Die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly kämpft hartnäckig für eine Aufklärung der Impfstoff-Deals von Ursula von der Leyen. Doch das EU-Parlament weigerte sich gerade, die EU-Kommission aufzufordern, die entsprechenden Verträge ungeschwärzt offenzulegen.
Am 17. Januar stimmte das EU-Parlament über sechs Änderungsanträge zum Jahresbericht der EU-Bürgerbeauftragten für das Jahr 2022 ab, in dem es unter anderem um die Offenlegung der Verträge im Zusammenhang mit der Beschaffung von COVID-19-Impfstoffen ging. Anstragsteller war Cristian Terheş im Namen der ECR-Fraktion. Die Bürgerbeauftragte – auch: Ombudsfrau – prüft Beschwerden gegen die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU. Sie wird vom Parlament für jeweils fünf Jahre gewählt und legt jedes Jahr einen Tätigkeitsbericht vor.
Seit 2013 bekleidet Emily O’Reilly dieses Amt und hat sich als hartnäckige Kämpferin für Transparenz einen Namen gemacht, indem sie beispielsweise bei der Europäischen Kommission den „Zugang der Öffentlichkeit zu Textnachrichten und anderen Dokumenten zu Gesprächen zwischen der Kommissionspräsidentin und dem Geschäftsführer eines Pharmaunternehmens über den Kauf von COVID-19-Impfstoffen“ einforderte (wir berichteten). Hintergrund war der Kauf von 1,8 Milliarden Impfdosen im Mai 2021, der nach einem privaten und geheimen SMS-Austausch zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Pfizer-Vorstandschef Albert Bourla (siehe Foto) zustandegekommen war.
Dabei gleicht das Engagement O’Reillys gegen Missstände oft dem Kampf gegen Windmühlen. Im Dezember kritisierte die Ombudsfrau etwa zwei Praktiken, die die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bei der Bearbeitung des Zugangs zu Dokumentenanfragen anwendet. Die EMA stellt Zugangsersuche nämlich in eine chronologische Warteschlange und beschränkt den Zugang auf höchstens fünf Anträge zu einem bestimmten Zeitpunkt und jeden dieser Anträge wiederum auf höchstens zwei Dokumente. Weitere aktuelle Fälle betreffen beispielsweise eine mangelnde Transparenz bei Treffen der EU-Kommission mit Tabaklobbyisten, die Ethik-Richtlinie des Parlaments, die Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) sowie die Europäische Investitionsbank (EIB).
Beiläufige Abstimmung
Bereits im April letzten Jahres veröffentlichte O’Reilly ihren Jahresbericht 2022, über den dann am 7. Dezember Peter Jahr für den Petitionsausschuss des Parlaments wiederum den Bericht A9-0414/2023 mit einem „Entwurf einer Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Jahresbericht 2022 über die Tätigkeit der Europäischen Bürgerbeauftragten“ vorlegte. Zu diesem Entwurf konnten von den Parlamentariern Änderungsanträge eingereicht werden, über die nun am 17. Januar im Rahmen der letzten Plenarsitzung in Straßburg abgestimmt wurde. Diese Abstimmung war allerdings nur ein kleiner Tagesordnungspunkt unter vielen anderen. So ging es in Straßburg beispielsweise auch um die Richtlinie gegen „Grünfärberei“ – konkret um das Verbot von nicht nachweisbaren Umweltaussagen wie „umweltfreundlich“, „klimaneutral“ oder „öko“ – sowie um Maßnahmen gegen das „Wiederaufleben des Neofaschismus in Europa“ und „Hetze und Hasskriminalität in der EU“.
Am Mittwochmittag wurde dann eher beiläufig etwa über einen von Terheş vorgeschlagenen Zusatz abgestimmt. Im Entwurf des Berichts von Peter Jahr ist unter § 14 zu lesen: Das Europäische Parlament „begrüßt die anhaltenden Bemühungen der Bürgerbeauftragten um mehr Transparenz und Ethik in der Lobbyarbeit, insbesondere indem die Kommission verpflichtet wird, den Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder zu stärken, ein für die Öffentlichkeit zugängliches Verzeichnis von Treffen zwischen Kommissionsmitgliedern und Lobbyisten einzurichten und die Reisekosten der Kommissionsmitglieder proaktiv zu veröffentlichen“. Terheş wollte nun als § 14a ergänzt haben: Das Europäische Parlament „fordert die Bürgerbeauftragte auf, die Kommission weiterhin nachdrücklich aufzufordern, unverzüglich die ungeschwärzten Verträge im Zusammenhang mit der Beschaffung von COVID-19-Impfstoffen zu veröffentlichen“. Damit kam er jedoch nicht durch. Immerhin 254 Parlamentarier stimmten zwar dafür, aber 349 dagegen, und 17 enthielten sich.
Von den deutschen Abgeordneten votierten vor allem Vertreter von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Offenlegung der Verträge, während Vertreter der AfD, der Linken und auch der Grünen dafür stimmten. Das namentliche Abstimmungsverhalten kann in dem öffentlich zugänglichen Dokument P9_PV(2024)01-17(RCV)_XM auf der offiziellen Website des EU-Parlaments eingesehen werden. Auch folgende von Terheş vorgeschlagene Ergänzung zu § 2 erhielt keine Mehrheit im Parlament: Das Europäische Parlament „beglückwünscht die Europäische Bürgerbeauftragte zu ihren beispielhaften Bemühungen während der Pandemie, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger vor dem beispiellosen Missbrauch durch die Kommission zu schützen und die Weigerung der Kommission zu untersuchen, Zugang zu Dokumenten und Textnachrichten im Zusammenhang mit der Aushandlung von Verträgen über den Kauf von COVID-19-Impfstoffen mit öffentlichen Mitteln zu gewähren“. Hier votierten 265 Parlamentarier dafür und 348 dagegen bei 11 Enthaltungen.
Terheş fiel auch mit seinen weiteren Vorschlägen durch, wie etwa mit einer zugefügten Erwägung (Pa), „dass die Bürgerbeauftragte im Jahr 2022 weiterhin eine große Zahl von Beschwerden im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erhalten hat, hauptsächlich in Bezug auf Maßnahmen, die die nationalen Behörden als Reaktion auf die Pandemie ergriffen haben, und das Recht, sich innerhalb der EU frei zu bewegen“. Letztlich wurde die Entschließung mit 543 Ja-Stimmen, 12-Nein-Stimmen und 64 Enthaltungen verabschiedet. Damit wurde eine weitere Chance der Aufarbeitung der Corona-Politik der EU und insbesondere des Impfstoff-Deals von Ursula von der Leyen vertan.
Den Wortlaut der angenommenen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Januar 2024 zum Jahresbericht 2022 über die Tätigkeit der Europäischen Bürgerbeauftragten (2023/2120(INI)) finden Sie hier.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.