Auf Gefahrensuche

„Du bist irre. Oder lebensmüde. Oder irre und lebensmüde.“ Freund Joshi verdreht die Augen. Ich gebe ja viel auf seine Meinung, aber übertreibt er es hier nicht etwas?

Was zuvor geschah: Joshi geht gerne von Zeit zu Zeit in das Viertel der Stadt, in dem es leckere orientalische Speisen gibt. Ich kenne die Straßen; nur wenige Meter entfernt habe ich einen Teil meiner Kindheit verbracht. Ein typisches, früheres Arbeiterviertel, heute der örtliche Orient. Nicht weit von dort liegt „Rothe Erde“, wo die Arbeiter damals schufteten. „Rothe Erde“ hat nichts mit „Rot“ als politischer Farbe zu tun, sondern mit dem alten Begriff „Rodung“ und der roten Schlacke, die bei der dortigen Stahlproduktion anfiel. Ich habe davon aus Kinderzeiten einen Fitzel im linken Knie behalten.

Die Straßen haben von früher her seltsame Namen und erinnern an Zeiten, in denen das Elsass noch deutsch und die dänische Insel Alsen strategisch wichtig war, preußische Generalmajore Steuben oder Lützow und die französische Stadt Wissembourg Weißenburg hießen und sich bei Düppel in Südjütland einst der Deutsch-Dänische Krieg entschied. Wo bis in den Anfang der 1960er Jahre noch eine mächtige Kaserne stand, liegt heute ein Park, von dem man im Internet lesen kann: „Überall Junkies und Biersäufer“ oder „die mit am stärksten gefährlichste Ecke der Stadt“, doch es gibt auch positive Meinungen: „Vor Einbruch der Dunkelheit das reinste Schlaraffenland.“ oder „Der richtige Park für Demos!“ Auch scheint der Park zu sportlicher Aktivität zu animieren: „Wenn's dunkel wird, lauft!!!!!!“

Auch ich esse gerne Speisen, denen der Hauch des Orientalischen entströmt. Lammleber zum Beispiel, oder Lammnieren oder einfach nur richtig gut gebackenes Fladenbrot oder Süßigkeiten mit viel Honig und Rosenwasser. „Wir fahren zusammen hin“ schlug ich vor. „Dann kann ich auch gleich meinen neuen Israel-Patch ausführen.“ Den hatte ich mir nämlich im Internet bestellt, und seit gestern ziert er, zusammen mit einem Donald Duck Sticker und einem MG Emblem meine englische Harringtonjacke, die ich im Roadster zu tragen pflege.

Und was ist mit deinem Zentralrat...? 

„Das kannst du gerne alleine machen. Wenn du dein Auto ein Stück entfernt parkst, kann ich es dann erben?“

„Du bist ein Hasenfuß, Joshi!“ Ich weiß, er legt darauf Wert, dass seine jüdische Herkunft auf der Straße nicht erkennbar ist. Was nichts mit Paranoia zu tun hat; gerade erst vor ein paar Wochen wurde in München ein Rabbiner von vier Männern mit südländischer Anmutung angegriffen. Niemand unter den zahlreichen Passanten, die es live miterlebten, war dazwischen gegangen und hatte die Araber gebremst. Was ich ein Stück weit nachvollziehen kann – wer will schon gerne am nächsten Tag als „Fremdenfeind“ in der Zeitung stehen?

„Du kannst natürlich gerne einen auf „Rex Kramer, Dangerseeker“ machen“, sagt Joshi, „aber lass mich aus dem Spiel.“ Ich sehe ihn an, es schwingt ernste Sorge in seinen Worten mit. Sorge um mich! Ich bin gerührt. 

„Hey Mann, du meinst ernsthaft...?“ Joshi nickt, und mir beginnt die Zornesader am Hals anzuschwellen. „Aber du lebst in einem Land, in dem Judenfeindlichkeit nur von Nazis ausgeht! Dessen Außenminister nur deshalb keinen lukrativen Job als Staats- oder Wirtschaftsanwalt anstrebte, weil er aus tiefstem Herzen dem Nationalsozialismus den Sozialsozialismus entgegensetzen wollte! Dessen Kanzlerin von Israel geehrt und geliebt wird! Und was ist mit deinem Zentralrat...?“ Ich verstumme, denn Joshi verdreht die Augen, während mir zugleich der Stuss bewusst wird, den ich da gerade ablaiche.

„Ich bin immer mal wieder in der Gegend“, sagt Joshi. „Da gibt es seit ein paar Jahren die große, prächtige Ditib-Moschee, Maschallah. Fast immer sitzen bei gutem Wetter Männer davor, trinken Kaffee und fühlen sich wohl. Was ja auch völlig in Ordnung ist. Aber nicht für uns Juden. Kein Jude, der bei Sinnen ist, würde das tun. Nicht, weil es durch den Glauben nicht erlaubt wäre; nein, einfach, weil es gefährlich ist. Wer bei uns zur Synagoge geht, geht IN die Synagoge. Schnell rein, Türe zu. Hast du gelesen, was der Rabbi aus München gesagt hat? Er werde zukünftig, wenn er alleine oder mit seinem Sohn auf die Straßen der bayerischen Hauptstadt geht, alles vermeiden, das ihn als Jude identifizierbar macht.“

Ich schweige. Mir ist nach einem Zornesausbruch, aber Joshi wäre nun wirklich der falsche Adressat. Mein Mut nimmt spürbar ab. 

„Du kannst dir den Aufnäher gerne an die Jacke heften“ sagt Joshi. „Aber wenn wir im Ostviertel essen gehen, ziehst du besser eine andere an. Du hast doch noch eine andere?“ Ich nicke.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Volker Altenähr / 23.08.2020

Der Autor hat nicht begriffen, dass der Antisemitismus ausschliesslich “von rechts” kommt. Alle anderen Behauptungen sind “fremdenfeindliche Hetze” verbunden mit “Rassismus”.

A. Ostrovsky / 23.08.2020

Diese geheimnisvolle Achse Elsass-Dänemark am Anfang habe ich nicht verstanden. Geht es um die Zeit, als die Place Austerlitz in Strasbourg noch anders hieß oder geht es ums Ruhrgebiet, Schleswig, Altona? Da fehlt mir der Zusammenhang. Die Place Austerlitz übrigens hat mich überzeugt, dass die Verhinderung des deutschen Revanchismus nichts besseres hervorbringt, als ahistorischen französischen Revanchismus. Das habe ich begriffen, als ich mit jungen französischen Kommunisten über die Napoleonischen Kriege und die deutsche Sicht auf die Völkerschlacht gesprochen hatte. Die Kommunisten als verbohrte Nationalisten zu sehen, war eine Erweckungserfahrung.

Wolf Hagen / 23.08.2020

Also wenn ich durch unseren “örtlichen Orient” marschiere, um zum Krav Maga-Training zu kommen, ziehe immer wieder gerne mein Trainings-Sweat-Shirt an. Darauf prangt gut sichtbar, vorne wie hinten, die israelische Flagge samt “Judenstern” und oben drüber leuchtet ein fröhliches “IDF” und darunter die Worte “Krav Maga”. Ich weiß, dass es so manchen Orientalen provoziert. Ich sehe es an den Blicken manch bärtigen Hippsters in seiner Angeber-Karre. Aber laut gesagt, oder mich gar zu einem “Tänzchen” aufgefordert, hat mich noch niemand, in all den Jahren. Lediglich autochthone Deutsche, flüstern mir regelmäßig zu, ob ich das nicht für gefährlich halte. Doch, tue ich, aber ich kenne auch die ansässigen Orientalen, die wägen ab, ob der stämmige Kerl mit Glatze und dem bösem Blick, nicht vielleicht tatsächlich etwas von dem kann, was auf dem Shirt steht und das am Ende nicht “Aua” tuen könnte, sollte man Gürtel, oder sonstwas schwingend, auf ihn losgehen. Und ich finde, ich setzte ein Zeichen, was heutzutage ja sooo wichtig ist, nämlich gegen Antisemitismus und für Meinungsfreiheit für deutsche Staatsbürger. Denn wenn der Staat, in dem manche mittlerweile lieber leben, als andere, nicht willens oder in der Lage ist, den neuen Mitbürgern Toleranz beizubringen, dann muss es eben der Bürger tun.

Joerg Machan / 23.08.2020

Ich verstehe die Absicht des Artikels nicht. So etwas kommt selten vor. Ein humoriger Abgesang auf eine Kapitulation?

Bernart Welser / 23.08.2020

Zu diesem Thema passt mein vor knapp acht Jahren entstandenes Gedicht “Hurra, wir kippapitulieren!” - Auslöser war der Überfall auf den Berliner Rabbiner Daniel Alter am 28. August 2012.  - - Wenn Sie den Titel des Gedichts oder die Zeile “Ihr müsst Euch als Gojim tarnen!” bei GOOGLE eingeben, werden Sie fündig. (Die Warnung “Vorsicht! Sarkasmus!” ist hier auf der Achse wohl überflüssig…)

Michael Lorenz / 23.08.2020

Tja, das würde mich auch mal interessieren, was der Zentralrat dazu sagen würde. Mein Tipp: man würde Sorge äußern, dass der Text den Falschen in die Hände spielen könnte. Da wäre man im Zentralrat vermutlich wirklich in heller Aufregung und wüde so einiges an Forderungen an die Politik formulieren! Und schwupps - schon hat er seine Aufgabe erfüllt und seine Wichtigkeit unterstrichen, also - alles gut! (Nur nicht für Menschen, die tagtäglich mit der Realität konfrontiert werden. Aber wo steht geschrieben, dass sich ein Zentralrat um die sorgen muss?)

Sebastian Weber / 23.08.2020

“Der Islam gehört zu Deutschland.” An die Konsequenzen den die Ar ..mleuchter dabei nicht ...

Werner Schiemann / 23.08.2020

Israel-Patch - Chapeau; das ist schon mal gut Werde ich mir vielleicht auch noch zulegen. Vor einigen Tagen habe ich an meine alte Barbour-International-Jacke, die ich Sommer wie Winter trage, eine Konföderiertenflagge “The Blood Stained Banner” gefrickelt. Dort prangt sie nun neben Patches für einen Colt 45 ACP und einen Skelett der Long-Distance-Riders Association. Erstmalig, vor ein paar Tagen bei einem Kurzausflug ins Ahrtal mit Spaziergängen durch die Altstädte von Bad Neuenahr und Ahrweiler, ausgeführt. Da konnte man schon merken, daß dieser BLM-Scheiss auch in Deutschlands Provinz Fuss gefasst hat. 2 x Diskussionsansätze die zu nix führten. Ansonsten wurden mir in der Regel Blicke zugeworfen, die man sonst nur an arme Irre verschwendet. Dabei ist dieses Patch eigentlich nur ein Zeichen meiner Verbundenheit zu Lynyrd Skynyrd, Jack Daniels und Southern Comfort. Glaubt mir aber keiner. Ich mir manchmal auch nicht:-) Lassen wir uns also nicht beirren. In diesem Sinne: Hals- und Beinbruch für weitere derartige harmlose Aktionen mit schwer abzuschätzendem Gefahrenpotential

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