Cora Stephan / 03.01.2014 / 15:20 / 1 / Seite ausdrucken

1914 und die Lehren für Europa heute

Drei renommierte Historiker, Sönke Neitzel, Thomas Weber und Dominik Geppert über 1914 und die Europäische Union:

“Falsche Lehren aus der Vergangenheit könnten sich als fatal für das europäische Projekt erweisen.

Pazifismus und die Überwindung des Nationalstaates sind nicht die einzig denkbaren Schlussfolgerungen aus den Weltkriegen. Denn weder sind die alten Ängste vor deutscher Hegemonie verschwunden, noch hat die Moralisierung außenpolitischen Handelns seit 1990 zu einer größeren Integration der Bundesrepublik in die europäische Staatengemeinschaft geführt. Im Gegenteil: Einen Menschenrechtsinterventionismus, der sich nicht an nationale Interessen bindet, versteht außerhalb Deutschlands kein Mensch.

Auch will keiner unserer Nachbarn in einem übernationalen großen Ganzen aufgehen, solche Pläne nähren vielmehr die Angst vor alten Machtansprüchen. Die Idee, dass wir mit “Europa” den Nationalismus bekämpfen müssten, der angeblich die Triebfeder des Dreißigjährigen Krieges des 20. Jahrhunderts gewesen sei, hat den Nationalstaat zu Unrecht diskreditiert. “EU oder Krieg” ist die falsche Alternative und lässt sich auch nicht aus der Geschichte der Weltkriege ableiten. Ein abgeklärter Blick auf die Vergangenheit tut not. Er würde uns zu einem unaufgeregteren Selbstbild unserer Rolle in Europa und der Welt verhelfen. Und das wäre ein wirklicher Fortschritt.”

Die Welt, 3. Januar 2014

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Karl Krähling / 03.01.2014

Weder Sönke Neitzel noch Thomas Weber trauen sich, die zentralen Narrative Europas zu korrigieren, die wesentlich stärker mit der Periode des Dritten Reichs verbunden sind als mit der der Kaiserzeit – und damit wesentlich stärker die politische Grundhaltung Deutscher motiviert. Der Kampf deutscher Eliten gegen das ihrer Ansicht nach Böse gebiert nicht notwendigerweise das Gute. Die Idee des Nationalstaates wurde in Deutschland durch eine erfolgreiche Verlinkung von Patriotismus mit Rassismus sehr nachhaltig desavouiert. Michael Klonowsky verweist in seiner Acta diurna vom 31.12.2013 auf einen sehr bezeichnenden Eklat zwischen Merkel und „Gröhe, der sich anheischig machte, fröhlich mit einem Deutschland-Fähnchen zu wedeln, das [ihm Frau Merkel] mit angewiderter Miene aus der Hand riss und vom Podium entsorgte.“ Es fällt nicht schwer, auch mit solchen Bildern Menschen anderer europäischer Völker zu vermitteln, „die Deutschen“ wollen nun in die Fußstapfen der alten europäischen Großreiche, der der Osmanen oder Habsburger eintreten, die dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ von den Siegermächten geopfert wurden. Jedes Land Europas hätte guten Grund, sich seiner eigenen Geschichte zu stellen, einschließlich der seines sehr lebendigen Chauvinismus, Rassismus und Antisemitismus. Es gibt zwischen den Völkern mehr Gemeinsamkeiten, als den Geschichtenschreibern lieb sein kann – und mehr Ehrlichkeit würde eine bessere Grundlage für Europa sein, das eben nicht zu einer neuen „EUdSSR“ heranwachsen sollte, sondern sich als Verbund eigenständiger Nationalstaaten mit demokratisch legitimierten Parlamenten Regeln gibt, die nicht in dem Moment gebrochen werden, in dem gerade die Unterschriftentinte abgetrocknet ist. Dazu gehört wie in jedem anständigen Verein, dass man Mitglied werden und auch wieder austreten bzw. ausgeschlossen werden kann.

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