Ich finde es immer wieder erstaunlich bis erschreckend, dass viele Menschen, die in einer Demokratie groß geworden sind, noch nicht einmal näherungsweise begreifen, wie eine Diktatur funktioniert. Ein (un)schönes Beispiel hierfür gibt der Autor, wenn er behauptet, dass der Durchschnittsbürger in einer Diktatur die Möglichkeit hatte “nein” zu sagen. Sein Beispiel des Polizeibattaillons ist so unglaublich, dass es einem die Sprache verschlägt. Glaubt der Autor ernsthaft, dass es Mitgliedern dieser Einheit einfach so möglich war, “nein” zu sagen? Ist ihm wirklich nicht klar, welche Konsequenzen ein solches “nein” für ein Mitglied dieser Einheit in der damaligen Diktatur bedeutet hätte? Hat er noch nie von Konzentrationslagern, Strafbattaillonen oder Sippenhaft gehört? Diese Unterdrückungsmethoden, die es in allen Diktaturen gibt, führen dazu, dass der Durchschnittsbürger nicht “nein” sagen kann und traut es sich doch mal einer, wird ein Exempel statuiert: “Bestrafe einen - erziehe hundert” (Mao)!
In Gesellschaften, in denen das Gemeinschaftliche sich gegenüber dem Individuellen in der Regel durchsetzt, kann es leichter zu Totalitarismus kommen. Dieses mag etwa für Deutschland gelten. In der Gemeinschaft, in der Gruppe, legt man leichter Anerzogenes, Prägendes ab, als wie man dieses, als ein für sich selber verantwortliches Individuum tun würde. Der Gruppenzwang, die Abgabe von Verantwortung macht es möglich. Das gilt für den Antifa-Aktivisten genauso wie für prügelnden Hooligan. Aber im umgekehrten Fall beispielsweise auch für eine Welle der Hilfsbereitschaft, etwa für Flüchtlinge. Aber eben auch für „Befehlsempfänger“ unter einem autoritären Regime. Letztlich ist jeder Mensch zu allem fähig. Gut und Böse wohnen in jedem. Die Umstände machen den Unterschied. Sie begünstigen entweder die eine oder die andere Seite. In der Bibel wird dieses Thema anhand der Geschichte von Hiob thematisiert. Und Mephisto besorgt sich auch im Falle von Faust zuvor die ausdrückliche Erlaubnis für seine Verführung. Der Mensch kann sich eben nicht an Menschen halten, will er gefeit sein gegen das Böse oder die Verführung. Einzig die enge Beziehung zu Gott mag ihn schützen. Und selbst die ist keine Garantie dafür, nicht versucht zu werden, wie die Beispiele zeigen. Der Mensch ist Mensch und damit fehlbar. Niemand kann sich davon freisprechen. Selbst Jesus fragt, warum nennst du mich gut? Gut ist nur Gott. Das Wissen um das eigene Nichtwissen, eine demütige Haltung ist deshalb unter diesen Umständen die Angemessenste. Auch das Wissen um die eigene Unzulänglichkeit. Denn diese gehört zum Menschen. Für den Gläubigen ist aus diesem Grund das Gebet unerlässlich.
Heute verstehe ich, warum seinerzeit so viele äußerlich “anständige” Menschen ohne Gewissensbisse “Kauft nicht beim Juden” schreien oder schreiben konnten. Heute ist an die Stelle des Juden das AfD-Mitglied oder der AfD-Sympathisant getreten: Sportvereine, Weißer Ring, Hotels etc. etc.
Totalitäre Gesellschaften entstehen, wenn die Menschen mehr Führung wollen. Wohin das im Detail führt, ist ja für den Einzelnen nicht vorhersehbar. Die wichtigste Bedingung dafür ist, dass eine liberal denkende und demokratisch organisierte Regierung bestehende Probleme nicht bewältigen kann. Für den Einzelnen ist immer relativ offen, ob er zu den Privilegierten oder Drangsalierten in der künftigen totalitären Gesellschaft gehören wird. Das war ganz offensichtlich auch den Juden im Deutschland der zwanziger Jahre nicht eindeutig klar. In einer Firma mag das im Konkurrenzkampf zweckdienlich sein. In einem Staat offenbaren und verwirklichen sich in jedem Falle auch die persönlichen Affinitäten und Schwächen der Machthaber. Die können auch, bevor sie zu Tage treten, weitgehend verborgen bleiben. Auf die Führung durch andere, vermeintlich stärkere oder klügere Individuen zu hoffen, ist seit den frühesten Tagen der Menschheit ein besonderes Risiko. Man unterwirft sich, ohne die Chance, das im Falle eines Fehlers umkehren zu können. Das ist etwas völlig Natürliches. Das ist ein elementarer Aspekt sozialen Menschseins. Das darf man nicht verteufeln. Und ganz besonders darf man nicht denken, Diktaturen rein bürgerlicher Mitte seien faktisch unmöglich. Wo Eigenverantwortung delegiert wird, ist alles möglich.
Auch wir sind schon mittendrin. Wer haette vor ein paar Jahren best. Dinge fuer moeglich gehalten? Etwa dieses: Wer auf google news in den letzten Tagen nach Erklaerung 2018 schaute, bekam - - DAS TOTALE Schweigen der Laemmer. GESPENSTISCH. Mir ist dabei richtig uebel geworden. Die wenigen Artikel die es gab - etwa FAZ - strotzten vor unverschaemten Unterstellungen wie damals die NS Presse wohl (werde mir mal ein paar alte Zeitungen von damals kaufen, um das zu vergleichen). Was in D stattfindet, ist eine institutionalisierte - d.h. permanent gemachte - Massenhysterie. Und die meisten merken es nicht mal. Was kommt noch? Je mehr “Inkonsistenzen” zum Paradigma auftreten, desto mehr radikalisiert man sich (statt umzudrehen). Das wird noch was geben.
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