Thilo Schneider / 05.03.2023 / 14:00 / Foto: Pixabay / 49 / Seite ausdrucken

Auf der Landstraße nachts um halb elf

Was macht der Boomer, wenn die Stieftochter am späten Abend mit dem Auto liegenbleibt? Er fährt hin und hilft. Und hat gleich mehrmals Grund, sich zu wundern.

Anruf nachts um halb elf: „Thilooo, kannst du kommen? Das Auto ist liegengeblieben…“ Die Stieftochter klingt verzweifelt und es ist auch eine verzweifelte Situation, wenn man nachts um halb elf mit einem defekten Auto irgendwo in der Pampa steht und auch, wenn ich nur der Stiefvater bin, so ist es doch mein verdammter Job, mich ins Auto zu setzen und der Havarierten mit dem nagelneuen Führerschein und der gebrauchten Rostlaube für Anfänger Erste Hilfe zu leisten. Schnell sind die wichtigsten Fragen abgecheckt: Wo steht das Auto, bist du noch dabei, wer ist bei dir, droht eine akute Gefahr durch marodierende Horden, brennt die Mühle, Lebensmittel und Getränke reichen für etwa 30 Minuten, Handy-Akku auch? Prima. Stay tuned, the cavalry is on its way. 

Nach reichlich einer halben Stunde sind die Liegengebliebene und ihre minderjährige Begleiterin erreicht. Auf einer einsamen Landstraße lieg der gebrauchte Peugeot wie ein Stück automobiles Treibgut, tapfer ist ein Warndreieck aufgestellt, und die beiden jungen Damen haben sich vorschriftsmäßig in ihren Daunenjacken in die Innenkabine verkrochen. Eine kurze Befragung der Autobrüchigen ergibt folgendes Lagebild: Der Motor stotterte, das Fahrzeug wurde langsamer und rollte am Straßenrand aus und war weder für Geld noch für gute Worte dazu zu bewegen, sich wieder in Betrieb zu setzen. Ob es irgendwelche Warnsignale gegeben habe? Ja, da leuchtete schon die ganze Fahrt so ein buntes Lamperl im Cockpit auf, aber die beiden Pilotinnen haben sich da keine Gedanken gemacht, schließlich leuchten ja dauernd im Cockpit Lampen auf. 

Ich drehe den Zündschlüssel und auch, wenn kurz alle Lichter aufleuchten, bleibt eines doch konstant hell: Die Tankleuchte bleibt orange, was hervorragend mit dem quasi nicht vorhandenen Füllstand der Tankanzeige korreliert, womit der Grund für das Fehlverhalten des französischen Motors mutmaßlich hinreichend erklärt wäre. 

„Ich hätte nicht gedacht, dass der Tank leer ist“

„Hattest du denn getankt?“, will ich von dem Häufchen Elend mit den hellblau gefärbten Haaren wissen, und jenes Häufchen sieht mich an, als hätte ich es nach einer fliegenden Kuh gefragt. „Ja. Letzte Woche, 30 Liter Super“, erklärt sie, die Pilotin. „Danach nicht mehr? Der Tank ist nämlich leer.“, stelle ich trotz fehlenden Ingenieursstudiums fest und erhalte die Antwort: „Kann gar nicht sein.“ Aber ja doch, das kann sein. „Der Tank ist aber ratzeputz leer“, erkläre ich. „Es hat sich für mich nicht so angefühlt, als sei der Tank leer“, erklärt mir mein volljähriges Mündel trotzig. Soso. Es hat sich nicht so ANGEFÜHLT… Ich bin hin- und hergerissen, zwischen „die Mädels ins Auto packen und zur nächsten Tankstelle fahren, Benzin holen“ und „zur Strafe lasse ich sie das Auto jetzt zwanzig Kilometer schieben.“ „Du wirst uns nicht das Auto schieben lassen, oder?“, errät die junge Frau da meine Gedanken. „Nein, natürlich nicht, einsteigen, wir gehen jetzt einen Kanister und Benzin kaufen“, gebe ich Anweisung. 

Ich bin nicht begeistert, des Nachts durch die Gegend zu fahren, weil es sich nicht so angefühlt hat, als sei der Tank leer. „Was hast du denn gedacht, was das Aufleuchten des Tanklichts bedeutet?“, interviewe ich meine Beifahrerin während der Fahrt. Schweigen. „Hallo? Ich rede mit dir!“, spreche ich den Trotzkopf an. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Tank leer ist“, kommt schließlich etwas patzig. „Ja, aber du kannst doch nicht nach Gefühls- und Gedankenwelt fahren, dafür gibt es ja die praktischen Lichtchen. Damit siehst du, ob dieser Krönung französischer Automobilkunst noch genügend Kraftstoff zum Betrieb zur Verfügung steht. Du musst da weder etwas erfühlen noch ertasten oder erraten. Seit Einführung der Tankuhr vor etwa 100 Jahren können wir uns auf entsprechende Technik verlassen und Vertrauen in das Material setzen.“

Ich weiß, dass sie im Moment sehr dringend meinen Vortrag braucht, aber da müssen wir beide jetzt durch. Immerhin fahre ich ja hier mit halbvollem Tank durch die Nacht und erfülle meine angeheirateten Vaterpflichten. „Was soll ich jetzt dazu sagen?“, fragt sie mich und das ist eine gute Frage. Ich fände „Ich bin einfach nur ein Mädchen vom Land, das davon träumt, am Broadway aufzutreten“ als Antwort ganz gut, aber da bin ich jetzt doch zu nett dafür. 

Überraschung im Kofferraum

Wir erreichen eine gute Shell-Tankstelle, ich erwerbe einen Reservekanister und fünf Liter Super-Benzin und wir machen uns auf den Rückweg. Der Peugeot steht immer noch brav am Straßenrand und hat sich nicht aus dem Staub gemacht. Ich zeige meiner Bruchpilotin, wie man aus einem Kanister Benzin in den Tank kippt und mahne sie, künftig immer einen vollen Benzinkanister bei sich zu haben. Nur für den Fall, dass sie ihr Gefühl einmal mehr über den Tankfüllstand trügt, hahaha. 

Der Franzose ist notbetankt, ich lasse den Kofferraum öffnen, um den neu erworbenen Fahrtenretter zu verstauen, als mich fast der Schlag trifft: „Was ist das da?“, will ich wissen und deute auf einen weiteren Benzinkanister. „Oh, hihihi, das hatte ich vergessen“, kichert die Pilotin. Ich nehme den Kanister in die Hand, er ist voll. „Das ist jetzt nicht wahr, oder? Du lässt mich nachts durch die Gegend fahren, um ein Auto zu betanken, das gefühlt noch voll ist, wir holen auch noch Benzin, dabei liegt die Lösung des Problemchens bereits im Kofferraum?“

„Ich hab‘ nicht mehr dran gedacht“, maunzt die Beschimpfte, und wenn ich sie nicht mögen würde müssen, würde ich sie jetzt gerne wüst beschimpfen. Aber das gibt dann Stress mit dem Schatz. Es ist sowieso schon schlimm genug für sie, zu wissen, dass sie jetzt für einige Zeit Zielscheibe meines Spotts sein wird. Außerdem, seien wir ehrlich: Sie kann nichts dafür. Sie ist auch nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und Kultur, die Tatsachen einfach nicht mehr zur Kenntnis nimmt oder nachdenkt, sondern nur noch fühlt und einfach irgendwie „ist“. Die sich völlig losgelöst hat von Realitäten und nur darauf wartet, dass irgendein alter weißer Mann auftaucht und ihre Problemchen löst. 

Und sie haben Glück – denn noch gibt es uns, die wir ihnen die Hand vor den Hintern halten. Allerdings wäre es schon langsam an der Zeit, erwachsen zu werden…

(Weitere benzinhaltige Geschichten des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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Andreas Zöller / 05.03.2023

Sehr geehrter Herr Schneider, richtig ist Ihre Einschätzung des geistigen Zustands unseres “Spiegelbilds der Gesellschaft”. Kenne ich. Das Problem gelöst hätte ich allerdings schon während des nächtlichen Anrufs. Erfahrung nennt sich das. Gruß von einem ehemaligen Käferfahrer (360 000 km) in 4 Jahren.  

A.Schröder / 05.03.2023

Die neue Generation, beständig dumm. Sie* werden in der Wüste neben einem Kasten Wasser verdursten, in Unkenntnis, damit Durst zu stillen. Ich bin froh darüber, nicht mehr deren Lebensabend miterleben zu müssen.  *gerne auch mit Hochschulabschluß

Rudhart M.H. / 05.03.2023

Arsch voll, beizeiten ,hätte so manches Problem gar nicht erst auftauchen lassen! Bestimmt ein wokes Schneeflöckchen mit Abitur,was zu absolut gar nichts zu gebrauchen ist, aber das kann man ja von Weitem bereits sehen, denn zum Glück gibt es bunte Farben und genug Metall für die “Köpfchen” . Zu sinnvollerem Gebrauch sind diese Körperteile bei der Generation bereits vollkommen verkümmert Herr Schneider, wir wissen dies bereits, also warum und beim Gott-verdamm-mich-Herr-Pfarrer ausgerechnet auch noch am Sonntag, warum tun Sie uns das an ?

Volker Kleinophorst / 05.03.2023

PS nochmal: Der Notfall tritt natürlich auch ein, wenn eine Frau kein Geld hat. Das ist grundsätzlich frauenfeindlich. Nichts zu beanstanden ist an der Tatsache, dass Frau 5 Jahre länger lebt und daher 5 Jahre länger Rente kassiert. Was meinen Sie, wie es umgekehrt wäre. Ungerecht ist allerdings, dass der Frau diese Rente nicht ab Geburt zusteht.

Marcel Best / 05.03.2023

Einfach im Wald aussetzen und verhungern lassen. Das wird ohnehin bald vielen passieren.

S. Andersson / 05.03.2023

Sehr schön!!! Diese Denkweise können wir uns täglich angucken/ anhören, also nur wenn wir wollten. Es steht aber nicht nur für die fatzebock, instagramm, youtube, playstation Generation. Das ganze passt wie Ars..h auf Eimer für die gesamten Polit Genossen und die anderen die sich ihr Leben durch Schmarotzertum finanzieren lassen. Aber wehe wenn der Schrauber mal vorbei kommt… das gibt Mecker

Ulrich Wilhelm Z. / 05.03.2023

Generation Lebensdoof! Haben wir auch zu Hause.

Volker Kleinophorst / 05.03.2023

@ Schneider. Zum Schreien. Dennoch haben Sie es immer noch Nur Fast begriffen. Mann ist nicht als Vater, Stiefvater, Bruder… tätig. Die ruft man nur zuerst an. Grundsätzlich und weltweit ist der nächste greifbare Mann zuständig, wenn eine Frau in Not ist, egal ob sie mit dem Fuß umgeknickt ist oder das WLAN nicht läuft. Wer das behauptet ist zwar ein Frauenfeind, wer das verweigert aber auch. Ansonsten: ich habe hier ja schon einige Anekdoten “Batterien im Kühlschrank” rausgehauen. Ich hätte davon endlos. “Wenn ihr früher kein Handy hattet, wie hab ihr dann gegoogelt.” Dabei habe ich, wie Sie, ziemlich weibliche Anteile. Auch wenn ich es gerne behaupten würde, ich hätte wohl auch nicht vor der Fahrt zur Tanke in den Kofferraum geguckt. Aber seien wir doch ehrlich. DAS wäre schlau gewesen. So: Auch Männer unter den “Tätern”. PS.: Mit diesem Mindset wird das Land mittlerweile regiert. Die Männer (wie wir ja auch) haben sich angepasst. PS..: Diese Dummen-Mauligkeit, die mich auch auf die Palme treibt, kommt gut rüber. PS.2: Eine muss noch raus: Anruf im Büro: Computer läuft nicht.” “Haste ihn angeschaltet.” Die Anruferin, mir wohl bekannt, geriet in Rage. Ich betrete ihr Büro. Von der Tür aus sehe ich: Computer aus. Ich gucke, ob der Stecker drin ist. Er ist. Ich stelle ihn an, was man auch daran erkennt, dass vorn am Computer plötzlich ein Lämpchen aufleuchtet. Wie an allen vorherigen Tagen auch. “Lädt jetzt hoch. Muss noch einen Augenblick warten. Gern geschehen.” Hinterher hat sie sich beschwert, ich würde mich über sie lustig machen. Heute würde sie bei Meinungsoffizierin Paus Meldung machen.

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