Muss man eigentlich Selbstverständliches noch extra erwähnen? Muss man beispielsweise wirklich extra darauf hinweisen, dass die in einer Verfassung garantierten Grundrechte in einem demokratischen Gemeinwesen selbstverständlich respektiert werden müssen? Muss man eigens darauf hinweisen, dass es ein Justizminister nicht hinnehmen und schon gar nicht fördern darf, dass andere, als die Organe der Rechtspflege, über Strafbarkeit und Nichtstrafbarkeit einer Tat verhandeln?
Leider muss man das heutzutage, denn Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will missliebige Meinungsäußerungen im Internet als Hass, Hetze oder Fake-News immer stärker außerhalb des klassischen Rechtswegs verfolgen lassen. Hören wir dem Genossen Minister einfach einmal zu, wenn er über die Meinungsfreiheit spricht:
„Lassen sie mich eines ganz klar sagen: Die Meinungsfreiheit erlaubt auch kritische, konfrontative und hässliche Kommentare. Aber die Meinungsfreiheit hat eben auch Grenzen: Wenn Einträge gegen unser Strafrecht verstoßen, muss das nicht nur von der Justiz konsequent verfolgt werden.“
Es hat schon ein gewisses Geschmäckle, wenn hier ein deutscher Justizminister darüber nachdenkt, wer neben der Justiz noch Straftaten verfolgen soll. Bei den unschönen und unliebsamen Netzinhalten soll es am besten ohnehin gleich um schnelle Vollstreckung gehen. Es ist ja bekannt, dass nach dem Empfinden von Heiko Maas viel zu wenig gelöscht wird und dass ihm das auch viel zu lange dauert:
„Jetzt haben wir überprüfen lassen, ob die Unternehmen ihre Zusage, strafbare Beiträge innerhalb von 24 Stunden zu löschen, auch wirklich einhalten.“
Strafbarkeit nach Quote – In Diktaturen üblich
Jetzt könnte man zu seinen Gunsten annehmen, dem Minister gehe es um die Löschung von Inhalten, die der Volksverhetzung oder anderer Straftaten verdächtig genug waren, dass ein Staatsanwalt Ermittlungen begann. Doch Maas wünscht sich scheinbar, dass schon aufgrund einer Anzeige vollstreckt wird:
„Wenn Organisationen wie jugendschutz.net Hasskommentare an Facebook melden, werden strafbare Einträge relativ schnell gelöscht. Wenn aber normale Nutzer etwas melden, wird bei Twitter nur 1 Prozent und bei Facebook 46 Prozent gelöscht. Das ist natürlich viel zu wenig. Die Plattformen müssen ihre eigenen Nutzer deutlich ernster nehmen. Ich erwarte von den Netzwerkbetreibern, dass sie bis zum Abschluss unserer Überprüfung Anfang 2017 deutlich mehr strafbare Inhalte löschen.“
Die Strafbarkeit ist in der Welt von Heiko Maas also eine Frage der Quote? In Diktaturen sind solche Festlegungen ja durchaus üblich. Aber in einem Rechtsstaat sollte man die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass die Inhalte in 53 Prozent der angezeigten Fälle gar nicht strafbar waren. Nicht so der Justizminister. Er möchte, dass das Unternehmen Facebook, möglichst dem Willen derer folgt, die Inhalte anzeigen. Eine solche Praxis verhilft zwar auch Denunzianten zu einer ungeheuren Macht, aber das nimmt Maas offenbar bedenkenlos in Kauf. Die Justiz ist mit Entscheidungen über solche Fälle ohnehin meist nicht betraut. Es ist schon beängstigend, dass kaum einer aufschreit, wenn sich ausgerechnet ein Justizminister anmaßt, auf diese Weise die Grenzen der Meinungsfreiheit festlegen zu lassen. Und wer nicht genug vollstreckt, der kommt an den Pranger:
„Wir können uns auch vorstellen, soziale Netzwerke zu verpflichten, in überschaubaren Zeitabständen öffentlich zu berichten, wie viele Beschwerden zu illegalen Hasskommentaren es gegeben hat und wie sie damit umgegangen sind. Dann wird für alle transparent, wie viele Meldungen und wie viele Löschungen es gibt. Auch das würde den Druck auf Facebook, Twitter und Co. deutlich erhöhen.“
Es galt einmal als Vorzug des Rechtsstaats, dass er auch die Staatsorgane auf die Einhaltung eines berechenbaren Rechtswegs verpflichtet, um außergerichtlicher Willkür möglichst vorzubeugen. Es galt einmal als Kernaufgabe von Justizministern, die Justiz entsprechend zu stärken, damit sie zur nötigen Strafverfolgung in der Lage ist. Wie schnell kann in Vergessenheit geraten, was einmal selbstverständlich war.
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Dieser Beitrag erschien zuerst auf Peter Grimms Blog Sichtplatz hier.