Informelle Wirtschaft
In vielen Staaten müssen über 80 Prozent der Bevölkerung in der informellen Wirtschaft als Kleinunternehmer, Handwerker, Hausierer und Straßenhändler über die Runden kommen. Tendai Huchu beschreibt in seinem Roman „Der Friseur von Harare“ eine Straßenszene: „Straßenverkäufer boten Freezits (Plastiktüten mit eingefrorenem Fruchtsaft als Eis) und Maputi (Popcorn), gegrillte Maiskolben, Obst, Eier und Gemüse feil. Das Angebot schien die Nachfrage zu übersteigen. Weil‘s keine Arbeit gab, versuchte jeder irgendwie über die Runden zu kommen, indem er irgendwas verkaufte. Vor beinahe jedem zweiten Hauseingang stand ein Holzverschlag: ein Kiosk, kaum komfortabler als die klapprigen Tische, die Bauchläden oder die improvisierten Verkaufsstände der fliegenden Händler. In jedem solchen Kiosk saß ein junges Familienmitglied und starrte Löcher in die Luft, weil Kundschaft sich nur höchst selten einfand.“ (Hammer, 2011, Seiten 47/48.)
Tierno Monénembos (Tierno Saidou Diallo) Roman „Zahltag in Abidjan“ (Hammer 1996) schildert das Leben junger Guineer, die vor dem Terrorregime ihrer Heimat nach Abidjan geflohen sind. Der Autor, auch aus Guinea, war selbst im Exil in Abidjan.
In jeder größeren afrikanischen Stadt kann man bis heute die Fliegenden Händler antreffen: „Fliegende Händler streifen durch die Viertel, um den Grotos (den Reichen) ihren Krimskrams und ihre Dienste anzubieten. Wäscher sitzen in unmittelbarer Nachbarschaft der Verkäufer von Pillen und Pulvern. Dicht nebeneinander halten Hausierer Spiegel und Cola und Straßenhändler alte Bücher feil. Reifenflicker, ambulante Friseure, Zuhälter, Radaubrüder, Fußballfans, Bettler, Schnürsenkelverkäufer, auf Wori, klingende Münze, und anzügliche Sprüche erpichte Marktschreier. (S. 38/39)… Kaufen Sie die Zeitung. Sie kommt gerade aus der Druckerei und ist so taufrisch wie eine Rose. Der Schlingel, der sich vor mir aufgebaut hat, bietet seine Waren im Bauchladen an. Monsieur, Cola, Kaugummi, Bonbons, kaufen Sie die Zeitung, Monsieur." (S. 163)
Petina Gappah schreibt über den Markt Siyaso in Harare, der Hauptstadt von Simbabwe: „Die Männer und Jungen gingen nach Siyaso, zum verrauchten Trödelmarkt, wo die Hoffnung auf Gewinn den Erfahrungswerten trotzte. In einem Abschnitt gab es Radkappen, Bolzen, Schraubenmuttern, Netzstecker, Schraubenschlüssel. Die geheimnisvollen Teilchen, ob stachelig, schwer, verrostet oder kastenförmig, die Elektrogeräten Leben einflößen, nahmen eine Riesenfläche ein. Daneben fanden sich Separatoren, Stöpsel, Handyladegeräte. Unter der Brücke fertigten Schuster manyatera, Sandalen aus alten Reifen. Und zwar nach Maß: ,Stell deinen Fuß einfach hierhin, blaz', und dann wurde die Sohle mit einem Stift umrissen und um den Fuß herum abgeschnitten, anschließend wurden zwei Streifen aus Reifengummi auf die Sohle genagelt, und, zack, hatte man binnen einer Viertelstunde neues Schuhwerk. In Siyaso kam es durchaus vor, dass ein Mann, dem man sein Autoradio oder die Radkappen gestohlen hatte, das Diebesgut vom Hehler zurückkaufte. Mit Rabatt.
Auf der anderen Seite von Mbare konkurrierten die Jungs von Mupedzanhamo inmitten von Sching-Schong-Produkten aus China, bunten Klamotten, die die Armut zum Schillern brachten, glitzernden Tanktops und Bodys, die in gestreiften Tüten aus Dubai importiert wurden, inmitten von Gucchi oder Louise-Vilton-Taschen und Prader-Schuhen um die kauflustigen Kunden.“ („Im Herzen des Goldenen Dreiecks“, Arche, 2020, Seiten 44/45)
Delfin Muindo ist Tshukudo-Fahrer im Kongo. Er kommt in den Buch „Tshukudu – Transporteure zwischen den Welten" von Jürgen Escher und Christian Frevel, Edition Bildperlen 2018, zu Wort: „Unsere Arbeit ist ein Knochenjob. Der Staat und andere Autoritäten wollen Steuern von uns haben. Aber mit welcher Berechtigung? Wenn der Staat war für uns täte, würde ich gerne zahlen. Aber er sorgt sich nicht um den Zustand der Straßen. Der Staat tut nichts für uns, er will uns nur ausbeuten.“ [eine Aussage, die ich in vielen Ländern von Afrikanern die im informellen Sektor tätig sind, gehört habe.]
Tshukudu Transport-Holzroller gibt es seit ca. 1970 und nur in der kongolesischen Provinz Nord-Kivu. Woher der Name stammt, ist nicht bekannt. Sie werden aus steinhartem N'Dobo-Holz gefertigt, werden bis zu 2 Meter lang, sind rund 150 kg schwer und schaffen bis zu 800 kg Waren. Sie überwinden auch unpassierbare Straßen, wo Autos und Motorräder nicht durchkommen.
In-die-Stadt-Kommen
„Für das In-die-Stadt-Kommen gibt es immer viele Gründe. Manche sind einem Verwandten hierher gefolgt, ohne zu ahnen, dass der Ort so groß ist, dass man niemanden findet, wenn man keine Anschrift und genaue Wegbeschreibung hat. Anstatt in ihre Heimat zurückzukehren, bleiben sie, sind damit zufrieden, sich wenigstens in der Nähe dieses Durcheinanders aufzuhalten. Selbst ohne dass sie daran teilhaben, sind sie doch Teil des Ganzen... Ein paar finden Arbeit. Der Rest aber bleibt, wo er ist, und lässt die Zeit den Hunger vertreiben. Sie begrüßen die frisch Eingetroffenen und rutschen mit dem Rücken enger an die Wand, damit Neuankömmlinge Platz finden. Und jedes Mal werden sie durch die Verwunderung in den Augen der Neuen entschädigt, von den überraschten Gesichtern derer, die zum ersten Mal unter Straßenlaternen gehen. Die Bahnhofsbewohner halten es für nötig, den Ankömmlingen jedes nur erdenkliche Abenteuer auszumalen, weil sie etwas besetzen müssen, das nur ihnen gehört. Sie können aber lediglich für sich in Anspruch nehmen, zuerst hier gewesen zu sein... Sie erzählen von Zeitungen, die Tag für Tag gedruckt und an Kreuzungen verkauft werden und wie sie schließlich, am Ende des Tages, überall einfach weggeworfen werden.“ Die Schriftstellerin Yvonne Vera aus Simbabwe in ihrem Roman „Schmetterlinge in Flammen“, Marino bei Frederking & Thaler 1998 (S. 64/65)