Auf die Jahresrückschauen folgen die Vorschauen, beides journalistische Selbstläufer oder – auf Neudeutsch – No-Brainer. Die Rückblicke sind traditionell von Personen geprägt, speziell im TV, wo es menscheln soll und Studiogäste benötigt werden. Die Ausblicke sind eher verbraucherorientiert. Man konzentriert sich auf die Aufzählung der neuesten Ge- und Verbote und Be- und Entlastungen, wobei letztere erfahrungsgemäß nicht übermäßig viel Raum beanspruchen. Bahnbrechende Erfindungen für 2020 sind unter anderem die Kassenzettel-Pflicht beim Einkauf, ein Studium für Hebammen und die Minderung des Steuersatzes für Tampons.
Die Liste mit Eingriffen ins Leben der Bürger ist dieses Jahr besonders lang. Das ist leicht erklärbar, denn die sieche Regierungskoalition will durch Hyperaktivität beweisen, dass sie noch Puls hat. Außerdem sind die Zeiten, wie sie sind, und die Zeichen der Zeit stehen auf Verbot, Verzicht und Umbau der Gesellschaft – eine unselige Entwicklung, die im letzten Jahr maßgeblich beschleunigt wurde durch eine Schulschwänzerin, die sich mit einem Pappschild und zwei Zöpfen vor das Schwedenparlament gesetzt hatte.
Die „Welt“ fuhr zum Jahresbeginn zweigleisig. Eine ausführliche Beschreibung der konkret anstehenden Änderungen schob man hinter die Bezahlschranke. Für lau gab es zum Ausgleich generelle Einschätzungen zur wundersamen Lage der Nation (darf man „Nation“ noch sagen?). Zwei Kommentatoren ließ man gegeneinander antreten. Der eine, Holger Kreitling, beantwortete die Frage „Wird 2020 ein gutes Jahr?“ mit einem Ja.
Henryk Broder verneinte: „Es geht nicht allein um die Lebenshaltungskosten, die schleichende Enteignung durch die Nullzinspolitik und eine bewusst herbeigeführte Inflation. Wir sind mitten in einem gewaltigen Transformationsprozess. War noch vor Kurzem alles erlaubt, was nicht verboten war, geht es heute in die andere Richtung. Bald wird alles verboten sein, was nicht ausdrücklich erlaubt ist.“
Merkel bleibt Kanzlerin
Das sehe ich im Prinzip genauso, und überhaupt würde ich dem besten Henryk von allen und allen zukünftigen ohnehin nie widersprechen. Allerdings habe ich ein paar Ergänzungen, die das neue Jahr, sagen wir mal, ein bisschen weniger übel aussehen lassen.
Zunächst die schlechte Nachricht: Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Und hier die gute Nachricht: Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Die SPD mit ihrem neuen gemischten Spitzendoppel (für alle Unsicheren: Esken ist die Frau) wird den Teufel tun und aus der Regierung aussteigen. Das Versprechen „Nikolaus ist Groko-Aus“ war nie Ziel, sondern Mittel zum Ziel – und das hat Kevin Kühnert erreicht. Er ist in den engsten SPD-Führungszirkel aufgerückt und herrscht über zwei schwache Vorsitzende mit dem Charisma von Moorleichen.
Deren Hauptaufgabe ist es, die Nackenschläge bei den kommenden Kommunalwahlen einzustecken und die Zeit zu überbrücken, bis Kühnert eine einstellige Rumpf-SPD übernehmen kann (was anschließend den Todeskampf der Traditionspartei gnädig abkürzen wird).
Sollte die SPD aus unerfindlichen Gründen doch aus der Koalition aussteigen, bleibt Angela Merkel trotzdem an der Macht. Als gewählte Kanzlerin kann sie einfach weiterregieren. Der Haushalt 2020 ist verabschiedet, erst mit dem Budget für 2021 wird es kompliziert. Falls es dann tatsächlich vorgezogene Neuwahlen geben sollte, werden die aus organisatorischen Gründen nicht vor dem Frühjahr 2021 stattfinden.
Auf Angela folgt Annegret mit Annabert
Falls Sie sich fragen, warum es eine gute Nachricht sein soll, wenn die Kanzlerin des Grauens auch nur eine Sekunde länger regiert, bedenken Sie bitte: gut ist relativ. Nach Neuwahlen gibt es drei – oder besser zweieinhalb – Möglichkeiten. Die erste ist eine Grün-Rot-Rot-Koalition. Die ist zwar angesichts aktueller Umfragen nicht übermäßig wahrscheinlich. Aber falls sie kommt, werden sich selbst die härtesten Merkel-Hasser fragen, ob man die teuerste Regentin seit Adolf dem Vegetarier nicht besser noch eine Weile ertragen hätte.
Die zweite Möglichkeit ist Schwarz-Grün oder gar Grün-Schwarz. Vielleicht – die zweieinhalbte Variante – zusammen mit einem Babypartner FDP, die sich keine zweite Jamaika-Verweigerung leisten kann. Dafür haben die öffentlich-rechtlichen Denkbetreuer der Bevölkerung zu erfolgreich eingehämmert, dass die Freidemokraten beim letzten Mal nicht aus inhaltlichen Gründen ausgestiegen sind, sondern wegen unterentwickelter Lindner-Testikel.
Aller Voraussicht nach wird es also nach dem Merkel-Abtritt auf eine Kanzlerin Annegret mit einem Vizekanzler Annabert hinauslaufen. Oder umgekehrt. Das ist zwar nicht ganz so furchteinflößend wie Grün-Rot-Rot. Aber es wird in keinem Fall besser werden als jetzt. Im Gegenteil. In der Sozialpolitik sind die Grünen nicht weniger spendierwütig als die SPD, in der Migrationspolitik sind sowieso keine Fortschritte zu erwarten, bei der Europapolitik dafür noch mehr Verlagerung nach Brüssel. Und die Energiepolitik wird unter direkter grüner Beteiligung mit Sicherheit noch weit teurer und irrationaler, als sie jetzt schon ist.
Was den Grünen schadet, ist gut für das Land
Möglicherweise denken Sie jetzt, meinetwegen, vielleicht wird es 2020 nicht schlimmer, aber das ist kein echter Gewinn, nur eine Verschiebung des Elends. Da haben Sie recht, einerseits. Andererseits: Nach Lage der Dinge ist jeder Monat ohne Schicksalswahl ein guter Monat. Die hüpfenden Furchtzwerge schwächeln, Fridays for Future ebbt ab, und die Deutschen merken zunehmend, dass Zaster und Kreta nachhaltiger Freude bereiten als der Zauber von Greta.
Vielleicht setzt sich sogar in einem relevanten Teil der Bevölkerung die Einsicht durch, dass teutonisch-vorbildhaftes Klimaschaffen im globalen Maßstab ähnlich viel bewirkt wie ein Pups in der Turnhalle. Da können die grün-rot durchfärbten Klassikmedien in ihre Terra-X-Filme noch so viele Weltuntergangsbotschaften einstreuen, untermalt mit göttlichen Chorälen. Nicht alle hierzulande sind wohlversorgte Kulturschaffende, Lehrer oder Gattinnen mit kieferorthopädisch subventionierten Boutiquen für irgendwas mit Leopardenmuster.
Kurz, Zeitablauf schadet den Grünen und ihren Träumen vom moralischen Weltmeistertum. Und was den Grünen schadet, ist gut für das Land. So einfach ist das. Die SPD wiederum kann mangels glaubhafter Drohkulisse keine allzu großen Schäden mehr anrichten. Dass sie sich unter Führung der Walking Dead Esken und Walter-Borjans erholen wird, ist ausgeschlossen. Zeitgewinn ist in solchen Zeiten also ein Wert an sich.
Das Geheimnis des Lebens
Apropos Zeitgewinn. Falls Sie immer noch nicht glauben, dass das neue Jahr für Sie Gutes bereithält, verrate ich Ihnen hiermit ein Geheimnis, das Sie in keinem Mainstream-Medium finden: Sie haben Lebenszeit gewonnen.
Mit jedem Jahr, das Sie überleben, erhöht sich nämlich Ihre Lebenserwartung. Kein Witz, hier der Beweis: Aus der aktuellen Sterbetafel 2016/2018 des Statistischen Bundesamtes ergibt sich, dass Jungen bei Geburt derzeit auf eine atmungsaktive Spanne von 78,48 Jahren hoffen dürfen. Wer zum Beispiel das 70. Lebensjahr durchgestanden hat, dem verbleiben allerdings im Schnitt noch weitere 14,33 Jahre. Das ergibt in Summe eine Lebenserwartung von 84,33 Jahren. Nacktes Überleben bis zum 70. Geburtstag wird also mit zusätzlichen knapp sechs Jahren honoriert (84,33 – 78,48 = 5,85). Aktuell 80-jährige Männer werden durchschnittlich sogar 88 Jahre alt, und 90-Jährige haben immer noch eine Restlaufzeit von 3,71 Jahren.
Sie sehen, durchhalten lohnt sich. Die Prämien sind attraktiver als bei Ihrer Payback-Karte. Für Frauen sieht es sogar noch besser aus. Die gehen aber auch mit einem Startvorteil von fast fünf Jahren ins Rennen – eine viel zu selten thematisierte Benachteiligung von Menschen mit Penisvordergrund. Immerhin, im Alter schwächt sich die Männerdiskriminierung ab, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen.
Falls Sie also noch um Karl Lagerfeld oder Walter Freiwald trauern, bedenken Sie: Alle, die es in Ihrer Alterskohorte vorzeitig von der Stange haut, erhöhen statistisch Ihre persönlichen Chancen aufs Länger-Dasein. Jedem Abgang wohnt ein Zauber inne. So gesehen.
Vergessen Sie nicht, was Sie haben
Nun mögen Sie einwenden: Schön und gut, aber was nützt mir längeres Dasein, wenn das Sosein elend ist? Klar, da sind wir uns einig. In den vergangenen Jahren gab es in diesem Land eine Menge schlimmer Fehlentscheidungen und falscher Weichenstellungen. Aber bei aller berechtigten Sorge um das, was wird, darf und soll auch an das erinnert werden, was ist.
Nehmen Sie zum Beispiel meine Angetraute, die beste kleine Frau von allen. Ihr und ihrem – aus meiner objektiven Sicht geradezu erschreckend vollkommenen – Gatten geht es gut. Daran ändert nicht einmal der Umstand etwas, dass die morgenländische Großfamilie aus dem Erdgeschoss schräg gegenüber an Silvester ihrer Freude mit wilden Pistolenschüssen Ausdruck verlieh. Nach einer Stunde war ausreichend Testosteron in Feinstaub verwandelt, und die Straße gehörte wieder allen.
Ihnen geht es aller Wahrscheinlichkeit nach auch gut. Regelmäßig beklagen die Deutschen nämlich in Umfragen zwar unerfreuliche Aussichten, äußern aber zugleich eine sehr hohe persönliche Zufriedenheit. Ich will nichts schönreden, ich will nur sagen: Vergessen Sie nicht, was Sie haben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes neues Jahr. Und denken Sie daran: 2020 ist das Jahr vor 2021. Erst ab dann könnte es wirklich übel werden.
PS, für alle nicht restlos Überzeugten hier noch ein Kracher: 2020 bringt zählbar mehr als das Vorjahr. Einen ganzen Tag. Der 29. Februar ist zwar nur ein Mittwoch. Aber sehen Sie ihn einfach als Geschenk. Machen Sie keine Termine, nehmen Sie sich Zeit für sich und Ihre Lieben, lassen Sie es sich gutgehen. Leben Sie.