Stefan Frank / 20.03.2022 / 16:00 / Foto: Achgut.com / 6 / Seite ausdrucken

Algerien: Nutznießer der Russlandkrise?

Durch den russischen Einmarsch in die Ukraine kann Algerien seine Erdgaslieferungen nach Europa erhöhen, wegen der verteuerten Getreidepreise aber auch zu den Verlierern der Krise zählen.

Am 22. Februar 2019 zogen Millionen Algerier durch Algeriens Hauptstadt Algier und andere Städte, um gegen eine fünfte Amtszeit von Präsident Abdelaziz Bouteflika zu protestieren. Die Demonstranten traten jeden Freitag auf und wurden als Hirak („Bewegung“) bekannt.

Im April 2019 trat Bouteflikas zurück. Doch die Hoffnung auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erfüllte sich nicht. Weil Hirak weiter für Reformen demonstrierte, begannen die Behörden, die vermeintlichen Anführer der informellen Bewegung zu verhaften.

Nach der Wahl von Abdelmadjid Tebboune zum Präsidenten im Dezember 2019 wurde die Repression verschärft, obwohl die Massendemonstrationen im März 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie eingestellt wurden. Das Regime fürchtete unabhängige Medien und kritische Meinungsäußerungen im Internet und ging mit scharfer Zensur dagegen vor.

Rund um den zweiten Jahrestag von Hirak, im Februar 2021, wurden die Proteste wieder aufgenommen, verloren aber drei Monate später wegen der Repressionen und einer Schwächung der Bewegung an Schwung. Demonstranten wurden verhaftet, Berichte über Folter und Vergewaltigungen auf Polizeirevieren und in Kasernen versetzten die Bevölkerung in Angst.

Nach Angaben des Nationalen Komitees für die Befreiung von Häftlingen (CNLD), das im August 2019 von Aktivisten und Anwälten gegründet wurde, um Verhaftungen und Gerichtsverfahren zu überwachen, sind derzeit mindestens 280 Personen inhaftiert, weil sie friedlich ihre Meinung geäußert haben, die meisten von ihnen in Bezug auf den Hirak.

Großer Gewinner des Ukraine-Kriegs

Als wichtiger Erdgaslieferant Europas scheint das Regime in Algerien der große Gewinner des Ukraine-Kriegs zu sein. Das Land ist der drittgrößte Gaslieferant der EU nach Russland und Norwegen. Es ist über mehrere Pipelines mit Spanien und Italien verbunden und besitzt zudem vier Tankschiffe zum Transport von verflüssigtem Erdgas (LNG).

Da Norwegen seine Lieferungen nicht erhöhen kann, hat Algerien nun alle Trümpfe in der Hand. Toufik Hakkar, Chef des nationalen Energiekonzerns Sonatrach, sagte in einem Interview, sein Unternehmen verfüge über ungenutzte Kapazitäten auf der Transmed-Gaspipeline, die für eine Erhöhung der Gasexporte nach Europa genutzt werden könnten.

Einschränkend fügte er hinzu, dass die Höhe überschüssiger Mengen von der „wachsenden Inlandsmarktnachfrage und den vertraglichen Verpflichtungen gegenüber seinen ausländischen Partnern“ abhänge. „Sonatrach ist und bleibt ein verlässlicher Partner und Gaslieferant für den europäischen Markt und steht seinen langjährigen Partnern in schwierigen Situationen jederzeit zur Seite“, betonte er.

Das Regime in Algerien wird die europäische Erdgaskrise nicht nur nutzen, um sich als verlässlicher Lieferant zu präsentieren. Es wird auch versuchen, ambitionierte Pläne für eine Pipeline nach Nigeria voranzutreiben.

Schon jetzt ein wichtiger Erdgaslieferant der Europäer

Derzeit gibt es zwei konkurrierende Projekte, um Erdgas aus West- nach Nordafrika und von dort weiter in die EU zu bringen:

  • Marokko plant eine mehr als 5.000 Kilometer lange Pipeline (Marokko-Nigeria-Pipeline), die ein bereits existierendes Pipelinenetz in Nigeria, Ghana, Benin und Togo mit der Pipeline zwischen Marokko und Spanien über die Meerenge von Gibraltar verbinden soll.
     
  • Algerien plant eine rund 4.000 Kilometer lange Pipeline (Trans-Sahara-Pipeline) von Nigeria über Niger nach Algerien.

Die Kosten für die Marokko-Nigeria-Pipeline werden auf 25 Mrd. US-Dollar geschätzt, jene für die Trans-Sahara-Pipeline auf 13 Mrd. (Angesichts der derzeitigen Inflation muss man wohl auf beide Summen mindestens 50 Prozent aufschlagen.)

Es erübrigt sich fast zu betonen, dass die Bauzeit in beiden Fällen viele Jahre betragen wird und keine der beiden Europas Energiebedarf im nächsten Winter sichern kann. Doch die Krise könnte Einfluss darauf haben, welche der Pipelines überhaupt gebaut werden wird.

Im Rennen um finanzielle Unterstützung aus Europa hat Algerien die besseren Karten: Nicht nur ist das Projekt billiger; Algerien kann auch damit locken – beziehungsweise drohen –, dass es, anders als Marokko, schon jetzt ein wichtiger Erdgaslieferant der Europäer ist. Für eine Aufstockung seiner Lieferungen kann Algerien Bedingungen stellen.

Einer der größten Weizenimporteure der Welt

Das Land ist allerdings nicht nur Nutznießer der Krise. Die Investitionen in die Erdgasförderung kosten viel Geld. Acht bis zehn Mrd. US-Dollar will Sonatrach in den nächsten fünf Jahren investieren. Das sind keine unerhörten Summen für einen Energiekonzern dieser Größe – aber viel Geld für ein Land wie Algerien, dessen Bruttoinlandsprodukt 2019 laut Statistik bei nur 170 Mrd. US-Dollar lag.

Zudem ist Algerien einer der größten Weizenimporteure der Welt. Wegen der im Zuge des Ukraine-Kriegs stark gestiegenen Weizenpreise drohen dem Land jährliche Mehrausgaben in Milliardenhöhe.

Schon 2020 hatte das Regime die Bevölkerung dazu aufgerufen, weniger Weißbrot zu essen. Als Reaktion auf die drohende Nahrungsmittelknappheit hat es nun eine Liste von Lebensmitteln erstellt, die nicht mehr aus Algerien ausgeführt werden dürfen. Dazu zählen Nudeln, Zucker, Pflanzenöl, Hartweizengrieß, tiefgekühltes Fleisch und Weizenersatzprodukte wie etwa Kichererbsenmehl.

Denn das Regime weiß nur zu genau: Steigende Nahrungsmittelpreise können in arabischen Ländern schnell zu Massenprotesten führen, die ein schwaches Regime rasch in Gefahr bringen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

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Leserpost

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Ralf Pöhling / 20.03.2022

Nicht nur Algerien, sondern auch Katar. Ja, Katar, der Terrorunterstützerstaat Nr. 1 für radikalislamische Terroristen, die Muslimbruderschaft und die Hamas. Einen ganz großen “Dank” dafür an unseren Wirtschaftsminister Habeck und die Grünen. Dieses Land ist eine Irrenanstalt.

Daniel Oehler / 20.03.2022

Algerien als Energielieferant der EU? Das würde ich ganz schnell vergesse.. Die spanische Regierung will die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkennen. Frankreich hat in Marokko eine Hochgeschwindigkeits-Eisenbahn gebaut. Algerien steht in der Westsahara auf der Seite der von Marokko überrollten Bevölkerung. Und der Sieg über Frankreich definiert die Gründung des modernen Algerien. Und was diverse NATO-Staaten dem Nachbarland Libyen angetan hat, weiß man in Algerien sehr gut. Für Algerien ist es undenkbar, den europäischen Gegnern und Marokko-Freunden zu helfen.

Kostas Aslanidis / 20.03.2022

Die EU ist das Duemmste unter der Erde. Es wird auselacht, verspottet. Wer VdL als Sprachrohr der Grossfinanz agiert, ist kaputt. Ihr Hass gegen alles russische, macht ihren beruehmten Vorfahren alle Ehre.

Holger Kammel / 20.03.2022

Was ist eigentlich mit den amerikanischen Farmern im mittleren Westen? Die haben über Jahrzehnte gejammert, daß sie angesichts der internationalen Getreidepreise in den Konkurs getrieben werden. Die müßten doch jetzt freudestrahlend die Kapaitäten aufstocken und die fehlenden Lieferungen ab Sommer kompensieren können. Afrika hat die Exportbeschränkungen für landwirtschaftliche Produkte speziell in die EU beklagt.  Wir hatten in den letzten Jahrzehnten nie ein Problem mit den Kapazitäten, sondern mit den ruinösen Preisen, die die Erzeuger erhielten.  Wir sollten einmal die Marktmacht der Handelskonzerne brechen. Und in Bezug auf Gas und Öl,, was ist mit den Vorkommen im östlichen Mittelmeer? Um die sich Griechenland, Türkei und Zypern streiten. Israel und Ägypten konnten sich völlig vernünftig auf eine Partnerschaft einigen, um die südlichen, vor Ägypten gelegenen Felder zu erschließen und zum gegenseitigen Vorteil zu nutzen. Dabei ist das nur ein Picken an der Schale,. Griechenland geht einer “goldenen” Zukunft als Öl- und Gaslieferland entgegen. Natürlich erst nach Crash des Euro oder der EU, sonst müßte man ja seine Schulden bezahlen.

Torsten Wilde / 20.03.2022

Ist bei der Trans-Sahara-Pipeline nicht auch Gazprom beteiligt?

John Smith III / 20.03.2022

Deutschlands Lieferant für Krisenfälle war Gaddafi. Bei dessen Sturz wollte die Merkel sogar militärisch mitspielen, einzig Guido Westerwelle verhinderte diesen Schwachsinn - und wurde dafür von der Presse verhöhnt und verspottet.

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