegeben.

Dall machte als Solo-Irrer später die größte Karriere

Ich machte also damals den Büchertisch vor dem Audimax und musste deshalb nicht die (vermutlich) 5 Mark Eintritt latzen. Nachdem meine Aufgabe, die ich während der Pause bewältigte, erledigt war, strebte ich mitsamt einer Blechbüchse, in der sich die Einnahmen befanden, hinter die Kulissen, wo die vier Stars, versammelt um einen mit allem Möglichen vollgestellten Tisch – hauptsächlich Flaschen, Aschenbecher, Tabakbeutel und Zigarettenpapier – saßen. Wem ich die Dose geben solle, fragte ich mich durch die Rauchschwaden hindurch, am schnellsten war Karl Dall mit der Antwort. Ich gab ihm den Schatz und durfte dafür einmal kräftig an seiner Kippe ziehen. An Details der zweiten Hälfte des Abends erinnere ich mich nicht, es ist aber auch schon zu lange her.

Die Truppe war bis 1979 gemeinsam aktiv. Peter Ehlebracht brauchte danach anscheinend kein Geld, er schrieb nämlich Bücher, Jürgen Barz blieb dem Komischen erhalten: Er heiratete zum Beispiel, auch machte er was mit Mode, Film und TV. Ingo Insterburg hieß gar nicht Insterburg, sondern Wetzker, kam aber aus Insterburg. Bis in die 90er Jahre tourte er mit verschiedenen Mitstreitern unter dem alten Bandnamen, danach noch etliche Jahre solo. Als Ältester der Gruppe (*1934) starb er auch zuerst, nämlich 2018.

Die Rampensau unter den Vieren war Karl Dall (*1941), er schaffte als Solo-Irrer später die größte Karriere. Dall war sich offenbar für nichts zu schade und machte so ziemlich jeden Blödsinn (mit). Warum auch nicht? Aus Ostfriesland stammend und mit dem Gesicht – was bleibt einem da übrig? Bühne, Fernsehen, Film – Dall drückte kein Auge zu, wenn es um publikumswirksame und lukrative Tätigkeiten ging. Ausgestattet mit einem sehr losen Mundwerk war er stets für einen Kalauer oder auch mal eine hübsche Beleidigung gut. Er moderierte Talkshows, Quizsendungen und verkrachte sich mit Roland Kaiser, Rudi Carrell und den „Wildecker Speckbuben“. Als Schlagersänger knüpfte er an die Erfolge von Roy Black an, oder jedenfalls fast.

Am 11. November erlitt Karl Dall einen Schlaganfall, nun ist er am vergangenen Montag an dessen Folgen gestorben.

Foto: Manfred Werner CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Chr. Kühn / 25.11.2020

Weiß jemand aus der Leserschaft mit Insterburg noch etwas anzufangen? Geschweige denn erfolgreich auf der Landkarte zu verorten? Na, hat der Herrgott mal wieder einen mehr zum Lachen, und wir einen weniger. Hau drauf, Karl.

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