„Das Leben“, würde Mr. Forrest Gumby Ph.D. sagen, „ist wie eine Schachtel Whizzo Knuspermischung“ – mal erwischt man einen Crunchy Frog, mal nur Lark's Vomit. Und in der Tat, das Schicksal hält stets für uns einen bunten Strauß an Überraschungen parat.
Da eilt man vergnügt, mit einem Staubsauger in Händen, die Treppe runter, und zwei Stunden später liegt man auf einem OP-Tisch, wo das in kleine Stückchen partitionierte Fußgelenk zusammengesetzt und -genagelt wird. Und anstatt den interessierten Laien, für den so eine Operation nicht gerade alltäglich ist, bei dieser segensreichen Tätigkeit zusehen zu lassen, wird er in Vollnarkose versetzt und muss sich später die komplette Geschichte aus zweiter Hand erzählen lassen. Das ist inzwischen ein paar Jahre her, und wenn sich das Wetter ändert, erinnern mich die Nägel wieder daran.
Nicht viel anders erging es mir vor geraumer Zeit. Eben noch sitzt man am Abendbrottisch und klagt über zunehmende Schmerzen in der Bauchgegend. Und Stunden später erzählt einem ein freundlicher Arzt in einem Aufwachraum, man sei dem Schnitter gerade noch mal von der Schippe gesprungen, der Blinddarm... Ja, so schnell kann es gehen.
Das klingt dramatisch, doch solche grauenhaften Erlebnisse lassen sich leicht toppen. Zum Beispiel, wenn man ein Paket bei der Post abholen will. Normalerweise lasse ich mir Pakete zu einer weit außerhalb der großen Stadt befindlichen Postfiliale schicken. Das ist nicht weit weg, man hat immer einen Parkplatz, und selten hat man einen oder zwei andere Kunden vor sich.
Nun muss der Posthalter, der zugleich Tankwart ist, auch allerlei Zeuch verkaufen, um nicht am Hungertuch zu nagen; neben Zeitungen und Marsriegeln vor allem Zigaretten. Was leider zur Folge hat, dass im Wochenabstand bei ihm eingebrochen wird. Natürlich gibt es eine Alarmanlage und Kameras, aber, so erzählte mir der Mann bei früherer Gelegenheit, während er seine Zigarettenregale neu bestückte, ein Einbruch gehe in nicht einmal einer Minute über die Bühne. Da seien echte Profis am Werk, die in Nullkommanix eine ganze Wand voller Zichten und Tabak ausräumen können und dann über die nahe Grenze verschwinden. Alles andere interessiert sie nicht, selbst den Schnaps lassen sie stehen. Was jeder, der schon einmal Whisky an einer Tankstelle gekauft und danach getrunken hat, gut nachvollziehen kann.
Die Post ist die Post ist die Post
So kam es, dass die Tankpoststelle am Donnerstag geschlossen war. Mein erwartetes Paket, vermutete der Tankpostmeister am nächsten Tag, sei in die große Stadt umgeleitet worden und läge nun dort in der Hauptpost. Mir schwante fürchterliches.
Ich kenne diese Hauptpost aus der guten alten Zeit, als es noch einen Postminister gab. Ein imposantes Gebäude mit einer in Marmor gekleideten Schalterhalle von der Größe eines Fußballfeldes. Das ist lange her. Heute ist das, was sich Hauptpost nennt, ein bescheidener, unglaublich öder Raum mit vier Schaltern sowie einer mit Pfosten und Bändern abgesperrten, gewundenen Wartebahn für die Bittsteller, die eine Briefmarke kaufen oder ein Paket abholen möchten. Vor zwei Jahren habe ich dort einmal einen Tag verbracht.
Ich sah bei Google nach, ob heute überhaupt geöffnet sei. Es war. Die Freude darüber wurde etwas getrübt durch 176 Google-Bewertungen von Postkunden, die auf einen Bewertungsdurchschnitt von 1,5 Punkten kommen. Oha, dachte ich, das liest der Misanthrop gerne. Genau so, wie in den Bewertungen beschrieben, hatte ich meinen früheren Ausflug dorthin in Erinnerung.
„Lange Warteschlange, schlimmste Post, die ich kenne, kaputte Briefmarken-Automaten, manchmal grundlos geschlossen, nur absolut unfreundliche und inkompetente Mitarbeiter, Mitarbeiter sehr forsch und ungehalten, Leider kann man nicht 0 Sterne vergeben, Wie immer: Schlange bis vor die Türe, Einfach nur asozial und wirklich das letzte wie ich da heute morgen abgefertigt wurde, dieser höllische Ort, Ich kenne leider nicht genügend Hass- und Schimpfwörter ...“
Und so geht es weiter und weiter. Keine Kneipe, kein Restaurant, kein Laden und überhaupt kein privates Unternehmen würde eine solche Flut an Bewertungen überleben. Aber die Post ist die Post ist die Post ist die Post. Ich las ein paar der Bewertungen mit einem lachenden und einem weinenden Auge, dann musste ich mich sputen. „Mach das Beste draus! Das gibt einen schönen Artikel über die Post und ihre Dienstleistungen“ dachte ich und war geradezu ein wenig glücklich darüber, dass ich später beim Schreiben so richtig den Misanthropen raushängen lassen konnte.
Ein Schalter war sogar doppelt besetzt
Auf der anderen Seite grauste mir davor, mich dem Geschilderten selber aussetzen zu müssen, aber was wäre die Alternative gewesen? Es gab keine, ich wollte das Paket haben. Falls es denn überhaupt da wäre, schließlich folgte ich nur der Vermutung des Tankpostmeisters. Ich fuhr also stadtwärts und dachte mir unterwegs schon mal ein paar kernige Formulierungen für den Text aus.
Immerhin, im nächst gelegenen Parkhaus war tatsächlich Platz, ich müsste also mit dem Paket nicht durch den Regen laufen. Überrascht war ich auch, als ich mich dem Eingang der Hauptpost näherte – draußen wartete keine Schlange. „Wahrscheinlich haben sie mal wieder geschlossen“ dachte ich; dem war aber nicht so, drinnen standen Leute. Die gewundene Schlange war nicht mal 20 Meter lang. Immerhin. Es würde etwas dauern, aber endenwollend, und ich formulierte im Kopf weitere boshafte Sätze.
Dann sah ich es – alle vier Schalter waren besetzt! „Das machen die doch extra!“ dachte ich. Und zwar extra extra! Ein Schalter war sogar doppelt besetzt, zwei Damen versuchten dort mit einer Engelsgeduld, einer geistig etwas hartleibigen Kundin immer wieder zu erklären, dass eine Banküberweisung bis zu vier Arbeitstage dauern könne. Ich war über diese Freundlichkeit fassungslos. Und wurde zunehmend saurer. Die Schlange vor mir bewegte sich unerwartet rasch weiter vorwärts, an allen Schaltern herrschte Geschäftigkeit. Wenn das so weiter ginge, wäre ich in wenigen Minuten dran. Unglaublich! Die wollten mir die miese Laune vermiesen!
Ein Lichtblick – hinter einem der Schalter tauchte ein Mann aus den Kulissen auf. Ich erkannte ihn wieder, er war mir damals mit seiner zuvorkommenden Art besonders negativ aufgefallen und ist ohne Zweifel – ansonsten waren nur Frauen hinter den Schaltern tätig – derjenige, der in vielen der Kommentare bei Google besonders gewürdigt wird („Ein extrem unfreundlicher Herr am Schalter“). Ich stieß ein Stoßgebet aus, hoffend, dass dieser Schalter für mich frei würde. Das könnte die freundlichen Damen an den anderen Schaltern mehr als wett machen, so dass meine Laune nicht völlig in den Keller rutschen würde, angesichts der verdächtig entspannten Stimmung im Raum. Und ja, dem Grundgütigen sei Dank, der Mann wurde frei, und ich war dran.
Ein vollständiger Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt
Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Zeuge Jehovas und würden nach dem Klingeln freundlich ins Haus gebeten – so ähnlich erging es mir an diesem Schalter. „Guten Tag!“ sagte der Mensch allen Ernstes zu mir. War das eine Falle? War ich in einem Paralleluniversum? Damals hatte er mich mit einem zackigen „Ja?“ begrüßt. Kein „schroffer Umgangston“ (ein Google-Kommentator), sondern ein zwar neutral formuliertes, aber angemessenes „Guten Tag!“ Ich war für einige Sekunden sprachlos, wurde aber nicht etwa mit „Mach hin!“ oder „Was denn jetzt?“ aufgeschreckt, sondern nur mit einem abwartenden Blick taxiert. „Es soll ein Paket für mich hierher umgeleitet worden sein“, sagte ich mit lauernder Stimme und reichte meine DHL-Karte über die Theke.
„Haben Sie auch einen Ausweis dabei?“ Ich konnte es nicht fassen, beim vorigen Mal hieß das „Ausweis???“ Und diesmal – nichts von „wie in einem Franz Kafka Roman oder wie in der DDR“ (ein Google-Kommentator), sondern ein vollständiger Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt. Mit zittrigen Händen nestelte ich den Ausweis hervor und gab ihn dem „Herr mittleren Alters“, der, so ein anderer Google-Kommentator, „dauerhaft extrem unfreundlich und unhöflich zu sein scheint“.
Was war bloß los? Hing irgendwo eine versteckte Kamera? Hatte der Postbüttel einen schlechten Tag? Das ging doch alles nicht mit rechten Dingen zu. Um es kurz zu machen: Er tippte ein wenig in seinem Computer herum, aber es kam kein „Computer sagt Nein!“, sondern „Einen Moment bitte!“ BITTE! Und das Paket war tatsächlich da. Jetzt reichte es mir. „Das könnt ihr mit mir nicht machen!“ dachte ich und goss tüchtig Öl ins Feuer. „Ich wünsche ein schönes Wochenende!“ sagte ich betont betont beim Quittieren des Paketes. Und er darauf „Ihnen auch!“
Ich war komplett von der Rolle, ja geradezu traumatisiert („Vergessen Sie den Ausweis nicht!“), und hilflos wurstelte ich mich in Richtung Ausgang, durch die inzwischen etwas länger gewordene Schlange (bis zur Türe waren es aber immer noch gut 3 Meter) und schüttelte dabei innerlich den Kopf. Wie konnte die Post derart perfide sein? Ich müsste bei Google glatt fünf, na sagen wir vier Sterne hinterlassen!
Ich suchte länger mein Auto und war so durcheinander, dass ich vergaß, die Parkgebühr zu entrichten, und ich musste vor der Schranke ein paar Meter zurück weichen, um mich an die Seite zu stellen. Jemand hinter mir hupte.