Fabian Nicolay / 26.11.2022 / 06:00 / Foto: Pixabay / 66 / Seite ausdrucken

Angenehm gefühllos

Manchmal ist es besser, die Beschallung mit Propagandamüll von allen Seiten zu beenden. Dann den Ärger und den inneren Frust, indem man sich abwendet und einfach weggeht. Die Rock-Band Pink Floyd hat dies anscheinend mit ihrem Kult-Song „Comfortably Numb“ von 1979 bereits vorweggenommen.

Im Jahr 1979 erschien ein Doppel-Album der Rock-Band Pink Floyd, das mich als Dreizehnjährigen sehr beeindruckt und geprägt hat. In jenem Jahr sind außergewöhnlich viele Langspielplatten erschienen, die die aufkommenden 80er-Jahre wie ein düster-melancholisches Versprechen in sich trugen. So auch das Konzeptalbum „The Wall“, das die Geschichte eines vom Krieg verängstigten und von der dominanten Mutter eingeschüchterten Jungen erzählt, der in der Musik sein Heil sucht, zum Star emporsteigt, jedoch durch seine Introvertiertheit ein leichtes Opfer von Manipulation wird. Sein Management nutzt „Pink“ schamlos aus und hält ihn mit Aufputschmitteln für die Auftritte auf Trab.

So gerät er in den zynischen Strudel seines eigenen Ruhms. Er macht „dicht“ und umgibt sich mit einer Mauer aus Eitelkeit, Teilnahmslosigkeit und Drogenwahn. Seine Fans, Groupies und Freunde widern ihn an, er verliert sich zunehmend in den Eskapaden seines anstrengenden, fremdbestimmten Lebens, bis er als Marionette des „Showbizz“ taub und untauglich für die reale Welt ist. Auf der Höhe seines Erfolgs verwahrlost er vollends geistig und sein Trip endet in einem obszön-menschenfeindlichen Ausbruch, der faschistoide Züge trägt.

In seiner Vereinsamung, umgeben von der Mauer seiner solipsistischen Veranlagung, wird er schließlich von den prägenden Ereignissen seiner Kindheit eingeholt. Als Abschluss seiner Wahnvorstellungen durchlebt er eine Gerichtsverhandlung, in der ihn seine vorwurfsvolle Mutter, sein pedantischer Lehrer und der autoritäre Richter traktieren, schwer beschuldigen und massiv herabsetzen. Er wird gezwungen, sein moralisches Scheitern, seine emotionale Schwäche und seine Undankbarkeit gegenüber all denen, die es gut mit ihm meinten, einzugestehen. Dann wird er höchstrichterlich und „krachend“ dazu verurteilt, die Mauer um sich herum endlich niederreißen. So endet Pink in einem ambivalenten Zwischenreich aus demütigender Bestrafung, neuerlichem Zwang und irgendwie hoffnungsvoller Läuterung.

Das Individuum muss unmündig und devot gehalten werden

„The Wall“ ist eine Parabel aus der Welt der Dekadenz, die immer scheitern muss. Das Album beschreibt die Norm-Wut der Gesellschaft, mit der individualistische Zwänge unterbunden werden, um eigene, kollektiv-orientierte zu verordnen. Die Musiker von Pink Floyd formulieren das in einer für sie ungewöhnlich rauen musikalischen Art und zeichnen das Bild einer Gesellschaft, die jede Form des Eskapismus mit ihren kleinbürgerlichen Moralvorstellungen sanktioniert und von klein auf Menschen absoluten Gehorsam abverlangt. Das Individuum muss unmündig und devot gehalten werden, die Ausreißer müssen eingefangen werden.

Ich weiß noch, wie es sich damals anfühlte, in einer Welt der drohenden atomaren Apokalypse zu leben. Uns Teenagern ließ dieser Umstand trotzdem noch die Wahl zwischen besorgtem Protest oder ignorantem Hedonismus. Es gab unendlich viele akzeptierte Gemütslagen zwischen Müsli und Popper, Irokese und Vokuhila, zwischen Startbahn-West und New-Wave-Party, Helmut Kohls Politik und dem Geplapper von Dieter Thomas Heck. Die damalige Freiheit im westlichen Teil Deutschlands bestand darin, jeglichem Eskapismus nahezu unbeobachtet frönen zu dürfen. Das ist heute anders: Neben der Bevormundung leistet sich die Gesellschaft ein unerträgliches Misstrauen gegenüber dem Individuum, was zu immer mehr feindlich gesinnter Beobachtung und Reglementierung durch den Staat führt.

Comfortably Numb“ (Angenehm gefühllos) ist auf „The Wall“ ein zentraler Song über eine psychologische Überlebensstrategie. Er steht wie ein Antagonist zum Welthit „Another Brick In The Wall“, in dem es um die Normierung von Kindern geht, die in einer Gesellschaft der Gedankenkontrolle früh darauf getrimmt werden, besinnungslos zu funktionieren.

Den Irrtümern der anderen ausweichen

Warum ich Ihnen das alles erzähle? Weil ich mich in letzter Zeit oft frage, ob es manchmal nicht besser ist, einfach abzuschalten. Den Fernseher und die hochbezahlten Sprechpuppen sowieso. Die Beschallung mit Propagandamüll von allen Seiten beenden. Dann den Ärger und den inneren Frust, indem man sich abwendet und einfach weggeht. Sich selbst aus dem Fokus nehmen, die inneren Wutbrände löschen, indem man das eigene Schweigen nicht als Resignation, sondern als Strategie akzeptiert. Manchmal ist es besser, angenehm gefühllos oder taub zu sein. Auch wenn das bedeutet, dass man abgestumpft erscheint. Denn es macht keinen Sinn, gegen gesellschaftliche Wände zu rennen und sich dabei seelisch zu deformieren.

Ich glaube, dass es durchaus klug sein kann, den Irrtümern der anderen auszuweichen, statt ihre Wucht abfangen zu wollen. Zu viel Impuls wohnt ihnen inne, wenn sie jung sind. Wir müssen die Irrtümer mit ihren irrlichternden Tonangebern altern lassen. Die meisten werden sich dann ohnehin selbst erledigt haben, in der Erschöpfung ihrer utopischen Unmöglichkeit. Ich weiß, das werden teure Lehrstunden für Deutschland.

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Mike Höpp / 26.11.2022

Lieber Herr Nicolay, Sie sind noch ein junger Mann. Als alter Weißer lassen Sie mich Ihnen sagen: abschalten, ausblenden ist keine Lösung. All das auszuhalten macht Sie wahrschenlich zu einem Menschen, der schon jetzt angelegt ist. Nie schweigen oder resignieren! Sagt Ihnen ein “alter weißer Ossi”, der bei allen Montagsdemos in Leipzig dabei war, auch bei denen mit Schießbefehl. Danke, dass Sie nicht zu denken und zu schreiben aufhören!

Heiko Loeber / 26.11.2022

Die im Text als irgendwie stereotyp agierende “hochbezahlte Sprechpuppen” hingestellten Qualitätsjournalisten zeigen wirklich häufig auch gesunde Alternativen zur angenehmen Betäubung auf, indem sie z. B. glaubwürdige Forscher (die sie selbst neuerdings als “Forschende” bezeichnen, w/m/d) ins Studio einladen, die uns beispielsweise erklären, dass wir Terpene in gesundheitsförderlicher Menge in uns aufnehmen, wenn wir uns mehrere Stunden am Stück im Walde aufhalten. Der BR produzierte einmal einen wirklich gut gemachten Mehrteiler zum Thema Intuition und überhaupt geht einem bei der Vielzahl der angenehm unspektakulären Urlaubs- und Wandersendungen gerade in den dritten Programmen doch immer wieder das Herz auf, so dass es sich auch nach dem Ausschalten des Fernsehers (sofern nicht zuvor bereits durchs geschlossene Hotelzimmerfenster entsorgt, was ebenfalls nachvollziehbar wäre) direkt danach u. U. noch so anfühlt, als wäre man jetzt dort und nicht hier (bzw. “so” und nicht so wie man ist, wenn man ist, wie man sonst ist). - Ausgerechnet der identifizerte Feind (und er ist wirklich böse, GEZ, rbb!) wird also nicht müde, immer wieder auch auf die Tür in der Ringmauer zu deuten, die schon da gewesen sein muss, als wir hineinkamen.  - “And I, my disguise a mask chosen by you, believed every word I heard. At least I think that’s what I tried to do.” (Mother, written by David Gilmour).  ;-)

Stefan Zorn / 26.11.2022

Der letzte Satz wird wohl stimmen. - Wer nicht hören will, muss fühlen. - Schade um die Zeit…

Gabriele H. Schulze / 26.11.2022

@Helmut Rott: ja - ich bin zwar nicht der Meinung, daß die Achse das Sturmgeschütz der deutschen Grammatik sein muß, hätte mir aber auch “anscheinend” gewünscht.

Knut Wuchtig / 26.11.2022

@Rudolf Toni: Volle Zustimmung! Man muss sich zwingen nicht immerzu an diese fatale Entwicklung zu denken,  sonst werde ich verrückt! Die Situation ist ähnlich hoffnungslos wie vor 1989! Auch damals konnte ich mir keine Lösung vorstellen, vielleicht gibt’s ja eine, die ich mir nur nicht vorstellen kann?

Claudius Pappe / 26.11.2022

Was hier vergessen wurde zu berichten : Roger Waters, der ” Kopf ” von Pink Floyd, ist ein Sprachrohr der BDS und One World Bewegung.

christoph ernst / 26.11.2022

Selnstinduzierte Taubheit. Mein Konsum des ÖRR ist Geschichte, ich meide die Relotiuspresse, lese das Kampfblatt Axel Springers, flüchte zur ‘Times’ und ‘NZZ’. Will ich intelligente Analysen, gehe ich zu ich ‘Spiked’ oder auf die Webseite von Bari Weiss. Das macht es weniger schlimm. Also hilft es.

Heiko Loeber / 26.11.2022

In letzter Zeit habe ich mich des öfteren, mehr oder weniger entsetzt, gefragt: Ist das da jetzt noch “Old Pink” oder doch schon Roger Waters? - Bin zu dem Schluss gekommen, dass der mittlerweile hochbetagte Letztgenannte das möglicherweise selber nicht mehr so genau weiß. Wirklichkeit und Alptraum vermischen sich. Wir wissen ja, wie er ist. Armer Junge.

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