112-Peterson: Bitten Sie Ihre Nachbarn um einen Gefallen!

Die soziale Intelligenz von uns Menschen funktioniert reziprok, das heißt, wechselseitig. Das bedeutet, jemand wendet sich an einen anderen, damit dieser ihm bei der Lösung eines Problems hilft. Beim nächsten Mal bittet der Helfende umgekehrt um Unterstützung, sodass eine Art wechselseitiges Spiel daraus wird. Benjamin Franklin sagte einmal: „Wenn Sie in eine neue Nachbarschaft kommen, bitten Sie Ihre Nachbarn zunächst um einen Gefallen, um sich zu integrieren.“ Natürlich einen kleinen, angemessenen Gefallen, beispielsweise kurz ein Auge auf den Hund zu haben, während man schnell etwas erledigt.

Warum helfen einem dann die Nachbarn? Weil dies die Möglichkeit des reziproken Austauschs bietet. Weil sie wissen, dass sie einen dann umgekehrt auch um einen Gefallen bitten können. Menschen mit einer hohen sozialen Intelligenz sind sehr gut darin, solche wechselseitigen Verpflichtungen zu stiften. Wir benutzen einander als „Ressourcen zur Problemlösung“. Ein Großteil unserer Kommunikation dreht sich genau darum.

Die Neigung, das Chaos zu verkünden

Nicht umsonst tauschen wir uns bei Problemem gerne mit anderen aus. Wir erzählen dann, wie wir an Punkt A waren und zu Punkt B gelangen wollten, dies aber nicht funktionierte und unsere Pläne daher zusammenbrachen. Natürlich besprechen wir unsere Sorgen meistens nur mit jemandem, der uns nahesteht. Es sei denn, wir sind psychisch krank.

Es kann vorkommen, dass man im Bus sitzt und plötzlich von einer wildfremden Person mit einer psychischen Störung angesprochen wird, die einem die haarsträubendsten Geschichten aus ihrem Leben erzählt. Solche Menschen tun das, weil sie es müssen. Sie haben niemand sonst, mit dem sie reden können. Sie müssen aber über ihre Probleme reden, um ihre Gedanken ordnen zu können. Sie befinden sich im Chaos. Sie sind so verzweifelt und ruiniert, dass ihre Neigung, das Chaos zu verkünden, sie komplett überwältigt.

Aber natürlich kann der Angesprochene damit meist überhaupt nicht umgehen, weil das Ausmaß des Problems, mit dem er konftontiert wird, seine Möglichkeiten zu helfen weit übersteigt.

Durch's Zuhören ein ganzes Stück weitergeholfen

Im Normalfall ist es so, dass die Person, an die wir uns mit einem Problem gewandt haben, uns beispielsweise von ihren eigenen Erfahrungen erzählt und wie sie ein vergleichbares Problem gelöst hat. Oder man sagt gar nichts und lässt den anderen einfach reden. Das ist oftmals sehr nützlich. Denn das Reden führt dazu, dass derjenige beginnt, nachzudenken.

Und zwar nachzudenken, indem er spricht. Viele Leute glauben, sie würden im Stillen nachdenken, aber in Wahrheit denken sie beim Sprechen. Denken ist schwer. Es ist ein sehr komplexer, abstrakter kognitiver Vorgang. Ich glaube, es gibt in etwa so viele Menschen, die wirklich denken können wie solche, die wirklich lesen können. Vermutlich 2 bis 5 Prozent der Bevölkerung.

Die meisten Menschen gehen in der Folge mit dem Problem des Denkens um, indem sie reden. Das ist ihre Art zu denken. Sie haben ein paar Ideen bezüglich der Situation, in der sie sich befinden, aber alles ist ein heilloses Durcheinander. „Passiert gerade dieses und jenes?“ „Ist er so oder sie so?“ „Habe ich etwa auf diese Weise gehandelt?“

Und dann gucken sie einen an und je nachdem, ob man nickt oder mit dem Kopf schüttelt, formen sie ihre Überlegungen weiter aus. So gehen sie der Sache auf den Grund und anstatt 60 vage Ideen zu haben, haben sie nun fünf sehr klar umrissene Probleme. Und fühlen sich sofort besser.

Denn jetzt geht es um fünf Schlangen, anstatt um 60, um es mal in Anlehnung an die griechische Mythologie zu formulieren. Und vielleicht kommt ja der Ratsuchende mit fünf Schlangen zurecht. Man hat seinem Gesprächspartner also schon allein durch's Zuhören ein ganzes Stück weitergeholfen.

Man kann ein aktiver Zuhörer sein, indem man auf seinen Gesprächspartner eingeht und ihn etwa auf Unstimmigkeiten hinweist. Gewissermaßen ein dialektischer Prozess: Die Person verfällt dem Chaos, erzählt uns davon und wir befreien sie aus dem Chaos, sofern wir können. 

Dies ist ein Auszug aus einer Vorlesung von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Auszug und hier zur gesamten Vorlesung.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

netiquette:

P. Groepper / 01.07.2020

Peterson ist immer lesenswert

Horst Wesel / 01.07.2020

Meine Erfahrung nach zwei unfreiwilligen Umzügen,Eigenbedarf bzw. Eigentümerwechsel ist eine ganz andere. Obwohl ich in keine anonyme Mietskaserne gezogen bin, war es schwierig bis unmöglich einen wirklichen Kontakt mit den Nachbarn aufzubauen. Dabei war waren wir weder aufdringlich noch arrogant. Es kam in den genannten Mehrfamilienhäusern vor, dass man erst nach Monaten mit Neumietern in Kontakt-wie “Hallo” kam. Die meisten Leute sehen ihre Nachbarn als Belastung, die einen belästigt, bzw. einschränkt. Vor einem halben Jahr zog ein Mitsiebziger über uns ein, er suchte keinen Kontakt zu den Hausbewohnern, dafür beschallte er das Haus unerlaubt mit Schlagzeug-Trommeln (Mini-Job-Schule), bis er vom Vermieter die Kündigung angeboten bekam. Es stellte sich bald heraus, dass der Herr durch sein Verhalten zum Mietnomaden wurde. Er wird wohl schon nach einer neuen Bleibe suchen, da er ohne die Einnahmen die grosse Wohnung kaum bezahlen kann. Der beste Nachbar, ist der, den es nicht gibt, oder mindestens einen Steinwurf entfernt wohnt-meine Erfahrung. 

Werner Arning / 01.07.2020

Es gibt höchstunterschiedliche Unterhaltungen. Die einen nutzen eine Unterhaltung dazu, sich darzustellen. Sie loben ihr eigenes Handeln, ihre getroffenen Entscheidungen, ihr Lebensglück, ihr ganzes Dasein ist ein Erfolg. Mit diesen Menschen fällt eine Unterhaltung häufig schwer, da sie eigentlich nur von sich selber sprechen möchten. Ihr Interesse an anderen und deren Sicht der Dinge hält sich in Grenzen. Zuzuhören, fällt ihnen schwer. Ein guter Zuhörer begleitet sein Gegenüber, indem er aus dem eigenen reichen Fundus das Passende hervorholt, um mit dem ein oder anderen Gedanken den Sprachfluss, das Nachdenken seines Gesprächspartners zu fördern. Er muss Geduld und Interesse mitbringen. Er bändigt zunächst das eigene Bedürfnis nach Mitteilung. Dazu wird es im rechten Moment schon noch Gelegenheit geben. Es sei denn, der Andere fragt explizit nach Rat. Doch selbst in dieser Situation kann es besser sein, die andere Person selbst auf die Antwort kommen zu lassen. Mithilfe des Formulierens bilden und entwickeln sich Gedanken. Das Wort, die Sprache kann als ein (göttliches) Geschenk betrachtet werden. Als ein geschenkte Schatzkiste, die es auszupacken gilt. In der es zu wühlen gilt. Von einem Fund kommen wir zum nächsten Fund. Ohne Sprache, kein Gedanke. Und das Denken will geübt werden. Das Formulieren will geübt werden. Wir müssen lernen, im See der Worte zu schwimmen. Das Wort ist der Schlüssel zum Gedanken. Der Gedanke der Schlüssel zur Erkenntnis dessen, was uns umgibt. Ohne Worte, ohne Denken sind wir hilflos ausgeliefert. Und es mag Interessengruppen geben, die die Gedankenlosigkeit anstreben. Denn Menschen, die das Denken verlernt haben, haben den Schlüssel zur Erkenntnis weggeworfen, sie sind leichter zu manipulieren. Denken ist Freiheit, eine Freiheit, die niemand entreißen kann. Deshalb gilt es, vor allem anderen, den freien Gedanken zu schützen. Sein Wert kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Trainieren wir unser Denken.

Magdalena Hofmeister / 01.07.2020

Ein eigentlich sinnvoller Rat, nur ist mir schon seit längerer Zeit aufgefallen, dass ich kaum mehr meine Nachbarn kenne aus dem einfachen Grund, dass die moderne Lebensweise immer weniger Grund o. Vorwand gibt, sich kennenzulernen. Früher waren die Geschäfte 18:30 während der Woche u. 13:00 am Samstag geschlossen. Da kam man automatisch mal in die Verlegenheit nach ein Stück Butter o. Hefe zu fragen, die man vergessen hatte einzukaufen. Zudem hat man mit wachsenden Lebensalter u. zunehmenden Wohlstand immer weniger nötig um Hilfe zu bitten: den Werkzeugkasten hat man sich angeschafft, alles zum Reifenflicken ist im Haus, zum Streichen leistet man sich einen Maler. So a. Kontakte nach außerhalb: früher musste man noch Freunde, Verwandte o. Ämter persönlich um Rat fragen. Auf der Straße frug man Passanten nach dem Weg. Unendlich viele kleine Begegnungen, die oft zu Wiedersehensbekanntschaften wurden, die das Leben würzten. Heute fragt man Tante Google u. Onkel GPS u. manch einem liest jetzt Siri das benötigte Rezept vor, statt früher die Omi am Telefon. Das ist der Fluch der modernen Welt. Was früher Teil des Lebens war, die ständige direkte Kontaktaufnahme zu Nachbarn, Freunden u. Fremden bei Rat um Hilfe fällt zunehmend weg und man muss schon bewusst u. anlasslos o. mit vorgeschobenen Anlass Kontakt aufnehmen, was heutzutage sogar zu kleinen Irritationen führen kann (Was spricht die mich plötzlich an?), aber es lohnt sich. Eine schöne Ausnahme der modernen Welt für Kontakte mit den Nachbarn: Das gegenseitige Annehmen von Paketen. Leider soll das möglichst durch zentrale Packstationen ersetzt werden.

Jonas Dose / 01.07.2020

Fuer alle, die es interessiert - und die bemerkt haben, dass Dr. Peterson seit ueber einem halben Jahr von der Bildflaeche verschwunden war: nach einer laengeren Pause, verursacht durch eine Benzodiazepin-‘dependency’, hat seine Tochter gestern ein Video-Interview mit ihm veroeffentlicht. An dieser Stelle: gute (Ver)Besserung…

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