Bei der Suche nach möglichen Ursachen für die Krawalle von Stuttgart und Frankfurt im vergangenen Juni und Juli – die ja wohl nicht die letzten ihrer Art bleiben werden – wurde von einigen Medien auch ein altes Relativierungsargument wiederbelebt: die Traumatisierung unter denjenigen Partygängern und Eventlern, die in den letzten Jahren in so großer Zahl aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika nach Deutschland gekommen sind – nach dem Motto: Die können doch nichts dafür, sind doch traumatisiert!
Was ist dran an solchen Behauptungen? Nicht viel, um die Antwort vorwegzunehmen. Wie hier ausführlicher dargestellt, ist aus verschiedenen Gründen weitgehend unbekannt, wie hoch unter den seit 2015 oder auch früher hier angekommenen Migranten überhaupt der Anteil von Personen ist, die ein schweres Trauma erlitten und nicht verarbeitet haben, sondern immer noch unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden. Sicher dürfte nur sein, dass bei den aus Kriegsgebieten stammenden Migranten-Populationen die PTBS-Rate höher ausfällt als in Deutschland, wo von den 14- bis 29-Jährigen pro Jahr etwa 1,4 Prozent erkranken. Zu berücksichtigen ist bei dieser Diskussion auch, dass die Annahme, Krawalle und Randale könnten besonders die Traumatisierten anziehen, aus psychiatrischer Sicht nicht sonderlich plausibel ist.
Wenn Medien oder auch Politiker versuchen, eine Beziehung zwischen gewalttätigen Migranten und deren möglicher Traumatisierung herzustellen, kann das eigentlich nur auf einer laienhaften Überbewertung eines der insgesamt 20 PTBS-Symptome beruhen, nämlich der erhöhten Reizbarkeit. Denn nur dieses PTBS-Symptom hat überhaupt eine relevante inhaltliche Nähe zu aggressivem Verhalten, geht es doch um die unschöne Eigenschaft, schon auf geringe oder gar fehlende Provokation verbal oder körperlich aggressiv zu reagieren. In der Auftretens-Häufigkeit der PTBS-Symptome rangiert Reizbarkeit allerdings unter „ferner liefen“, an drittletzter Stelle, wie diese aktuelle deutsche Untersuchung an jugendlichen „Flüchtlingen“ zeigt. Die 17 anderen Symptome kommen, teils deutlich, häufiger vor. Bei den meisten jüngeren Migranten mit PTBS stehen folglich ganz andere und damit aggressionsferne Symptome im Vordergrund, wie etwa sich immer wieder aufdrängende Gedanken an das Ereignis oder eine anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit den traumatischen Ereignissen verbunden sind.
Erhöhte Reizbarkeit kommt häufig vor
Dennoch führt uns eine erhöhte Reizbarkeit von jungen Männern, die in den allermeisten Fällen nichts mit einer Traumatisierung zu tun hat, durchaus auf eine wichtige Spur bei der Krawall-Ursachenforschung. Nicht nur wegen der mit Reizbarkeit verbundenen hohen Aggressionsbereitschaft, sondern auch, weil sich dieser Personenkreis von Krawall und Randalen wahrscheinlich besonders angezogen fühlt. Hinzu kommt: Eine erhöhte Reizbarkeit ist ein ausgesprochen häufiges psychiatrisches Symptom, wie eine repräsentative Studie in England zeigt: Bei 20-jährigen Männern lag die Rate bei 23 Prozent, damit etwa doppelt so hoch wie bei den 60-jährigen. Getoppt werden die leicht entflammbaren jungen Männer allerdings von ihren weiblichen Altersgenossinnen, von denen beachtliche 42 Prozent als erhöht reizbar beurteilt wurden.
Das bedarf einer kurzen Erläuterung: Männer neigen deutlich mehr zu offener physischer und verbaler Aggression, Frauen bevorzugen dagegen indirekte Aggressionsformen, etwa indem sie gezielt Gerüchte verbreiten oder mit Aufkündigung der Freundschaft drohen, falls nicht dieses oder jenes passiert. In Paar-Beziehungen sieht es dagegen anders aus: „Bei Konflikten in der Partnerschaft schlagen Frauen mindestens so häufig zu wie Männer, aber weniger hart“, heißt es resümierend in einem aktuellen Standardwerk zur Persönlichkeitspsychologie. Aber das ist ein anderes Thema, dazu vielleicht später einmal mehr.
Meist handelt es sich bei einer gesteigerten Reizbarkeit bloß um eine auffällige, mehr oder weniger isolierte Facette der Persönlichkeit, also nicht um die Teilsymptomatik einer umfassenderen psychischen Störung. Allerdings, wenngleich seltener, kommt auch das vor. Bei dem hier interessierenden Problem ist dabei ganz vorrangig an die Antisoziale oder auch Dissoziale Persönlichkeitsstörung zu denken, deren Träger sich – neben der Reizbarkeit – noch (u. a.) durch gewohnheitsmäßiges Lügen, durchgängige Verantwortungslosigkeit und weitgehend fehlende Empathie auszeichnen. Es überrascht daher nicht, dass diese Störung unter Gefängnisinsassen besonders häufig anzutreffen ist. Aber egal, ob die Reizbarkeit isoliert auftritt oder als Teil einer umfassenderen Persönlichkeitsstörung: Die enthemmende Wirkung von Alkohol und bestimmten Drogen findet hier einen besonders fruchtbaren Boden.
Eine psychiatrische Negativ-Auslese?
Zielführend bei der psychiatrischen Ursachenforschung von solchen Ereignissen wie in Stuttgart und Frankfurt ist also nicht die Beschäftigung mit einer möglichen Traumatisierung der Krawallbrüder. Vielmehr stellt sich die Frage, ob bestimmte Migranten-Populationen in Deutschland nicht in bestimmter Hinsicht eine psychiatrische Negativ-Auslese darstellen, bei ihnen also gewaltaffine Symptome und entsprechende Persönlichkeitseigenschaften wie eine erhöhte Reizbarkeit überrepräsentiert sind. Sei es aus biologischen Gründen, wegen ungünstiger Kindheitserfahrungen oder weil in ihrem früheren Lebensraum ein solch antisoziales Verhalten Teil einer schützenden Überlebensstrategie war.
Wie nachteilig sich aber antisoziale Persönlichkeitseigenschaften im Gastland tatsächlich auswirken, dürfte wiederum nicht unwesentlich vom konkreten Migrationshintergrund abhängen. Ein arabisch-islamischer Hintergrund, oft geprägt von einem ambivalenten bis feindlichen Verhältnis zu westlichen Werten, ist da sicherlich ebenso ungünstig wie das ganz überwiegende Fehlen von raschen und konsequenten straf- oder asylrechtlichen Folgen.