Zwei Drittel der erwachsenen Deutschen lehnen das Gendern ab. VW-Tochter Audi meint hingegen, sich ausgerechnet dieser Szene anbiedern zu müssen. Ein Berliner Renault-Händler zeigt, dass das auch ganz anders geht.
Ein großes Autohaus in Berlin hat es getan. Eines, das nebenbei Motorroller verleast: Vespa-König. Sie haben es gewagt. Sie haben sich in einem Rundfunk-Werbespot über den Irrsinn des Gender-Sprech lustig gemacht, vor allen. Ganz offenbar in der Hoffnung, damit in der Öffentlichkeit zu punkten. Und die Chancen dafür stehen gar nicht einmal so schlecht.
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Klingt komisch, ist aber so!
So gehört in Sendern des RBB, der ARD mithin. Na also, geht doch. Die Angst vor Shitstorms muss uns nicht lähmen, auch nicht die Unternehmen in ihrer öffentlichen Kommunikation. Man darf sich auch mal amüsieren über den Wahnsinn des Wokismus, der uns alltäglich entgegenquallt in der Besserungsanstalt Deutschland. Man muss es nur wollen. Mut kann, Mut sollte belohnt werden.
Eine große Entrüstungswelle jedenfalls ist nicht hereingebrochen über jenes „Königreich“, das nicht nur Vespas verleast, sondern nebenbei auch Berlins größter Renault-Händler ist. Die Reaktionen, so ist von der Werbeagentur zu hören, waren fast durchgehend positiv, verständnisvoll bis dankbar.
„Einen Sprachfehler simulieren, den sie nicht haben“
Die Frage drängt sich also geradezu auf: Warum wird im öffentlichen Raum ansonsten nur ein verdruckster Umgang in dieser Angelegenheit gepflegt, in dieser größten deutschen Sprachverwirrung der Nachkriegszeit?
Wer sich, und dies kann man nicht oft genug betonen, über das Gendersprech ärgert, es auf die Schippe nimmt, macht sich damit noch lange nicht über bestimmte Personengruppen oder Geschlechter lustig, nicht über Männer, nicht über Frauen oder irgendwelche dazwischenliegenden. Er wehrt sich lediglich gegen einen allzu beliebigen Umgang mit Sprache. Er will nicht zu denen gehören, die durch einen Lautverschluss, durch einen gepressten Vokaleinsatz „einen Sprachfehler simulieren, den sie nicht haben“, wie es der Germanist und Erziehungswissenschaftler Peter J. Brenner treffend beschreibt. Brenner sieht die Deutschen, wenn es so weiter geht, schon als Volk von „Gicksern und Gacksern“, das den „Glottisschlag“ pflegt, laut Lexikon ein „beim Gesang als harter, unschöner Tonansatz empfundener Knacklaut vor Vokalen“, der sich „außerlinguistisch beim Husten, Räuspern und als Füllsel bei unsicheren Rednern“ findet.
Wie oft sind wir derzeit, egal ob gedruckt oder öffentlich-rechtlich gesprochen, dieser mit Macht um sich greifenden verrückten Sprache ausgesetzt, die kaum einer hören oder lesen will (und es werden sogar immer weniger)? Deren Propagandisten moraltriefend reklamieren, uns mit einer unlogischen, verqueren Grammatik und Rechtschreibung zu einem besseren Menschen erziehen zu müssen. Behörden und Bildungseinrichtungen springen auf die Welle auf, wollen alle in ihrem Einflussbereich Greifbaren dazu zwingen, sich öffentlich dazu zu bekennen.
Zwei Drittel der erwachsenen Deutschen lehnen das Gendern ab
Dies allerdings mit begrenztem Erfolg: Meinungsumfragen ergeben, dass zwei Drittel der erwachsenen Deutschen das Gendern ablehnen. Und zwar mit zunehmender Tendenz: 2021 wollten von der Sprachverhunzung sogar noch neun Prozentpunkte mehr als 2020 nichts davon wissen. Die Ablehnung ist bei allen Altersstufen stark verbreitet wie auch in allen politischen Milieus. Selbst bei den Grünen sprach sich eine knappe Mehrheit dagegen aus. Der Zuwachs ist ein starker Hinweis darauf: Die penetrante Genderei nervt. Es herrscht das Gefühl vor: Hier wird uns allen etwas untergejubelt.
Allzu deutlich ist nach wie vor das Missverhältnis zwischen der scheinbaren, uns ständig vorgebeteten Modernität von Gendersternchen, Gendergap, Gender-I, Gender-Unterstrich und all den anderen Gewalttaten an der deutschen Sprache, gesprochen – wenn es mal einer tut – als ein stimmloser, „glottaler Plosiv“. Einerseits. Und, andererseits, dem so seltenen (offenbar sogar immer selteneren) tatsächlichen Gendern in der privaten Unterhaltung, auch im öffentlichen Raum. Abgesehen vielleicht von Einrichtungen wie Schulen oder Universitäten, wo der Neusprech bisweilen nicht nur zum guten Ton gehört, sondern – zumindest in der schriftlichen Arbeit und im schriftlichen Verkehr – obligatorisch ist (auch wenn dies nirgendwo offiziell festgelegt ist, aus Angst vor aussichtsreichen Klagen). Nur allzu häufig dagegen hört man im Privaten Witze über die Gendergrammatik, mehr oder weniger originell. In den sozialen Netzwerken, in aufgeklärten, emanzipierten Blogs gehören sie dagegen zu den Dauerbrennern. Wie denn auch nicht?
Es wundert da schon, dass Stimmen, die im öffentlichen Raum Gehör finden – und dazu zählen nicht zuletzt die nennenswerten privaten Unternehmen samt deren Werbetextern – diese Vorlage nicht aufgreifen. Wobei erfolgreiche Agenturen ansonsten gern und oft mit sicherem Gespür die aktuellen Humor-Diskurse der Gesellschaft aufgreifen und die Witze auf die Spitze treiben. Für Sixt (die sich besonders gern über real existierende Menschen lustig machen) und ähnliche Kaliber ist diese Angelegenheit offenbar ein zu heißes Eisen. PC ist sakrosant, „Beware of the shitstorm“ lautet Regel Nummer eins.
Audi meint sich anbiedern zu müssen
Audi, ein Großunternehmen, nicht unbedingt der Lieblingskonzern der PC-Gemeinde, meint sogar, sich ausgerechnet dieser Szene anbiedern zu müssen. Indem es seine Kundschaft seit einiger Zeit mit „Liebe Audianer_innen“ anredet oder anschreibt und das auch noch in einem 13-seitigen unternehmensphilosophischen Papier begründet. Ob wohl der durchschnittliche Käufer des 610 PS starken Modells R8 V10 (das laut Audi-Werbung andere nur von hinten sehen) sich davon angesprochen fühlt?
Offenbar ist der VW-Ableger stolz auf seine Offensive in dem Diskurs. Auch für den betriebsinternen Verkehr hat die Chefetage in Ingolstadt eine Sprachregelung vorgeschrieben. In einer Weise, die ohne Weiteres als satirischer Werbetext laufen könnte, wenn es nicht so bitterernst gemeint wäre. Ein Konzern-Mitarbeiter fand eines Tages eine schriftliche Arbeitsanweisung auf seinem Schreibtisch vor, in der es hieß: „Der_die BSM-Expertin ist qualifizierte_r Fachexpert_in“. Audi als Pionier im Volk der „Gickser und Gackser“.
Den Unfug jedenfalls wollte der angeschriebene Kollege nicht weiter mitmachen, zog vor ein ordentliches Gericht, um dort feststellen zu lassen, dass ihn sein Arbeitgeber künftig von Schreiben dieser Art verschone. Er stieß damit beim Richter auf Verständnis. Doch der Kompromiss, den dieser jetzt vor wenigen Tagen vorschlug, wurde von Audi abgelehnt. Die Entscheidung soll nun Ende Juli fallen. Man darf gespannt sein.
Wer ist bei Audi für diese Sprachverwirrung zuständig? Die Leiterin der Abteilung Diversity Management? Findet der Vorstand das alles wirklich gut? Sicher scheint man sich jedenfalls nicht zu sein. Auf der Audi-Website ist das generische Maskulinum allgegenwärtig, sogar ganz ohne das feminine Gegenstück. Da ist die Rede von der „Händlersuche“, von „Audi-Partnern“ (nicht: „…und -Partnerinnen“), von „Berufsträgern“ und ähnlichen Begriffen. Soweit ja auch okay, alles soweit eingeführt und verständlich und von allen so gelesen: in ihrer übergeschlechtlichen, umfassenden Bedeutung. All inkludet.
Gutwetter bieten, ohne die 610-PS-Produktion aufgeben zu müssen
Das widersprüchliche Verhalten der Audi-Chefetage darf man sich wohl so zusammenreimen. Zugriff hat man auf die eigenen Angestellten. Denen werden verbindliche Vorgaben gemacht, um damit jenen woken Gruppen, die den Boliden-Hersteller sowieso mit Dauerkritik beschießen, auch mal ein bisschen Gutwetter zu bieten, ohne die 610-PS-Produktion aufgeben zu müssen. Mit „Audianer_innen“ kokettiert man ein wenig, kann damit auch gezielt hausieren gehen. Und hat einen Testballon.
„Klingt komisch – ist aber so“. Mit der Zeile des Werbetexters von Renault König dürfte man auch die ganze Angelegenheit überschreiben. Gemeint sein könnte damit ja auch die offenbar irrige Vorstellung von Unternehmensführungen und ihrer PR-Experten, sie könnten mit Gendersprech auf dem Markt reüssieren. Oder auch die genauso unbegründete Angst, ein Shitstorm, ausgelöst durch eine Ironie auf solche Sprachverhunzung, könnte dem Unternehmen schaden. Der Berliner Platzhirsch von Renault ist auf dem richtigen Weg. Die Konkurrenz von Audi mit ihrer Modellvariante „Gickser und Gackser“ nicht.
Man darf sich wünschen, dass auch andere – abgesehen von der Bloggerszene und von kritischen Feuilletons alle Jahre mal – mehr Mut aufbringen, dieses in den öffentlichen Raum gepresste Neusprech als Herausforderung zu sehen, der man sehr wohl etwas entgegenhalten kann. Zu verhalten ist bislang der Aufschrei der Intellektuellen, der Spracharbeiter, aber auch der Historiker. Dabei sollte ihnen allen die Bedeutung einer derart aufgesetzten Sprachlichkeit und ihren Parallelen aus der Geschichte klar sein. Aus Epochen, in denen solche Erscheinungen als Ausdruck einer „neuen Zeit“ verkauft wurden. Die künstliche Veränderung von Sprache, ihre Durchsetzung, ist immer auch ein Ausdruck von Macht. Brenner sieht in dem Willen, uns die Gendersprache zu oktroyiren, zu recht einen „linguistischen Talibanismus“.