Ulrike Stockmann / 31.12.2020 / 13:00 / Foto: Achgut.com / 45 / Seite ausdrucken

Was die SZ an Laschets Silvester-Entschuldigung stört

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hat am 28. Dezember in einem Beitrag im Kölner Stadtanzeiger die Opfer der Kölner Silvesternacht 2015/16 um Vergebung gebeten. „1210 Strafanzeigen. 661 Opfer sexueller Straftaten. 46 erhobene Anklagen. 36 Verurteilungen. Das ist die bittere Bilanz einer Nacht, die sich tief ins kollektive Gedächtnis unseres Landes eingebrannt hat“, beginnt sein Beitrag. „661 Frauen haben vor fünf Jahren in Köln einen Albtraum durchlebt, viele von ihnen leiden bis heute unter den Folgen. 661 Frauen wurden in dieser Nacht vom Staat im Stich gelassen“, lautet seine Quintessenz.

Besser spät als nie, ist wohl der passende Gedanke zu dieser Entschuldigung mit fünfjähriger Verspätung – auch wenn damals bekanntlich nicht Armin Laschet, sondern Hannelore Kraft Ministerpräsidentin von NRW und damit hauptsächlich verantwortlich für eine offizielle politische Stellungnahme war. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sorgte seinerzeit mit ihrer berühmten „Armlänge Abstand“-Empfehlung an Frauen im öffentlichen Raum für Kopfschütteln.

In ein ähnlich verharmlosendes Horn scheint Detlef Esslinger in einem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung zu blasen, in welchem er die späte Entschuldigung Laschets bespricht. Von vornherein macht er klar, dass diese Stellungnahme für ihn eher eine formelle Angelegenheit ist:

„Silvester ist (...) auch in Köln in den vergangenen hundert Jahren exakt hundert Mal gefeiert worden, aber 'Kölner Silvesternacht' ist zum Begriff für ein ganz bestimmtes Jahr geworden. Was in der Nacht zum 1. Januar 2016 in Köln im Hauptbahnhof, auf dem Vorplatz und auf dem Weg hinauf zum Dom geschah, hat das Land sehr verändert. Manchmal muss der Staat Gesten zeigen.“

Der Tonus dieser ersten Zeilen seines Beitrages erweckt in mir den Eindruck, dass Esslinger die ganze Angelegenheit als eher lapidar empfindet und die Aufregung nicht so recht versteht. Wenn er Laschets Entschuldigung als Symbolpolitik abtut, mag er damit nicht ganz unrecht haben. Im Folgenden nennt er sie jedoch in einem Atemzug mit Steinmeiers Idee eines öffentlichen Trauergedenkens für alle Corona-Toten und entwertet den politischen Stellenwert von Laschets Bekenntnis noch weiter.

Vor einem Generalverdacht warnen

Der eigentliche Kern dieses SZ-Kommentars lautet jedoch:

„Die Bitte um Verzeihung bedeutet aber auch eine Verpflichtung, wenn sie nicht bloß eine Phrase sein will.“

Was ist wohl damit gemeint? Die Verpflichtung bestehe aus zweierlei:

„Das eine ist, dass der Staat unmittelbar etwas für die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl im Lande tut. Laschet erwähnt in seinem Gastbeitrag die 500 Polizistinnen und Polizisten, die NRW nun jedes Jahr zusätzlich ausbilde. Er nennt sein neues Polizeigesetz, auch die Arbeit der Opferschutzbeauftragten würdigt er. Alles bestimmt gut und richtig.“

Das liest sich als habe Esslinger sich beim Tippen der letzten Zeilen beinahe die Finger gebrochen. Dann schreitet er zu seinem Hauptanliegen voran:

„Das Zweite aber wäre, sich ernsthaft um diejenigen zu kümmern, die auf andere und indirekte Art ebenfalls zu Opfern der 'Kölner Silvesternacht' geworden sind, zum Beispiel in Deutschland lebende junge Männer mit nordafrikanischem Aussehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mohammed, 22, Eltern aus Marokko, beim Spaziergang am Rhein von der Polizei kontrolliert wird, einfach so – sie ist deutlich größer als die, dass dies Philipp, 22, Eltern aus Köln-Lindenthal, widerfährt.

Darüber zu reden, was der Staat und was Migranten tun können, damit alle in dieser Gesellschaft zusammenfinden, würde viele Abhandlungen füllen. Was der Staat aber auf jeden Fall vermeiden sollte, lässt sich recht kurz sagen: durch unbedachte Worte seiner Repräsentanten pauschalierend wirken. Laschet hat von seinen Redenschreibern die Formulierung übernommen, es seien damals 'junge Männer, vornehmlich aus den Maghreb-Staaten' gewesen. Danach wäre ein Satz dringlich gewesen, der vor einem Generalverdacht warnt. Der findet sich in dem Beitrag aber nicht.“

Ach herrje. Wenn Kölner Frauen von hauptsächlich nordafrikanischen Männern sexuell belästigt und in einzelnen Fällen sogar vergewaltigt werden, besteht die größte Sorge von Detlef Esslinger darin, dass aufgrund dieser Handlungen Vorurteile gegenüber Männern aus dem Maghreb entstehen könnten. Und dieser Gedanke findet Ausdruck in einer großen deutschen Zeitung, die sich gerne einen feministischen Anstrich gibt.

Foto: Ulrike Stockmann

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Leserpost

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Klaus Klinner / 31.12.2020

Meine Großmutter hat mich gelehrt im Menschen auch, aber nicht vertrauensselig nach dem “Guten” zu sehen. Sie selbst war in den Endwirren des letzten WK Opfer enthemmter sexueller Gewalt geworden. Sie hatte Worten vertraut und war Opfer geworden. Seitdem sah sie sich jeden Menschen sehr genau an, bevor sie ihm Vertrauen schenkte, ohne dabei ungerecht zu sein. Sie maß die Menschen am Tun und nicht am Schein. Es wäre gut, wenn die Menschen es heute genauso handhabten.

Dieter Sadroschinski / 31.12.2020

Am besten kann man der Bildung falscher Vorurteile gegenüber Nordafrikanern dadurch entgegenwirken, indem man die Auffälligen in ihre angestammten Heimatländer bringt, dort wo sie mit ihrem Verhalten nicht als auf- bis straffällig gelten.

Matthias Aschermann / 31.12.2020

Ich lese die SZ schon seit Jahren nicht mehr. So konnte ich mir einen klaren Kopf bewahren.

Helmut Bühler / 31.12.2020

Absolute Priorität hat die Opfergruppe Flüchtilanten, da muss die Opfergruppe Frauen eben zurückstehen. Die SZ hat alles richtig gemacht.

Rudolf George / 31.12.2020

Hat man sich der vollständig selbstwidersprüchlichen Ideologie der postmodernistischen Identitätspolitik ergeben, sieht man die Welt nur noch durch die entsprechende Brille und blendet alles andere aus. Diese Sichtweise zwingt dazu, nur in den Kategorien von Machtausübung und Gruppenausgrenzung zu denken, egal wie blödsinnig das Ergebnis gegebenenfalls ist. Das pseudomarxistische Dogma vom ewigen Kampf zwischen institutionell Mächtigen und sozial Unterdrückten darf jedenfalls niemals angetastet werden, selbst wenn man sich dabei das Gehirn und die Moral vollständig verrenkt.

Klaus Biskaborn / 31.12.2020

Es sind die Schmierenblätter dieses Landes, die SZ gehört ganz vorn dazu, die das Land spalten und letztendlich vollends ruinieren. Den Redaktionen genau dieser Schmierfinken und Realitätsverdreher hat Merkel in ihrer Neujahrsansprache gedankt. Mehr ist dazu nicht zu schreiben.

Fritz kolb / 31.12.2020

Der Mann der SZ mit dem Jedermanns-Gesicht war nicht in der besagten Nacht mit Frau und Tochter auf dem Platz, um traditionell Sylvester zu feiern. Die Vorstellung davon, was da geschah, dieses Vorstellungsvermögen hat er nicht. Seine Haltung und die vieler seiner Lohnschreiber-Kollegen erinnert mich fatal an die Menschen, die ihre Eltern wegen ihres Schweigens zum damaligen Nazi-Regime zutiefst verurteilen und sich sicher sind, selber in dieser Zeit in den Widerstand gegangen zu sein. Eine peinliche Figur, das Männlein.

Joachim Roux / 31.12.2020

36 Verurteilungen wegen was und in welchem Umfang, das wäre interessant zu lesen. Ich kenne einige davon und das lässt einen dann richtig erbrechen…

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