Fabian Nicolay / 19.12.2021 / 16:00 / Foto: Pixabay / 32 / Seite ausdrucken

Ausgang nicht gefunden

Seit 21 Jahren höre ich Radioeins, einen Sender vom RBB, der sich in Berlin und Brandenburg bislang einer eingeschworenen Fangemeinde rühmen konnte. Der seit vielen Jahren vom Sender benutzte Claim „Nur für Erwachsene“ bekommt peu à peu Risse, denn mittlerweile sagen viele Erwachsene dem Sender Lebewohl, während die hörakustisch Hinterbliebenen immer mehr so behandelt werden, als hätten sie ein kleines, noch zu entwickelndes Gehirn zwischen den Öhrchen und würden in der Kindertagesstätte brav dem Verlesen von Märchen lauschen. Die Mär vom Bürger, der den „Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ schlicht und einfach nicht gefunden hat, weil der Weg dorthin schlecht beleuchtet war, kommt ja bei vielen Zuhörern gut an – aber längst nicht allen. Denn diejenigen, die „ohne Anleitung eines Anderen“ diesen Ausgang trotzdem gefunden haben, sind einfach von dannen. Man hat sie als Hörer verloren und abgeschrieben.

Ich denke, dass man unseren „Angestellten“ bei den ÖR-Anstalten öfter höflich sagen sollte, was man davon hält, dass sie zwar unser Geld nehmen, aber immer häufiger uns mit Sprachgeflechten des konformen Mainstreams abspeisen wollen, als seien wir Unbedarfte. Am vergangenen Mittwoch hatte ich Gelegenheit, meinem noch amtierenden Lieblingssender Folgendes zu schreiben:

 

Liebe Radiomacher und Radiomacherinnen von Radioeins!

Ich höre seit 21 Jahren euren Sender vom RBB. Ich bin mit und durch euch in Berlin „angekommen“ und finde nach wie vor, dass ihr die großartigste Musikauswahl und Musikmoderations-Formate im deutschen Radiospektrum sendet. Das hält mich bei euch, auch wenn das Drumherum für mich leider fragwürdig geworden ist und mir das Zuhören oftmals verleidet.

Ich beobachte seit einigen Jahren (nicht nur) bei Radioeins eine zunehmend gesinnungsveranlasste, haltungsorientierte Moderation. In den Anstalten der Öffentlich-Rechtlichen nennt man das gern euphemistisch bemäntelt „Framing". Dieser „Einrahmung“ von gesellschaftlich relevanten „Wahrheiten“ folgend, verkommen eure Sprachbeiträge leider zu häufig zu staatstreuer und nicht hinterfragender, aber parteiischer Beifallsbekundung. Das nannte man früher schlicht Propaganda.

Ihr werdet damit zu Erfüllungsgehilfen einer Politik und Gesellschaftsentwicklung, die ja selbst einseitig polarisierend ist und leider einen großen Teil politisch anders tickender Leute ignoriert, isoliert sowie intellektuell für nicht erreichbar hält. Das ist aber ein Irrtum. Frei denkende Menschen, die skeptisch sind, sich nicht alles vorkauen lassen und zeitgeistige Welterklärungsmodelle kritisch beobachten, sind nicht gleich inkompetent, staatsfeindlich oder verschwörungstheoretisch unterwegs. Das politisch Unkorrekte muss als akzeptabel gelten, auch wenn es der geltenden Moral widerspricht oder euch missfällt.

Ich brauche keine Anleitungen zu betreutem Denken, das vom Radio wie von einer Staatsfunkanstalt in die Zuhörerschaft gedrückt wird. Ich finde es jammerschade, dass ihr so einseitig und linientreu geworden seid. Das ist überhaupt nicht mehr Rock’n‘Roll, sondern eine Art uncooles Strebertum, das ich euch früher niemals zugetraut hätte.

Eure Corona- und Impfberichterstattung ist nur ein Teil dieser Malaise. Aber sie zeigt, wie sehr ihr doch vergessen habt, dass ihr allen Gebührenzahlern gegenüber verpflichtet seid und nicht einer wie auch immer gearteten Mission eurer Lieblingsregierung. 

Ein Kontrapunkte setzendes Programm und eine journalistisch neutrale Redaktion würden die Gebührenzahler – und nicht den Staat – als Hallraum betrachten, in dem kompetente, eigenverantwortlich denkende und skeptische Hörer vorkommen und nicht ideologisch zu erreichende Erziehungsziele. Ihr müsstet Befürworter und Gegner ausgewogen zu Wort kommen lassen. Das ist euer Auftrag.

Wenn heute während der Morgenmoderation in einem Interview mal so beiläufig gefragt wird, wie denn die Kleinkinder impfenden Grundschulen geschützt werden, reicht der Nebensatz, demonstrierende Impfgegner könnten ja versuchen, die „Eltern unter Druck zu setzen“. Hier werden meines Erachtens schlicht die Seiten vertauscht: Die Politik und ihr als Moderatoren setzt die Eltern mit einer teilweise ins Groteske verzogenen Impfkampagne und Panikmache unter Druck. Das ist die andere Seite einer komplexen Wahrheit, die ihr eigentlich nicht zu kuratieren habt.

Wenn gleich danach in der Nachrichtenvorankündigung davon gesprochen wird, dass eine Telegram-Gruppe wahrscheinlich einen terroristischen Anschlag auf einen Politiker geplant habe, wird nachgeschoben, dass die Verdächtigen „Impfgegner“ seien. Abgesehen davon, dass das Wort „mutmaßlich“ fehlte, sind es solche „Kleinigkeiten“, deren journalistische Unsauberkeit offenbart, dass ihr es völlig in Ordnung findet, einen Teil eurer Hörer zu „framen“. Es kann doch nicht wirklich eure Absicht sein, Impfgegner mit Terroristen gleichzusetzen. Aber es passt in euer beliebtes Deutungsschema, alle Demonstranten gegen Corona-Maßnahmen und jegliche Opposition gegen die amtierende Regierung seien irgendwie moralisch abwegig und „rechts“. Das ist ganz sicher eine traurige Fehlinterpretation der gesellschaftlichen Zustände.

Ich bin übrigens kein Impfgegner, aber ein Covid-19-Impfskeptiker. Ich bin außerdem der Meinung, dass man die Menschen – eure Zuhörer – als mündige Bürger behandeln sollte, deren Meinungen nicht in korrekt oder idiotisch eingeteilt werden müssen. Das ist einfach nicht eure Aufgabe. Die Gebührenzahler geben euch den Auftrag zu guter Unterhaltung und meinetwegen auch zur Wertevermittlung – das könntet ihr hervorragend erfüllen. Sie geben euch aber nicht den Freibrief für Indoktrination und Hörerverunglimpfung.

Aus eigener Anschauung kann ich nur sagen, dass unkonventionelles Denken und eine regierungskritische Grundhaltung ein Jungbrunnen für die demokratische Willensbildung sind und Änderungen herbeiführen können, die notwendig und konsensfähig sind. Dazu gehört aber, dass man den offenen Diskurs in den Öffentlich-Rechtlichen Anstalten zulässt und nicht eilfertig und ergeben abklemmt. Ohne diese Prozesse wären die Grünen übrigens niemals groß geworden. Daran solltet ihr denken, wenn ihr die Meinungskorridore immer mehr zumauert und fein säuberlich ausfegt. „Framing“ befördert im Ergebnis nur den Despotismus von engstirnigen Spießern und Blockwarten auf beiden Seiten. Radioeins sollte nicht dazugehören wollen.

Beste Grüße
Fabian Nicolay

 

Radioeins-Programmchef Robert Skuppin schickte mir tags drauf folgende Entgegnung:

Sehr geehrter Fabian Nicolay,

Seit wann beobachten sie denn genau, diese „gesinnungsveranlasste haltungsorientierte Moderation“ und können Sie über die Jahre hinweg konkrete Beispiele nennen, oder handelt es sich nur um einen eigenen subjektiven Eindruck, den Sie gewonnen haben. Also ist das weniger ein verifizierbares Merkmal, als eine Meinung die sie in den letzten Jahren zum Programm entwickelt haben?

Fast jeden Tag gibt es im Programm von radioeins Kritik an den Corona Maßnahmen der Bundesregierung, entweder von der Opposition, oder von Kommentatoren, oder auch durch kritische Nachfragen. Es gibt allerdings keine „Hetze“ und auch keine selbsternannten Experten, oder Coronaleugner. Das Programm hat Grundsätze, die es verbieten, unwissenschaftliche Aussagen und Unwahrheiten zu verbreiten. 

Das Ende der Meinungsfreiheit in Massenmedien ist erreicht, wenn die Meinungsfreiheit instrumentalisiert werden soll, um Lügen und wissenschaftlichen Unsinn zu verbreiten.

Diese Grundsätze gibt es bei radioeins seit fast 25 Jahren: weder dürfen Holocaustleugner ihre „Meinung“, noch „Rassisten“, oder „Sexisten“ ihre „Ideologie“ verbreiten. Jetzt gibt es keine Sendeplätze für die Leugner der Coronapandemie. „Impfskeptiker“ sind im Übrigen keine Coronaleugner und häufiger im Programm zu hören. Es gibt ja auch welche innerhalb der Redaktion.

Herzliche Grüße
Robert Skuppin

 

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S.Buch / 19.12.2021

Man sieht, der Radioeins-Programmchef lebt gut und gerne in seiner linientreuen Parallelwelt. Der Leserbrief war - erwartungsgemäß - vergebene Liebesmüh.

Boris Kotchoubey / 19.12.2021

Menschliche Handlungen sollten m.M.n. ein Ziel haben. Wenn ich aufstehe und zum Kühlschrank gehe, dann beabsichtige ich z.B. Bier zu holen und es zu geniessen. Aber welches Ziel hatte der Brief von Herrn Nicolay? Was hat er beabsichtigt, welches “Bier” wollte er erreichen? Wollte er etwa, dass sich der Sender entschuldigt und am nächsten Tag Herrn Bakhdi mit Herrn Reitschuster zu einer Diskussion einlädt? Oder war der Brief eine bloß emotionale Reaktion, ein Erguss der Herzensgefühle?

Reinhard Schröter / 19.12.2021

In Zeiten von Internetradio sollte man seine Zeit nicht mit dem verfluchten Staatsfunk verschwenden. Ein ideologiefreies Radio ist Radio Südtirol und auch schweizer Radiosender machen ein gutes Program. Selbst fúr Verkehrsnachrichten braucht es den Staatsfunk nicht mehr. Die App. Waze auf das Mobiltelefon laden und schon hat man Navigation, einschliesslich Verkehrslage in Echtzeit. Kritik ist für die nur ein willkommener Anlass den Kritiker zu belehren und niederzumachen. Wenn es nur der staatliche Propagandafunk wäre, nein inzwischen fühlen sich auch Unternehmen ermächtigt ihre Kunden zu belehren und abzukanzeln. Der Otto-Versand glaubt Kunden, die nicht ungefragt gedutzt werden wollen, diese mit seinen Werten in die Schranken weisen zu müssen. Vorbei die Zeiten als Otto nur Socken , Matratzen und einiges mehr an den Mann und die Frau bringen wollten. Heute werden einem gleich auch noch Werte mitgeliefert.

Hans Reinhardt / 19.12.2021

Ich höre seit Ende 2015 kein Radio mehr und schaue weder ARD noch ZDF noch deren Appendixe. Seitdem bin ich informiert.

Helmut Zeitz / 19.12.2021

Was an dem Antwortbrief des Programmchefs betroffen macht sind - neben der reflektionsarmen und substanzlosen Antwort selbst - die Rechtschreibung, Zeichensetzung, Wortwahl und Schreibweise, die eher an Elaborate eines Achtklässlers erinnern. Ein Programmchef also hat nicht mehr drauf als dieses Gestammel? Und das für meine sauer erarbeitete “Demokratie-Abgabe”? Gab es niemand Besseren für diese Aufgabe?

Hjalmar Kreutzer / 19.12.2021

Hoffnung auf Verständnis oder Diskussionsbereitschaft bei einem zwangsGEZahlten Staatspropagandasender, dem seine Hörerschaft im Gegensatz zum Staat und ö.r. Gremien egal sein kann? Es gibt genug Musiksender im Netz und über die üblichen Apps zu empfangen und für jeden Musikgeschmack und ohne jegliche Agitation und Propaganda. Alternativ genießt man die 5min Nachrichtenzeit, in denen mal nichts dudelt und stellt den Ton ab.

Ralf Schierhold / 19.12.2021

Mir gehen die Staatsmedien schon seid vielen Jahren ab, Radiosender wegen dem musikalischen Schund den sie senden und beides, also TV und Radio wegen der Dauerversuche das deutsche Volk bilden zu wollen. Ich höre da lieber meine Musiksammlung mit weit über 40000 Titeln in Dauerschleife und lese freie Medien.

Wolf Hagen / 19.12.2021

Ja, heute morgen hatte ich auch das Bedürfnis einen Brief an die Journaille zu verfassen, allerdings nicht an einen Radiosender (ich lebe im Sendebereich des Rotfunks, also des WDR, da ist seit jeher Hopfen und Malz verloren), sondern der Nachrichtenredaktion der “Welt” (TV).  Die Welt-Redaktion ließ heute morgen in ihren Nachrichten Anetta Kahane als “Kronzeugin” zu Worte kommen. Wie zu erwarten faselte der Ex-Stasi-Spitzel vom Rechtsextremismus, der jegliche Kritiker der Regierung befallen haben soll.  Ausgerechnet ein kommunistischer Zerberus, der seine Sozialisation nur mühsam zu verbergen sucht, soll mich über die Grenzen der Demokratie belehren?! Ich habe es dann aber gelassen, denn mir war klar, dass ich, wenn überhaupt, auch nur so einen überheblichen Textbaustein, wie Sie, bekommen hätte, Herr Nicolay. Verstehe ich noch, dass man keine Holocaustleugner zu Wort kommen lässt, stehe ich Begriffen, wie etwa “Coronaleugner” skeptisch gegenüber. Ich persönlich bin aus Überzeugung dreifach geimpft, denke aber, wer dies nicht will, sollte es auch nicht müssen. Und bei “Rassisten” und “Sexisten” klingeln erst recht meine Alarmglocken, denn oft sind dies nur Menschen, die woken Quatsch kritisieren und #metoo eher für Hetze, denn für eine feministische Errungenschaft halten, oder schlicht die Flutung der Gesellschaft mit bildungs- und kulturfremden Menschen kritisch sehen, statt mit Teddys zu werfen.

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