Thilo Schneider / 05.09.2022 / 16:00 / Foto: Pixabay / 20 / Seite ausdrucken

Die beste Küchenzeile aller Zeiten

Es ist vollbracht. Nach einem Jahr, elf Monaten und drei Tagen ist sie endlich da. Die Küche vom Schatz.

Wir haben Wände herausgerissen, Böden ausgeglichen, knapp zwei Kilometer Stromkabel aus den Wänden gezogen, gusseiserne Abwasserrohre ersetzt, alte Löcher zugeschmiert, neue gemacht, Wasserleitungen getauscht und neu verlegt, geputzt, gesägt, gehämmert, tapeziert, Böden verlegt, und ich schaue nach dem Gang aus dem Schlafzimmer endlich nicht mehr auf eine Kreissäge. Blut, Schweiß und Tränen (von mir, weil mir einmal die Schlage auf die Füße gefallen ist) stecken in dieser Küche, die jetzt neu aufgebaut ist und ihrer Bestimmung harrt. Das Herz unseres Häuschens ist unter den wohlmeinenden Flüchen des Küchenmonteurs gesetzt, jetzt können wir es endlich zum Schlagen bringen. Raus aus der Single-Küche im Obergeschoss, hin zu dieser Familienküche mit ihren sechs Sitzplätzen, die locker auf acht Sitze erweitert werden kann. 

Groß ist es, unser Herz. Locker 40 Quadratmeter teilen sich auf in einen massiven Küchenblock in L-Form in dunkelgrauer Farbe und mit einer Holzarbeitsplatte sowie den modernsten Geräten, die sich die Küchenindustrie ausgedacht hat. Je nachdem, wo ich stehe, habe ich von außen eine Landhausküche, innerhalb des L eine „Industrial“-Küche. Der restliche Platz teilt sich auf in einen langen Holz-Esstisch mit antiken Stühlen mit „Wiener Geflecht“ und zwei kleine Beistelltischchen aus der Biedermeier-Zeit, die sich zu zwei runden Tischen ausklappen lassen. Einen Teil der Ziegelwand haben wir als Sichtmauerwerk gestaltet und mit den verdammten Stützbalken der alten Türen umrahmt, die wir entweder ausgetauscht oder aufbereitet haben.

Für den Mondflug weniger Knöpfe zu drücken

Es sieht einfach mega toll aus und ist die schönste Küche, die der Schatz und ich je hatten. Nebenbei: Auch die teuerste. Und da stehen wir nun in der besten Küchenzeile aller Zeiten und beraten. Nach einem Grundkurs im Bedienen von Herd, Kühlschrank und Dampfbackofen – ich glaube, Aldrin, Collins und Armstrong hatten für ihren Mondflug weniger Knöpfe zu drücken – und dem Einsortieren von Besteck und Geschirr und unseren Vorräten, geht es um die Frage, was wohl unsere allererste Mahlzeit in Gods-Own-Kitchen sein wird. Der Schatz plädiert für etwas Vegetarisches, Gemüsiges, Fruchtiges, während ich angesichts des horrenden Preises dieses Auswurfs der Küchenindustrie gerne Fleischiges, auf jeden Fall aber etwas, das die Dunstabzugsmulde des Induktionskochfeldes zum Glühen bringt, hätte. 

„Aber“, so sagt der Schatz, „wenn wir hier jetzt Fleisch braten, dann riecht es in der Küche nach Bratenfett. Sie ist neu. Ich möchte das nicht. Jetzt noch nicht. Wir haben uns eben erst kennengelernt und ich bin keine Frau für den ersten Braten.“ Das verstehe ich. „Aber, wenn wir jetzt Gemüsiges, Vegetarisches und Fruchtiges machen …“, „Im Dampfbackofen …“, „… genau, bitte unterbrich mich nicht, wenn wir also im Dampfbackofen dampfkochen oder dampfbraten, dann wird der Dampfbackofen gleich schmutzig, obwohl er doch neu ist“, werfe ich ein. Der Schatz legt die Stirn in Falten. Das tut er immer, wenn er weiß, dass ich recht habe, es aber nicht zugeben will. Aber diesmal muss er: „Das stimmt, das ist keine gute Idee. Ich könnte das Gemüse ja auf dem Induktionsherd kochen!“ „Könntest du, aber dann müssen wir das ganz genau im Auge behalten, ich habe keine Lust, dass ein Kochtopf überkocht und wir dann gleich auf dem Induktionsfeld einen Wasserrand haben. Erst recht, weil wir ja nur eine Platte benutzt haben“, gebe ich zu bedenken. 

Der Schatz schnappt sich unseren induktionsfähigen Teekessel und geht in Richtung Wasserhahn und Spülbecken. „Was wird das?“, rufe ich hinterher. „Ich wollte Wasser in den Kessel geben und uns einen Tee machen“, erklärt der Schatz verwundert. „Ach ja? Und sonst so? Sowohl Wasserhahn als auch Spülbecken sind niegelnagelneu. Da muss nur etwas danebenspritzen und dann sieht das hier gleich wie Sau aus“, protestiere ich, und der Schatz hält inklusive Teekessel inne. Dreht sich dann herum und setzt sich zu mir an unsere Tafel, für die das Wort „Tisch“ nur eine unzureichende Beschreibung ist. „Du hast recht“, sagt er kleinlaut und natürlich weiß ich, dass ich recht habe, weil ich so gut wie immer recht habe. Ich bin Jungfrau im Tierkreis.

„Aber wenn Fleisch aus verständlichen Gründen ausscheidet, Gemüse aber auch, was essen wir dann?“, fragt der Schatz mit einiger Berechtigung. Ich gehe an den Kühlschrank und öffne ihn. „Wir könnten …“, hebe ich an, aber der Schatz unterbricht mich: „Hast du etwa schon was in den Kühlschrank geräumt?“ Ja, nein, doch, habe ich, aber warum und es ist nur eine italienische Salami, bei der man die Wursthaut mitessen kann und ich habe die in den Kühlschrank gelegt, damit sie kühl und hart bleibt. „Nimm die da raus“, insistiert der Schatz, „der ganze Kühlschrank stinkt sonst nach Wurst und der ist doch neu, das wäre doch schön, wenn der auch noch eine Weile neu aussieht und riecht.“

„Wir werden verhungern, in unserer neuen Küche“

Da hat jetzt wiederum der Schatz recht, und so sitzen wir mit meiner italienischen Salami, bei der man die Wursthaut mitessen kann, an unserer Tafel, auf der bisher nichts als eben jene Salami, bei der man die Wursthaut mitessen kann, liegt. „Ich glaube, wir haben ein Problem“, stelle ich hungrig und ernüchtert fest, „in dem Moment, in dem wir hier wild zu kochen anfangen, haben wir keine neue Küche mehr, sondern nur noch eine gebrauchte Küche. Das würde mich bei diesem Schweinegeld, das dieses Interieur gekostet hat, maß- und bodenlos ärgern!“ Der Schatz schaut mich aus hohlen Augenhöhlen an. „Tonlos“, träfe es, ginge es eben nicht um die Augen. „Das stimmt“, sagt er traurig, „da müssen wir uns jetzt entscheiden, ob es das wert ist“, sagt er auch und bricht sich ein Stück der italienischen Salami, bei der man die Wursthaut mitessen kann, ab. Damit er keines der neuen Messer benutzen muss, die wir uns für diesen heiligen Gral der Kochstudien gegönnt haben. „Wir werden verhungern, in unserer neuen Küche“, resümiert der Schatz traurig und enttäuscht. 

Ich bin ein Mann. Oder war zumindest mal einer, früher. „Werden wir nicht“, versichere ich entschlossen und zücke mein Handy wie Billy the Kid seinen Revolver und bestelle zwei Pizzen beim örtlichen Italiener. Und das war unser erstes Essen in unserer neuen Küche. Und auch nicht das letzte Essen in unserer neuen Küche. Giovanni kommt jeden Abend und liefert pünktlich seine Pizzen. Aufgrund seiner Auswahl haben wir nur alle 14 Tage die gleichen Pizzen und die Küche bleibt sauber und sieht immer noch wie neu aus. Sie ist einfach zum Kochen zu schade. 

(Weitere selbstgekochte Artikel des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

V. Essel / 05.09.2022

Thilo! Bitte ein Bild dieser “fantastischen” Küche! Bitte, bitte!

Patrick Meiser / 05.09.2022

Holzarbeitsplatte und Induktionskochfeld - also keine Molteni. Merken Sie sich eins Herr Schneider, alles unter Molteni ist einfach nur Massenware. Klar, man kann sich über einen Porsche Carrera freuen, ist aber eben kein Bugatti. So ist’s auch mit den Küchen.

Marion Schmidt / 05.09.2022

Wohnen Sie noch oder leben Sie schon?? Bereiten wir uns doch einen schönen Braten solange es so etwas noch gibt!

Gerhard Schmidt / 05.09.2022

Ein alter Sportsfreund leistete sich einen Jaguar E-Type von 1967. Einmal im Jahr setzt er sich in der gemieteten Tiefgarage seine Lederhaube auf, lässt die Kiste an, macht kurz brummbrumm und erfreut sich die restlichen Tage am Wertzuwachs…  Nur-Schönes bleibt halt nur nutzlos schön!

Lutz Herrmann / 05.09.2022

Kugelgrill. Spart die Küche.

Frances Johnson / 05.09.2022

Das ist so herrlich, dass ich fast vom Stuhl gefallen bin. Ja, alles ist schön, außer wir Menschen sabbern es ein. Selbst Toiletten können unbenutzt ästhetisch sein. Nächstes Projekt, bitte: Neue Dusche. Und bitte ganz viel Glas. Falls ein Garten zur Verfügung steht, hilft eine Außenküche. Außerdem Sarah Wiener: Kalt essen schadet nicht. Außer der Dusche möchte ich noch ein neues Luxusbett mit Seidenbettwäsche empfehlen, und wohlgemerkt: Nichts ist so schäbig wie bereits benutzte Bettwäsche, einmal reicht.

Christian Feider / 05.09.2022

oh Herr….kann mir das so richtig vorstellen,die täglichen Diskussionen,ob vegan,vegetarisch,mit Fisch oder (Teufel,Teufel) mit totem Tier… und das Alles in einer Küche,deren “industrial” Geräte die werte Hausfrau niemals völlig ausnutzen kann,dazu brauchts naemlich mehr als Tele-Kochshow-Wissen :) wohlan,saut die Küche mal ordentlich ein,dafür ist Sie naemlich da ...aber 2 Jahre auf sowas warten,echt jetzt?

Rudi Hoffmann / 05.09.2022

Gut geschrieben Herr Schneider und Gratulation zur neuen Zeiger-Küche !

Klaus Matschke / 05.09.2022

@Werner Schiemann: Ihr letzter Satz im Kommentar ist so nicht ganz richtig. Richtig muß er heißen: Die können eh nur noch beim Pizzaboten bestellen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thilo Schneider / 07.05.2023 / 16:00 / 15

Verloren im Autoradio

Digitalradio hören im fahrenden Auto ist hierzulande nicht immer leicht. Schnell verliert man seinen Sender und hört plötzlich die „Nachtsonate in Cis-Mann“ eines Komponisten „auf…/ mehr

Thilo Schneider / 23.04.2023 / 16:00 / 17

Der Erfolgscoach

Wie ich es hasse: Da will ich als YouTube-Nutzer ganz unschuldig Musik hören oder eine Doku sehen und werde erst mal ungefragt minutenlang von windigen…/ mehr

Thilo Schneider / 29.03.2023 / 14:00 / 33

Das Schweineherz in der Kirche

Die Innsbrucker Spitalskirche ist ein wunderschöner Sakralbau aus dem Jahr 1705. Die Gläubigen, die die Kirche besuchen, dürfen beim Beten derzeit andächtig auf ein Bild…/ mehr

Thilo Schneider / 15.03.2023 / 16:00 / 108

Kinder morden Kinder: Mir fehlen die Worte

Manchmal fehlen einem die Worte. Und es dauert, bis man sie findet. So geht es mir mit der Meldung, dass zwei Mädchen ihre gleichaltrige Freundin…/ mehr

Thilo Schneider / 05.03.2023 / 14:00 / 49

Auf der Landstraße nachts um halb elf

Was macht der Boomer, wenn die Stieftochter am späten Abend mit dem Auto liegenbleibt? Er fährt hin und hilft. Und hat gleich mehrmals Grund, sich…/ mehr

Thilo Schneider / 11.02.2023 / 14:00 / 33

Haltungslos

Muss man zu allem und jedem eine Meinung haben, eine Haltung einnehmen? Kann einem nicht mal etwas völlig wumpe sein? Selbst zu Hülsenfrüchten soll man…/ mehr

Thilo Schneider / 17.01.2023 / 14:00 / 38

An der Abbruchkante. Eine Relotiade

Claas Relotius hat endlich einen neuen Job. Künftig wird er für die Werbeagentur „Jung von Matt“ Texte fabrizieren. Als kleine Hommage an ihn präsentiere ich…/ mehr

Thilo Schneider / 12.01.2023 / 14:00 / 47

Der Klappstuhl des Grauens

Die Geschichte von einer Kindergärtnerin, einem bestellten Louis-Vuitton-Rucksack und einem gelieferten Klappstuhl wirft die Frage auf, was wir vom Leben erwarten. Die Geschichte geht so:…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com